Donnerstag, 25. Oktober 2018

Wirrwarr-Wählerwille

Die Amis wählen das House tatsächlich alle zwei Jahre. Eine absurd kurze Legislaturperiode, die quasi zu einem Dauerwahlkampf führt. Kaum hat man sich ein bißchen an die neue Mannschaft im Weißen Haus gewöhnt, begibt sich die Administration schon wieder in die Wahlschlacht um die Midterms.
Es passt nur zu gut, daß der gegenwärtige Präsident, an den man sich gar nicht gewöhnen kann, nie mit dem Wahlkampf aufhörte und auch jetzt noch die immer gleichen Rallys vor einem rassistischen Mob hält, bei denen er gegen seine Gegnerin von 2016 wettert.
Klug ist immerhin, daß alle möglichen Wahlen am Midterm-Datum zusammengefasst werden. Da werden ein Drittel der Senatoren neu gewählt, jede Menge Gouverneure neu bestimmt, alle Kongressabgeordneten gewählt und auch noch haufenweise Volksabstimmungen durchgeführt.
Wenigstens also alles in einem Abwasch.
Vollkommen idiotisch hingegen das deutsche System, in dem die Bundesländer zwar (neuerdings) nur alle fünf Jahre neu wählen, aber diese 16 Landtagswahlen PLUS Europawahlen PLUS 16 Kommunalwahlen PLUS Bundestagswahlen maximal verstreut werden.
Die eitlen MPs wollen alle möglichst ihre eigene Wahl. Nachdem schon im September bis Mitte Oktober kaum noch regiert werden konnte, weil alle Parteigrößen im bayerischen Wahlkampf engagiert waren und hysterisch auf die Umfragen glotzten, ging das Affentheater anschließend nahtlos weiter, weil die Hessen genau zwei Wochen später wählen. Hauptsache unökonomisch und kompliziert, damit jedes Bundesland sich einbilden kann ganz allein die bundesweite Aufmerksamkeit auf sich zu zerren.
Statt Bayern am 14.10. und Hessen am 28.10., hätten sich Söder und Bouffier zum Wohle der Demokratie auch auf eine gemeinsame Wahl am 21.10. einigen können, aber dafür waren ihre Egos zu groß.

Im Moment sind die Politiker der Regierungsparteien in einem schlimmeren Hühnerhaufenmodus denn je, da selbst in dem Bundesland, in dem seit 500 Jahren immer nur die Regierungspartei gewählt wird die CSU wegbrach.
Was kann da erst in Hessen passieren, wo es traditionell viel knapper zugeht?


Durch den unsäglichen Dauerwahlkampf schaffen es die Parteien offenbar kaum noch ihrer eigentlichen Aufgabe nachzukommen – an der politischen Willensbildung im Volke mitzuarbeiten.
In der Theorie treffen sich in einer Partei Personen mit grundsätzlich ähnlichen Grundüberzeugungen. Die diskutieren miteinander, entwickeln konkrete Konzepte und Absichten, von denen sie in den nächsten Jahren möglichst viele im Volk durch sachliche Argumentation und viele Gespräche an der Basis überzeugen. Diese für richtig und wichtig erachteten Konzepte manifestieren sich dann in Form von Mehrheiten für die entsprechenden Parteien bei den Wahlen.
Das funktionierte bis inklusive Gerd Schröder, der mit deutlichen klaren Konzepten (Ökosteuerreform, Nein zum Irakkrieg, Homoehe, Agenda 2010, Zwangsarbeiterentschädigung, drastische Senkung der Lohnnebenkosten, dritte Säule der Rentenversicherung, Ausstieg aus der Atomenergie) an die Wähler trat und diese mal mehr, mal weniger davon überzeugte.

Das klappt jetzt aber nicht mehr, weil die Welt zu kompliziert für einfache Konzepte ist, die Wähler viel zu indolent dazu sind sich inhaltlich mit Wahlprogrammen zu beschäftigen und die Parteien auch gar nicht mehr wissen welche Überzeugungen ihnen am wichtigsten sind.
Angela Merkel machte aus der Not eine Tugend, indem sie das ganze System auf den Kopf stellte.
Sie wirbt a priori um einen Vertrauensvorschuss ganz ohne Konzeption und lässt das Kanzleramt eine Armada von Meinungsforschern delegieren, die der Kanzlerin zweimal in der Woche sagen, welche Konzepte gerade populär sind, womit man am wenigsten aneckt und das vertritt sie dann eben auch.
Alle anderen Parteien machen es nun genauso. Überzeugungen sind erst mal zweitrangig, Hauptsache man setzt sich immer auf Themen, die am meisten Zuspruch versprechen.

Damit ließen sich die Wähler 12 Jahre einlullen. Merkels Versprechen war es dem verwirrten Volk keine Brachial-Reformen wie ihr Vorgänger zuzumuten, möglichst gar nichts zu ändern und wohligen Mehltau auf die Gesellschaft zu legen.
Bis heute kann keiner sagen was Merkel eigentlich will, aber immer noch mögen viele das „es bleibt alles wie es ist“-Gefühl und hadern dementsprechend nur dann mit ihrer Regierungschefin, wenn sie sich wie im Jahr 2015 mal unvorhersehbar benimmt.

Das hat den kleinen Durchschnittsurnenmichel so nachhaltig verwirrt, daß er selbst auch nicht mehr weiß was er will. Endlich mal was Neues, weil der Merkel-Kurs nicht so weiter gehen kann? Oder doch lieber keine Experimente und bei der CDU das Kreuz machen, wie alles ökonomisch so rosig aussieht?
Sollen es lieber Politikertypen mit Ecken und Kanten sein, die reden wie ihnen der Schnabel gewachsen ist und die sich damit vom Partei-Mainstream abheben?
Oder sind gerade das die Querschüsse, die so furchtbar chaotisch wirken, daß man sich über das Regierungschaos ärgern muss und diszipliniertere Parteien wünscht?

Schwierig.

Die SPD versuchte es im Bundestag mit ultraseriöser Sacharbeit, schluckte um des Koalitionsfriedens willen eine Kröte nach der nächsten, erreichte dafür in ihren Ministerien deutliche Fortschritte und Verbesserungen für das Volk.
Damit fiel sie gründlich auf die Nase, wurde gerade in Bayern brutal abgestraft, weil man die SPD für viel zu angepasst hält. Das Totschlagargument ist die angeblich zunehmende Ununterscheidbarkeit der Koalitionsparteien.

Die CSU setzte auf die diametral gegenteilige Strategie, war stets Sand statt Öl im Groko-Getriebe.
Immer wieder versuchte sie brachial ihre Ansinnen durchzudrücken, nahm fahrlässig ein Ende der Groko in Kauf. Ununterscheidbarkeit mit dem politischen Gegner in der Koalition kann man der CSU wahrlich nicht vorwerfen; sie sagt brutal klar was sie will. Die CSU verhält sich so wie es alle ehemaligen SPD-Wähler und die jetzigen SPD-Linken wünschen: Nicht in erster Linie an das Wohl des Gesamtvolkes denken, sich nicht verbiegen und immer klare Kante zeigen.
Trotz gegenteiliger Strategie erzielte die CSU aber das gleiche Ergebnis wie die SPD: Rekordverluste.

Na logisch, sagten nun fast alle Politanalysten: Die Deutschen mögen keinen Parteienstreit. Sie wollen sachliche, unprätentiöse Regierungspolitik, keine Ego-Shows und weniger Schwanzvergleich.

Diesem Ansinnen passte sich wiederum der Hessische Ministerpräsident an, der einst als schlimmer Wadenbeißer dem radikalsten Rechts-CDUler Roland Koch diente und nun als biederer Landesvater zum Anfassen gilt.
Prognostiziert werden rund 12%-Punkte Minus für die Landes-CDU.

August 2018

Weil das offensichtlich doch zu oberflächlich und nichtssagend war, wie Bouffier auf Hühner-Kinderbimmelbahnen ritt setzte die SPD seit zehn Jahren mit dem strebsamen, fleißigen stets nur sachorientierten Schweigermuttertraum Schäfer-Gümbel dagegen.
TSG war seit 2008 so viel in Hessen unterwegs, daß er nun jeden Grashalm persönlich kennt und zu jedem auch noch so speziellen Thema erschöpfend informiert ist.
Ergebnis: Seriöse Sacharbeit ohne Aufmerksamkeits-Tourette der Stufen Morbus Söderus und Morbus Spahnus wird vom Wähler abgelehnt. Mindestens 10%-Punkte Minus sind der SPD am Sonntag sicher.

Die Grünen hingegen imitieren und übertreffen die SPD im Bund, indem sie sich bis zur absoluten Unkenntlichkeit verbiegen, jedes Grüne Kernanliegen verraten und einer völlig geräuschlosem Liebeskoalition mit der traditionell gefürchteten stramm rechten Hessen-CDU frönen.

[….] Schwarz-Grün regiert so geräuschlos, dass nichts haften bleibt. Die Grünen haben überhaupt kein erkennbares Profil mehr, wie man am Beispiel des Flughafenausbaus sieht. Das wurde einfach ausgeklammert. Oder auch die Rolle, die der Verfassungsschutz bei dem NSU-Mord in Kassel gespielt hat: Das wollte die Landesregierung nicht aufklären. Da ging Ruhe vor Aufklärung. [….]

Das wäre der sichere demoskopische Tod für die SPD.
Die Grünen-Wähler hingegen lieben es offensichtlich und boosten die Partei für genau das Verhalten auf Rekordwerte von gut 20%, das Minimalwerte für die SPD bedeutet.

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