Montag, 19. Oktober 2015

Die Schande Thüringens.


Der Erkenntnisgewinn der ARD/ZDF-Talkshows geht gegen Null.
Das liegt weniger am Format an sich, als an den schwachen Moderatoren, die eben nicht wie einst Juliane Bartel, Volker Panzer, Friedrich Küppersbusch oder Lea Rosh in der Lage sind eine stringente Gesprächsführung durchzuziehen.
Will, Maischberger und Co hängen an ihren Fragenkarten, Einspielfilmchen,  Reihenfolgen und sind nicht in der Lage der Dynamik einer Diskussion zu folgen, bzw Gesprächssackgassen rechtzeitig abzuwürgen.
Noch schlimmer ist aber, daß die Redaktionen ihre Eigenwerbung von den „interessanten Gästen“ immer konterkarieren, indem sie doch immer nur dieselben Leute einladen. Bosbach, Käßmann, Köppel, Jörges, und Baring sind solche Typen, die offenbar bei allen Talkshowredaktionen auf Kurzwahl gespeichert sind. Sie scheinen in den Studios zu wohnen und zu jedem Thema mitreden zu wollen.
Mit Entsetzen denke ich an eine Jauch-Sendung aus dem Juli 2014 zurück, als er mit Hillary Clinton ausnahmsweise wirklich mal eine Weltpersönlichkeit zu Gast hatte, die vermutlich wie kaum jemand anders die mächtigsten Menschen dieses Planeten kennt und entsprechend Erhellendes aussagen könnte.
Jauchs Redaktion setzte doch tatsächlich mit Margot Käßmann die geballte Provinzialität und Anti-Intellektualität daneben.
Das ist in etwa so, als ob man bei einer Physiker-Podiumsdiskussion einen Schimpansen zu Hawkins und Einstein stellt.

Am Vorabend des einjährigen Jubiläums der PEGIDA-Pest und einen Tag nachdem in Köln von einem aufgehetzten Ausländerhasser die Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker schwer verletzt wurde, lud Günther Jauch mit Björn Höcke einen der prominentesten AfD-Hetzer ein.
Ausgerechnet also nachdem man so drastisch erlebt hatte zu welchen brutalen Gewalttaten die rechte Hetze in den Medien führt.


Vor drei Wochen hatte ich an dieser Stelle für einen TV-Bann von Menschenfeinden plädiert.
Daß sich der auf Quoten schielende Sport- und Quizz-Onkel Jauch nicht nach solchen Kriterien richtet, war zu erwarten.

Aber wieso ausgerechnet Höcke?
Daß dieser Mann sich rhetorisch an Adolf Hitler orientiert, konnte man bundesweit spätestens am Abend der Landtagswahl in Thüringen vor über einem Jahr wissen. Wie eine Karikatur des Extra3-Fööhrers jubilierte er vor seiner selbst für AfD-Verhältnisse besonders stramm rechten Truppe.
Man kann und soll solche Shows eigentlich nicht sehen, aber da meine beiden erklärten Lieblinge Anja Reschke und Heiko Maas ebenfalls zu Gast waren, wollte ich doch wissen, wie es abläuft.

Schon ewig habe ich nicht mehr Jauch geguckt - und schon gar nicht live (also ohne, daß ich auf FF drücken konnte). Das war eine üble Sache. Die Perfidie Höckes war durchaus bemerkenswert.


Ausnahmsweise war ich während der TV-Livesendung auch online und verfolgte die zunächst empörten Kommentare in den sozialen Medien. Höcke stieß viele Leute schlichtweg ab. Es dauerte ein, zwei Stunden, bis dann der zu erwartenden braune Troll-Mob dazu stieß, Reschke als Systemmedienvertreterin diffamierte und PEGIDA pries.
Das rechte Pack ist offenbar nicht nur schwach in Denken, Wissen und Rechtschreibung, sondern auch noch langsam.

In den „normalen Medien“ wird Höckes Auftritt heute weitgehend verurteilt.

Sogar Springers rechte BZ zählt ein halbes Dutzend Lügen Höckes auf.

[…] 4.
Die Angsträume werden größer, vor allem für blonde Frauen werden sie leider größer (…) Natürlich sind auch Brünette, Rot- und Schwarzhaarige gemeint.“ Berlins Polizeisprecher Stefan Redlich zur B.Z.: „Wir haben die Entwicklung im Umfeld von fünf Flüchtlingsunterkünften exemplarisch untersucht und keine auffälligen Veränderungen festgestellt.“
5.Es ist inzwischen durch soziologische und politologische Untersuchungen bestätigt: Da spaziert der Durchschnitt des Bürgertums durch Dresden. Eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin kam zu Beginn des Jahres auf dem Höhepunkt der Pegida-Proteste – zu dem Schluss, dass bei Pegida vor allem Männer mitlaufen, sich überdurchschnittlich viele Teilnehmer (40 Prozent) dem rechten bis rechtsextremen Lager nahe fühlen und zu fast 90 Prozent die AfD wählen würden. […]

A posteriori „Faktenchecks“ zu veröffentlichen, halte ich für richtig, aber auch nahezu wirkungslos.

Auch die weit rechts stehende „WELT“ gruselt sich heute etwas vor Höckes aufgesetzten Patriotismus und lobt den SPD-Justizminister.
Es geschehen noch Zeichen und Wunder.

[…] Björn Höcke wirkt tief bewegt. Seine Gestik verlangsamt sich, die Worte werden getragener. "An diesen historischen Ort in Berlin" wolle er nun Farbe bringen, sagt der Fraktionschef der AfD in Thüringen im Gasometer von Günther Jauch. Wird er vor lauter Ergriffenheit von sich selbst gleich weinen? Nein, die Tränen fließen nicht, als Höcke schließlich aus seinem Anzug eine Deutschlandfahne kramt. "Unsere Nationalflagge", sagt Höcke. "Die werde ich jetzt hier auf meine Lehne hängen."
Beim Ausbreiten der Fahne über Höckes Sessellehne breitet sich Stille im Studio aus. Peinlich berührte Stille. Höcke, 43 Jahre alt und in der unter Frauke Petry noch weiter nach rechts gedrifteten AfD die Stimme des unverhohlenen Rechtspopulismus, hat es tatsächlich geschafft, sich in den ersten Minuten seines Talkshowbesuchs als Witzfigur zu präsentieren.
[…] Jauch ging Höcke nicht nur scharf an. Er ging ihm auch auf den Leim. Zu hören war dies etwa am Ende der Sendung. Da ließ sich Jauch ernsthaft zu einem Gespräch mit dem von seinen Verschwörungstheorien lebenden AfDler ein, ob die ARD ein gleichgeschaltetes Medium sei. "Sie haben sich selbst konditioniert", behauptete Höcke über Jauch und dessen Moderation. Jauch, statt den Kopf zu schütteln über die unverschämte Behauptung, fragte tatsächlich: "In welche Richtung?" Doch bevor Höcke triumphierend den Moderator noch weiter mit diffusen Behauptungen aufs Glatteis führen und in ein Gespräch über seinen Moderationsstil verwickeln konnte, beendete Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) das Gespräch. "Ist egal, lassen Sie ihn", sagte Maas zu Jauch.
So wundervoll trocken war Maas während der gesamten Sendung. "Widerlich" nannte er nur knapp die Höcke-Redeausschnitte. Und dessen unablässigen Provokationen ließ er entspannt an sich abperlen. Wiederholt brachte Höcke Maas in Verbindung mit seinem einstigen saarländischen SPD-Gefährten Oskar Lafontaine. "Dass Sie als Schüler von Oskar Lafontaine lieber die Internationale hören als das Deutschlandlied, ist mir klar," sagte Höcke.
Er hätte auch Vaterlandsverräter oder ähnlich dumpfes Zeug sagen können - weil Maas durchweg cool auf alle Provokationen reagierte, entlarvte sich lediglich der AfD-Mann. […]

Jauch, die anderen Gäste und Zeitungsrezensionen sind Björn Höcke egal; er weiß, daß er von denen niemand überzeugt.
Er benutzt die ARD-Talkshow als Werbung für seine Partei.
In seinem braunen Sumpf-Biotop wird ihm das viel Zuspruch einbringen, daß er sich so tapfer schlug.
Daher betonte er auch immer, es wäre so unausgewogen, vier gegen einen und daher auch die Symbolik mit der theatralisch entfalteten Deutschland-Fahne.
(Ich bin immer versucht eine dämliche NS-Diffamierung, wie „Hitler 2.0“ zu verwenden, aber da die Titanic schon vor Jahren Roland Koch „Hessen-Hitler“ nannte, ist das schon eine zu schwache Diffamierung für Björn Höcke (B.H.) Vermutlich schmeichelt es bei seiner Anhängerschaft eher mit Hitler vergleichen zu werden.)
BH brachte ganz nach seinem Drehbuch die Triggerworte unter, die Peginesen gerne hören: Das jahrtausendealte deutsche Volk sterbe nun aus, Immigrantenhorden überfielen hübsche blonde Frauen, etc.
Aus AfD-Sicht dürfte die Jauch-Show gute Werbung gewesen sein.

Was für ein Auftritt – mit Deutschland-Flagge als Ärmelschoner und starrem Blick aufs tausendjährige Reich! Der brave Herr Höcke suchte bei Jauch sein Millionenpublikum und gibt sich am Ende der Lächerlichkeit preis. Das liberale Bürgertum gruselt sich ein bisschen und legt sich dann doch beruhigt schlafen. Also kein Grund zur Aufregung?
Doch! Denn das Goebbels-Tremolo der Höckeschen Reden in Erfurt oder Magdeburg offenbart: Hier findet ein biederer Gröfatzke seinen gesellschaftlichen Resonanzboden, der zwar der deutschen Sprache nicht mächtig ist, aber das grunzende Gegröle eines Sportpalast-Publikums schon ganz gut drauf hat. Der Sound ist geklaut – und der Geschichtslehrer Höcke dürfte ziemlich genau wissen, wen er da täglich vor dem Spiegel imitiert. Die Verachtung der Parteiendemokratie, das nationalistisch überhöhte Opferpathos; die Hybris, alleine den Willen eines imaginären Volkes zu repräsentieren, die Drohung vor dem Untergang des deutschen Volkes: Alles schon mal dagewesen. Deshalb gilt: Wer den Anfängen wehren will, muss die Höckes dieser Welt in die Schranken weisen. Nicht mit Schaum vor dem Mund, sondern mit der schärfsten Waffe, die eine Demokratie zur Verfügung hat: Mit Argumenten.
Denn dies steht fest: Die Demokratie, der Rechtsstaat, die Republik: Sie sind nicht bedroht durch hundertausende Flüchtlinge, die zu uns kommen. Sondern durch die Brandstifter und Brandleger vom rechten Rand. Sie wollen dieses Land in Aufruhr bringen. Sie wollen, dass Deutschland scheitert. Sie wollen den Nährboden schaffen, auf dem ihre braune Saat aufgeht. Dabei haben sie nichts gelernt aus der größten Katastrophe dieses Landes. Im Gegenteil: Ihre Politik will dieses Land in Trümmern sehen, um daraus politisch Kapital zu schlagen.
Deshalb ist der Aufstand der Demokraten gerade jetzt so wichtig. Ein Aufstand all derer, die die Verfassungswerte dieser Republik verteidigen vor jenen, die wieder von einem „tausendjährigen Reich“ schwafeln, das vor 70 Jahren zurecht untergegangen ist.
(Georg Restle, Facebook, 19.10.2015)

Die Reaktionen schwanken also zwischen einerseits Empörung darüber, daß Höcke überhaupt eingeladen wurde und andererseits der Ansicht Höcke habe sich selbst entlarvt, bzw sei demontiert worden.

Ich verstehe ja beide möglichen Argumentationen:

Für ersteres spricht natürlich der extrem ungünstige Zeitpunkt, noch nicht mal 24 h vor dem Pegida-Jubiläum. Zum "Einjährigen" wollten Hobby-Hitler Bachmanns Epigonen heute in Dresden noch mal voll aufdrehen.
Und für seine Anhänger konnte Höcke sicher mobilisierend wirken. Er hat ja all die Trigger eingeworfen: Deutschland stirbt aus, blonde Frauen werden massenhaft von Flüchtlingen vergewaltigt und die Fahne natürlich.

[…] Einen Außenseiter wie Höcke in eine Runde mit drei klugen Menschen zu setzen, die sich in ihrem humanistischen Menschenbild einig sind, garantiert so eine Dynamik. Darin mag für viele ein Erkenntniswert liegen, weil Höcke sich als Radikaler entlarvte. Als solcher kann er da aber nur gewinnen. Spätestens als Justizminister Heiko Maas ihm mit dem Ausruf "widerlich" ins Wort fiel, hatte er sein Ziel erreicht. Denn damit bestätigte er seine Rolle als verfolgter Minderheitenmeinungsträger. Das gehört zu einer Medienstrategie der Rechten, die so die Empörungsmechanismen des modernen Debattenwesens für sich instrumentalisieren. […]

Für letzteres spricht die Einladung Anja Reschkes, aber dazu war Jauch viel zu lahm. Er ist zu offensichtlich nicht im Thema, zu desinteressiert, zu phlegmatisch und war nicht in der Lage das Gespräch stringent zu führen.
Außerdem hätte er eine Art "Faktencheck" vorbereiten müssen.
Er weiß doch, was Höcke immer grölt. Da hätte man drauf vorbereitet sein müssen und Zahlen parat haben müssen, die ihn widerlegen.

Also, man KANN es schon machen, daß man solche Typen einlädt, aber dann muß man auch richtig gut sein.

Als Friedrich Küppersbusch noch seine Sendung ZAK hatte, lud er mal Jörg Haider ein und nahm ihn total auseinander, indem er ihn mit Fakten bombardierte und alle seine Lügen widerlegte.
Roger Willemsen zerpflückte in seiner Sendung „Willemsens Woche“ im Jahr 1995 Focus-Chef Markwort, indem er ihm Stakkato-artig, aber mit Belegen, an den Kopf warf, wie schlecht sein Journalismus war.


So vorbereitet kann man auch rechte Hetzer einladen und öffentlich entlarven

Nur darf so eine Lusche wie Jauch, Kerner oder Lanz nicht mit so einer Aufgabe betraut werden.
Dafür sind sie viel zu tumb und ungebildet.

„Hilfe, ist das eine schlechte Moderation! Höcke sagt, die Syrer haben Syrien. Sollen die sich da abschlachten lassen???“, schrieb Grünen-Politikerin Renate Künast auf Twitter. Sie war mit Jauchs Moderation gar nicht einverstanden:

    #Jauch und dafür zahlen wir zwangsweise. / Nee, das war schwach, nicht offen. @ARD
    — Renate Künast (@RenateKuenast) 18. Oktober 2015

Und der SPD-Europaabgeordnete Matthias Groote twitterte: „Rechtspopulistische Spinner wie Höcke gehören nicht zur besten Sendezeit ins öffentlich-rechtliche Fernsehen.“
(dpa/jtr 19.10.15)

Und eben auch nicht einen Tag vor der großen Pegida-Jubiläums-Demo!

[…] Linken-Chefin Katja Kipping warf der Pegida-Bewegung und der rechtspopulistischen AfD vor, für ein gesellschaftliches Klima zu sorgen, "das die Hemmschwelle für braunen Terror und braune Gewalt senkt". Nach dem Angriff von Köln müsse es nicht nur einen "Aufstand der Anständigen geben, sondern auch einen Aufstand der Zuständigen. Polizei und Justiz müssen dem braunen Terror entschieden entgegentreten", sagte Kipping.
Die Linken-Politikerin kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung, AfD-Politiker Höcke in die Jauch-Sendung einzuladen. "Das ist das falsche Signal", sagte Kipping. Höcke erfahre dadurch "vielmehr eine Adelung". Die ARD verteidigte die Einladung Höckes gegen Kritik. Ein Sprecher betonte, die Redaktion habe sich bewusst dazu entschieden, Höcke einzuladen und sich kritisch mit seinen umstrittenen Thesen auseinanderzusetzen. […]

Welche Ansicht hat jetzt gewonnen?

Nun, auf Facebook brüsteten sich Höckes Fans gestern Nacht damit bei der heutigen PEGIDA-Peinlichkeit würden 50.000 Dresdner marschieren.

Es wurden dennoch entsetzlich viele.
Aber es gab diesmal wenigstens auch eine annähernd gleichstarke Gegendemonstration.

Die Polizei in Dresden ist im Großeinsatz: Nach Schätzungen der Gruppe "Durchgezählt" haben sich rund 15.000 bis 20.000 Anhänger der fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung zum Jahrestag in der sächsischen Landeshauptstadt versammelt. An vier Gegendemonstrationen, die aus verschiedenen Richtungen sternförmig in die Altstadt zogen, nahmen demnach mindestens 14.000 Menschen teil - deutlich mehr als zuvor erwartet.

Fazit:
Man sollte Pestbeulen wie Bachmann, Festerling, Petry oder Höcke nicht in öffentliche Plapperrunden einladen, weil sie dort nur kostenlose Werbung bekommen.
Günther Jauch jedenfalls kann es nicht.
Man muß sie aber auch nicht aus den Medien verdammen. Aber es sollten sich Profis mit ihnen beschäftigen; zum Beispiel die MONITOR- oder PANORAMA-Redaktion.

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