Samstag, 15. November 2014

Mehr Streit!



Einer der Gründe weswegen parlamentarische Demokratie in der deutschen Praxis so schlecht funktioniert, ist die manische Harmoniesucht des Urnenpöbels.

Das ist eine extreme Unsitte.
Eine Partei, die diskutiert, um den richtigen Weg ringt und bei Vorstandswahlen sogar Kandidaten MIT Gegenkandidaten aufstellt, gilt als zerstritten und somit als nicht regierungsfähig.
Wenn hingegen insbesondere im Kanzlerwahlverein CDU und der CSU Vorsitzende mit DDR-sozialistischen Ergebnissen gewählt werden, gilt das als Ausweis der Seriosität.
In Wahrheit sind solche Wahlen allerdings eine Farce. Angela Merkel könnte getrost die Wahlen innerhalb ihrer Partei abschaffen.
Es ist ohnehin völlig unmöglich, daß sie nicht zur Vorsitzenden gewählt würde.
Sie läßt also Wahlen abhalten, bei denen man keine Wahl hat.

Solche Ereignisse wie der Mannheimer SPD-Parteitag vom November 1995, als sich der Parteivorsitzende Rudolf Scharping gemütlich wiederwählen lassen wollte, eine Rede von geradezu Merkelscher Ödnis ablieferte und dann für ihn völlig überraschend vom brillanten Rhetor Lafontaine an die Wand geklatscht wurde, sind in den C-Parteien vollkommen undenkbar.

Es gilt als ganz große Schwäche der SPD, daß es immer mindestens zwei miteinander streitende Flügel gibt.

Dabei ist es doch offensichtlich was passiert, wenn die SPD kleinmütig und devot ihrem Vorsitzenden folgt. Wir erleben das seit einiger Zeit. Harmonie in der Regierung. Allerdings ist die CDU-Chefin Kanzlerin und die SPD dümpelt bei Umfragen in der traurigen knapp-über-20%-Gegend.

In den 2000er Jahren gab es mit dem Forum Demokratische Linke 21 (Nachfolger des „Frankfurter Kreises“) um Andrea Nahles, den Seeheimern um Johannes Kahrs und den dazwischen liegenden Netzwerkern um Gabriel sogar drei Flügel.
Für mich stellten diese Schubladen insofern immer ein Problem dar, da ich mich so schwer tat mich einer von ihnen zugehörig zu fühlen.
Ginge es nach den politischen Positionen, gehöre ich in die linke Schublade der SPD, aber unglücklicherweise ist da auch das dümmste Personal.
Die fromme papstreue Katholikin Nahles ist als Ministerin tatsächlich genauso eine katastrophale Taktikerin wie vorher als Generalin oder Juso-Chefin.
Intellektuell leichtgewichtig ist auch der Linke Niels Annen, der es 2009 vermochte einen der bundesweit sichersten SPD-Wahlkreise, Hamburg-Eimsbüttel, durch extreme Doofheit an die CDU zu verschenken.
Nach 28 Fachsemestern brach er sein Studium der Geschichte, Geographie und Lateinamerikanistik an der Universität Hamburg ohne Abschluß ab.

Vor der Generation Nahles-Annen sah es auch nicht besser aus bei der SPD-Linken, als die Doppelnamen-Frauen noch mächtig waren.
Sigrid Skarpelis-Sperk, von Gerd Schröder „Mrs Njet“ oder „Tripel-S“ genannt, schaffte es immer wieder so unsympathisch und verbiestert zu wirken, daß man ihr von Herzen Misserfolge wünschte, selbst wenn sie sachlich absolut Recht hatte.


Oder man denke an die unglückliche langjährigen stellvertretenden Bundesvorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul, deren inhaltliche Positionen ich ebenfalls nur loben kann.


Über den 2003er Irakkrieg zog sie ein Jahr später folgende Bilanz:
 „Der Irakkrieg hat entsetzliches menschliches Leid und zahlreiche Opfer bei der Zivilbevölkerung, aber auch bei den Soldaten mit sich gebracht. Das ist ein wirkliches Verbrechen.

Den israelischen Angriff auf den Libanon im Juli 2006 „völkerrechtlich völlig inakzeptabel“ und erntete dafür harte öffentliche Kritik, unter anderem von der Jungen Union, der FDP und den Grünen. Seitens des Zentralrates der Juden in Deutschland wurde daraufhin die Frage gestellt, „ob eine solche Entwicklungshilfeministerin im Namen der Sozialdemokraten noch tragbar“ sei.
(Wikipedia)

Auch innerhalb ihrer Partei vertrat die linke Hessin mutig ihre Positionen.
Wäre sie nur nicht taktisch so verdammt unfähig.
Sie war es, die mit ihrer blödsinnigen und aussichtslosen Kandidatur bei der SPD-Urwahl von 1993 Scharping ins Amt brachte und damit de facto Helmut Kohl 1994 die Wiederwahl als Kanzler ermöglichte.
Ähnlich schwachsinnig war ihre Attacke auf den Parteivorsitzenden Müntefering im Oktober 2005, den sie damit mitten in den Koalitionsverhandlungen mit Angela Merkel demontierte und aus dem Amt jagte – zur Freude der CDU.

Während HWZs Intimfeind Gerd Schröder bekanntermaßen in seinem Umfeld beliebt ist, weil er völlig unprätentiös, rücksichtsvoll und kumpelhaft mit Fahrern, Sicherheitsbeamten und Sekretärinnen umgeht, scheint sie eher eine Furie zu sein; jedenfalls wenn man der „WELT“ glauben schenken möchte.

Beleidigungen, Streit, Geschrei: So enden nach Angaben von Mitarbeitern viele Diskussionen mit Heidemarie Wieczorek-Zeul. […] Eine "Sauerei" sei das, empörte sich die Ministerin und feuerte die Unterlagen quer über den Konferenztisch, an dem neben Mitarbeitern auch staunende Gäste einer ausländischen Delegation saßen. Das nächste Mal nehme sie so schlechte Papiere "überhaupt nicht mehr zur Kenntnis", tönte Heidemarie Wieczorek-Zeul nach Auskunft von Anwesenden. Was denn das Problem sei, wagte einer zu fragen. Antwort: In der Mappe habe sie sich auf einer "Teilnehmerliste" gefunden – als Frau aber gehöre sie entweder in eine "Teilnehmendenliste" oder in eine "Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer".
Diese Szene aus dem Büro von Entwicklungshilfeministerin Wieczorek-Zeul soll rund neun Jahre zurück liegen. Aber an der Tonlage der SPD-Politikerin gegenüber ihren Mitarbeitern ("Nicht mal das könnt ihr") hat sich so wenig geändert, dass er demnächst Thema von Personalversammlungen ihres Hauses wird.

So hilft man dem linken Flügel innerhalb der SPD nicht.

Eine meiner Lieblingsgeschichten von HWZ ist ihr Trip nach Mururoa, der filmisch begleitet zu einem der größten PR-Desaster der 1990er Jahre wurde.
Dabei hatte sie auch in dem Fall in der Sache Recht: Die Atomtests waren strikt abzulehnen. Daß sie sich dann selbst auf einem rostigen Seelenverkäufer, nämlich dem Fidschi-Frachter "Kaunitoni" einfand, um hilflos treibend zu kommentieren wie die "Rainbow Warrior II" von der französischen Marine gestürmt wurde, konnte nicht gut ausgehen.

[….]  Heidemarie Wieczorek-Zeul war in Rage. Sie hatte den World Service der BBC gehört und wußte, daß die "Rainbow Warrior II" überrumpelt wurde und daß es Proteste in Paris gab. "Ich finde das französische Vorgehen ungeheuerlich, als zivilisierter Staat und als Mitglied der EU kann man so nicht mit Demonstranten umgehen. Die Regierung verhält sich autoritär", sprach sie.
Dabei hat nach dem Maschinenschaden alles so launig begonnen.
Heidi Wieczorek-Zeul springt alarmiert aus ihrer Koje und fällt fast über ihren SPD-Genossen Reinhard Schultz. [….]  "Reinhard", ruft Heidi Wieczorek-Zeul, "das Schiff steht." Die rote Heidi verflucht den Tag, an dem sie sich zu dieser Friedensfahrt hat hinreißen lassen. [….] Die internationale Harmonie hielt bis zum Ausfall der Maschine an. Da plötzlich formierten sich die Deutschen. Wieczorek-Zeul forderte das Herbeirufen eines Schleppers. [….] So dümpelt das Boot weiter. Die See tobt, die Rettung ist weit.  Wie versteinert blickt Frau Wieczorek-Zeul aufs Meer hinaus. Lieber rote Heidi als tote Heidi.

In Erinnerung blieben dann nur Bilder von HKW, die seekrank und unförmig in Rettungswesten gekleidet in einem Schlauchboot vor sich hin göbelte.
Eine wunderbare Vorlage, um sich über sie lustig zu machen und damit ihr eigentliches Anliegen zu konterkarieren.

Die Seeheimer um Klaas Hübner und Johannes Kahrs sind dagegen geradezu unheimlich professionell.
Kahrs kennt seine Grenzen, hält den Mund, wenn er nichts erreichen kann, wagt aber oft auch die Kritik am politischen Gegner, wenn alle anderen still sind.
Dazu hat er die seltene Fähigkeit druckreif zu sprechen und sich absolut prägnant auszudrücken. Er braucht keine Manuskripte, liest seine Reden nicht ab.
Es ist eigentlich immer eine Freude ihm im Bundestag zuzuhören.

Die Netzwerker haben sich scheinbar aufgelöst. Ohne zu googeln fällt mir keine einzige Wortmeldung von ihnen ein.

Erfreulicherweise wagen die Linken in der SPD nun einen Neuanfang. Das Forum Demokratische Linke 21 war seit der Bundestagswahl 2013 völlig untergegangen und überließ Gabriel das Feld.

Nun könnte sich die Phase der duldsamen Gefolgschaft dem Ende nähern. Daraus lässt jedenfalls das Treffen von gut 250 Vertretern der Parteilinken in Magdeburg schließen, die sich am Freitag und Samstag dort zur "Magdeburger Plattform" zusammengeschlossen haben.
Zumindest die Linke innerhalb der SPD will wieder eigene Positionen benennen, will sich abheben von der CDU, erwartet, dass die SPD auch in der Großen Koalition als selbstständige Partei erkennbar wird. Oder wie es ein Genosse formulierte: "Wenn wir nicht an die Strukturfragen herangehen, machen wir uns zur linken Unterabteilung der CDU."
[….] Von einem "massiven Anstieg der Einkommensunterschiede in Deutschland" sprach der Ökonom Fabian Lange, und Parteivize Ralf Stegner nahm den Ball gerne auf: "Ich kenne keine Wahlanalyse, die uns Zuwächse verspricht, wenn wir die DIHK-Geschäftsführer zufriedenstellen", sagte er. Ohne das Profil in ihren Kernthemen zu schärfen, treibe die SPD in den Umfragen "eher in Richtung 20 als in Richtung 30 Prozent". [….] Sigmar Gabriel dürfte das Treffen mit einigem Interesse beobachtet haben, aber nicht nur er. Der Netzwerker-Flügel, ein Zusammenschluss von Genossen mit eher realpolitischem Ansatz, forderte bereits vor dem Konvent in Magdeburg in ungewöhnlicher Schärfe, man solle "gemeinsam und solidarisch an der Weiterentwicklung und Attraktivität der SPD arbeiten". [….]

Der neue starke Mann, Ralf Stegner ist notorisch unbeliebt in der Berliner SPD-Führung.
Insofern gleicht er Tripel-S, Nahles und HWZ, die gerade innerhalb ihrer Partei leidenschaftlich gehasst wurden.
Es ist aber realistisch zu hoffen, daß er deutlich geschickter, kompromissfähiger und klüger als die drei Frauen agiert.

[…]  Stegner und seine Mitstreiter wollen die programmatischen Debatten innerhalb der Partei forcieren, um für 2017 besser aufgestellt zu sein. Denn dann soll die "Lebensabschnittspartnerschaft mit der CDU" enden. Ein Wahlergebnis von 25 Prozent wie bei der letzten Bundestagswahl sei dafür nicht genug. "Und wenn wir besser werden wollen, müssen wir an unserem Profil arbeiten."
Konflikt um die Vermögenssteuer
Ein Profil, das deutlich stärker als bislang linke Positionen betonen soll: "Die SPD ist die Gerechtigkeitspartei", sagte Stegner. "Wenn die Menschen unsere Politik nicht gerecht finden, wählen sie uns nicht." Konkret forderte er größere Investitionen in Bildung und Infrastruktur, zu denen insbesondere die Vermögenden beitragen müssten - ein Widerspruch zu Parteichef Gabriel, der die Vermögenssteuer kürzlich für tot erklärt hatte. […]
Stegner: Es geht nicht um kritisch, sondern es geht darum, dass man Einfluss hat. Einfluss hat man ja nicht, wenn man zufrieden ist, niedergestimmt zu werden auf dem Parteitag und Positionen zu beschließen, die das eigene Herz wärmen, sondern wenn man Einfluss nimmt. Den haben wir genommen, wenn Sie sich unser Wahlprogramm angucken, das, was da zum Thema gute Arbeit, zu Rente oder zu Gerechtigkeitsfragen steht, das ist ja doch auch ein bisschen die Konsequenz aus manchem, was wir zwischen 2003, 2009 falsch gemacht haben und was uns ja dazu gebracht hat, dass wir Hunderttausende Mitglieder und Millionen Wähler verloren haben. […]
Handzahmes gibt es immer nur in der Union, da sagt Mutti, was geschieht. So was gibt es in der SPD nicht. Sondern wir waren immer eine lebhaft diskutierende Partei. Das ist auch nötig. Das ist übrigens gerade nötig, wenn man in der Großen Koalition ist. […]
Wir haben in diesem Koalitionsvertrag mit der Union nicht vereinbaren können, dass die mit den höchsten Einkommen und Vermögen mehr beitragen sollen, mehr Solidarbeitrag leisten, dafür dass wir mehr in Bildung und Infrastruktur investieren können. Das war mit der Union nicht möglich, das war eines der wenigen Ziele, die die hatten. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Aber das bedeutet ja nicht, dass die SPD ihre eigene Programmatik damit beendet. […]
.. in der SPD wird doch diskutiert. Wir sind nicht die katholische Kirche, wo im Vatikan entschieden wird, was geschieht, und keiner räuspert sich dazu, sondern wir diskutieren darüber, wie es weitergehen soll. […]
Mit der Union gibt es eben in bestimmten Punkten nur Kompromisse. Kein Mensch bei uns wäre auf die Idee gekommen, eine Ausländer-Maut zu fordern, und wir hätten die Mütterrente, die richtig ist, nicht aus Beitragsmitteln, sondern aus Steuermitteln bezahlt. Und wir wollen eine Bürgerversicherung. All diese Dinge gehen mit der Union nicht. Aber wenn die SPD jetzt einschläft und sagt, das reicht, wie wollen wir dann 2017 die Wahlen gewinnen? Also, Sie müssen das auch ein bisschen arbeitsteilig verstehen, was wir in der Großen Koalition tun und was wir natürlich auch noch darüber hinaus wollen. Denn es kann ja nicht unser Ziel sein, Juniorpartner zu sein.  […]

Wie richtig es ist, daß sich die Linken in der SPD neu formieren, zeigt schon das Unbehagen der Parteispitze, die offenbar von Merkel infiziert nur noch Ruhe in der Bude wünscht.
Aber das ist nun einmal kein SPD-Habitus.
In der SPD sollte diskutiert werden und das sollte man nicht verschämt zur Kenntnis nehmen, sondern stolz drauf sein.
Daß Nahles und Gabriel so sehr die Hosen voll haben, wenn jemand androht Argumente aufzuzeigen, daß sie die Bildung einer säkularen Arbeitsgruppe innerhalb der SPD verboten, steht exemplarisch für das demoskopische Desaster der Sozis.
Die Parteiführung sollte lieber stolz sein, daß sich so eine AG gründen wollte und diese unterstützen – auch wenn sie anderer Meinung sind.
Offensichtlich trauten sie aber ihrer eigenen Überzeugungskraft nicht und wollten jeder Diskussion aus dem Weg gehen.
Das kann es nicht sein.
Eierlose wählt niemand gern.

Die SPD war einmal eine Partei, die stolz darauf war, dass sie um Positionen ringt. In dieser Partei wurde debattiert wie wild, es hat gedonnert und geblitzt. Es wurden Programmpapiere geschrieben und wieder zerrissen, Thesen entwickelt, verworfen und neu modelliert. Es war immer was los in der Geschichte dieser Partei; aber das ist schon länger her. Seit geraumer Zeit hat die SPD-Führung schon Angst vor dem Wort "links" und kriegt bei dem Wort "Sozialismus" Gänsehaut. Die lauten roten Lieder singt man nur noch, wenn man besoffen ist. Man will nicht mehr rot sein, sondern rosé. Das Rote überlässt man der Partei, die sich "Die Linke" nennt. Das ist töricht - aber ein Faktum.
Eigentlich könnte sich die SPD-Spitze darüber freuen, dass die Linken in der SPD am Wochenende eine neue Allianz, die "Plattform Neue Linke" gründen wollen. Denn die müde SPD hat Zunder nötig; es schadet ihr gar nichts, wenn ein paar Leute fragen, ob es gut ist, dass sich zwar die CDU sozialdemokratisiert hat, die SPD sich aber entsozialdemokratisiert. Man muss nicht gleich vor "Flügelkämpfen" warnen, wie das der SPD-Fraktionschef Oppermann tut, wenn da die Wiedereinführung der Vermögensteuer gefordert wird. Und wenn die "Plattform Neue Linke" in ihrem Gründungsaufruf meint, dass neoliberale Denkmuster bis heute in die Partei einwirken, ist das kein "Unfug", sondern wahr - seit dem Schröder-Blair-Papier vom 8. Juni 1999.
[….] Es wird der Partei gut tun, wenn eine SPD-Linke solche Fragen stellt.


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