In jeder
Generation gibt es nur ein Handvoll Weltmedienereignisse, die sich so ins
kollektive Bewußtsein eingravieren, daß sich jeder daran erinnert wo er an dem
Tag war.
In den
letzten Einhundert Jahren waren es das Attentat von Sarajevo vom 28. Juni 1914,
der Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918, der „schwarze Freitag“
am 25. Oktober 1929, die „Reichskristallnacht am 09.November 1938, der
Weltkriegsausbruch am 01. September 1939, das Kriegsende am 08.Mai 1945, die
Krönung Elisabeth II. am 02. Juni 1953, das Kennedy-Attentat am 22. November
1963 und die Mondlandung 21. Juli 1969.
Es
folgten die Maueröffnung am 09. November 1989 und schließlich der 09. September
2001.
Während
ich den allerletzten Termin außerordentlich genau erinnere, muß ich zu meiner
Schande gestehen, daß mein 09.11.89 von den aktuellen und bekannten Bildern
überdeckt wird.
Was ich
an dem Tag tat weiß ich nicht mehr.
Dabei
gibt es durchaus politische Ereignisse, die ich sehr bewußt erinnere.
Ich saß am
gemütlichen Montag, den 03.Oktober 1988 mit einer Freundin im Café Cocteau unweit
der Reeperbahn in der Wohlwillstraße und soff Vodca, als der Wirt die Musik
runterdrehte und durchsagte, daß soeben Franz Josef Strauß an seinem
Erbrochenen erstickt sei und sich nun bei den „Barmherzigen Brüdern“ befände.
Darauf
wurde erst einmal angestoßen.
Donnerstag,
den 17. Januar 1991 war ich gerade aus Berlin kommend direkt zu einer privaten
Party in der Talstraße, ebenfalls direkt an der Reeperbahn, aufgeschlagen, als
die Musik ausging und wir erfuhren, daß soeben „Desert Storm“ begonnen hätte.
Das war zwar nicht wirklich überraschend, aber doch so empörend, daß ein Kumpel
und ich für ein Taxi zusammenlegten und mitsamt meiner dreckigen Klamotten, die
ich noch aus Berlin dabei hatte, zum US-Konsulat fuhren.
Es war
mitten in der Nacht und wir wurden schon 50m davor von der Polizei abgedrängt.
Es trafen laufend mehr Demonstranten ein, die vergeblich ihren Protest
vorbringen wollten.
Irgendwann
zückte ich meinen US-Pass, hielt ihn den nächsten Polizisten ins Gesicht und
sagte ihm auf Englisch, daß ich sofort meinen Konsul sprechen müsse.
Bizarrerweise klappte das sogar. Die wütenden Leute um mich herum hörten sogar
kurz auf zu skandieren, als ich durch die Absperrung auf das Gelände des
US-Generalkonsulates geführt wurde.
Man
brachte mich bis zu einem Nebeneingang, in dem ein Vertreter des Generalkonsuls
auf mich wartete. Ich sagte ihm, daß ich hiermit offiziell gegen die
US-Kriegspolitik George Bushs protestieren wolle und wurde zurück gebracht.
Eine Aktion von 120 Sekunden und total sinnlos.
Man wird
ja älter. Als der ohne Mehrheit ins Amt gekommene Junior-Bush am 20. März 2003 den nächsten illegalen
Angriffskrieg begann, hatte ich schon die ganze Vergeblichkeit persönlichen
Protestes verinnerlicht.
Dabei
war der europaweite Protest gegen den GWB-Irakkrieg enorm; die Demonstrationen
waren viel gewaltiger als die von 1991 gegen Papa Bush.
Weltpolitischen
Einfluss erlangt man aber nicht auf der Straße.
Einflussreicher
war da schon das emanzipierte Wählerverhalten, das trotz der allgegenwärtigen
Warnungen vor dem „rot-grünen Chaos“ Gerd Schröder und Joschka Fischer ins Amt
gebracht hatte.
Beide
hatten sich zum Ärger Angela Merkels frühzeitig gegen den Krieg ausgesprochen. Während
die CDU-Chefin schleimspurziehend auf den Knien nach Washington rutschte und
mit ihrem bellizistischen Beraterling Friedberg Pflüger erklärte, daß
Deutschland unter ihrer Führung an GWBs Seite in den Irak zöge, verkündete der
ebenfalls Irakkriegsbegeisterte Wolfgang Schäuble, daß selbst ein Schröder es
nicht wagen könne Deutschland so total zu isolieren, um an Ende im
UN-Sicherheitsrat allein mit Syrien gegen 13 andere Nationen zu stehen.
Was für
eine Fehleinschätzung.
In den Monaten
vor dem März 2003 verließ Joschka Fischer kaum noch den Regierungsairbus und
klapperte alle anderen 14 Mitgliedsstaaten des UN Security Councils ab. Er
versuchte alles, drohte, warnte, lockte.
Die christlichste
aller christlichen Regierungen im Weißen Haus, weigerte sich mit der gewählten
deutschen Regierung zu sprechen und empfing stattdessen Angela Merkel und
Roland Koch als ihre wahren Freunde.
Schäuble und andere
CDU-Außenpolitiker wie Pflüger haben sich bis heute nicht davon distanziert,
daß sie das US-Junktim an Saddam – entweder Du rückst die
Massenvernichtungswaffen raus, oder es gibt Krieg – unterstützten!
Das war mal eine tolle
Alternative für jemanden, der schlicht und ergreifend die Wahrheit sagte, daß
er nämlich keine Massenvernichtungswaffen hatte!
(„Nun kann sich ein
Mann wie Schäuble wohl nicht vorstellen, daß auch mal jemand die Wahrheit sagt“
– Volker Pispers)
Zur Wehrkundetagung in
München Januar 2003 kursierte ein George W. Bush-Unterstützerbrief der zehn
europäischen USA-Unterstützer, als Außenminister Fischer Donald Rumsfeld
entgegen schleuderte „Excuse me Sir I am not convinced“.
Da bebte sie wieder,
die in einen Hosenanzug gezwängte uckermärkische Empörung.
Merkel, Christian
Schmidt und Pflüger, die ebenfalls im Auditorium anwesend waren, erhoben sich
und schleimten Rumsfeld mit Tränen in den Augen an, daß Deutschland
selbstverständlich die USA militärisch unterstützen würde, wenn die CDU die
Wahl (2002) gewonnen hätte.
(Ich habe die
Übertragung auf Phoenix damals live gesehen).
Fischers Erfolg war erstaunlich, denn er zog nicht nur die beiden Vetoländer Russland
und Frankreich auf die deutsche Seite, sondern betrieb mit Dominique de
Villepin und Igor Iwanow sogar de facto
den Hauptwiderstand gegen Washington.
Sie setzten Amerika mit Memoranden so stark unter Druck,
daß Merkels und Schäubles Voraussagen gegenstandslos wurden und GWB schließlich
eine geballte Mehrheit der Welt gegenüberstand.
Washington
versuchte alles, ging sogar so weit, daß Amerika zu einer der größten Blamagen
aller Zeiten hingerissen wurde.
Unter
dem
persönlichen Vorsitz Joschka Fischers, trat der US-Außenminister Powell
am 05.02.2003 im Sicherheitsrat auf und bereitete seiner Nation eine
kaum wieder gut zu machende Schmach, indem er log, daß sich die Balken
bogen.
Iraks Diktator Saddam
Hussein sei im Besitz von Massenvernichtungswaffen, behauptete US-Außenminister
Colin Powell am 5. Februar 2003 vor dem UN-Sicherheitsrat. Seine Rede war der
Auftakt zum wenig später beginnenden Irakkrieg. Doch Powells vermeintliche
Beweise entpuppten sich als falsch.
"Saddam Hussein
besitzt chemische Waffen; Saddam Hussein hat solche Waffen eingesetzt."
"Saddam Hussein
und sein Regime verschleiern ihre Bemühungen, mehr Massenvernichtungswaffen zu
produzieren."
"Saddam Hussein
ist entschlossen, an eine Atombombe zu kommen."
Am 5. Februar 2003
blickte die Welt gebannt nach New York - auf den Sicherheitsrat der Vereinten
Nationen - und auf den amerikanischen Außenminister Colin Powell in der
ungewohnten Rolle eines Chefanklägers beim Schlussplädoyer. Powell führte
Satellitenaufnahmen, aufgefangene Funksprüche und grafische Darstellungen vor;
er hielt eine Phiole mit einem weißen Pulver hoch, um zu demonstrieren, mit
welch geringen Mengen von Anthrax-Sporen man zig Tausende umbringen könnte. Mit
all dem plädierte Colin Powell auf den militärischen Sturz des irakischen
Diktators Saddam Hussein.
"Saddam Hussein
und sein Regime schrecken vor nichts zurück, solange sie nicht gestoppt
werden."
Es war eine große
Schau - und eine ebenso große Tragödie. Im UNO-Sicherheitsrat hätten nur die
USA, Großbritannien, Spanien und Bulgarien für den gewaltsamen Regimewechsel im
Irak gestimmt, die Mehrheit hätte dagegen votiert. So griffen die USA,
Großbritannien und einige andere Staaten den Irak schließlich ohne ein Mandat
des Sicherheitsrates an. Doch sie wurden nicht allerorts, wie erwartet, als
Befreier begrüßt. Viereinhalbtausend amerikanische Soldaten und ungezählte
Iraker verloren bei der Intervention ihr Leben. Millionen Menschen in vielen
Ländern protestierten gegen den Angriff; Europas Staatenlenker waren gespalten.
Vor den Vereinten Nationen setzte Colin Powell seine Glaubwürdigkeit für einen
dubiosen Krieg aufs Spiel.
Das war
echte Weltpolitik, die mich schwer beeindruckte.
Und der
09.11.1989?
Wie inzwischen
auch Helmut Kohl unumwunden erklärt, brach die DDR nicht wegen der tapferen,
friedlichen Freiheitskämpfer zusammen, die jetzt rund um die Uhr bejubelt
werden.
In
Wahrheit war das Land einfach total pleite und hatte zudem auch noch den großen
Bruder Moskau verloren.
Dort saß
längst der Reformer Gorbatschow, der den Ostberliner Steinzeit-Herrschern ins
Stammbuch schrieb: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben!“
Vielleicht
wäre die DDR schon eher zusammengebrochen; wenn nicht in den 1980er Jahren konservative
Urgesteine wie Franz Josef Strauß aktiv die Lebenszeit des sozialistischen Ostdeutschlands
mit Milliardenkrediten verlängert hätten.
Man
stelle sich vor, daß ein SPD-Ministerpräsident nach Ostberlin gereist wäre und
dort die SED-Führung mit Milliarden gepimpt hätte!
Dann wären Kohl und Co aber ausgerastet!
Dann wären Kohl und Co aber ausgerastet!
In den
späten 1980ern bröckelte es in Polen, Ungarn und Tschechien erheblich mehr als
in der DDR. Ich reiste 1987 durch Jugoslawien, Rumänien und Ungarn. Dort
erlebte ich den sprichwörtlichen „Gulasch-Kommunismus“. Die Menschen nahmen
sich einfach die Freiheiten, die für die devoteren Ostdeutschen nicht in Frage
kamen. Rumänien war nach meinem Eindruck damals zu repressiv. Dort konnte man
die Securitate wirklich jede Minute fühlen.
Und auch
in Polen gab es mit dem Sicherheitsdienst Służba Bezpieczeństwa (SB), eine „Staatssicherheit“
mit Myriaden festen Angestellten und fast 100.000 inoffiziellen Mitgliedern.
Allerdings waren die Polen offenbar viel querulantischer veranlagt als ihre
sozialistischen braven Nachbarn im Westen.
Die
legendäre Solidarność hatte schon eine Dekade bevor irgendwelche
DDR-Montagsdemonstranten in Wallung kamen das Land durchgerüttelt.
Ich
erinnere mich jedenfalls erst wieder an den 10.11.89. Das war ein Freitag, an
dem ich ein wichtiges Kolloquium an der Uni hatte und morgens auf dem Weg dorthin
kaum fassen konnte, wie Hamburg roch.
Zweitakter-Auspuffgase überall; der typischer
Straßenduft, den ich aus Ostberlin kannte.
Und nun
waren all die Trabbis scheinbar in Hamburg und kurvten hupend umher.
Mein
Labortag ging damals bis 18.00 Uhr und ich mußte mich sputen, um noch bei „COMET“
nebenan ein paar lebenswichtige flüssige Utensilien für das Wochenende zu kaufen.
Es war die schwarzgelbe Regierungszeit, als im Banngriff der Kirchen starrste
Ladenöffnungszeiten galten. Um 18.30 Uhr hatte alles zu zu sein.
Der
Comet hinter den Chemischen Instituten war damals allerdings nie besonders
frequentiert. Umso mehr staunte ich, als ich die Schlangen an den Kassen sah.
Nachdem
ich dort ebenfalls lange gewartet hatte, drängelte sich ein vollbepackter
Einkaufswagen direkt nach vorn vor eine ältere Dame, die zwar nichts sagte,
aber sich doch hörbar verärgert über das rüpelhafte unhanseatische Verhalten
räusperte.
„Was
denn, was denn?“ schallte es ihr da in sächsisch entgegen: „Wir haben
Jahrzehnte lang gewartet. Nun seid ihr mal dran!“
Das war
meine erste Begegnung mit der deutschen Einheit.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen