Wenn man
den Berichten der Funke-Mediengruppe glauben darf, sägt Olaf Scholz am Stuhl
des SPD-Bundesvorsitzenden; möchte sich gar selbst zum Chef aufschwingen.
[….] Jetzt
ist Schulz Wahlverlierer. Einer, der um sein Amt kämpft. Einige in der
Parteiführung glauben inzwischen, dass er mit dem Job überfordert ist. Bei der
Suche nach einem neuen Generalsekretär habe er keine glückliche Figur gemacht.
Vor allem aber habe er keine Ideen, wie es weitergehen solle mit der SPD, heißt
es. Das habe sich schon im Bundestagswahlkampf gezeigt, sagt einer, als Schulz
ohne eigene Programmatik für die Kanzlerkandidatur angetreten sei.
Schulz wiederum sagt,
er wolle erst einmal hören, was die Mitglieder wollen. [….]
Der Bürgermeister soll
sich selbst für den besseren Parteivorsitzenden halten. [….] "Im Kern sind die beiden nicht weit auseinander", sagt [der
Bundestagsabgeordnete Johannes] Kahrs
deshalb. [….] Es gebe derzeit keinen
anderen Kandidaten als Schulz: "Damit ist das Thema durch im Moment."
Man kann Kahrs so verstehen, als ob Scholz vielleicht doch noch Parteichef
werden könnte. [….] in Hamburg ist Unzufriedenheit mit Schulz zu
spüren: Programmatisch sei zu wenig von ihm gekommen. […..]
Daß
Scholz wie Lafontaine 1995 den amtierenden
Parteivorsitzenden stürzt, liegt außerhalb meiner Vorstellungskraft.
Scholz
müßte wirklich sehr nachdrücklich gebeten werden – und zwar unter anderem auch
von Martin Schulz selbst.
Der
Hamburger ist kein Charismatiker, dem bundesweit die Herzen zufliegen. Eine „Schulz-Zug“-Euphorie
an der Basis mit Myriaden Neueintritten würde er nicht auslösen. Eine Partei
braucht aber so ein Zugpferd an der Spitze; insofern könnte Scholz immer nur
eine Not- oder Übergangslösung sein.
Bitter
ist dabei wie offensichtlich Olaf Scholz erfolgreicher und intelligenter als
Schulz ist.
Aber
Qualifikation und Sachkenntnis sind leider nicht mehr die Topkriterien für
politische Jobs.
Um noch
mal auf meinen gestrigen Wutanfall zurück zu
kommen, möchte ich eine erstaunliche Sache ansprechen, die meiner Ansicht nach
ein Kernproblem der SPD-Performance ist.
Die
soziale Gerechtigkeit, die nach Wunsch der SPD-Linken wieder in den Vordergrund
gerückt werden sollte, ist kein Wahlkampfhit.
Der
Partei-Rechte Martin Schulz (auch er ist Seeheimer) hatte diese Emotionen im
Wahlkampf stark bedient und so auch die Begeisterung der Basis ausgelöst.
Aus mir
nach wie vor unerfindlichen Gründen waren aber weder die SPD-Bundesminister noch
der Kanzlerkandidat in der Lage zu konkretisieren was eigentlich diese ominöse „soziale
Gerechtigkeit“ sein soll.
Vielleicht
ist meine Online-Filterblase nicht repräsentativ genug, aber ich höre in allen
parteipolitischen Diskussionen meistens, die SPD sei „unwählbar“, habe „die
Armen verraten“.
Bei den
Linken und ehemaligen SPD-Wählern gibt es auch 12 Jahre nach Schröder noch so
einen gewaltigen Hass auf die SPD, daß sie lieber Jahrzehntelang CDU-Kanzler
akzeptieren, als jemals der SPD wieder eine Chance zu geben.
Kann man
diese nach links abgewanderten Wähler überhaupt zurück gewinnen?
Was nützten „soziale Gerechtigkeit“-Wahlkämpfe, wenn diejenigen, die das ansprechen soll, ohnehin für immer schmollen und an Riexinger und Lafontaine kleben?
Was nützten „soziale Gerechtigkeit“-Wahlkämpfe, wenn diejenigen, die das ansprechen soll, ohnehin für immer schmollen und an Riexinger und Lafontaine kleben?
Erschwert
wird das Problem noch durch das alte Hildebrandtsche Motto „die SPD scheißt in
jede Hose, die man ihr hinhält“.
Wenn in
Diskussionen mit Linken der Trigger „HartzIV“ oder „Agendapolitik“ fällt,
fangen Sozialdemokraten sofort an zu weinen, ziehen sich zurück oder sie
beginnen ebenfalls wie von Sinnen auf Gerd Schröder einzudreschen.
Der
Bundesvize Stegner sagt dazu etwas meiner Ansicht nach sehr Richtiges.
[….]
Die Lösung von Zukunftsproblemen kann
allerdings nicht in einer masochistischen Dauerbeschäftigung mit der Agenda
2010 liegen. Manche Fehler wurden bereits korrigiert. Dieses Kapitel muss endlich
geschlossen werden, indem wir uns zu den Irrtümern bekennen. Die Anpassung an
den neoliberalen Zeitgeist wie im Schröder-Blair-Papier und die Inkaufnahme
prekärer Arbeitsverhältnisse waren schwere Fehler! Dies gilt jedoch keineswegs
für alle damaligen Reformen im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit. [….]
Man
merkt; der Mann gehört zum linken Flügel.
Aber können
sich nicht alle Sozialdemokraten darauf einigen, daß die böse Agendapolitik
zwar einige soziale Härten und Ungerechtigkeiten produzierte, aber unterm Strich
sicher mehr genützt, als geschadet hat?
Sozis
sollten mutig zu den berühmten Reformen stehen, ohne die von den Linken
vorgetragenen Kritikpunkte abzuschmettern.
In so
einer Diskussion kann man auch als Schröderianer gut punkten, indem man
kenntnisreich wie Olaf Scholz auf die vielen Korrekturen seit der Zeit
verweist, statt vage und desorientiert wie Schulz zu mäandern.
[…..]
Es ist daher gut, dass die SPD seither in
beiden großen Koalitionen zahlreiche Reformen vorangetrieben hat, die
Deutschland sozialer und gerechter machen. Kurzarbeit hat in der Krise
2008/2009 Hunderttausende Arbeitsplätze gerettet, Branchenmindestlöhne und ein
allgemeiner gesetzlicher Mindestlohn wurden etabliert, Leiharbeit und der
Missbrauch bei Werkverträgen eingeschränkt, erwerbsgeminderte Rentner
bessergestellt, langjährigen Beschäftigten der Rentenzugang bereits mit 63
ermöglicht, Kitaplätze ausgebaut, BAföG und Wohngeld erhöht, Alleinerziehende
unterstützt, Mieter besser geschützt. Die Aufzählung der von der SPD
durchgesetzten Gesetze für ein gerechtes Deutschland ließe sich mühelos
verlängern. Das Wahlprogramm der SPD bei dieser Bundestagswahl hat mit
zahlreichen Konzepten wie der Wiedereinführung der Parität bei den Beiträgen
zur Krankenversicherung oder der Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von
Arbeitsverträgen oder zur Stabilisierung des Rentenniveaus daran angeknüpft.
Und der Wahlkampf stand ganz im Zeichen der sozialen Gerechtigkeit. Es ist
daher nicht plausibel möglich, das Wahlergebnis damit zu begründen, dass die
SPD sich nicht genügend für soziale Gerechtigkeit einsetze. [….]
Man muss
diese Aufzählung des Parteirechten
Scholz im Zusammenhang mit einer Wahrnehmung der Parteilinken Nahles sehen.
Auch sie
weiß natürlich wie enorm viel die SPD nach 2005 aktiv in acht Jahren Regierungsverantwortung
für die soziale Gerechtigkeit getan hat, während die Linke nie Regierungsverantwortung
trug und außer Forderungen gar nichts für die sozial Schwachen tat.
Und
dennoch glaubt man der SPD nicht.
[….]
Die wesentliche und bittere Erkenntnis
nach dieser Bundestagswahl ist, dass der Vertrauensbruch tiefer sitzt, als wir
es jemals für möglich gehalten haben. 2009 waren wir der Meinung, wir könnten
verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen, indem wir Fehler der
Vergangenheit benennen. Zur Wahl 2013 war es dann wieder ähnlich. Die Menschen
haben uns im Wahlkampf gesagt: Wir finden euer Programm gut, glauben euch aber
nicht, dass ihr das auch wirklich umsetzt. In der Regierung haben wir uns dann
gedacht: Das können wir widerlegen. Wir haben versprochen und Wort gehalten –
ob bei der Rente mit 63, der Frauenquote oder beim Mindestlohn. Allerdings
waren das in diesem Wahlkampf gar nicht die entscheidenden Themen. [….]
Das sind
zwei Seiten einer Medaille. Nahles setzte konkrete Sozialpolitik um, schuf Fakten
und dachte, dadurch müssten die Wähler ja akzeptieren, wie entschrödert und sozial wie Sozis jetzt sind.
Das war
aber ein Irrtum! Durch Filterblasen-Informationsauswahl sind diese Taten gar
nicht zu den Betroffenen durchgedrungen.
Martin
Schulz' allgemeine Hinweise auf die „hart arbeitenden Menschen“ waren viel zu
vage und zu untauglich, um Vertrauen zu erwecken.
(…..)
Fast noch schlimmer ist der Terminus „die hart arbeitenden Menschen“, den
Schulz in Endlos-Wiederholung auftischt, um sein Gerechtigkeitsthema zu pushen.
Für
meinen Geschmack spricht das etwas sehr platt die Neidinstinkte des deutschen
Michels an, der natürlich immer findet, er komme zu kurz und andere hätten
mehr. Zum anderen ist es eine seltsam altmodische Formulierung. Als ob nur alle
hart arbeiten müßten und dann lösten sich die Probleme in Luft auf.
Und
was ist eigentlich mit den Millionen Menschen, die eben nicht hart arbeiten
können, weil sie krank sind, unter psychischen Problemen leiden, Pflegefälle
sind oder aber zu alt zum Arbeiten sind?
Was
ist das eigentlich für eine sozi-mäßige Selbstverzwergung?
Weil wir die SPD sind, können wir nur soziale Gerechtigkeit und überlassen die große Außenpolitik der Union? (…..)
Weil wir die SPD sind, können wir nur soziale Gerechtigkeit und überlassen die große Außenpolitik der Union? (…..)
Ich
glaube nicht, daß das Thema „soziale Gerechtigkeit“ ein Gewinnerthema ist.
Die nach ganz Links Abgewanderten holen wir
damit nicht zurück. Außerdem war die anfängliche Schulz-Euphorie mit 30.000
Parteieintritten trotz oder wegen der Agendapolitik gelungen. Nicht, weil der
Seeheimer Schulz plötzlich mit den Arbeitsmarktreformen gebrochen hätte.
„Soziale
Gerechtigkeit“ ist aber ein Verliererthema, wenn man wie von Stegner skizziert
immer den Kopf einzieht, sobald der Name „Schröder“ fällt.
Wir als
Sozialdemokraten müssen
a) die
Agendapolitik erklären, indem wir den damaligen Kontext beschreiben,
c) nicht
vage von „Gerechtigkeit“ schwafeln, sondern im Sinne von Olaf Scholz sehr
konkret werden, wenn es um die Modifizierungen der letzten 12 Jahre geht.
[…..]
Und die SPD muss konkret sein, auch wenn
es um soziale Gerechtigkeit geht. Nur anhand konkreter Vorschläge bleibt der
Begriff nicht abstrakt. Nur konkrete Vorschläge können auch politisch
wirkmächtig werden. Die Programmatik der SPD bietet dafür genug Handhabe: eine
deutliche Steigerung des Mindestlohns, die Abschaffung der Möglichkeit,
Arbeitsverträge ohne Sachgründe zu befristen, das Recht nach vorübergehender
Teilzeitbeschäftigung wieder Vollzeit zu arbeiten, die Stabilisierung des
Rentenniveaus, paritätische Beträge in der Krankenversicherung, die massive
Ausweitung des sozialen Wohnungsbaus, Gebührenfreiheit in Kitas,
Ganztagsschulen, ein Rechtsanspruch auf eine neue Berufsausbildung im
fortgeschrittenen Alter, Breitbandverkabelung als Grundversorgung zur
Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland, die Entlastung
der Kommunen von den Kosten der Unterkunft Arbeitsloser, die ja regional vor
allem dort anfallen, wo die wirtschaftliche Lage nicht gut ist, Entlastungen
bei den Beträgen für Geringverdiener und steuerliche Entlastungen für untere
und mittlere Einkommen. Die SPD hat diese und noch mehr konkrete Vorschläge.
Sie muss sie auch benennen. [….]
Soziale
Politik in der Regierungsverantwortung wie Andrea Nahles umzusetzen ist das
eine.
Das
reicht aber nicht.
Die
gesamte Partei, aber insbesondere die Bundesminister hätten wöchentlich dem
Wähler einhämmern müssen,
1.) Was sie erreicht haben
2.) Welche Widerstände der Union
überwunden wurden
3.) Wo sich CDU/CSU mit ihrer Mehrheit
nicht bewegten
4.) Was die SPD in einer Alleinregierung
über das in der Groko Erreichte hinaus durchgesetzt hätte.
Dann
würden weniger phlegmatische Wähler denken es mache keine Unterschied, ob man
CDU oder SPD wähle, ob man überhaupt zur Wahl gehe.
Dann
hätte die SPD aber insbesondere auch mehr Zeit gehabt sich für die meiner
Ansicht nach noch wichtigeren Zukunftsthemen einzusetzen.
Weswegen
der ausgewiesenen Europa-Politiker Schulz mit all seinen Kontakten außenpolitisch
fade und blass blieb, ist mir bis heute ein Rätsel.
Wieso
hat er sich nicht mit einer klar proeuropäischen Politik und einer ganzen Liste
bilateraler Vorhaben von der Kanzlerin abgesetzt?
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