So ist das als Flüchtlingsmädchen, das nicht den üblichen
Klischees entspricht, das gebildet ist, Karriere machen möchte und womöglich
auch noch einen Charakter mit Ecken und Kanten hat:
Irgendwann sitzt man zwischen allen Stühlen, wird in der
Mehrheits- und der Minderheitsgesellschaft skeptisch betrachtet.
Und wenn das Mädchen Erfolg hat, sich schließlich nicht mehr
jeder Erwartungshaltung beugt, einen wirklich eigenen Kopf entwickelt, wird es
noch schwerer.
Sawsan Chebli,
40, geboren in Berlin, ist dafür ein Paradebeispiel.
Sie ist Tochter palästinensischer Flüchtlinge, die lange
Zeit in Deutschland nur geduldet wurden und sich als Staatenlose vieler Rechte
beraubt durchschlugen. Erst mit 15 Jahren bekam Chebli ihren ersten Pass – und
damit die deutsche Staatsbürgerschaft. Mit zehn Geschwistern hauste sie in
einem Moabiter Zimmer; insgesamt waren sie 12 arme, ungebildete Kinder. Erst in
der Schule hörte sie das erste mal deutsch. Die Chancen standen katastrophal
schlecht.
Aber sie ist schlau.
Was dann folgte ist
nicht das typische Flüchtlingsschicksal:
1999 Abitur am Lessing-Gymnasium.
2004 Abschluss an der FU Berlin
als Diplom-Politologin und Expertin für internationale Beziehungen.
2010 bis 2014 war sie
Grundsatzreferentin für interkulturelle Angelegenheiten in der Berliner
Senatsverwaltung für Inneres und Sport
2014 bis 2016 stellvertretende
Sprecherin des Auswärtigen Amts.
2016 ist sie Bevollmächtigte des
Landes Berlin beim Bund.
2016 Staatssekretärin für
Bürgerschaftliches Engagement und Internationales.
Man ahnt schon, Chebli passt nicht gut in Schubladen. Sie
ist überzeugte Muslimin, aber säkular, trägt kein Kopftuch, macht Karriere als
deutsche Beamtin. Sie engagiert sich in der SPD, tritt für Frauenrechte ein,
hält aber ihr Privatleben radikal aus der Öffentlichkeit fern.
Im Vergleich zu vor Selbstbewußtsein platzenden Politikern
des Schlages Spahn, Söder oder Altmaier ist sie scheu und unauffällig.
Aber im Gegensatz zu vielen deutschen Karrierepolitikerinnen
ist sie nicht auf den Mund gefallen, vertritt ihre Meinungen auch dort wo es
wehtut und inszeniert ganz gern mal ihren Erfolg.
Meiner Ansicht nach ist es das Normalste der Welt, daß eine
Frau mit dem Hintergrund zwischen Zurückhaltung und Vorlautheit mäandert.
Ihre Kollegen sehen das scheinbar nicht so; sie wird
leidenschaftlich gehasst dafür, daß man sie so schlecht einordnen kann.
[….] Viele ehemalige Kollegen verdrehen bei Erwähnung ihres Namens
mindestens die Augen. Chebli erregt Misstrauen, Abneigung, Wut, Neid. Als sie
vor eineinhalb Jahren als Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement
ins Berliner Rote Rathaus wechselte, gingen bei ihr Morddrohungen ein. Im Netz
wurde sie als "trojanisches Pferd der Muslimbrüder" bezeichnet und
als "Migranten-Aschenputtel" beschimpft. [….]
Zu allem Übel ist die zierliche Staatssekretärin auch noch
attraktiv und zieht sich gern sehr schick an.
Weißhaarige Alpha-Männer mit Testosteronüberschuss verwirrt
das. Sowas kennt Seehofer nicht aus Bayern.
[….] Sawsan Chebli wartet. Es ist ein kalter Abend im März, Hauptstadtparty
im Berliner SPIEGEL-Büro. Sie trinkt keinen Alkohol. Chebli will noch etwas
loswerden. Aber der Innenminister lässt sich Zeit. "Der Islam gehört nicht
zu Deutschland", das hatte Horst Seehofer gerade im Interview erklärt.
Chebli stürmt auf ihn zu, als sich der Minister endlich durch die Gänge
schiebt: "Sie wissen schon, dass Sie mit Ihrem Satz auch Leute wie mich
ausgrenzen?" Seehofer guckt verdutzt. Da steht also diese Frau vor ihm.
Sie sieht nicht unbedingt so aus, wie man sich eine gläubige Muslimin
vorstellt. Sie trägt kein Kopftuch, dafür roten Lippenstift.
"Ich habe ja nicht gesagt: die Muslime", sagt Seehofer.
"Das können Sie aber nicht trennen", sagt Chebli, "das
ist meine Religion."
"Lassen Sie uns das Gespräch doch wann anders fortführen",
sagt Seehofer und geht weiter. [….]
Vor einigen Jahren beging die Karriere-Muslimin aber einen
schweren Fehler, sie tappte in die Kleinfeld-2005-Falle.
Der damalige Siemenschef hatte sich bei der Vorstellung
eines Rekordergebnisses mit einer teuren Rolex am Arm ablichten lassen.
Ein Megashitstorm brach los und so sah sich Siemens
veranlasst das offizielle Bild ihres Vorstandschefs zu photoshoppen.
Nun entdeckte ein Gutmensch ein vier Jahre altes Bild, auf
dem die Staatssekretärin eine Stahl-Rolex trägt, die angeblich über 7.000 Euro
kostet.
Es toben sowohl die ganz Linken, die jeden Luxus ablehnen,
als auch die ganz Rechten, die jeden Muslim ablehnen.
Myriaden Hass-Trolle fielen über sie her, der Hass
eskalierte derartig, daß Sawsan Chebli ihre Profile in den sozialen Netzen
löschen musste.
[…..] Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli hat ihren Facebook-Account
wegen einer Vielzahl von Hass-Nachrichten deaktiviert. "Mein
Facebook-Account hat sich zu einem Tummelplatz für Nazis und Extremisten aller
Couleur entwickelt", sagte die SPD-Politikerin der
"Bild"-Zeitung. "Hunderte, manchmal waren es sogar Tausende
Hassbotschaften unter einem Post. Und zwar unabhängig vom Inhalt. Egal, was ich
gepostet habe, es wurde mit Hass und Hetze reagiert."
Solchen Leuten wolle sie mit ihrem Account keine Plattform mehr bieten,
so Chebli. "Deshalb habe ich mich entschieden, vorerst meinen
Facebook-Account zu deaktivieren. Ob und wann ich wieder online gehe, kann ich
Stand heute nicht sagen." [….]
Ein unter vielen Aspekten abscheulicher und abstruser
Vorgang.
Es ist rassistisch und misogyn einer jungen muslimischen
Frau einen kleinen Luxusgegenstand zu missgönnen, den die alten Herren der CDU
und FDP jeden Tag tragen.
Noch absurder sind aber die Vorwürfe aus der linken Ecke,
die ausgerechnet ihr vorwerfen die SPD verraten zu haben, weil sie nicht mehr
wisse was Armut ist und sich somit als Sozi-Repräsentantin von den Wählern
entfernt habe.
Wer von Euch Hatern hat mit 12 Geschwistern in 2 Zimmern gewohnt, auf dem Boden geschlafen&gegessen, am Wochenende Holz gehackt, weil Kohle zu teuer war? Wer musste Monate für Holzbuntstifte warten? Mir sagt keiner, was Armut ist. #Rolex— Sawsan Chebli (@SawsanChebli) 20.
Heute bin ich auch von Linken enttäuscht, die ich sonst sehr
schätze.
[…..] Über Sawsan Chebli, Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement
und Internationales und leidenschaftliches SPD-Mitglied, rollt gerade auf
Twitter eine Shitlawine: Jemand hat ein Porträtfoto von ihr entdeckt, auf dem
sie ziemlich offensiv mit ihrer „Rolex Datejust 36“ posiert (Wert beim
Juwelier: ca. 7500 Euro, Wert am Strand von Arenal, Mallorca: ca. 35 Euro).
Ich bitte darum, die arme Sawsan in Ruhe zu lassen! Wer es nötig hat,
sich so eine blöde Zuhälter-Zwiebel ums Handgelenk zu binden und einen auf
Brioni-Schröder zu machen, ist bereits gestraft genug. [….]
Die Sache mit den hochwertigen mechanischen Uhren werde ich
nie verstehen.
Wieso ausgerechnet diese kleinen mechanischen Zeitnehmer
wohl so viel Hass- und Neidgefühle triggern?
Es handelt sich dabei nämlich um Luxus und jeder Luxus ist
dadurch definiert, daß es sich um irgendeine Art des Überflusses handelt. Luxus
ist gerade das was man nicht unbedingt braucht.
Aber Luxus ist eben nicht exklusiv. Jeder genehmigt sich
selbst in irgendeiner Weise Luxus.
Es gibt den Luxus, den man nur aus persönlicher Vorliebe
schätzt, den Luxus, der nur dafür da ist andere zu beeindrucken, Luxus, der
irgendetwas überkompensiert und natürlich auch alle Mischformen.
Montblanc Exo Tourbillon Rattrapante |
Kaum einer lebt von neutraler Astronautennahrung, sondern
bevorzugt Lebensmittel, die ihm persönlich gut schmecken. Auch das ist Luxus,
da er unnötig ist.
Luxus sind Markenklamotten, überteuerte Apple-Produkte,
Autos, Wohnungen, Reisen, Friseurbesuche, Musik, Kunst. Aber auch Puffbesuche,
Drogen oder Restaurants. Mountainbikes, Gleitsichtbrillen, Kreuzfahrten,
Flachbildfernseher oder Spielekonsolen.
All das ist überflüssig. Und natürlich braucht auch niemand
eine Uhr, die 10.000,- oder 100.000,- oder 1.000.000,- Euro kostet.
Aber wenn ich mir die verschiedenen Formen des Luxus unter
ökologischen und sozialen Aspekten ansehe, stechen hochwertige mechanische
Armbandchronometer dadurch hervor, daß sie nachhaltig sind und keinen Schaden
anrichten.
Fast alle anderen Formen des Luxus sind eine Pest für die
Umwelt, verbrauchen unnötig Ressourcen und Energie und beuten zudem auch noch
meistens irgendwo Menschen aus.
Jeder Flug ruiniert das Klima, jedes Auto stößt Schadstoffe
aus, für iPhones werden Billigarbeiter ausgebeutet, für fast alle
Kleidungsstücke gibt es am anderen Ende der Welt Menschen im Elend. Für einen
Strauß Rosen aus Kenia, werden landwirtschaftliche Flächen ausgetrocknet und
jeweils ein Liter Kerosin in die Atmosphäre geblasen. Jeder Computer und jede
Spielekonsole hinterlässt Plastikmüll. Auf Reisen werden Tiere gequält, wird
Fleisch gefressen.
Yachten sind durch ihren Schwerölverbrauch abartig,
Großwildjagden sind amoralisch, PS-Protz-Autos sind Klimasünden.
Mir fallen tatsächlich nur mechanische Uhren als positives
Luxusbeispiel ein. Sie sind absolut nachhaltig, werden quasi gar nicht
weggeworfen, weil sie nicht nur ihren Wert behalten, sondern meistens sogar wertvoller
werden. Sie verursachen kaum Müll und verschwenden so gut wie keine Rohstoffe, außer einer
winzigen Menge Stahl und Edelmetall.
Der enorme Wert eines Chronometers mit vielen Komplikationen
entsteht durch die viele kostbare Handarbeit, die hinein gesteckt wird.
Es werden also gut bezahlte Facharbeiterjobs geschaffen. Die
Kunst eines Uhrmachers ist nicht durch Computer oder Roboter zu ersetzen.
Vor allem aber verbrauchen Uhren nichts. Sie brauchen weder
Strom noch Benzin, es fließt kein Blut dafür, niemand muss leiden, kein
Gewässer wird geschädigt, niemand wird ausgebeutet.
Mechanische Uhren, die leicht über 100.000,- Euro kosten,
wenn sie auf einem Tourbillon basieren sind eben keine blöden Zuhälter-Zwiebeln ums Handgelenk wie oben so hämisch
angemerkt wurde.
Zuhälter wollen protzen, jeder soll sehen wie teuer die Uhr
ist. Dafür sollte sie Gold und Edelstein-besetzt sein.
Chebli trug aber eine mechanische Stahluhr, deren
Charakteristikum das Understatement ist. Sie sehen für den Laien tatsächlich
aus wie die Fälschung aus Hongkong für 30 Euro.
Girard-Perregaux, Tri-Axial Tourbillon |
[….] Es war vermutlich im Jahre 1795, als der Uhrmacher Abraham-Louis
Breguet eine Erfindung machen sollte, die noch 200 Jahre später zu den
Höhepunkten der Feinuhrmacherei zählt: Beim Tourbillon, zu Deutsch „Wirbelwind“,
ist das komplette Schwing- und Hemmungssystem in einem - möglichst leichten -
Käfig untergebracht. Dieser dreht sich innerhalb einer bestimmten Zeitspanne
einmal um seine Achse. Dadurch werden die Schwerpunktfehler im Schwingsystem
einer mechanischen Uhr kompensiert, da
nun die Schwerkraft von allen Seiten gleichzeitig den Schwung von Unruh
und Unruh- spirale beeinflusst. Dieser uhrmacherische Kunstgriff erhöht die
Ganggenauigkeit vor allem bei Taschenuhren, die üblicher- weise immer in der
gleichen Position getragen werden. [….]
(WEMPE)
Für mich sind mechanische Uhren daher kein shitstormwürdiger
Luxus, sondern im diametralen Gegenteil empfehlenswerter Luxus.
Als Sozi gönne ich der Genossin Chabli diesen Luxus und
beglückwünsche sie zu so einer umweltfreundlichen, nachhaltigen und
bescheidenen Form des Luxus gegriffen zu haben.
Alle anderen Formen des Luxus wären schlechter gewesen.
Abgesehen davon wundere ich mich, wieso überhaupt 7.000,- so
viel Aufmerksamkeit erregen. Da flüchte ich mich sogar in Whataboutism.
Man möge bewußt auf einer beliebigen deutschen Straße
spazieren und sich überlegen welchen Neupreis jedes einzelne Auto hat, welchen
Wert jede einzelne Wohnung hat.
Selbst einfache Autos – das meistgefahrene Modell in Deutschland
ist mit vier Millionen Exemplaren der VW Golf – kosten ab 25.000,- Euro
aufwärts. Wohnungen kosten durchschnittlich mehrere Hunderttausend Euro.
Da steckt der abartige Luxus drin, der das Klima ruiniert
und Mieter ausbeutet.
Wäre das Geld doch besser in mechanischen Stahlarmbanduhren
angelegt.
[….] Deutschland ist, wenn windige Anwälte, Broker und Banker den deutschen
Steuerzahler (also auch DICH!) um 33.000.000.000 Euro hintergehen, und es
niemanden schert, weil „versteh ich eh nicht“.
33.000.000.000 Euro, die für Dein Lieblingsthema zur Verfügung
gestanden hätten:
- Omas und Opas, die Pfandflaschen sammeln müssen
- Bezahlbarer Wohnraum
- Schöne, glatte Straßenbelage
- Sanierung der Decke in Maries Schule, damit sie nicht bald von dieser
erschlagen wird
Aber nein. Lasst uns lieber darüber diskutieren, ob irgendeine
Staatssekretärin eine 7.000 Euro Rolex tragen darf. Von ihrem eigenen Geld
bezahlt. Wie? Ich höre Sie ist eine Frau? Und Migrantin? EIN FLÜCHTLING?!?!?!?
Na, dann natürlich nicht!!! Meine Meinung. [….]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen