Freitag, 11. März 2016

Wahl-Spin.

Wie außerordentlich unerträglich. Die AfD holt bei den Kommunalwahlen in Hessen aus dem Stand fast 12% und möglich macht es die Wahlbeteiligung von gerade mal 48%.
Obwohl seit Monaten das Thema Rechtsruck, Nazi-Parteien und Ausländerfeindlichkeit die Medien dominiert, schaffen es 52% der hessischen Wahlberechtigten nicht sich überhaupt aufzuraffen zur Wahl zu gehen.
Was ist los mit dem mitteldeutschen Urnenpöbel, daß er sich mehrheitlich dem Phlegma hingibt und achselzuckend die AfD-Schande hinnimmt?
Null Bock auf gar nichts?

Der deutsche Wähler ist offensichtlich überfordert damit aus grundsätzlichen Erwägungen für die Demokratie einzutreten, politische Weichen zu stellen und erwartet immer noch „abgeholt zu werden.“
Nicht von irgendjemand, sondern es soll auch noch die Traumpartei sein.

Willkommen in der Realität! So funktioniert Demokratie nicht. Wahlen sind vielmehr mühsam, man muß Kompromisse machen, das kleinste Übel aussuchen und sich informieren.
Die gebratenen Kandidaten fliegen einem nicht einfach so vor die Wahlurne.

Eine normale Wahl, ohne Glamour, ohne Hochspannung, ohne Drama reicht offenbar nicht mehr aus, um den deutschen Michel hinterm Ofen hervor zu locken. Er will mitgerissen werden, sich emotional involviert fühlen und klare Alternativen erkennen können.

Was jedenfalls nicht ausreicht ist, daß ein stellvertretender Ministerpräsident ein guter und anständiger Typ ist, der solide Arbeit leistet und weitsichtige, richtige Entscheidungen für das Land fällt.
Zu öde. Sowas straft der Wähler durch Missachtung ab.

Keiner kann Schlechtes über den Spitzenkandidaten Schmid sagen, dennoch droht der SPD ein historisches Tief.
[….]  Und so steht dieser Nils Schmid, 42 Jahre alt, der 2011 beinahe jüngster deutscher Regierungschef geworden wäre, exemplarisch für seine Partei. Guter Mann, gute Arbeit, aber: zweite Reihe. Der Mann hinter Kretschmann eben.
16 Prozent prophezeite am Freitag das Institut Forsa Schmids SPD. Das wäre ein historisches Tief, noch unter dem Niveau der Nachbarn aus Bayern, eine neue Hiobsbotschaft aus der brüchigen SPD-Südschiene, von der es immer wieder heißt, an ihr liege es, dass die SPD im Bund nicht auf die Beine kommt. Und genaugenommen wären die 16 Prozent auch ein schlechter Witz angesichts der Leistung der SPD in dieser Regierung.
Innenminister Reinhold Gall hat sich in der Flüchtlings- und Terrorkrise als Garant der Inneren Sicherheit profiliert. Kultusminister Andreas Stoch konnte nach anfänglichem Chaos Ruhe in die Schulen bringen. Schmid konnte als Finanzminister viermal eine "schwarze Null" vorweisen. Bilkay Öney (Integration) und Katrin Altpeter (Soziales) komplettierten die Ministerriege, und bei aller Kritik an der Arbeit der Fünf: Niemand würde behaupten, die SPD sei der schwächere Teil der Koalition. Laut Umfragen sind fast zwei Drittel der Bürger mit der Arbeit der grün-roten Regierung zufrieden, auch Schmid verfügt über beachtliche Popularitätswerte. Doch wer profitiert? Kretschmanns Grüne. Sie liegen gleichauf mit der CDU bei 30 Prozent. [….]

Nein, der Daily-Soap-bequemte Wähler möchte schon eine Geschichte erzählt bekommen.
Er wählt nicht, weil es das richtige ist, sondern er möchte unmittelbar partizipieren.
Zumindest indem er sich anschließend zu denen zählen kann, die auf der Gewinnerseite stehen.
Keiner will mehr eine Partei wählen, nur weil sie Richtiges und Vernünftiges postuliert, aber nicht gewinnt.
So wie auch die Fußballmannschaft, die immer gewinnt, am beliebtesten ist, rottet sich der Urnenpöbel am liebsten hinter der Partei zusammen, die vermutlich auch gewinnen wird.
Zumindest muß es aber spannend sein.

Wenn bei der letzten Landtagswahl in Bayern bei identischem Personal und Programm SPD und CSU beide eine Woche vor der Wahl bei exakt gleichen 47% gelegen hätten, könnten die Sozis gewinnen, weil die Chance ohnehin dagewesen wäre.
Aber wer will schon seine Stimme einer Partei gegen, die mutmaßlich bei unter 20% ankommt und ohnehin in der Opposition landet?

Es braucht schon eine besondere Konstellation, außergewöhnliche Umstände, um größere Verschiebungen bei einer Landtagswahl zu erreichen.
Übermorgen könnte das allerdings in Magdeburg, Stuttgart und Mainz der Fall sein.

In allen drei Ländern steht die AfD auf dem Sprung zweistellig in den Landtag einzuziehen. Dadurch sind die „großen“ Parteien nervös, weil sie eine Schrumpfung fürchten.
In Sachsen-Anhalt, wo eine glanzlose GroKo regierte, kann niemand vorhersehen, welche Koalition gewählt wird.
Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sind beides strukturkonservative Flächenländer, die durch eher ungewöhnliche Umstände nicht von der CDU regiert werden. Ein charismatischer CDU-Spitzenkandidat könnte eigentlich leicht gewinnen.
Bizarrerweise gibt es aber jeweils eine deutliche Mehrheit der Landesbevölkerung, die den Flüchtlingskurs der CDU-Bundeskanzlerin stützt, während ausgerechnet die jeweiligen CDU-Landeskandidaten von ihr abgerückt sind.
Wer inhaltlich Merkel zustimmt, fühlt sich bei Maly Dreyer und Winfried Kretschmann wohler als bei Wolf und Klöckner.

Der CDU-Spitzenkandidat im tiefkonservativen Südwesten, Guido Wolf, ist selbst für Unions-Verhältnisse extrem unsympathisch und rechtslastig.
Anders als Roland Koch hat er dabei weder seine eigene Partei hinter sich, noch agiert er besonders geschickt.
Der Mann macht so viel falsch, daß ihm das Kunststück gelang das katastrophale Sonderfall-Niedrigst-Ergebnis der CDU von 2011 noch einmal deutlich zu unterbieten.
Gut möglich, daß die CDU in 48 Stunden in ihrem konservativen Stammland hinter die Grünen zurück fällt.

[….]  Welche Schmach für die CDU. Hier ist ja nicht die Rede von einem x-beliebigen CDU-Landesverband. Sondern vom dem Landesverband schlechthin. Baden-Württemberg, das war einmal das wichtigste CDU-Land dieser Republik. Die Christdemokraten im Ländle waren Staatspartei, eine Machtbastion der Konservativen:
    Fast sechs Jahrzehnte, von 1953 bis 2011, stellte die CDU ununterbrochen den Ministerpräsidenten in der Stuttgarter Villa Reitzenstein. Das ist länger, als Fidel Castro in Kuba geherrscht hat.
    Zwischen 1972 und 1992 regierten die Christdemokraten sogar mit absoluter Mehrheit, Höhepunkt Mitte der Siebzigerjahre: 56,7 Prozent bei der Landtagswahl 1976. Man gefiel sich als "einzige Volkspartei der Mitte" (CDU-Ministerpräsident Hans Filbinger).
[….]     Per Mitgliederbefragung macht die CDU einen Mann namens Guido Wolf zum Spitzenkandidaten für die Wahl 2016. Der frühere Kommunalpolitiker kommt im Wahlkampf nicht gut an, erstmals muss die CDU in Baden-Württemberg aus der Opposition heraus kämpfen. Wolf schwankt in der Flüchtlingskrise zwischen Unterstützung und Kritik an Merkel. Die Umfragewerte fallen. Beharrlich. [….]

Das ist immerhin eine spektakuläre Meldung. Das mobilisiert den Urnenpöbel und könnte somit zu einer self-fulfilling prophecy werden. Nachdem zwei Umfrage Institute meldeten, die Grünen würden stärker als die CDU wollen nun noch mehr auf den Zug aufspringen und ebenfalls am Montag, den 14. März zu den spektakulären Siegern gehören.
Dieser Spin nützt Kretschmann und schadet Schmid.
Bei Wahlen gibt es keine Gerechtigkeit.
Allerdings, das muß man objektiv anerkennen, präsentiert sich die BW-CDU auch bemerkenswert tölpelhaft. Was für eins Saftladen!

Immerhin könnte der SPD in Mainz, anders als in Stuttgart und Magdeburg ein Erfolg gelingen. Ministerpräsidentin Malu Dreyer ist beliebter als Julia Klöckner und holt auf. Das freut mich als SPD-Mitglied, aber ich gebe zu, daß weniger das überzeugende Auftreten Dreyers dafür verantwortlich ist als die Doofheit der RLP-CDU, die sich mit vollen Hosen an die AfD-Wähler heranwanzt und dann auch noch schäbige Bemerkungen über Dreyers Behinderungen macht. Das kommt nicht an.

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