Sonntag, 14. Juni 2015

Quartalsirre.


Nein, von Andrea Nahles bin ich ob ihres Antigewerkschaftsgesetzes, ihres Rentenkonzepts, das Reiche, Bundestagsabgeordnete und Beamte aus der Finanzierung ausnimmt und ihres löchrigen Mindestlohngesetzes nicht enttäuscht.
Ich habe mich in ihr nicht das geringste bißchen getäuscht.

Die schwer katholische Religiotin Andrea Nahles hielt ich schon immer für vollkommen ungeeignet. Hundertfach habe ich in diesem Blog mit ihr abgerechnet, Kabarettisten zitiert, die dafür plädierten sie möge da bleiben, wo die Pfalz am Dunkelsten ist.
Es ist ein Versagen der SPD-Parteistruktur, daß so eine Frau, die zudem durch extrem dämliche Aktionen der Partei schwer schadete* immer weiter in Toppositionen blieb, obwohl sie noch nicht mal an der Basis beliebt ist und als Generalsekretärin für ihr völliges konzeptionelles Missmanagement mit so schlechten Wahlergebnissen auf Parteitagen abgestraft wurde, daß sie heulte.

* (Absägen des eigenen Parteivorsitzenden während der Koalitionsverhandlungen 2005, Versagen beim Sarrazin-Ausschluss, desaströse Kanzlerkandidatenkür, äußert blamable Bundestagsreden, die nur als Futter für Satiriker dienten, Verprellen aller Säkularen durch das Verbot eines entsprechenden Arbeitskreises, erbärmlich schlechte öffentliche Stellungnahmen, Ausrufen eines Wahlkampfmottos – das wir entscheidet – welches zuvor als Werbung für eine ausbeuterische Zeitarbeitsfirma diente,…)

Man kennt das aber aus vielen großen Firmen oder Behörden oder auch internationalen Sportfunktionärsvereinigungen: Ganz oben sitzen entweder Typen, die verständlicherweise aufgrund ihrer Leistungen so weit gekommen sind oder diese offensichtlichen Fehlbesetzungen, bei denen sich jeder fragt, wie sie jemals so eine Karriere machen konnten.
Manchmal kann man sich schon zu recht reimen, wie jemand den Aufstieg schaffte; Vitamin B, Quoten oder die Gabe sich selbst besonders gut verkaufen zu können, mögen geholfen haben.
Und dann gibt es die Nahlesse dieser Welt, deren Aufstieg sich jeder Erklärung entzieht.

Bei Sigmar Gabriel ist das anders.
Nach der Mega-Niederlage von 2009 brauchte die psychologisch niedergeschmetterte Partei, deren baldige Auflösung schon von vielen Zeitungen kolportiert wurde, jemand, der sie wieder aufrichtet. Jemanden, der Mut machen kann.
Sigmar Gabriel hat viele Talente und dazu gehört, daß er gelegentlich sehr gute bis brillante Reden hält. Darin ist er Merkel weit überlegen.
Zudem ist Gabriel intelligent und in der Lage in kleineren Kreisen extrem sensibel und tiefgründig zu argumentieren.
Er kann beeindrucken; beispielsweise so geschehen auf der ZEIT-Matinee im Juni 2011, als er so brillierte, daß die gesamte feine Gesellschaft Hamburgs schwor bei der nächsten Bundestagswahl SPD zu wählen.
Ich habe ihn gelegentlich in Talkshows zu Randthemen gesehen, bei denen er mich absolut überzeugte.

Der SPD-Vorsitzende ist allerdings nicht nur wankelmütig bezüglich der vertretenen politischen Inhalte, sondern weist auch charakterlich enorme Schwankungen auf.
Er kann die leisen, behutsamen Zwischentöne und poltert im nächsten Moment wie eine Dampfwalze los.
Er bohrt einerseits mit Engelsgeduld dicke Bretter, bereitet Jahre lang vor und dann reißt ihm abrupt doch die Hutschnur.
Er argumentiert manchmal hochseriös und überzeugend, um dann im nächsten Moment seine Gegner für dumm zu verkaufen.
Er war seit Jahrzehnten durch seinen Vater extrem für Rechtsradikalismus sensibilisiert, engagierte sich persönlich für den Erhalt von KZ-Gedenkstellen, leistete Aufklärungsarbeit gegen Neonazis. Plötzlich aber lässt er seinen vorbildlich gegen rechts engagierten Justizminister Maas im Regen stehen und besucht als Vizekanzler den menschlichen PEGIDA-Abschaum.

Auch andere Parteien haben äußerst wankelmütige Politiker. Bei Horst Seehofer sind seine permanenten Richtungswechsel legendär. Kein Thema, zu dem er nicht drei Meinungen hätte, die er im Stundentakt ändern kann.
Crazy Horst gehen dabei allerdings die positiven Seiten völlig ab. Er ist immer unseriös und charakterlich soziopathisch. Das macht den Umgang mit ihm leicht, weil man ihn wenigstens nach Herzenslust verachten kann.

Gabriel ist schwieriger zu bewerten, weil er durchaus seine Momente hat.

Gegenwärtig habe ich den Eindruck, daß sein Frust über die kontinuierlich miesen SPD-Umfragewerte neroeske Charakterzüge von ihm offenbart.
Schon mehrfach tacklete er grob unfreundlich Justizminister Heiko Maas. Ganz offensichtlich nur deswegen, weil Maas dabei ist großes Ansehen für überzeugende Arbeit zu gewinnen.
Maas ist der einzige der SPD-Ministerriege, der sich vorbildlich und engagiert gegen rechtsradikale Umtriebe und die Gida-Pest darstellte.
Prompt grätschte ihm sein Chef in die Beine, indem er sich unter den Dresdner Mob mischte.
Genau das Gleiche passierte als sich Maas zum Entzücken der SPD-Basis gegen die Vorratsdatenspeicherung stemmte: Gabriel sah schwarz, demütigte ihn mitten in der Kabinettssitzung vor den CDU-Ministern und zwang ihm seinen Willen auf.

Gabriels CDU-Affinität ist derzeit kaum auszuhalten.

Im Bestreben vor dem Wähler als superseriöser Regierungsprofi zu erscheinen und aus blanker Panik wegen Zerstrittenheit noch weiter abgestraft zu werden, hatte der SPD-Parteichef die Parole „Krötenschlucken!“ ausgegeben.
Offensichtlich analysierte er einen Zusammenhang zwischen der gewaltigen Zustimmung für Merkel mit ihrer geschmeidigen Nicht-Festlegbarkeit.
Die konfrontative Strategie Steinbrücks hatte im Wahlkampf offensichtlich nichts genützt, also versuchte Gabriel noch merkeliger als das Original zu wirken.
Er wirbt für TTIP, gibt zwar auch den Kritikern Recht, hat aber doch nicht den Mut den Lobbyisten entgegen zu treten.
Er schränkt Waffenexporte ein bißchen ein und gibt gleichzeitig Export-Genehmigungen in die problematischsten Länder.
Er läßt seine Partei im Wahlkampf gegen die Vorratsdatenspeicherung Position beziehen, kippt dann aber zu Liebe der CDU doch um. Er behauptet den Schritt zur Doppelten Staatsbürgerschaft bei der CDU durchgesetzt zu haben, bleibt aber doch für die allermeisten betroffenen Menschen bei der Optionspflicht. CO2-Abgabe gibt es auch nur in der Androhung, in Wahrheit setzt Energieminister Gabriel auf mehr Kohlekraft.

Es spricht auch niemand in der SPD mehr davon Snowden nach Deutschland einzuladen.
Merkels Weigerung die Selektorenliste herauszugeben und im BND-Skandal aufzuklären wird auch tumb-devot hingenommen.

Wenn das Taktik ist, scheint sie nicht aufzugehen.

Taktisch kann man nur bedingt Themen verbiegen.
Ich kann beispielsweise verstehen den Mindestlohn für 4 Millionen Menschen einzuführen und viele dabei ausgeklammert zu lassen, wenn die einzige Alternative aufgrund der Mehrheitsverhältnisse lautet: Mindestlohn für niemand!
Es gibt aber moralische Grenzen.
Für Auftritte bei PEGIDA gilt: Das tut man nicht!

Ganz schlimm auch Gabriels Versuch à la Seehofer mit xenophoben Ressentiments beim Wähler zu punkten. Auch das tut man nicht und schon gar nicht als Chef der SPD.

Der Vizekanzler hatte das Griechenlandthema ohnehin taktisch völlig falsch angefasst und sich ohne Not bräsig an Merkels Kurs gehängt. Ein Kurs, der gar nicht funktionieren kann und Athen sicher und sehenden Auges in den Ruin treibt.
Wie dumm von der SPD, daß sie a) die Chance vergibt sich gegen die CDU zu profilieren und b) viel wichtiger, die Chance verwirft Griechenland und der EU tatsächlich zu helfen.

Die verpasste Chance der SPD
Alexis Tsipras geht mittlerweile auch vielen Sozialdemokraten auf die Nerven. Schade, denn an der SPD hängt viel in der Eurokrise. Sie könnte helfen, das unrealistische Spardiktat zu durchbrechen.
Wie die CDU/CSU-Fraktion über Griechenland momentan denkt, braucht man nicht weiter zu vertiefen. Wenn es wirklich so ist, dass die Griechen mittlerweile auch der SPD auf die Nerven gehen, wie EU-Parlamentspräsident Martin Schulz das so forschfrisch formulierte, dann kommt wohl bald der Grexit - das Ende von Griechenland im Euro.
An der SPD hängt die Stimmungslage in der Großen Koalition. Merkel könnte einen Griechenland-Kompromiss zwar gegen die Mehrheit ihrer eigenen Fraktionen durchsetzen. Aber wenn die SPD auch mauert, dann wird es schwierig. Die Haltung der Sozialdemokraten ist wichtig.
[….]  Die SPD ist gerade dabei, eine einmalige Chance zu verpassen. Merkels großer historischer Fehler war ihre Unfähigkeit, die Krise im Euroraum als eine Chance zur politischen Vertiefung zu begreifen, und stattdessen auf unrealistische Regeln und Verträge zu pochen.
[….] Merkels zweiter Fehler war ihr Beharren auf einer Sparpolitik, die Griechenland in eine fünf Jahre andauernde Rezession stürzte. [….] Ich würde den Sozialdemokraten empfehlen, die Griechenland-Politik der Kanzlerin als die Sollbruchstelle der Koalition zu begreifen, anstatt diese Politik inhaltlich und verbal zu verstärken. Ich fürchte, dass sich die SPD hier eine einmalige Chance durch die Lappen gehen lässt.

Das inhaltliche und strategische Versagen der Sozis ist schon schlimm.
Aber für die xenophobe Tonlage Gabriels habe ich nur Verachtung übrig.
Müssen wir im Jahre sechs der griechischen Rezession nach 40% Rentenkürzung und über 50% Jugendarbeitslosigkeit immer noch erklären, daß die deutschen Milliarden natürlich NICHT „den Griechen“, sondern den (deutschen) Kreditgeber-Banken oder deutschen Rüstungsfirmen zu Gute kamen????

Mit teils drastischen Formulierungen und nationalistischer Rhetorik haben SPD-Politiker gegen die griechische Regierung Front gemacht. Der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel ließ sich in der Bild-Zeitung mit den Worten zitieren, Europa und die Bundesrepublik würden sich nicht durch die Forderungen nach einer alternativen Krisenlösung seitens Athen »erpressen lassen. Und wir werden nicht die überzogenen Wahlversprechen einer zum Teil kommunistischen Regierung durch die deutschen Arbeitnehmer und ihre Familien bezahlen lassen.« Gabriel sagte weiter, »wenn die Einigung jetzt nicht bald kommt, droht bei vielen in Europa der Geduldsfaden zu reißen«. [….] Auch der linke Europaabgeordnete Fabio De Masi hat die Äußerungen des SPD-Vorsitzenden zurückgewiesen. »Gabriel ist offenbar nervös, weil die SPD im 25-Prozent-Ghetto hängt«, sagte De Masi gegenüber »nd«. Die Attacke gegen die Regierung in Athen sei zudem »interner SPD-Wahlkampf mit ›Mr. Tacheles‹ Martin Schulz«, dem Präsidenten des Europaparlaments, der unlängst als möglicher Spitzenmann im kommenden Bundestagswahlkampf im Gespräch war. De Masi weiter: »Gabriel lügt«, Nicht deutsche Beschäftigte würden wie vom SPD-Politiker behauptet für SYRIZAs Wahlversprechen haften, vielmehr könnten sie zu den Leidtragenden einer »Insolvenzverschleppung und des Kaputtsparens der griechischen Wirtschaft« werden. Der SPD-Vorsitzende habe mitgemacht, als »neue Kredite auf alte Schulden getürmt« wurden, »um deutsche und französische Banken zu retten«. Während die Sozialdemokraten dem im Bundestag zugestimmt hätten, verwies De Masi darauf, dass die Linksfraktion dies abgelehnt habe. »Es waren die korrupten Freunde von Merkel und Gabriel, die Griechenland kaputt gewirtschaftet haben«, so der Europaabgeordnete weiter. [….]


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