Es macht
Kluge klüger und Dumme dümmer.
(….)
95% der ausgestrahlten Programme halte ich zumindest für Zeitverschwendung, wenn
nicht gar für Volksverdummung.
Zu
einem willkürlichen Zeitpunkt willkürlich einen Sender einzuschalten, birgt
also ein enormes Risiko sich selbst dümmer zu machen.
Der
GONG druckt das Programm von 56 Sendern ab. Das sind also 1.344 Stunden
Programm pro Tag. Selbst wenn 95% davon aus meiner Sicht mindestens überflüssig
sind, bleiben mit gut 67 Stunden weit mehr Programm als ein Mensch sich ansehen
kann.
Ich
muß also genau auswählen und abwägen welche Sendungen ich so priorisiere, daß
ich sie tatsächlich angucke. (….)
Unglücklicherweise
verhalten sich Programmqualität und Einschaltquote in der Regel umgekehrt
proportional zueinander.
Richtig
schlimmer Mist wie Volksmusikhitparaden oder Fußball erreicht ein zweistelliges
Millionenpublikum, während hochinteressante Dokumentationen auf arte gerade mal ein paar Tausend Zuschauer haben.
Bei
anderen Medien sieht es genauso aus.
Die
BILD-Zeitung hat eine Reichweite von täglich über zehn Millionen Menschen,
während die auf ungleich höherem Niveau angesiedelten Berliner Kollegen von der
taz 50.000 Exemplare am Tag verkaufen.
BILD und Bild.de sind echter Dreck, den aber jeden Tag 100 mal so
viele Menschen lesen, wie die taz.
Ich bin
sicher, daß ähnliche Klickzahlen-Korrelationen für die Online-Medien gefunden
werden.
Qualität
und Popularität treffen sich üblicherweise nicht.
Allerdings
gibt es Ausnahmen im künstlerischen Bereich.
Adeles Hello-Video von Xavier Dolan wurde auf Youtube 1,9 Milliarden mal
aufgerufen und die Frau kann zweifellos tatsächlich singen – egal ob man das
Musikgenre mag oder nicht.
Auch
Unterhaltungsserien wie „House Of Cards“, die brillant gemacht sind, können gleichzeitig
ein kommerzieller Erfolg sein.
Menschen
mit Geschmack und Anspruch können also in ihren Vorlieben durchaus ab und zu
eine Schnittmenge mit dem Massengeschmack bilden.
Kluge
Menschen können sich aber auch mal in die Niederungen begeben, um unterhalten
zu werden.
Das wird
bei Proll-Sport oder Dumm-Talkshows durchaus akzeptiert.
Nach 11
Staffeln RTL-Dschungelcamp gibt es aber immer noch Menschen, die sich empört
über die Sendung erheben, ihre Zuschauer verdammen und zum Boykott aufrufen.
Warum eigentlich?
Es
handelt sich dabei um ein Show-Format, bei dem wie in 100 anderen
Unterhaltungsshows sogenannte C-Promis vorgeführt werden.
„Ich bin
ein Star – holt mich hier raus“ (#IBES) fällt allerdings gleichzeitig aus dem
Rahmen:
1.) Statt der üblichen Sinnlos-Plappereien
der üblichen Quizz-Moderatoren, werden hier mit STERN-Kolumnist Micky Beisenherz und Star-Autor
Jens Oliver Haas zwei der besten deutschen Texter eingesetzt.
2.) Anders als bei anderen RTL-Shows
ist #IBES ein fester Bestandteil des seriösen Feuilletons – SZ, SPIEGEL und Co –
alle analysieren täglich die Dschungelgeschehnisse.
3.) #IBES spielt in einer deutlich
höheren Quotendimension.
4.) Autoren und Moderatoren bedienen
mehrere Meta-Ebenen. Man kann die Sendung als reine Unterhaltungsshow sehen,
oder auch zwischen den Zeilen der Moderationen die mit politischen Anspielungen
gespickten Nebentöne auffangen.
5.) Die Show ist fair; es gibt zwar eine
enorme Fallhöhe; die Teilnehmer können sich entsetzlich blamieren, aber es sind
alles Medienprofis, die das Spiel kennen. Immer wieder gelingt es einigen die
Chance zu nutzen und durch die Dschungelpopularität wieder ins Geschäft zu
kommen.
6.) Die Teilnahme am Dschungelcamp wird
sehr gut bezahlt und erfolgt selbstverständlich freiwillig. Jeder Kandidat kann
jederzeit aussteigen und jeder Zuschauer ist frei den Aus-Knopf zu drücken, bzw
gar nicht erst einzuschalten.
7.) Der Haussender RTL, sonst eher nicht
für Showqualität bekannt, wird durch das enorme Interesse der großen Zeitungen
zu Höchstleistungen auch auf Nebenkriegsschauplätzen animiert. Allein schon auf
die kurz im Hintergrund angespielte Musikauswahl zu achten, beweist wie
akribisch die Macher vorgehen.
[….] „Auch auf die Gefahr hin, jetzt wie einer dieser schlimmen Presser zu klingen, die in der Großraumdisco den ganzen Abend wie schlechtgeschmackliche Übergriffler an der DJ-Kanzel kleben, um sich "It's Raining Men" zu wünschen: Es wäre doch wirklich sehr schön, wenn in den nächsten Tagen zur musikalischen Honeyhintermalung einmal "The People Who Grinned Themselves to Death" von den Housemartins eingespielt werden könnte - ein geradezu prophetischer Song, in dem nicht nur dessen Bleckstörung thematisiert wird, sondern auch seine Bronchialproblematik: "The people who grinned themselves to death / smiled so much, they failed to take a breath". Wobei die RTLsche Musikabteilung auch in diesem Jahr ohnehin schon feine Arbeit leistet und Jarle Skavhellens "The ghost in your smile" einspielte, als Honey sich mal wieder bei der Lagerfeuerwache durch die Nacht feixte und, kaum egoman, ein "H" in die Sitzbank schnitzte - mit der schönen Zeile: "I'll be the black tooth / In your Hollywood grin". Und ein Extralob natürlich für den Einsatz von "Being boring" beim nicoleschen Camp-Auszug.“
(Anja Rützel, 24.01.2017)
[….] „Auch auf die Gefahr hin, jetzt wie einer dieser schlimmen Presser zu klingen, die in der Großraumdisco den ganzen Abend wie schlechtgeschmackliche Übergriffler an der DJ-Kanzel kleben, um sich "It's Raining Men" zu wünschen: Es wäre doch wirklich sehr schön, wenn in den nächsten Tagen zur musikalischen Honeyhintermalung einmal "The People Who Grinned Themselves to Death" von den Housemartins eingespielt werden könnte - ein geradezu prophetischer Song, in dem nicht nur dessen Bleckstörung thematisiert wird, sondern auch seine Bronchialproblematik: "The people who grinned themselves to death / smiled so much, they failed to take a breath". Wobei die RTLsche Musikabteilung auch in diesem Jahr ohnehin schon feine Arbeit leistet und Jarle Skavhellens "The ghost in your smile" einspielte, als Honey sich mal wieder bei der Lagerfeuerwache durch die Nacht feixte und, kaum egoman, ein "H" in die Sitzbank schnitzte - mit der schönen Zeile: "I'll be the black tooth / In your Hollywood grin". Und ein Extralob natürlich für den Einsatz von "Being boring" beim nicoleschen Camp-Auszug.“
(Anja Rützel, 24.01.2017)
8.) #IBES bietet derart viel
feuilletonistisch verwendbares Material, daß ein enormer texterischer Mehrwehrt
entsteht. Die spöttisch-psychologisierenden Analysen in vielen Zeitungen zeigen
Humor als ganz hohe Kunst.
Aus dem
Rahmen fällt das erzkonservative FUNKE-Erzeugnis „Hamburger Abendblatt“,
welches natürlich auch ein Stück vom Kuchen abhaben möchte und dementsprechend
täglich aus dem Dschungel berichtet – allerdings gleichzeitig um ihre tumbe,
konservative Leserschaft zu beruhigen einen empörten Professor das Wort
erteilt.
Der
Hamburger Psychiater Michael Schulte-Markwort zeigt dabei eine bemerkenswerte
Unwissenschaftlichkeit.
Kollege Prof Otto Kernberg, 88, der weltberühmte Spezialist für „malignen
Narzissmus“ erklärte neulich erst öffentlich das Ethos
eines Psychiaters, als er gefragt wurde, wie er Donald Trump diagnostizieren
würde.
[….]
Einen Moment sieht Otto Kernberg
überrascht aus, dann legt sich ein nachsichtiges Lächeln um seine Lippen, und
er sagt, sein Berufsethos verbiete ihm, über Personen, die er nicht selbst untersucht
habe, Diagnosen zu stellen; und habe er sie untersucht, dann dürfe er
selbstverständlich nichts sagen. Damit entfallen alle nachfolgenden notierten
Fragen [….]
Prof.
Dr. med. Michael Schulte-Markwort, *1956, Leitender Arzt der Abteilung für
Psychosomatik und UKE-Klinikdirektor in Hamburg frönt offenbar einem völlig
anderen Berufsverständnis.
Es
drängt ihn nicht nur öffentlich zu diagnostizieren, sondern er brüstet sich bei
der Diagnose sogar damit den Patient nie gesehen zu haben.
Wissenschaft
geht anders.
Schulte-Markwort
ist sichtlich stolz darauf noch keine einzige Minute des RTL-Dschungelcamps
gesehen zu haben, wendet sich aber an das Hamburger Abendblatt, um doch zu
erklären, wie durch und durch übel die Angelegenheit wäre, weswegen man dieses
Treiben unterbinden solle.
Das
FUNKE-Blatt druckt den Artikel natürlich.
[….]
Gerade war zu lesen, wie Thomas Häßler
mit unüberwindbarem Brechreiz daran gescheitert ist, einen Cocktail aus
pürierten Fischabfällen zu sich zu nehmen.
Ich kenne niemanden,
der diese Sendung schaut (!). Eine Einschaltquote von über 40 Prozent belehrt
mich, dass ich Menschen kennen müsste, die dem Dschungelcamp zu diesem Erfolg
verhelfen, haben doch rund 7 Millionen Menschen im Alter von 14 bis 49 Jahren
zugeschaut. Ich selber habe sie noch nie gesehen. Der Bericht über Thomas
Häßler und sein "Scheitern" ruft mich dazu auf, mich zu Wort zu
melden.
Sadismus ist eine
Verhaltensweise, die ihren Lustgewinn daraus erzielt, andere Menschen zu
quälen. Das Erleben, wie jemand anderes durch mein Zutun leidet, führt zu
unmittelbarer Aggressionsabfuhr und Lustgewinn. [….] Im Erfolg des Dschungelcamp bildet sich der voyeuristische Sadismus von
Millionen deutscher Zuschauer ab. Ein Mensch, der seelisch nicht darauf
angewiesen ist, andere Menschen zu quälen, wird sich von dieser Sendung
angewidert abwenden. Ein Mensch, der diesen Sadismus nicht unterstützen möchte,
wird nicht als Kandidat antreten, sei er noch so geldabhängig. Wenn Millionen
Deutsche ihren mehr oder weniger heimlichen Sadismus wiederkehrend vor dem
Fernseher ausleben, indem sie zuschauen, wie in diesem Fall Thomas Häßler
scheitert, dann müssen sie sich der Zuschreibung ihres Sadismus stellen.
[….]
Ich erwarte von meinen Mitmenschen, dass sie
ihren täglichen – auch den kleinen und geheimen – Sadismus unter Kontrolle
haben und lieber an sich selbst ausleben. Viele Fitnessklubs bieten hierfür
beispielsweise eine Menge Möglichkeiten. Meine Bitte: Schalten Sie ab und
beweisen Sie den Fernsehmachern, dass sie mit ihrem ausgelebten und
inszenierten Sadismus allein sind!
Gratulation
Herr Professor.
Sie
haben sich gerade erfolgreich blamiert. Es steht mir nicht zu #IBES zu
verteidigen; das will ich gar nicht.
Aber aus
Ihrer Analyse ergibt sich ganz klar, was Sie selbst im ersten Satz einräumen:
Sie wissen nicht worüber Sie reden; dozieren dann aber doch umso deftiger als
Blinder über die Dschungelfarben.
Zuschauer
einer Fernsehsendung des Sadismus‘ zu bezichtigen ist kühn; vor allem aber
sinnlos, wenn man so offensichtlich gar nicht das Konzept verstanden hat.
Schreiben
Sie doch nächstes Mal über den Zuschauer-Sadismus beim Boxen oder K1.
Da gibt
es wenigstens keine Meta-Ebenen und Texte, die man verstehen muß.
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