In einer
Demokratie ist es keine Option nicht zu wählen.
Man darf
dabei allerdings nicht die absurde Vorstellung haben eine Partei richte sich
zu 100% nach den persönlichen Meinungen.
Wenn wie
in Deutschland 82 Millionen Einzelmeinungen in gerade mal zwei Dutzend Parteien
auf unserem Bundestagswahlzettel einfließen, kann der Einzelwähler keine
individuell auf ihn persönlich abgestimmte Programmatik erwarten.
Parteien
wirken bei der Meinungsbildung im Volk mit. Das ist eine wechselseitige Beziehung.
Parteivertreter versuchen einerseits das Volk von ihrem Programm zu überzeugen
und andererseits finden Volkes Meinungen Eingang in Parteiprogramme.
Dabei
sind Wähler und Parteien als die beiden Entscheider in einer Demokratie nicht
die einzigen Player. Beide Seiten werden mit enormem Aufwand von Lobbyisten
aller Art, Journalisten und Kirchen umgarnt.
Diese
kontinuierliche Einflussnahme in beide Richtungen kann zu vernünftigen
Resultaten führen. So will beispielsweise auch die CDU aus der Atomkraft
aussteigen, kriminalisiert Schwule nicht mehr und lehnt nun auch mehrheitlich
die Straffreiheit von Vergewaltigung in der Ehe ab.
In all
diesen Fällen waren „die Menschen da draußen“ fortschrittlicher und
vernünftiger als die Partei, die sich letztendlich anpassen mußte.
Es kann
auch umgekehrt sein. So wurde ein Umweltbewußtsein erst durch eine Partei mit
drastischer Programmatik in das Volk übertragen.
Mülltrennung,
Pfandflaschen, FCKW-Verbot in Haarsprayflaschen, Katalysatorenzwang für Autos, Ökostromvorgaben,
Ächten von Plastikverpackungen erschien den Bürgern zunächst als staatliche
Bevormundung. Konservative lehnte all das als wirtschaftsschädlich ab.
Inzwischen
sind umweltschützende Maßnahmen breit akzeptiert.
CSU-Wähler
und Linke-Fans würden es vermutlich gleichermaßen verdammen, wenn ich Plastiktüten
in den Wald werfe.
Manchmal
verweigern sich alle Parteien unisono vernünftigen Ansichten der Bevölkerung,
weil sie unter besonders extremen Einfluss der Kirchen stehen.
Dafür
stehen die Themen Patientenverfügung, Sterbehilfe, assistierter Suizid.
Gewaltige
Mehrheiten von weit über 80% der Bevölkerung lehnen die letzten diesbezüglichen
Gesetzesverschärfungen ab und sprechen sich für ein selbstbestimmtes Sterben
aus.
In
anderen Fällen übernehmen Parteien wider besseres Wissen eine völlig
unvernünftige Mehrheitsmeinung des Volkes. Das ist beim Tabu des
Autobahntempolimits der Fall. Rasen ist umweltschädlich und führt zu weit mehr
Verletzten und Toten. Daher gibt es auch in jedem Land der Erde ein
Autobahntempolimit. Außer in Deutschland, weil sich der hiesige Michl irrationalerweise
über sein Recht aufs Todesrasen definiert.
Daher
traut sich keine große Partei ein allgemeines Tempolimit zu fordern.
Da die
Beeinflussungen kontinuierlich und dynamisch sind, sollte man möglichst viel partizipieren.
Das
bedeutet bei einer Wahl das kleinste Übel auszusuchen.
Wenn zwei Dutzend Parteien antreten, kann es rechnerisch dazu führen, daß ein Kandidat, mit dem man zu 10% programmatisch übereinstimmt und den man zu 90% inhaltlich ablehnt, bereits das kleinste Übel ist, das man also auch wählen muss, wenn man mit dessen Konkurrenten noch etwas geringere Schnittmengen hat.
Wenn zwei Dutzend Parteien antreten, kann es rechnerisch dazu führen, daß ein Kandidat, mit dem man zu 10% programmatisch übereinstimmt und den man zu 90% inhaltlich ablehnt, bereits das kleinste Übel ist, das man also auch wählen muss, wenn man mit dessen Konkurrenten noch etwas geringere Schnittmengen hat.
In dem
Fall beeinflusst man als Wähler den politischen Prozess mit der Stimme für jemand,
den man zu 90% ablehnt immer noch in die eigene Richtung.
Besser,
sinnvoller und direkter geht die Beeinflussung einer Partei über eine Mitgliedschaft,
die ich immer wieder nachdrücklich jedem empfehle.
Anders
als bei einer einmaligen Wahlentscheidung reicht aber für eine Parteimitgliedschaft
keine 10%-Übereinstimmung, weil man als Mitglied auch seine gesamte Partei
stärkt, indem man sie über den Mitgliedsbeitrag finanziell unterstützt und weil
Parteien natürlich auch mit ihrer Mitgliederzahl werben.
Um einer
Partei beizutreten, sollte man mit 51% der Programmpunkte übereinstimmen.
Die
Quote schaffe ich bei der SPD locker.
Allerdings
sind bei potentiell bis zu 49% Ablehnung auch erhebliche Spielräume, um sich
die Haare zu raufen, wenn man die eigene Partei betrachtet.
Ich
werbe für die SPD, aber bin nicht parteiblind. Manchmal gefallen mir die
Positionen von Linken oder Grünen besser, gelegentlich lehne ich einzelne
Partei-Spitzenvertreter oder bestimmte Pläne so massiv ab, daß ich mich in
diesem Blog fürchterlich aufrege. Herr Gabriel, Herr Thierse, Frau Nahles, Herr
Oppermann, Frau Griese, die Thüringer, die Berliner Genossen haben immer wieder
meinen verbalen Zorn zu spüren bekommen.
Rein
zufällig bin ich von der Hamburger SPD verwöhnt.
Nicht
nur ist der Hamburger Landesverband derjenige, der mit Abstand die besten
Wahlergebnisse vorweist, sondern ich halte Olaf Scholz auch für einen
ausgesprochen guten Verwalter.
Hinzu
kommt, daß mir seine unprätentiöse, gelassene und seriöse Persönlichkeit
ausgesprochen gut gefällt.
Was für
ein Luxus nach den vielen Jahren CDU-Beust einen Bürgermeister zu haben, der
nicht nur von der eigenen Partei stammt, sondern den man wirklich gern
unterstützt.
Meine
Übereinstimmung mit der Scholz-SPD Hamburgs liegt sehr viel höher als 51%. So
ein Glück.
In diesem
Fall schmerzt es besonders, wenn sich die Heimat-Genossen im G20-Nachspiel so
verrennen, daß man sie kaum noch verteidigen kann.
Ich bin
geneigt Scholz Kredit zu geben, weil er in einer NoWin-Situation steckte.
(…..)
Es ist offensichtlich, daß sich Scholz heftig vergaloppiert hat.
Aber
immerhin war es nun mal Angela Merkel, die den Gipfel unbedingt in Hamburg
abhalten wollte. Als Bürgermeister der so geehrten und ausgekorenen Stadt zu
sagen "Nö, da haben wir keinen Bock drauf" wäre ebenfalls eine sehr
schlechte Option gewesen.
Dann
wären CDU und FDP über ihn hergefallen und im Wahlkampf hätte man sich ewig
anhören müssen, daß der SPD sicherheitstechnisch nicht zu trauen sei, daß sie
sich vor dem linken Mob kapituliere.
Und
hätte ein CDU-Bürgermeister Trepoll etwa zu seiner Kanzlerin und Parteichefin
gesagt „such dir gefälligst eine andere Stadt für deine Gipfel-Show?“
A
posteriori meine ich schon, daß Scholz besser "Nein" gesagt hätte,
aber an ihm hätte dann erst recht das Loser-Image geklebt. Es war eine
no-win-Situation.
Gegen
die Guerilla-Taktik der organisierten G20-Protestierer, die mal in schwarz
Pflastersteine werfen, dann blitzschnell umgezogen sich in bunt unter
friedliche Demonstranten mischen gibt es in einer 1,9 Millionen-Stadt auf 756
km2 ohnehin keine Polizeitaktik, die funktioniert – solange man sich
in einem demokratischen Rechtsstaat befindet und nicht wie in China oder Saudi
Arabien vorgehen kann. (….)
Ich
verstehe außerdem, daß man als oberster Dienstherr der Polizei, der mit für den
Einsatz, den die Polizei nicht freiwillig machte, verantwortlich ist, ungern
mit dem Finger auf „die Polizei“ zeigt.
Es ist
ehrenvoll, wenn sich Scholz vor die Polizei stellt, der er den G20 eingebrockt
hat.
Ich
nehme an, der Bürgermeister wollte klarstellen, daß die Polizei nicht insgesamt
gewalttätig war, daß man nicht der Polizei generell Gewalt unterstellen dürfe.
Das ist auch richtig.
Scholz
drückte sich aber unter dem Druck der Medien und der Konservativen etwas zu
deutlich aus.
[….]
Scholz verteidigte erneut die Arbeit der
Polizei rund um den G20-Gipfel. Auf die Fragen, ob die Einsatzkräfte zu hart
vorgegangen seien und ob es Anzeichen für Polizeigewalt gebe, sagte er:
"Polizeigewalt hat es nicht gegeben, das ist eine Denunziation, die ich
entschieden zurückweise." Auch bei Demonstrationen mit überwiegend
friedlichen Teilnehmern hatte die Polizei teilweise Pfefferspray und
Wasserwerfer eingesetzt.
"Ich will
ausdrücklich sagen: Es gab sehr besonnene, sehr mutige, sehr schwierige
Einsätze der Polizei. Und die Polizei hat wirklich alles getan, was möglich
gewesen ist", so der Bürgermeister. [….]
So
formuliert klingt es wie: „kein einziger der 21.000 Beamten wendete unangemessene
Gewalt an“.
Das ist
Unsinn, den der hochintelligente Scholz aus mir nicht bekannten Gründen nicht
klar stellt.
Es mögen
sich 99% der Polizisten korrekt verhalten haben, aber dennoch gab es einige
(wie viele weiß ich nicht) Fälle von Polizeigewalt.
Es ist
müßig darüber zu diskutieren, weil das auf Video festgehalten wurde.
Man kann
das beispielsweise im YouTube-Kanal von „Unicorn Riot“ ansehen, aber auch die ARD
zeigte unter anderem in der letzten PANORAMA-Sendung diese Bilder.
Anja
Reschkes Sendung war, wie meistens, die beste und Lehrreichste zum Thema G20. Wer
es noch nicht gesehen hat, möge sich die
gesamten 29 Minuten ansehen.
Unterdessen
beginnt sogar der rechts-bürgerliche CICERO-Chef die Hamburger Genossen zu
bedauern.
[….]
Der
rechtschaffene Prügelknabe
Nach den Randalen in
Hamburg um den G20-Gipfel beginnt bei den Parteien das Spiel um die politische
Verantwortung. Dabei zeigt sich ein Muster: Die SPD geht der CDU immer wieder
auf den Leim. Den Sozialdemokraten fehlt dabei eine nicht sympathische, aber
erfolgreiche Eigenschaft
Die SPD ist eine
Partei, der man vieles anlasten kann, mit der man inhaltlich in vielen Punkten
überkreuz liegen kann. Aber eines muss man ihr lassen. Sie ist eine Partei, die
es sich nie leicht macht. Die es im Zweifel sogar lieber sich selbst als
anderen schwer macht. Sie ist eine im Kern liebenswert (oder auch
bedauernswert) rechtschaffene Partei. Sie ist keine ruchlose Partei. Sie ist
oft zu gut für diese Welt. Wahrscheinlich ist das zwangsläufig so, wenn man
Gerechtigkeit zu seinem obersten Grundwert erklärt. [….]
Offensichtlich
ahnt die Hamburger SPD, daß etwas gründlich schief gelaufen ist, daß der G20 noch
a posteriori für ganz ganz schlechte Stimmung in der Stadt sorgt.
Statt
aber zuzugeben, daß man einiges falsch einschätzte, bleiben sie bockig auf
ihrem Rechtfertigungskurs.
Die
Hamburger Genossen werden nun von der Partei mit Rechtfertigungsstanzen
versorgt…..
Wenn man
in einem Loch sitzt, sollte man nicht weiter graben, sagte schon Rumsfeld.
[…..] Die Hamburger
SPD hat ihren Mitgliedern einen Katalog mit zwölf „Fragen und Antworten
zum G-20-Gipfel in Hamburg“ gemailt. Er soll den Genossinnen und Genossen
helfen, kritische Fragen von Mitbürgern zur Sicherheitslage während
des Gipfels zu beantworten. Ob dies mit dem zwischen Peinlichkeit und
Propaganda oszillierenden Fünf-Seiten-Papier gelingt, darf bezweifelt
werden. Die Frage „Hat sich der G-20-Gipfel inhaltlich gelohnt?“ beantworten
die Verfasser so: „Das Fazit ist gemischt.“ Als größten Erfolg werten
sie „die Waffenruhe in Syrien“, die auf dem Gipfel bloß verkündet,
nicht aber behandelt worden war. Zum G-20-Rahmenbefehl der Hamburger Polizei,
in dem es heißt, „der Schutz und die Sicherheit der Gäste haben höchste
Priorität“ (SPIEGEL 29/2017), und der unwahren Aussage des Ersten Bürgermeisters Olaf Scholz (SPD), es habe keine Priorisierung
gegeben, finden sich nur Antwortstanzen. Eigentlich, so die Autoren,
habe die Polizei „zu jeder Zeit“ alle schützen wollen. „Das hat in den
meisten Situationen sehr gut funktioniert“, heißt es dort, offenbar mit
einigem Realitätsverlust. „Leider“ habe es „bei einigen Angriffen etwas
länger gedauert, bis die Polizei vor Ort war“. [….]
(Der Spiegel, 30/2017, s.21)
Zum
Mitschämen.
Aber was
soll’s? Ich liege immer noch bei über 51%.
Besser
als die anderen Hamburger Parteien ist die SPD immer.
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