Das war immer anstrengend, als wir noch kleine Kinder waren
und diese herkömmlichen Familienurlaube machten: Irgendwo hinfliegen,
irgendeine Unterkunft und ein Auto mieten und damit umherfahren.
Das Problem war, daß natürlich mein Vater am Steuer saß und
meine Mutter ob seiner Fahrweise tausend Tode starb.
Wir erklärten es uns
so, daß er in den USA nur auf dem Land mit endlosen breiten gerade Straßen ohne
Verkehr gefahren war. Mit Automatik-Getriebe. Später in New York hatte er kein
Auto – wie die meisten Bürger Manhattans.
Kleine winkelige sich mäandernde Straßen mit enorm viel
Verkehr, Serpentinen, Schaltgetriebe und das alles ohne
Geschwindigkeitsbegrenzung war da schon eine andere Nummer.
Ich erinnere mich insbesondere an einen Sommer in Irland, weil
mein Vater nicht in der Lage war sich an den Linksverkehr anzupassen und nach
jeder Kreuzung auf der falschen Spur landete. Mein Bruder und ich waren schon
heiser, weil wir vom Rücksitz ständig „drive left!“ krähten.
Jahrzehnte später fragte ich meine Mutter wieso sie sich das
eigentlich bieten ließ. Denn groteskerweise war sie im Gegensatz zu ihm eine
ausgezeichnete Autofahrerin. Sie war schon mit Anfang 20 Jahrelang im Käfer durch Südeuropa, den Nahen Osten und
den Maghreb gefahren.
‚Kind, wie haben uns Anfang der 60er kennengelernt und er
war doch der Mann, also musste er auch fahren‘ war ihre Antwort. Es war eben
so. Mein Vater stammte aus der US-amerikanischen Macho-Kultur und war von
seiner Mutter als kleiner Prinz erzogen worden.
Er war dafür sehr liberal. Sonst wäre er schließlich nicht
durch Europa gereist und meine Mutter erkannte es auch immer an, daß er sich
nie darum drückte die Babys zu wickeln oder uns umher zu schleppen.
Das war zu der Zeit durchaus noch ungewöhnlich für Männer.
Aber Kochen war Frauensache, Autofahren Männersache.
Wieso waren meine Mutter und ihre Schwestern ausgezeichnete
Autofahrerinnen?
Dafür muss ich zwei Generationen zurückgreifen. Mein Uropa
Wilhelm, geboren 1850 war ein Freigeist, der auch schon viel reiste und sich
für Technik begeisterte. Er hatte eins der ersten Autos und er war stolz darauf
seinen Töchtern fahren beizubringen.
Meine Oma, die auch noch im 19. Jahrhundert geboren wurde,
lernte während des ersten Weltkrieges fahren und war sehr traurig, als das Auto
von der Wehrmacht eingezogen wurde.
In den 1920ern hatte sie aber wieder eins; ein Cabrio mit
einem kleinen ausklappbaren Notsitz, in den meine Tante (*1921) und mein zwei
Jahre jüngerer Onkel gesetzt wurden, wenn Oma zum Einkaufen fuhr.
Sie war auffällig wie ein bunter Hund mit dem Auto und den
kleinen Gören hinten im Notsitz, aber ganz offensichtlich selbstbewußt genug,
um sich nicht irritieren zu lassen. Mein Opa (*1889) war ebenfalls ein Kind
seiner Zeit. Daß seine Töchter in seiner Firma mitarbeiten könnten oder gar als
Erbinnen in Frage kämen, war außerhalb seiner Vorstellungskraft. Die Mädchen
sollten Hauswirtschaft lernen und er suchte einen passenden Ehemann unter den
Kindern seiner Geschäftsfreunde aus.
Funktioniert hat das allerdings nicht. Meine Tante und
später meine Mutter warfen die von ihrem Vater offerierten Verlobten empört
hinaus und suchten sich beide selbst einen Ehemann. In beiden Fällen jemand,
der so gar nicht den Vorstellungen meines Opas entsprach. Künstler, Ausländern,
arm, unregelmäßiges Einkommen.
Aber mein Opa liebte seine Ehefrau und hatte sie sich
schließlich ausgesucht. Offenbar gefiel ihm ihr Selbstbewußtsein und
tatsächlich überließ er meiner Oma das Steuer und amüsierte sich über die
abfälligen Blicke der Passanten, wenn sie ihn auf dem Beifahrersitz und die
Frau am Steuer sahen.
Die Toleranz der Menschen
seiner Alterskohorte hatte Grenzen; vermutlich hätte er nie einen
schwulen Sohn akzeptiert.
Aber er war doch seiner Zeit so weit voraus, daß seine
Töchter nicht nur Autofahren lernten, sondern er sich alle Mühe gab die letzten
Groschen zusammen zu kratzen, damit sie auch einen klapprigen alten Käfer
bekamen und mit seinem Segen loszogen, um sich die Welt anzusehen.
Ja, meine Oma konnte wirklich ausgezeichnet Autofahren,
hatte sicher Talent und Selbstbewußtsein dafür. Aber ehrlicherweise hätte das
allein nicht ausgereicht. Sie hatte zudem das Glück erst einen Vater, dann
einen Ehemann zu haben, der ihr diese Freiheit ließ.
Wie ich in diesem Blog schon 100 mal erwähnte, verehre ich die
Autorin, Zeit-Herausgeberin, Hamburger Ehrenbürgerin, Trägerin des
Theodor-Heuss-Preises, des Four Freedoms Awards, des Friedenspreis des
Deutschen Buchhandels, des Heinrich-Heine-Preises, die Ehrensenatorin der
Universität Hamburg, das Mitglied der American Academy of Arts and Sciences und
bis ins höchste Alter passionierte Porsche-Fahrerin Marion Gräfin Dönhoff (1909-2002)
über alle Maßen.
Ich halte sie für einen der weltweit größten Geister des
20.Jahrhunderts.
Sie hat das alles aus eigener Kraft erreicht und ihren
eigenen Fähigkeiten zu verdanken.
Aber es kommen zwei Aspekte dazu. Sie erreichte so viel,
obwohl sie eine Frau war, weil
1.) Auch
ihr die Umstände zu Gute kamen. Ihr Vater war liberal und sie stieg in den
1930ern zur Verwalterin der gewaltigen Dönhoff-Güter, des Schlosses
Friedrichstein und des Gutes Quittanien auf, weil die Männer der Familie tot oder
im Krieg waren.
2.) Sie
sich de facto wie ein Mann benahm. Sie bekam keine Kinder, verschrieb sich
vollkommen der Karriere, heiratete nie und war das Gegenteil aller
Eigenschaften, die man damals negativ den Frauen zuschrieb: Emotional,
unzuverlässig, Irrational.
Natürlich will ich meine Familie nicht mit den großen
Dönhoffs vergleichen, aber ich behaupte, daß die (wenigen) Frauen, die sich
schon vor über 100 Jahren in vermeidlichen Männerdomänen durchsetzen,
wenigstens ein bißchen Toleranz in ihrem engeren Umfeld brauchten.
Im Jahr 2020 kann es anders als zu den Zeiten als meine Oma
Autofahren lernte keine Zweifel mehr daran geben, daß Frauen für genauso
qualifiziert sind Busfahrerin, Ärztin, Generalin, DAX-Chefin oder
Bundeskanzlerin zu werden wie Männer.
Erstaunlich ist viel mehr, daß Frauen nach so langer Zeit
immer noch an vielen Positionen so unterrepräsentiert sind.
Ganz Bibliotheken sind über die Ursachen dafür geschrieben
worden; daher will ich das nicht alles nacherzählen, sondern mich auf den
Aspekt des Autofahren konzentrieren.
Der wer kennt nicht das Klischee von den Frauen, die nicht
Auto fahren und insbesondere nicht einparken können?
Ich habe mich ob der geschilderten Fahrkünste meines Vaters
sehr amüsiert, wenn er mal abfällig äußerte „typisch Frau am Steuer“, wenn
jemand nicht einparken konnte.
Eine andere seiner Erkenntnisse war, daß Frauen in Hamburg
deswegen bevorzugt riesige SUVs fahren, weil sie nicht eben nicht Auto fahren
könnten. Das mache sie so unsicher, daß sie sich in einem so gewaltigen
Panzer-artigen Wagen einfach besser fühlten. Ich ließ ihn in dem Glauben, ob
wohl ich ihm hätte widersprechen sollen. Aber es war so unfreiwillig komisch
diese Bemerkungen ausgerechnet von dem schlechtesten Autofahrer, den ich kenne
zu hören.
Aber mein Vater konnte als Künstler sehr gut
beobachten. Immer wieder staunte ich
welche Details er wahrnahm mit seinem geschulten Auge.
Bei der Fußball-WM 2006 in Deutschland erklärte er mir „nur
Frauen haben Fennschn“ am Auto. Ein typischer Spruch meines Vaters, dachte ich
zuerst. Aber dann fing ich an systematisch nach FÄHNCHEN (Fennschn in der Aussprache meines Vaters) an Autos zu gucken und
die mit dem Geschlecht des Fahrers abzugleichen.
Und potzblitz, es stimmte.
95% der schwarzrotgold-beflaggten Autos wurden von Frauen
gefahren.
(Ausnahme Geschäftswagen von zB Handwerkern).
Konnte das sein?
Klischees und Vorurteile bestätigen sich üblicherweise durch
selektive Wahrnehmung.
Man bemerkt also nur die Fälle, die ins eigene Vorurteil
passen.
Ein xenophober Mensch, der neunmal nacheinander auf sehr
höfliche Dunkelhäutige trifft, wird seine Meinung nicht ändern, aber wenn die
Zehnte zufällig unhöflich ist, wird er sagen: „Typisch Ausländer!“
Wer also glaubt, Frauen könnten nicht einparken, bemerkt
nicht die 99 Frauen, die perfekt einparken, sondern beißt sich an der einen
fest, die Dutzende mal rangiert, bis sie irgendwann senkrecht zur Parklücke
steht.
Um nicht diesem Effekt anheim zu fallen, habe ich versucht
im Straßenverkehr während der unsäglichen internationalen Sportveranstaltungen,
die zur Autobeflaggung führen systematisch auf jedes Fahrzeug zu achten und ich
meine, es stimmt: Frauen tun das; Männer eher nicht.
Ich erkläre mir das mit der bizarren fetisch-artigen
Beziehung vieler Männer zu ihrem Auto. Es soll nicht verunstaltet werden,
während Frauen eher den praktischen Wert des Autos sehen und dazu neigen Dinge
zu dekorieren (um gleich drei weitere Geschlechterklischees zu bemühen).
Über die Jahre habe ich viele Freunde auf diesen
Zusammenhang hingewiesen und erbeten selbst drauf zu achten. Ich wurde
ausschließlich bestätigt.
Inzwischen habe ich neben des
Frauen-Fähnchen- (1) und des Frauen-Einparken-Klischees (2) drei weitere
Autofahrer-Eigenschaften detektiert, die offenbar auf dem XX-Chromosomenpaar
liegen:
3) Hamburg ist deutsche Cabrio-Hauptstadt. Sobald es über zehn Grad und sonnig ist, fahren die Hamburger oben ohne. Das gilt für Frauen und Männer als Fahrer. Aber wenn ein gegengeschlechtliches Pärchen Cabrio fährt, sitzt in 99% der Fälle der Mann am Steuer und die Frau spielt auf dem Beifahrersitz mit dem Handy.
3) Hamburg ist deutsche Cabrio-Hauptstadt. Sobald es über zehn Grad und sonnig ist, fahren die Hamburger oben ohne. Das gilt für Frauen und Männer als Fahrer. Aber wenn ein gegengeschlechtliches Pärchen Cabrio fährt, sitzt in 99% der Fälle der Mann am Steuer und die Frau spielt auf dem Beifahrersitz mit dem Handy.
4) Schlaglöcher. In vielen
kleinen Straßen gibt es so heftige Straßenschäden, daß man sie schon vorher
erkennen kann. Daher sieht man gelegentlich, daß der vor einem fahrende Wagen urplötzlich
kurz ausschert, um zu vermeiden genau durch das Schlagloch zu fahren –
mußmaßlich um die Reifen zu schonen. Ich behaupte 99% dieser Ausweicher sind
Männer. Frauen am Steuer brettern ungerührt genau durch die Schlaglöcher.
5) Enge, zugeparkte Straßen mit
Gegenverkehr. Es gibt auch mehr und mehr fest installierte „Schikanen“, also
künstliche Fahrbahnverengungen, die verhindern, daß zwei Autos aneinander
vorbei fahren. Ich konnte keinen geschlechterspezifischen Unterschied bei der
Bereitschaft zur Seite zu steuern, um erst mal den Entgegenkommenden
durchzulassen erkennen.
Das ist eher eine Frage der
Automarke und des Fahrzeugwertes. Große Mercedesse lassen einen nie vor, je
kleiner und billiger das Fabrikat, desto höflicher der Fahrer. Aber wenn ich derjenige
bin, der den Entgegenkommenden erst fahren lässt sind 99% der Derjenigen, die
sich mit einer Höflichkeitsgeste (Hand heben) bedanken Männer. Frauen tun das
nie.
Ich schließe aus den Beobachtungen, daß Frauen immer noch
nicht von ihrer Umwelt so selbstverständlich als Autofahrerinnen, bzw
Autokennerinnen angesehen werden wie Männer.
Kann das sein im Jahr 2020????
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