Wenn
sich zwei oder drei Parteien nach einer Bundestagswahl treffen, wird lange
verhandelt bis man ein so dickes Buch mit wolkigen Absichtserklärungen und
Prüfaufträgen vollgeschrieben hat, daß sich jeder alles auf die Fahnen
schreiben kann.
Sogar
die FDP von 2009-2013 prahlte tatsächlich ausführlich mit einer „Versprechen
gehalten“-Kampagne, obwohl sie die anschließende Existenzvernichtung eindeutig
der Tatsache verdankt, daß sie kein einziges ihrer vollmundigen Versprechen
umsetzte.
Es gab
keine Steuersenkungen und schon gar nicht wurde das Steuersystem „einfacher,
niedriger und gerechter“, so wie es Westerwelle bis zu seinem
Regierungseintritt Mantra-artig immer wieder als Grundbedingung für eine Koalition
vortrug.
Es war
natürlich doof von ihm vorher den Mund so voll genommen zu haben und dann auch
noch zu behaupten alle FDP-Forderungen wären im Koalitionsvertrag durchgesetzt
worden.
Ich bin
gar nicht so empfindlich bei Lügen in der Politik; man kann in der Branche gar nicht
immer alles ehrlich ausplaudern, wenn man jemals ein Amt übernehmen will.
Aber
wenn man so dummdreist lügt wie Westerwelle und seine 2009er FDP, muß man sich
nicht anschließend wundern, daß einem nicht mehr vertraut wird.
Das ist
politische Dummheit.
Angela
Merkel ist in dem Punkt wesentlich klüger und geschickter.
Sie lügt
natürlich auch wie gedruckt und kümmert sich nicht um ihre einst abgegebenen
Versprechen. Die Liste all der Dinge, die sie einst vehement ausgeschlossen und
dann später doch tat, ist legendär.
Merkel
schafft es aber nicht so penetrant und besserwisserisch wie Westerwelle rüberzukommen.
Sie sagt
zwar auch ab und zu mal etwas Konkretes – man erinnere sich an ihren Satz „eine
Maut wird es mit mir als Bundeskanzlerin nicht geben“ in der TV-Diskussion mit Peer
Steinbrück – aber sie verkauft das so emotionslos und verschlafen, daß es ihr
niemand übel nimmt, wenn sie wenige Wochen später genau diese Maut im Koalitionsvertrag
verabredet.
Sigmar
Gabriel schafft es ebenfalls nicht das Merkelsche Blabla-Säuseln durchzuhalten.
Tatsächlich hatte er 2008 als Umweltminister verkündet wie segensreich sich die
Reduzierung des CO2-Ausstosses auf die Arbeitsmarktlage auswirke.
Dieser Umweltminister
hatte Schwung. Er besuchte demonstrativ die schmelzenden Gletscher in Grönland
und warnte, „dass die Klimakrise sich verschärft“. Es dürfe nicht sein, „dass
unsere Kinder und Enkel die Rechnung bezahlen“, mahnte er und wies den Einwand
zurück, Klimaschutz schade der Wirtschaft. Tatsächlich sei er gut für die
Konjunktur und schaffe „Jobs in der Realwirtschaft“, erklärte er. „Wenn wir der
Welt nicht zeigen, dass das funktioniert, wer dann?“
Als
Wirtschaftsminister von 2014 gilt nun plötzlich das Gegenteil. Die Reduzierung
des CO2-Ausstosses KOSTET nun Arbeitsplätze und darf daher nicht so schnell kommen.
Gabriel
sitzt hier doppelt in der Patsche.
Erstens
hatte er seine Überzeugungen als Umweltminister mit solcher Verve vorgetragen,
daß man ihm tatsächlich glaubte, er brenne für seine Ideen.
Einer
seiner Amtsvorgängerinnen, Umweltministerin Merkel (1994-1998), hätte man
niemals unterstellt, daß ihr irgendetwas, das sie täte wichtig wäre.
Zweitens
hat Gabriel mit den Sozis die schwierigeren Parteimitglieder. Sie benutzen
ihren Kopf nicht bloß als Hutständer, sondern denken Politik mit und erinnern
sich.
Diese
Kurswechsel sind also politisch nicht klug.
Dabei
könnte Gabriel es viel leichter haben, indem er einfach erklärte, weshalb er
seine Meinung geändert hat.
Er mogelt
sich aber vorbei.
Das
erinnert stark an das SPD-Wahlkampfversprechen von 2013 die doppelte
Staatsbürgerschaft zu erlauben.
Nach den
Koalitionsverhandlungen behauptete er tatsächlich, dies sei der SPD auch
gelungen.
Dabei
hatte sie lediglich die Aufhebung der Optionspflicht für unter 23-Jährige
erreicht.
Wegfall
der Optionspflicht und Doppelstaatsbürgerschaft sind aber nicht das Gleiche.
Und da es Menschen wie mich gibt, die sogar älter als 23 Jahre sind, bemerkte
man schnell, daß man von Gabriel hinters Licht geführt wurde.
Unnötigerweise.
Gabriel
hätte auch an seine Mitglieder schreiben können:
„Leute, ich wollte die Doppelstaatsbürgerschaft unbedingt durchsetzen, aber bei 20% SPD und 40% CDU bin ich einfach nicht gegen die Union angekommen und habe daher nur diesen Minifortschritt bei der Optionspflicht für Jugendliche rausholen können. Sorry. Bedankt Euch bei Merkel und Schäuble; die waren strikt dagegen.“
Das
hätte ich zwar bedauert, aber akzeptiert.
Vom
eigenen Parteichef belogen zu werden, ist weniger witzig.
Merkels
CDU steht heute demoskopisch nach wie vor doppelt so stark wie die SPD da, weil
sie nicht so dumm ist sich überhaupt mit Wahlversprechen und konkreter Politik
zu beschäftigen. Sie läßt die Sozis machen und Prügel beziehen.
Die
CDU-Minister tun hingegen gar nicht.
Im
Gegenteil, wenn Sozis genau das tun, was im Koalitionsvertrag steht, nörgeln
sie rum: „Muß das denn jetzt wirklich sein? Können wir das nicht noch
aufschieben?“
Schwesig
will das ausgehandelte Mini-Frauenquötchen tatsächlich einführen? Ach nööö.
Dann findet
ein heikles Koalitionsausschusstreffen statt bei dem nach zähen Ringen das beschlossen
wird, was schon einmal vor einem guten Jahr beschlossen und in den
Koalitionsvertrag geschrieben wurde.
Das ist
organisiertes Nichtregieren.
Urnenpöbelverarschung
der perfiden Art. So können CDU und CSU auch noch die niedersten Instinkte
ihrer Anhänger ansprechen; das geht in etwa so:
Frauen sind minderwertiger als Männer, leisten nicht so viel, sind weniger belastbar und schaden der Wirtschaft. Einer Frau einen verantwortungsvollen Job zu geben ist nur was für Schönwetterzeiten, wenn man sich ihr Versagen leisten kann. Aber bei angespannter Wirtschaftslage ist keine Zeit für solche Experimente. Dann müssen Frauen draußen bleiben und die klügeren, besseren und stärkeren Männer ran.
Eigentlich
müßten Parteien wie die Union, die im Jahr 2014 so ein Denken transportieren
auf unter 5% stürzen.
Aber
nicht beim deutschen Urnenpöbel. Der liebt es verarscht zu werden.
Sie möge nicht so
"weinerlich" sein, pflaumte Unionsfraktionschef Kauder
Familienministerin Schwesig an, als sie für die Frauenquote kämpfte. Die
SPIEGEL-Dokumentation macht den Faktencheck: Wer ist die wahre
"Drama-Queen"?
Anfang der Woche
einigten sich die Spitzen von SPD und CDU/CSU auf die Einführung einer
Frauenquote. […]
So steht es schon im
Koalitionsvertrag. Dennoch gab es Widerstand aus den Reihen der Union. Man
forderte Ausnahmen, gar eine Verschiebung, weil die Quote, so hieß es aus der
CSU, die ohnehin lahmende Wirtschaft zusätzlich belaste. Ablehnend äußerte sich
auch der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates: "Das Geschlecht" könne
"kein Ersatz für Qualifikation sein", sagte Kurt Lauk im
Deutschlandfunk. […]
Gerade mal 4,4 Prozent
der Vorstandsposten waren 2014 in den 200 größten deutschen börsennotierten
Unternehmen (ohne Finanzsektor) weiblich besetzt. […] Schließlich einigten sich die eben noch so wild zerstritten
erscheinenden Spitzen der Koalition auf ziemlich genau das, was im
Koalitionsvertrag schon stand […]
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