Samstag, 29. November 2014

Nicht Regierungsorganisation.


 Wenn sich zwei oder drei Parteien nach einer Bundestagswahl treffen, wird lange verhandelt bis man ein so dickes Buch mit wolkigen Absichtserklärungen und Prüfaufträgen vollgeschrieben hat, daß sich jeder alles auf die Fahnen schreiben kann.

Sogar die FDP von 2009-2013 prahlte tatsächlich ausführlich mit einer „Versprechen gehalten“-Kampagne, obwohl sie die anschließende Existenzvernichtung eindeutig der Tatsache verdankt, daß sie kein einziges ihrer vollmundigen Versprechen umsetzte.
Es gab keine Steuersenkungen und schon gar nicht wurde das Steuersystem „einfacher, niedriger und gerechter“, so wie es Westerwelle bis zu seinem Regierungseintritt Mantra-artig immer wieder als Grundbedingung für eine Koalition vortrug.

Es war natürlich doof von ihm vorher den Mund so voll genommen zu haben und dann auch noch zu behaupten alle FDP-Forderungen wären im Koalitionsvertrag durchgesetzt worden.

Ich bin gar nicht so empfindlich bei Lügen in der Politik; man kann in der Branche gar nicht immer alles ehrlich ausplaudern, wenn man jemals ein Amt übernehmen will.
Aber wenn man so dummdreist lügt wie Westerwelle und seine 2009er FDP, muß man sich nicht anschließend wundern, daß einem nicht mehr vertraut wird.
Das ist politische Dummheit.

Angela Merkel ist in dem Punkt wesentlich klüger und geschickter.
Sie lügt natürlich auch wie gedruckt und kümmert sich nicht um ihre einst abgegebenen Versprechen. Die Liste all der Dinge, die sie einst vehement ausgeschlossen und dann später doch tat, ist legendär.
Merkel schafft es aber nicht so penetrant und besserwisserisch wie Westerwelle rüberzukommen.
Sie sagt zwar auch ab und zu mal etwas Konkretes – man erinnere sich an ihren Satz „eine Maut wird es mit mir als Bundeskanzlerin nicht geben“ in der TV-Diskussion mit Peer Steinbrück – aber sie verkauft das so emotionslos und verschlafen, daß es ihr niemand übel nimmt, wenn sie wenige Wochen später genau diese Maut im Koalitionsvertrag verabredet.

Sigmar Gabriel schafft es ebenfalls nicht das Merkelsche Blabla-Säuseln durchzuhalten. Tatsächlich hatte er 2008 als Umweltminister verkündet wie segensreich sich die Reduzierung des CO2-Ausstosses auf die Arbeitsmarktlage auswirke.

Dieser Umweltminister hatte Schwung. Er besuchte demonstrativ die schmelzenden Gletscher in Grönland und warnte, „dass die Klimakrise sich verschärft“. Es dürfe nicht sein, „dass unsere Kinder und Enkel die Rechnung bezahlen“, mahnte er und wies den Einwand zurück, Klimaschutz schade der Wirtschaft. Tatsächlich sei er gut für die Konjunktur und schaffe „Jobs in der Realwirtschaft“, erklärte er. „Wenn wir der Welt nicht zeigen, dass das funktioniert, wer dann?“

Als Wirtschaftsminister von 2014 gilt nun plötzlich das Gegenteil. Die Reduzierung des CO2-Ausstosses KOSTET nun Arbeitsplätze und darf daher nicht so schnell kommen.
Gabriel sitzt hier doppelt in der Patsche.
Erstens hatte er seine Überzeugungen als Umweltminister mit solcher Verve vorgetragen, daß man ihm tatsächlich glaubte, er brenne für seine Ideen.
Einer seiner Amtsvorgängerinnen, Umweltministerin Merkel (1994-1998), hätte man niemals unterstellt, daß ihr irgendetwas, das sie täte wichtig wäre.
Zweitens hat Gabriel mit den Sozis die schwierigeren Parteimitglieder. Sie benutzen ihren Kopf nicht bloß als Hutständer, sondern denken Politik mit und erinnern sich.

Diese Kurswechsel sind also politisch nicht klug.

Dabei könnte Gabriel es viel leichter haben, indem er einfach erklärte, weshalb er seine Meinung geändert hat.
Er mogelt sich aber vorbei.

Das erinnert stark an das SPD-Wahlkampfversprechen von 2013 die doppelte Staatsbürgerschaft zu erlauben.
Nach den Koalitionsverhandlungen behauptete er tatsächlich, dies sei der SPD auch gelungen.
Dabei hatte sie lediglich die Aufhebung der Optionspflicht für unter 23-Jährige erreicht.
Wegfall der Optionspflicht und Doppelstaatsbürgerschaft sind aber nicht das Gleiche. Und da es Menschen wie mich gibt, die sogar älter als 23 Jahre sind, bemerkte man schnell, daß man von Gabriel hinters Licht geführt wurde.
Unnötigerweise.
Gabriel hätte auch an seine Mitglieder schreiben können:

„Leute, ich wollte die Doppelstaatsbürgerschaft unbedingt durchsetzen, aber bei 20% SPD und 40% CDU bin ich einfach nicht gegen die Union angekommen und habe daher nur diesen Minifortschritt bei der Optionspflicht für Jugendliche rausholen können. Sorry. Bedankt Euch bei Merkel und Schäuble; die waren strikt dagegen.“

Das hätte ich zwar bedauert, aber akzeptiert.
Vom eigenen Parteichef belogen zu werden, ist weniger witzig.

Merkels CDU steht heute demoskopisch nach wie vor doppelt so stark wie die SPD da, weil sie nicht so dumm ist sich überhaupt mit Wahlversprechen und konkreter Politik zu beschäftigen. Sie läßt die Sozis machen und Prügel beziehen.
Die CDU-Minister tun hingegen gar nicht.

Im Gegenteil, wenn Sozis genau das tun, was im Koalitionsvertrag steht, nörgeln sie rum: „Muß das denn jetzt wirklich sein? Können wir das nicht noch aufschieben?“
Schwesig will das ausgehandelte Mini-Frauenquötchen tatsächlich einführen? Ach nööö.
Dann findet ein heikles Koalitionsausschusstreffen statt bei dem nach zähen Ringen das beschlossen wird, was schon einmal vor einem guten Jahr beschlossen und in den Koalitionsvertrag geschrieben wurde.
Das ist organisiertes Nichtregieren.
Urnenpöbelverarschung der perfiden Art. So können CDU und CSU auch noch die niedersten Instinkte ihrer Anhänger ansprechen; das geht in etwa so:

Frauen sind minderwertiger als Männer, leisten nicht so viel, sind weniger belastbar und schaden der Wirtschaft. Einer Frau einen verantwortungsvollen Job zu geben ist nur was für Schönwetterzeiten, wenn man sich ihr Versagen leisten kann. Aber bei angespannter Wirtschaftslage ist keine Zeit für solche Experimente. Dann müssen Frauen draußen bleiben und die klügeren, besseren und stärkeren Männer ran.

Eigentlich müßten Parteien wie die Union, die im Jahr 2014 so ein Denken transportieren auf unter 5% stürzen.
Aber nicht beim deutschen Urnenpöbel. Der liebt es verarscht zu werden.

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Anfang der Woche einigten sich die Spitzen von SPD und CDU/CSU auf die Einführung einer Frauenquote. […]
So steht es schon im Koalitionsvertrag. Dennoch gab es Widerstand aus den Reihen der Union. Man forderte Ausnahmen, gar eine Verschiebung, weil die Quote, so hieß es aus der CSU, die ohnehin lahmende Wirtschaft zusätzlich belaste. Ablehnend äußerte sich auch der Präsident des CDU-Wirtschaftsrates: "Das Geschlecht" könne "kein Ersatz für Qualifikation sein", sagte Kurt Lauk im Deutschlandfunk. […]
Gerade mal 4,4 Prozent der Vorstandsposten waren 2014 in den 200 größten deutschen börsennotierten Unternehmen (ohne Finanzsektor) weiblich besetzt. […] Schließlich einigten sich die eben noch so wild zerstritten erscheinenden Spitzen der Koalition auf ziemlich genau das, was im Koalitionsvertrag schon stand […]


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