Mein Opa
mütterlicherseits wurde vor 130 Jahren geboren, starb noch vor meiner Geburt.
Aber
natürlich hörte ich sehr viele Geschichten vom alten Familienpatriarch, der
seine eigene Firma in der Innenstadt hatte.
Es gab
ein gerahmtes Bild, in dem die bis auf einen halben Zentimeter runtergeschriebenen
Bleistifte angepinnt waren. Wenn sie schon so kurz waren, daß man sie kaum noch
halten konnte, schnitzte er mühsam dran herum und steckte sie so auf eine
Zigarettenspitze, daß er noch den letzte Millimeter Mine ausnutzen konnte.
Als
eines Tages ein neuer Lehrling anfing, der um bloß nicht zu spät zu kommen eine
Stunde vor der Öffnungszeit erschien, sah er dort ein kleines altes Männchen
sitzen, das mit einem Hämmerchen alte krumme Nägel geradekloppte.
„Oh, dir
ham sie ja auch einen Scheißjob gegeben“ sagte der Junge, worauf der Alte
aufstand, seine Weste zurechtrückte und sich vorstellte „Gestatten,…“
Es war
mein Opa, sein Chef. Nachrichten an seine Kinder verfasste er in winziger
Schrift auf dem Papier seiner Zigarettenschachteln, die er sorgsam auseinanderschnitt
und einmal überbügelte. Nie wäre ihm in den Sinn gekommen etwas ungenutzt
wegzuwerfen, das man noch verwenden konnte.
Sparsamkeit
bis zum Exzess.
Meine
Mutter und ihre älteren Geschwister lernten beim Essen mit eingeladenen
Geschäftsfreunden den Code-Satz: „Kinder, greift zu, es sind noch Berge
draußen!“
Das bedeutete;
es ist gleich nichts mehr da, nehmt bloß keinen Nachschlag mehr. Dann
versicherten alle wie satt sie wären, schoben die Teller von sich und
überließen dem Gast alles. Essen wurde
grundsätzlich nicht weggeworfen. Schon um das zu vermeiden, wurde nur knapp
eingekauft.
Das war
die Generation, die zwei Weltkriege durchlebte, zweimal alles verlor und echten
Mangel und Hunger erlebt hatte.
Diese
prägenden Einstellungen vererben sich. Ich bekam mit ungefähr 15 Jahren ein
eigenes Sparbuch bei der Deutschen Bank und fühlte mich ungeheuer erwachsen,
als ich ohne Hilfe der Eltern ins Einkaufzentrum fahren konnte und in freier
Entscheidung gelegentlich ein paar Mark abhob, aber auch gewissenhaft mal zehn
oder 20 Mark dort einzahlte.
Sparen
war immer gut, weil das Geld auf dem Sparbuch erstens sehr sicher war und sich
zweitens ganz allein wie von Zauberhand vermehrte.
Es
machte Sinn krumme Nägel noch mal gerade zu schlagen und Bleistifte
bis zuletzt zu verwenden, weil man entsprechend länger die Ausgaben für
derartige neue Utensilien sparen konnte und sich das Geld daher vermehrte.
Eine
Generation später war diese extreme Sparsamkeit weitgehend verschwunden.
Mein
Vater ging durchaus gern mal essen, oder übernachtete in einem guten Hotel.
Aber als
ihn auch seine zweite Frau verlassen hatte, er mit seinen Papieren so überfordert
war, daß ich auf seine Finanzen achtete (was er mir gern überließ), staunte ich
immer über seine Ausflüge zum Grocery Shopping.
Winzige
Mengen nahm er. Maximal ein Brötchen auf einmal, 50g Käse, eine einzelne
Tomate.
Später
musste ich das Einkaufen für ihn übernehmen. Das bedeutete für mich beim
Gemüsemann oder im Lebensmittelladen, zu überlegen was er gerne mag, dann die
Menge, die ich kaufen würde, im Kopf zu halbieren und während der Verkäufer
abwiegt noch einmal die Hälfte davon wieder wegnehmen zu lassen.
Bei
meinem Vater angekommen, spulte sich stets das gleiche Ritual ab: „Das ist doch
viel zu viel, das kann ich ja nie alles essen.“
Je mehr
ich in seinen Haushalt eindrang, desto erstaunter war ich über die
Bescheidenheit, die ich von außen gar nicht bemerkt hatte, nachdem es über
40 Jahre her war, daß wir unter einem Dach lebten.
Zwei
Bettwäschegarnituren, vier Handtücher, ein sechsteiliges Besteckset in der
Küche, vier Geschirrtücher.
Für mein
Gefühl alles viel zu knapp.
Brauchte
der Mensch gar nichts? Hat der keine Bedürfnisse?
Ich hingegen
habe gern Vorräte.
Wenn ich
anschließend bei mir zu Hause in den Kleiderschrank guckte, war ich erschlagen.
Sieht, verglichen mit den Beständen meines Vaters, aus wie im Warenhaus. Ich
könnte einen Laden aufmachen. Brauche ich wirklich einen 40 cm hohen Stapel Fatücher?
Lebensnotwendigerweise
vielleicht nicht. Aber es ist praktisch, weil die Dinger in die Kochwäsche
kommen, die ich als Einpersonenhaushalt nur selten mache.
Die
Geschichten über die alten Sparfüchse fand ich eher amüsant. Mein Opa war
andererseits gar nicht geizig, konnte durchaus großzügige Geschenke machen.
Aber ich
war doch froh, daß diese Zeiten vorbei sind, daß ich diesen Aberwitz nicht mehr
mitmachen muß.
Ich will
nicht meine Zeit damit verschwenden rostige krumme Nägel gerade zu klopfen. Es
ist viel praktischer, daß man all diese Dinge in riesiger Auswahl und
preisgünstig nicht nur im nächsten Baumarkt, sondern natürlich auch mit wenigen
Klicks im Internet findet.
Und wenn
ich Lust habe etwas zu Essen, möchte ich auch nicht nur eine einzige Scheibe
Brot vorfinden, sondern meinen Kühlschrank öffnen und dort eine gewisse Auswahl erblicken.
Schließlich
weiß ich beim Einkaufen noch nicht, worauf ich später mal Hunger habe.
Am besten
also, es ist alles da.
Oder war
es doch sinnvoll Nägel geradezu kloppen und
Zigarettenschachteln auseinander zu schneiden?
[….] Ein
Drittel aller Lebensmittel landet im Müll - die meisten, bevor sie den Kunden
erreichen. [….] Pro Jahr gehen derzeit knapp 1,6 Milliarden Tonnen Nahrungsmittel
verloren, das entspricht einem Wert von 1,2 Billionen Dollar oder umgerechnet
gut einer Billion Euro.
Innerhalb von drei
Jahren macht das ein Plus von gut 20 Prozent. "Dies bedeutet, dass etwa
ein Drittel der weltweit produzierten Nahrungsmittel im Müll landet", sagt
BCG-Berater Esben Hegnsholt, einer der Autoren der Studie. [….] Wenn
Essen zu Abfall wird, hat das weitreichende Konsequenzen. Jedes Stück Fleisch,
Brot, Obst oder Gemüse, das auf dem Teller fehlt, verschärft nicht nur das
Hungerproblem in ärmeren Ländern, sondern schadet auch Klima und Umwelt.
"Verschwendung von Essen ist auch Ursache für acht Prozent der globalen
Treibhausgas-Emissionen", ergänzt Hegnsholt. Um diese Menge an CO₂ und
anderen schädliche Gasen zu kompensieren, wären nach Berechnungen des Bundesumweltministeriums
295 Milliarden Bäume notwendig. Hinzu kommt ein großer Verbrauch an Wasser und
Ackerland.
Auch in Deutschland
zeichnet sich keine entscheidende Besserung ab. Es herrscht seit Jahren
Stillstand. "Allein in Deutschland werfen wir jedes Jahr elf Millionen
Tonnen Lebensmittel weg - das sind circa 275 000 große Lkw-Ladungen",
sagte Ernährungsministerin Julia Klöckner im Juni. Zahlen in dieser Höhe
ermittelte die Universität Stuttgart bereits 2012 im Auftrag des Berliner
Ministeriums. [….] Geschieht
nichts, dann wird sich das Problem nach Einschätzung der Unternehmensberatung
BCG weiter verschärfen. Sie prognostiziert für 2030, dass die Menge
verschwendeter Lebensmittel auf 2,1 Milliarden Tonnen ansteigen könnte.
Zugleich wird die Weltbevölkerung bis dahin voraussichtlich um einem Milliarde
auf 8,5 Milliarden Menschen wachsen. Sie zu ernähren, gilt als eine der größten
Herausforderungen der Zukunft. […..]
Es
stellen sich hier mehrere Fragen.
Die
Ökonomische (unfassbare Verschwendung), die Moralische (täglich verhungern
20.000 Kinder, während wir die Nahrungsmittel lieber wegwerfen) und die
Ökologische.
Lebensmittelproduktion
ist vielfach eine große Klimapest. Insbesondere die Fleischproduktion ruiniert
die CO2-Bilanz.
Zudem
wird alles in Plastik verpackt. 2015 betrug die Weltplastik-Produktion unfassbare 322
Millionen Tonnen.
(….)
Auch das deutsche Mülltrennen bringt nicht viel, wenn wir weiterhin Europameister im Müllproduzieren sind, aber
es ist dennoch wichtig das geschaffene Problembewußtsein der Menschen zu
erhalten.
[….]
Müll-Meister Deutschland
Wie sind europäischer
Spitzenreiter im Kunststoffverbrauch - 213 Kilo Verpackungsmüll pro Jahr. Dabei
ist es noch nicht lange her, da haben wir der Welt erklärt, wie Mülltrennung
funktioniert. […..]
(ZDF, 19.04.2018) (….)
[….]
Drei Viertel des Mülls im Meer besteht
aus Plastik. Dieses Plastik ist ein ständig wachsendes Problem, kostet jedes
Jahr zehntausende Tiere das Leben und kann auch uns Menschen gefährden. Denn
bis zur völligen Zersetzung von Plastik können 350 bis 400 Jahre vergehen. Bis
dahin zerfällt es lediglich in immer kleinere Partikel. Diese kleinen, festen
und wasserunlöslichen Plastikpartikel unter 5mm Größe werden Mikroplastik
genannt. Wenn wir heute barfuß einen Strand entlang laufen, haben wir neben den
Sandkörnern meist auch viele feine Mikroplastikpartikel unter den Füßen. Von
den jährlich 78 Millionen Tonnen der weltweit gebrauchten Plastikverpackungen
gelangen 32 Prozent unkontrolliert in die Umwelt, wie zum Beispiel in die
Meere. Zudem gelangen auch Mikroplastikpartikel in Gewässer und die Ozeane. Im
Meer sind gerade diese kleinen Partikel ein großes Problem, da sie von den
Meerestieren mit Nahrung, zum Beispiel Plankton verwechselt werden. So konnten
in Muscheln, die Planktonfiltrierer sind, diese kleinen Plastikpartikel
nachgewiesen werden. [….]
(WWF)
Die gute
alte Sparsamkeit à la „schwäbische Hausfrau“ wie ich sie mit dem ersten
Sparbuch kennenlernte, hat ausgedient.
Es gibt
gar keine Zinsen mehr. Besonders schädlich ist die deutsche Staatssparwut, wenn
sie von schwäbischen ökonomischen Laien wie Wolfgang Schäuble praktiziert dazu
führt, daß Deutschlands Infrastruktur zerbröselt, Menschen am Ende ihres Lebens
in Armut getrieben werden und eine ganze Schülergeneration verblödet, weil 40.000 Lehrer fehlen
und nur ein Drittel der Grundschullehrer überhaupt ihren Job gelernt haben.
Pflegebedürftige
liegen in ihren Exkrementen und leiden an Austrocknung, während der deutsche Staat den größten Überschuss aller Zeiten erzielt?
[….]
Der deutsche Staat hat dank der guten
Wirtschaftslage derzeit so viel Geld in der Kasse wie nie zuvor. In der ersten
Jahreshälfte nahmen Bund, Länder, Gemeinden und Sozialkassen unter dem Strich
48,1 Milliarden Euro mehr ein, als sie ausgaben. Dies teilte das Statistische
Bundesamt anhand vorläufiger Daten mit. Das ist der höchste Überschuss in einem
Halbjahr seit der Wiedervereinigung: Einnahmen von 761,8 Milliarden Euro
standen Ausgaben von lediglich 713,7 Milliarden Euro gegenüber. Der Staat
profitierte von steigenden Steuereinnahmen und Sozialbeiträgen. Den größten
Überschuss erzielte der Bund mit rund 19,5 Milliarden Euro. Auch Länder,
Kommunen und Sozialkassen verzeichneten ein Plus.
Zugleich profitiert
der Staat von der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Dank der
Niedrigzinsen kann sich auch der Staat günstiger verschulden. [….]
(SZ,
25.08.18)
Das ist
hochgradig schwachsinnig. Der Staat muß unbedingt mehr Geld ausgeben.
Beim
Ressourcenverbrauch aber, beim exzessiven Wegwerfen, neu Kaufen, beim Fressen,
beim Plastikverschwenden sollten wir uns alle etwas mehr wie mein belächelter
Opa benehmen.
Und
meine Fatücher behalte ich. Sie bestehen zu 100% aus Baumwolle, werden ohne
Verpackung verkauft (89 Cent pro Stück, einzeln bei Budni), sind extrem lange
wiederverwertbar und auch noch hygienisch, weil sie ohne irgendwelche Keime aus
der Kochwäsche kommen.
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