Sonntag, 25. November 2018

Der arme Jens

Rechte und Rechtsradikale haben es im westlichen Parteienspektrum grundsätzlich einfacher als Liberale und Linke.
Es ist immer einfacher gegen etwas zu sein, vorhandene Ressentiments anzustacheln, als konstruktiv für etwas zu werben.
Positive Veränderungen sind immer schwieriger und komplexer als die bloße Ablehnung und das Schreien nach einfachen Lösungen wie „Ausländer raus.“
Zudem ist das rechte Publikum einfacher zu erreichen als das Linke, wie man sehr schön an Donald Trumps Rallys sieht.
Er muss nur die immer gleichen Hass-Parolen grölen – build the wall, Lock her up, Waffen für alle! – und die Massen johlen vor Begeisterung.
Linke sind gebildeter und kritischer, sie lassen sich schlechter mit billigen Parolen und unausgegorenen Forderungen abspeisen.
Daher kommt die Partei „Die Linke“ in Deutschland auch kaum an die 10%, obwohl sie konsequent „Hartz abschaffen“ skandiert. Aber vielen Wählern schwant eben doch, daß die Sache wohl komplizierter ist.
Auf der rechten Seite des Spektrums kommt man mit Inhaltslosigkeit und Appellen an niederste Instinkte viel weiter. Die AfD liegt in Ostdeutschland ganz vorn, obwohl sie gar kein Programm hat und der Parteichef auf alle konkreten Fragen mit offener Ahnungslosigkeit reagiert.
Aber er schürt offensiv Hass. Gegen Zuwanderer, gegen Merkel und gegen frei erfundene Verschwörungen.
Im Zweifelsfall sind die Juden mal wieder Schuld. Kein rechter Blog, der nicht gegen die Juden George Soros und Annetta Kahane agitiert.
AfD-Finanzier Baron von Finck, dessen Vater schon glühender Unterstützer Adolf Hitlers war, schickte seinen Emissär Ernst Knut Stahl, 74, Ge­schäfts­füh­rer der finck­schen Ver­mö­gens­ver­wal­tung und rech­te Hand des ganz rechten Ba­rons, los, um Verleger und Journalisten für die ultrarechten AfD-Werbezeitungen zu rekrutieren.

[…..] Als die drei Her­ren Platz ge­nom­men hat­ten, er­öff­ne­te Stahl das Ge­spräch mit ei­nem Vor­trag über die po­li­ti­sche Lage im Land: »Ge­fahr ist im Ver­zug«, soll Stahl ge­sagt ha­ben. »Es gibt da so ei­nen Stra­ßen­zug in New York, da sit­zen lau­ter In­vest­ment­ban­ker, Rechts­an­wäl­te und so wei­ter. Zu­fäl­li­ger­wei­se al­les Ju­den, aber das tut hier nichts zur Sa­che. Die wol­len Deutsch­land ins Ver­der­ben stür­zen. Die steu­ern al­les. Die Mer­kel und auch Ralf Steg­ner von der SPD.« [….]
(DER SPIEGEL, 24.11.2018)

Die millionenschwere publizistische Hilfe für die AfD zahlte sich schnell aus; dank der von ihm finanzierten Agitation sitzt die AfD nun in allen deutschen Landesparlamenten.

Mit rechter Hetze gewinnt man in Deutschland sehr leicht politische Aufmerksamkeit – auch wenn die Parolen noch so abstrus und verlogen sind.

Auf der Welle versuchte in den letzten Jahren auch der Bundesgesundheitsminister mit zu surfen. Es bot sich quasi an, da seine Parteichefin eins der Haupt-Hassobjekte der Rechten ist, genau diese ohnehin geförderten xenophoben, rassistischen und islamophoben Ressentiments zu verwenden, um sich von Merkel abzusetzen und sich als Gegenpol zu etablieren.
Zeitungen und Talkshows assistierten bereitwillig, indem sie Flüchtlinge immer wieder zum Megapopanzthema aufbliesen und Jens Spahn unablässig einluden, ihm einen roten Teppich ausrollten, ihm Sendezeit darboten.
So wurde der rechte Schwule sehr bekannt und zum ernsthaften Merkel-Widerpart.
Die Methode rechts zu blinken, funktioniert.

Sie hat aber einen Nachteil: Immer gegen Minderheiten zu wettern, Öl ins Feuer zu gießen, lockt zwar Wähler und Medien an, aber sympathisch wird man dadurch nicht. Der soziale Kümmerer-Onkel mag zwar politisch verlacht werden, aber man mag ihn wenigstens. Die kalten Rechten sind hingegen allgemein unsympathisch.

Das erlebt auch Alice Weidel, die es zwar blitzartig zur Oppositionsführerin im Bundestag brachte, die aber niemand als Nachbarin haben möchte – um mit ihrem Co-Vorsitzenden Gauland zu sprechen.


[….] Die Flucht aus Biel!  Arme Frau Weidel. Sie hat ein wirklich schweres Leben. […] Das private und politische Leben von Weidel zeigt durchaus Züge von Selbsthass und Selbstzerstörung. (Vielleicht trägt Sie deswegen soviel Hass und Zerstörungswut in unsere Gesellschaft?). […]
Geld kann jeder einstecken, bei Prügel, Häme und Spott sieht es schon anders aus. Und da hat Weidel ihr wahre Mikro-Größe gezeigt. Ein armseliger Jammerauftritt im Bundestag, pointiert kommentiert in einem bereits jetzt historischen Satz der Ewigen Kanzlerin.
Und dann erst die Freude in Biel, da freut man sich doch gleich mit. Weidel ergreift die Flucht, auf den Spuren des Spendengeldes, und flieht nach Berlin. […]

Jens Spahn sitzt in derselben Falle.
Vielen in CDU und rechts davon gefiel es, wie er immer und immer wieder Merkel piesackte und Stimmung gegen Flüchtlinge machte.
Er wurde von rechten Publizisten hofiert und erfuhr viel Unterstützung von den klassischen CDU-Gruppierungen wie der MIT.


Die Methode „Ich gegen Merkel“ beeindruckte durch seine Chuzpe und seine Jugendlichkeit.
Als Merkel tatsächlich ankündigte nach 18 Jahren nicht mehr für den CDU-Parteivorsitz zu kandidieren, glaubt Spahn sich am Ziel.
Die Partei hatte er schon gedanklich im Sack, wähnte sich in absehbarer Zeit im Kanzleramt.
Blöd war dann die Kandidatur vom Merz und Kramp-Karrenbauer.
Fassungslos muss Spahn mitansehen, wie seine treuesten Förderer in der CDU – Schäuble, Koch – zu Merz überlaufen.


Er kann es nicht fassen, aber nun liegt er abgeschlagen hinter seinen beiden Mitbewerbern.
Spahn vermochte es nicht politische Unterstützung von persönlicher Sympathie zu unterscheiden. Er dachte offensichtlich, die parteiinternen rechten Merkel-Hasser würden ihn mögen und ihn daher schon aus freundschaftlicher Verbundenheit gegen Merz und AKK in Schutz nehmen.
Aber weit gefehlt. Jens Spahn ist nicht nur allgemein unbeliebt, sondern auch in der CDU mag man ihn nicht.

[…] Am schlimms­ten ist, dass sich sei­ne Un­ter­stüt­zer fast aus­nahms­los von ihm ab­ge­wen­det ha­ben. Die Jun­gen, der Wirt­schafts­flü­gel, die Kon­ser­va­ti­ven, sie alle sind jetzt bei Merz. […]  Er tut gar nicht erst so, als lie­fe al­les su­per. Statt auf­zu­ho­len, muss­te er wei­te­re Nie­der­la­gen ein­ste­cken. Die Wo­che lief, man kann es nicht an­ders sa­gen, be­schis­sen für ihn.

Am Mon­tag war Spahn zu­sam­men mit sei­nen Kon­kur­ren­ten im Bun­des­vor­stand der CDU-Mit­tel­stands­ver­ei­ni­gung (MIT). Spahn sitzt im Prä­si­di­um der MIT, der Vor­sit­zen­de Cars­ten Lin­ne­mann ist sein Freund. Lin­ne­mann hat­te ihm zu­ge­sagt, dass es kei­ne Wahl­emp­feh­lung der Mit­tel­stands­ver­ei­ni­gung ge­ben wer­de.
Spahn streng­te sich an, er re­de­te die Vor­stands­mit­glie­der mit Vor­na­men an, er er­in­ner­te an ge­mein­sa­me Ver­an­stal­tun­gen. Am Ende wa­ren von den rund 50 Vor­stands­mit­glie­dern nach Ein­schät­zung von Teil­neh­mern etwa 3 für Kramp-Kar­ren­bau­er, der Rest war für Merz.
Eine for­ma­le Ab­stim­mung konn­te Lin­ne­mann noch ver­hin­dern, eine Er­klä­rung nicht. Dort heißt es nun: »Mit gro­ßer Mehr­heit un­ter­stützt der MIT-Bun­des­vor­stand Fried­rich Merz als neu­en Vor­sit­zen­den der CDU Deutsch­lands.«
Wie Gary Co­oper im Wes­tern »12 Uhr mit­tags« ist Spahn von Freund zu Freund ge­lau­fen und hat um Un­ter­stüt­zung ge­be­ten. Übe­r­all ha­ben sie ihn ab­ge­wie­sen. [….]


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