Dienstag, 13. Oktober 2015

Mehr übler rechter Populismus.

Vor ca zehn Jahren waren TV-Berichte über HartzIV-Betrüger groß in Mode.
In immer neuen Reportagen folgten Kamerateams Kontrolleuren des Sozialamts, die aufdeckten, wie es sich angeblich Arme gemütlich machten in der sozialen Hängematte.
Seit dem assoziiert man „Flachbildfernseher“ mit Sozialhilfe.
Jeder kannte den von der BILD gehypten „Florida-Rolf“, der von der Arge finanziert paradiesisch am Strand lebte.
Unfassbares Verhalten der angeblich Arbeitssuchenden zeigte Rita Knobel-Ulrich in ihrer inzwischen legendären Reportage „Arbeit, nein danke!“ (2005) über die ARGE Hamburg-Harburg.

Natürlich sind solche Berichte reißerisch und ungerecht.
Natürlich gibt es Betrüger, die sich mit viel Geschick ein gemütliches Leben vom Sozialstaat finanzieren lassen.
Natürlich gibt es umgekehrt Hunderttausende (insbesondere Ältere), die gar keine Hartz-Gelder bekommen, obwohl sie Ansprüche geltend machen könnten.
Natürlich gibt es insbesondere viele Kinder, die unter HartzIV in beschämend ärmlichen Verhältnissen aufwachsen müssen.

Das generelle Problem an staatlichen Leistungen ist aber, daß damit immer Neid und Missgunst gefördert wird. Der deutsche Michel kann nicht gönnen. Er erträgt es nicht, daß jemand anders etwas bekommt, daß er selbst nicht auch haben kann.
Daß man „die faulen Arbeitslosen“ alle zum Spargelstechen schicken sollte, daß ihnen die Bezüge noch deutlich gekürzt gehörten, war damals Mainstream. Sich über kettenrauchende „Prekariatler“, die den ganzen Tag tumb „Unterschichten-Fernsehen“ glotzen und Fastfood fressen aufzuregen, war sehr populär. Parteien, die für eine Aufstockung der sozialen Leistungen standen wurden abgestraft.
So kamen CDU und FDP wieder an die Macht.

Der Hype HartzIV-Empfänger zu bashen, ist mittlerweile vorbei.

Aber es entsteht eine neue Neid- und Missgunst-Bewegung; diesmal richtet sie sich gegen Heimatvertriebene.
Exemplarisch steht dafür das widerlich-hetzerische Verhalten des Innenministers de Maizière, der sich öffentlich darüber empörte, daß einige Syrer noch so viel Geld hätten Taxis zu fahren.
Statt seine Macht als Mitglied der Bundesregierung zu nutzen, um Verständnis und Empathie FÜR die Flüchtlinge zu fördern, lenkt er die Volksemotionen in xenophobe Bahnen.

Die ausländerfeindliche Stimmung, die mit Hilfe vieler C-Politiker offenbar weiter steigt, führt zu völlig schwachsinnigen Regelungen wie der Umstellung auf Sachleistungen.

Und wie schon bei den beiden vorherigen Gaga-Gesetzen der CSU, die sich als rechtswidrig erwiesen – Herdprämie und Anti-Ausländermaut – setzten Crazy Horsts Berliner Epigonen beim heutigen Koalitions-Flüchtlingsgipfel eine besonders schwachsinnige Maßnahme zur Bürokratieaufblähung und Schikane durch:

Die Koalition will Bargeldzahlungen "so weit wie möglich" durch Sachleistungen ersetzen.
Das ist höchstwahrscheinlich nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und wird einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand bedeuten. Also CSU pur.
Man stelle sich nur die Probleme vor, die entstehen, wenn all die Apfel-Allergiker mit ihren zugeteilten Äpfeln dastehen und die Mandel-Allergiker die entsprechenden Kekse nicht essen können.
Irrsinn hoch drei.

CSU-Troll Scheuer und der braune Sachse de Maizière meinen die Heimatvertriebenen mit Heringsfilet in Tomatensoße von Deutschland abschrecken zu können.

Weswegen die hier lebenden Ausländer, die dem deutschen Staat pro Kopf 3.300 Euro im Jahr mehr Geld einbringen als sie kosten und damit Deutschlands Haushalten einen Überschuss von 22 Milliarden Euro pro Jahr bescheren, angesichts der Überalterung und des Fachkräftemangels überhaupt so dringend ferngehalten werden sollen, bleibt das Geheimnis der Unionsparteien.

[….] Deutschland, im August 2015: Die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist stark gestiegen, die Stimmung gegen Asylbewerber mancherorts feindselig. Innenminister Thomas de Maizière (CDU) macht sich ein Bild von der Lage und besucht unter anderem die Registrierstelle im niederbayerischen Deggendorf. [….] De Maizière muss wohl bei seinem Besuch zu dem Ergebnis gekommen sein, dass es den Flüchtlingen in Deutschland zu gut geht. Er fordert: mehr Sachleistungen, weniger Taschengeld.
Klingt nach dem Asylbewerberleistungsgesetz aus dem Jahr 1993, das in dieser Version bis August 2012 in Kraft war. Darin war als Sollwert der Gutscheine und Geldleistungen für Alleinstehende ein Betrag von 360 D-Mark angegeben. Fast 20 Jahre lang kein Inflationsausgleich, keine Neuberechnung, keine Anpassung, nichts. Der Betrag lag um 40 Prozent unter dem Niveau der Regelsätze der Sozialhilfe und von Hartz IV.
Wie menschenwürdig ist es, wenn Menschen faktisch entmündigt werden?
Sachleistungen, das sind zum Beispiel Einkaufsgutscheine oder Chipkarten, mit denen die Flüchtlinge nur in bestimmten Geschäften einkaufen können - Lebensmittel, die ihren Ernährungsgewohnheiten entsprechen würden, sind dort häufig nicht erhältlich. In Bayern erhielten Flüchtlinge bis zum vergangenen Jahr Essenspakete. Dagegen gab es massive Proteste, in München traten Asylbewerber in den trockenen Hungerstreik. Der UN-Ausschuss hatte Deutschland schon im Jahr 2011 für diese Praxis gerügt.
Der bayerische Flüchtlingsrat hat einen Bestellschein aus dem Jahr 2006 online gestellt, der einen Einblick in die monatliche Essensausgabe für Erwachsene gibt. Auf der Liste fanden sich unter anderem: Semmeln, Heringsfilet in Tomatensoße, vegetarischer Bohneneintopf. Das kann man sicherlich alles essen. Bleibt die Frage, wie menschenwürdig es ist, wenn Menschen faktisch entmündigt werden, sich ihre Lebensmittel selbst aussuchen zu können.
Hinzu kommt der Aspekt der sozialen Ausgrenzung: Den Flüchtlingen wird die Möglichkeit genommen, in einer Alltagssituation der einheimischen Bevölkerung zu begegnen. Der Integration dient das sicherlich nicht. [….]


Hier versagt die Politik nicht nur, nein, sie verschlimmert die Verhältnisse, schafft Bürokratie und Mehrkosten – mit dem einzigen Zweck dem xenophoben Michel Zucker zu geben.

In diese Kategorie gehört auch das neue Lieblingsprojekt der C-Parteien; Transitlager.
Gemeint damit ist eine rechtliche extrem fragwürdige Schikane-Maßnahme, die sehr teuer ist und das eigentliche Problem noch verstärkt.
Der einzige Sinn: Der rechte Stammtisch soll applaudieren und so die abflachenden Zustimmungskurven der Union wieder in Schwung bringen.

Für die ARD-Tagesthemen sprach Marion von Haaren dazu einen sehr guten Kommentar.


Internierungslager an den Grenzen sind populär und populistisch.
Aber auch sinnlos und menschenverachtend.

"Transitzonen sind praktisch undurchführbar"
[….] Pro Asyl warnt vor "menschenrechtsfreien Zonen". Transitzonen widersprächen jedem Grundgedanken von Rechtsstaatlichkeit.
[….] In der SPD gibt es große Bedenken. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagt, wer Transitverfahren von Flughäfen auf Landesgrenzen übertragen wolle, schaffe "Massenlager im Niemandsland". Der Vorschlag sei "praktisch undurchführbar".

Die Haftlager an den Grenzen sind nicht nur ein schwerer Eingriff in die Menschenrechte, sondern sie sind auch absolut unpragmatisch. Und ich kann mir nicht vorstellen, wie man an diesen Grenzen für Tausende und Abertausende von Menschen diese Haftlager errichten will. Ich war letzte Woche in Passau, ich habe mir das angeschaut, ich habe mit den Verantwortlichen vor Ort gesprochen, mit Bundespolizei, mit dem Oberbürgermeister: Niemand kann sich vorstellen, wie das pragmatisch umgesetzt werden soll.
Deshalb erwarten wir von der Union, dass sie diese unsägliche Debatte stoppt. Wir erwarten von Frau Merkel, dass sie ihre Richtlinienkompetenz wahrnimmt und diese Debatte beendet und dafür sorgt, dass wir zu vernünftigen, pragmatischen, menschenrechtswürdigen und umsetzbaren Lösungen kommen.
(Anton Hofreiter, 13.10.15)

[….] Faktisch ist es [….] ein neues Signal der Inkompetenz der CSU, die immer wieder versucht, ihre Stammtischforderungen in der Bundesregierung durchzusetzen, und sich am Ende böse damit blamiert.
[….] Dennoch sind die Eilverfahren in Transitzonen eine Schnapsidee. Denn Transitzonen setzen Grenzkontrollen voraus, und Kontrollen an Binnengrenzen sind nach EU-Recht nur vorübergehend möglich, maximal zwei Jahre. Wenn die Infrastruktur aufgebaut wurde, müsste sie also gleich wieder abgebaut werden. Was für eine Verschwendung!
Außerdem sieht EU-Recht vor, dass Asylverfahren in Transitzonen binnen vier Wochen abgeschlossen sein müssen.
Wie soll das gelingen, wenn derzeit in der gleichen Zeit die Antragsteller oft nicht einmal registriert werden können? Am Ende werden die Flüchtlinge vier Wochen an der Grenze sinnlos inhaftiert, um am Ende doch einreisen zu können. [….]

 [….] Zehntausende im Niemandsland: Wie soll das funktionieren?
Der Vorschlag klingt, als käme er aus einer dieser merkwürdigen Transitzwischenzonen, also nicht ganz aus dieser Welt. Denn in dieser lassen sich die Zugänge zu einem Staat eben nicht dichtmachen, absperren und kontrollieren wie der Sicherheitsbereich eines Flughafens - ganz abgesehen davon, dass dies in einem offenen Land auch nicht wirklich wünschenswert wäre.
Nicht nur, dass noch völlig unklar ist, ob sich Transitzonen an den europäischen Binnengrenzen überhaupt mit EU-Recht vertragen und gar dem Grundrecht jedes Flüchtlings auf individuelle und unvoreingenommene Prüfung seines Asylgesuchs. Vor allem aber stellt sich die Frage: Wie soll das in der Praxis funktionieren? Die ehrliche Antwort wäre: Wird es eben nicht.
[….] Der Aufwand wäre ungleich größer, moralisch wie materiell. Zonen bräuchten Zäune, und wer kann verhindern, dass Menschen daran vorbei durch Salzach und Inn nach Bayern schwimmen, die sich von der lebensgefährlichen Überfahrt über die Ägäis nicht schrecken ließen? Noch mehr Zäune, wie in Ungarn? Ums ganze Land? Das will zu Recht nicht einmal die CSU.



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