Montag, 17. November 2014

Was schert mich meine Meinung von gestern? – Teil II


Fähig zu sein die eigenen Ansichten zu ändern, ist grundsätzlich ein gutes Zeichen. Es ist ein natürlicher Prozess der intellektuellen Erkenntnis, daß die eigene Faktenlage sich verbreitet, so daß andere Schlüsse gezogen werden.
Manche Menschen werden auch im zunehmenden Alter kritischer und weniger leichtgläubig. Man springt dann nicht mehr so leicht auf einen Zug auf, wenn man schon viele mit Medienhype orchestrierte Züge entgleisen sehen hat.

Als Jugendlicher besteht man felsenfest auf seiner Meinung und seinen Vorlieben. Wehe wenn die Eltern an der bevorzugten Boyband oder der Frisur herumkritisieren.
Erwachsene haben ja keine Ahnung.
Wer nach ein paar Dekaden auf seine eigene Jugend zurückblickt, erinnert sich aber immer auch an die peinlichen Fehl-Fan-Fantasien und kann es a posteriori kaum noch glauben, weswegen man einst eine TV-Serie oder eine Sängerin liebte.

Andere werden erst mit dem Holzhammer zu einem Umdenken genötigt.
Ins Gegenteil verkehrte Meinungen werden oft besonders hartnäckig vertreten.
Niemand kämpft so stark für Rauchverbote wie Ex-Raucher.
Konvertiten sind die überzeugtesten Religioten. Ehemalige begeisterte Fleischfresser stechen normale Veganer an Fanatismus aus.
Sehr beeindruckend ist das Engagement von Eltern homosexueller Kinder, die bis zum Outing ihres eigenen Sohnes/ihrer eigenen Tochter selbst homophob dachten und dann oft in längeren Prozessen komplett umdachten.


Natürlich gibt es auch altersbedingte Denkverhärtungen.
Eltern können ihre Teenagerkinder sehr hart und überzeugend betrafen, wenn sie diese mit einem Joint erwischen. Wieviel sie selbst in ihrer Jugend kifften, ist dann vergessen.
Ich erinnere mich noch gut, daß ich ernsthaft ein bißchen entsetzt war, als mir eine Schulfreundin einst erzählte, ihre 16-Jährige Tochter könne offenbar „schon poppen wie eine Große“. Das höre sie schließlich immer lautstark aus ihrem Zimmer, welches neben ihrem Schlafzimmer liege.
Meine Spontanreaktion war tatsächlich ein „und das erlaubst Du?“.
Ich solle mich mal nicht so aufregen und lieber daran denken was ich schon alles mit 15 getrieben hätte, wurde ich dann belehrt.
Um womit? Mit Recht.

In den sozialen Netzwerken beobachte ich, daß CDU-affine Geronten wie Baring, Broder oder Biermann als Prototypen der unangenehmsten Rechten gebrandmarkt werden.
Um nicht nur Männer mit „B“ zu nennen, erwähne ich noch den gruseligen Giordano, der gemeinsame Sache mit der braunen Erika von den Vertriebenen machte. Oder den Merkel-Fan und Arbeitgeberlobbyisten Klaus von Dohnanyi.

Den jungen Leuten sage ich, ja, ihr ärgert euch zu Recht über diese Omen und Open.
Es ist aber nicht richtig diese Personen deswegen in Bausch und Bogen zu verdammen.
Ich hatte das Privileg mich als 15, 16-Jähriger Schüler mehrfach mit Wolf Biermann unterhalten zu können. Er kam auf Einladung unserer Deutschlehrerin in unsere Schule und diskutierte mit uns über Hölderlin.
Er nahm uns ernst, ließ sich lange Zeit und kam mehrfach zu uns.
Damals war Biermann eher als der Regimekritiker bekannt, weniger als Barde, Dichter oder Liedermacher.
Als Student, kurz nach dem Fall der Mauer erlebte ich Biermann dann neu als SPIEGEL-Kolumnist. Diesmal als Essayist. Der Mann schrieb damals einige der besten Prosatexte des Jahrzehnts. Es war eine Wonne diesen scharfsichtigen Mann zu lesen.
Niemals hätte ich damals geglaubt, daß der schärfste Kohl-Kritiker eines Tages für Angela Merkel schwärmen könnte und in der Springerpresse verbreitet CDU zu wählen.
Auch Baring und Broder waren einmal links und ich stehe weiterhin dazu, daß Broder einige bedeutende, intelligente Bücher geschrieben hat.
Giordano erst Recht („Die zweite Schuld“, „Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte“).
Klaus von Dohnanyi war als Hamburger SPD-Bürgermeister ein bedeutender Versöhner, dem es gelang gegen die geifernde Presse den Hafenstraßenkonflikt zu befrieden, weil er als erster Politiker überhaupt die Hausbesetzer akzeptierte und ihnen vertraute.
Als es noch die Mauer gab, erzählte mir einmal ein guter Grufti-Freund von seiner besten Fahrt nach Hamburg.
Damals gab es an der Westberliner Stadtgrenze nach der Autobahnzufahrt Reinickendorf eine kleine Standspur, die immer von lauter zwielichtigen Tramper-Gestalten bevölkert wurde. Ich habe keine Ahnung, wie erfolgreich Trampen heute im Zeitalter der Mitfahrzentralen ist. Damals aber war die Transitstrecke durch die DDR ein kleines Abenteuer. Ohne Auto kam man da nicht durch und so fühlte man durchaus Solidarität mit den Trampern. Die mußten meistens nicht sehr lange warten.
Richard, der Grufti mit cool geschminkten Augen, stand also auch dort, als wider Erwarten eine große Limousine anhielt und ein distinguierter Herr auf dem Fahrersitz sagte „stiegt mal alle ein.“
Der Mann war Klaus von Dohnanyi, der seinen neuen leicht eingeschüchterten Grufti- und Punkerfreunden bedeutete ihn duzen zu können und im Übrigen hätten sie nun drei Stunden Zeit sich mal alles von der Seele zu reden, was sie bedrücke. Von Dohnanyi war immerhin ein amtierender Ministerpräsident damals und war so unprätentiös wie unvoreingenommen.
Kaum vorstellbar, daß das derselbe Mann war, der heute weißhaarig bei Günter Jauch sitzt und gegen Linke und Gewerkschafter agitiert.

Man kann sich immer ändern und nur wer sich ändert, bleibt sich treu. (Biermann).
Helmut Schmidt wird mit knapp 96 Jahren immer freigeistiger und verteidigt in einer großen Kirche seinen Atheismus.
Andere werden im hohen Alter offenbar immer verbohrter.
Broder und Biermann und natürlich insbesondere Baring haben dabei ein Niveau erreicht, daß man ihnen wirklich nicht mehr zuhören sollte.
Bei einigen kippt es irgendwann schlagartig, andere, wie Sarrazin werden ganz kontinuierlich immer extremistischer.

Albern wird es allerdings, wenn man als meinungsstarrer Geront behauptet man habe schon immer diese Thesen verbreitet, wenn allzu offensichtlich ist, daß man früher das Gegenteil gesagt hatte.
Wozu diese Peinlichkeit? Mit einem lockeren Spruch – man wird im Alter eben klüger – kommt man über Widersprüche hinweg.
Und sei es auch Straußsche Selbstironie à la „was schert mich mein dummes Geschwätz von gestern?“.

Hier liegt auch der Kardinalfehler von Crazy Horst, der zu jedem Thema drei Meinungen vertritt und dennoch behauptet verlässliche Politik zu machen.

Und dann gibt es noch Päpste.
Die haben als die einzigen Menschen des Planeten, die ex cathedra Unfehlbarkeit für sich reklamieren natürlich ein Problem, wenn sie ihre Meinung diametral um 180° ändern.
Da muß man schon tiefer in die dialektische Trickkiste greifen, um das verständlich zu machen.
Der senile Ratzinger Sepp spart sich allerdings die Mühe.
Bei der Publikation seines Gesamtwerkes läßt er Texte, die er in den 1970ern als bedeutender Theologieprofessor verfasste so umschreiben, daß sie mit denselben Argumenten heute zum gegenteiligen Schluß kommen.
Damit übertrifft der Ex-Papst Broder, von Dohnanyi und Biermann um Längen.
Ohnehin ist Ratzinger inzwischen als recht unseriöser Wissenschaftler enttarnt, aber nun gibt er sich völlig der Lächerlichkeit preis.

Intensiv strickt der Pontifex auch an seinem Renommee als Spitzenwissenschaftler, der als hochseriöser Theologe auch ohne das geistliche Amt Weltgeltung errungen hätte.

Nun ja, auch wenn seine professionellen Claqueure von Focus und BILD, wenn seine persönlichen Liebesdiener Paul Badde, Alexander Kissler und Matthias Matussek diese Saga immer wieder drucken - stimmen muß das nicht.

Angeblich soll seine erheblich begabtere Kommilitonin Uta Ranke-Heinemann ihm während des Studiums mit Altgriechisch und Hebräisch geholfen haben, weil das in die zukünftige Papstbirne einfach nicht hineinging.
Der Papst-Biograph Alan Posener („Benedikts Kreuzzug. Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft“ Ullstein Verlag, Berlin 2009, ISBN 3550087934, Gebunden, 268 Seiten, 18,00 EUR) hält Benedikt für wissenschaftlich unseriös. Ratzinger ist alles anderes als wissenschaftlich korrekt, er fälscht Zitate und presst sich bei seinem großen Thema „Vernunft und Glaube“ Immanuel Kant auch mal so hin, wie es ihm gerade passt.
Offenbar kommt aber kaum einer der bei Papst-Vorträgen andächtig Lauschenden überhaupt auf die Idee mal Zitate nachzuschlagen und auf Korrektheit zu überprüfen.

Einen Haufen Lügen verbreitet der Papst auch zu den zahlreichen Missbrauchsgeschichten; so will er vom Fall Murphy nichts gewußt haben, obwohl er seit Jahrzehnten mit dem Fall beschäftigt ist und auch vor der Kamera von Journalisten darauf angesprochen wurde.

Ratzinger ist ein Lügner und ein unseriöser Theologe.
Nun ist er auch noch eine Witzfigur, der sein 1972er Plädoyer für die Kommunion von Geschiedenen einfach nachträglich fälscht, statt zuzugeben, seine Meinung geändert zu haben

Ja, die Ehe bleibe grundsätzlich unauflöslich, schreibt der Theologe. Wenn aber "eine zweite Ehe über eine längere Zeit hin" sich "als sittliche Größe bewährt" habe und "im Geist des Glaubens gelebt" worden sei, wenn es in der neuen Beziehung "moralische Verpflichtungen" gegenüber Kindern und Ehefrau gebe, dann scheine "die Eröffnung der Kommuniongemeinschaft nach einer Zeit der Bewährung nicht weniger als gerecht und voll auf der Linie der kirchlichen Überlieferung zu sein". Ganz schön mutig, dieser Joseph Ratzinger aus Regensburg. 1972 jedenfalls, als er diesen Aufsatz schrieb.
Jetzt kann man den Beitrag wieder lesen. Gerade ist Band vier der gesammelten Werke jenes Professors erschienen, der Erzbischof, Präfekt der Glaubenskongregation und schließlich Papst Benedikt XVI. wurde. Der Aufsatz beginnt auf Seite 600 - und ist völlig anders als 1972. Der emeritierte Papst hat den Schluss überarbeitet, er hat ihn ins Gegenteil verkehrt, obwohl die Argumente zuvor die gleichen geblieben sind.
Der Satz über den Kommunionempfang von Geschiedenen, die wieder heiraten, fehlt. Stattdessen empfiehlt Benedikt, dass die Kirche das Ehenichtigkeitsverfahren ausbaut - das könnte feststellen, dass eine Ehe wegen psychischer Unreife von Anfang an ungültig war, einer zweiten Heirat stünde dann nichts im Weg. Auch ohne dieses Verfahren sollten Geschiedene in kirchlichen Gremien aktiv und Pate werden können.   [….]

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