Donnerstag, 23. Juli 2020

Kostspielige Signale


Das „Signaling“ ist ein Begriff aus der Verhaltensbiologie und spielt eine erhebliche Rolle bei der Kommunikation der Tiere untereinander.
Schließlich muss dem Artgenossen nonverbal eindeutig mitgeteilt werden, was man gerade will – fressen, streiten, kopulieren, in Ruhe gelassen werden, warnen.

Es ist sehr kompliziert zu verstehen, wie ehrlich solche Kommunikations-Signale sind. Jeder kennt Beispiele für falsche Signale, bei denen Tiere etwas vortäuschen, das sie nicht sind. Zum Beispiel Schmetterlinge, deren Zeichnung auf den Flügeln wie große bedrohliche Augen wirkt, oder harmlose Schlangen, die mit drastischen Warnfarben enorme Giftigkeit signalisieren.

Um die Ehrlichkeit zu unterstreichen gibt es Handicap-Signale, die ganz offensichtlich mit einem großen Aufwand oder Nachteil verbunden sind, so daß sie nur angewendet werden, wenn sie wirklich ehrlich sind.

[…..] Die großen, farbenfrohen sexuellen Darstellungen von Pfauen und anderen Vögeln, mit denen männliche Tiere weibliche Artgenossen anziehen, werden häufig als Beispiele für das Handicap-Prinzip angeführt. Ab 1975 argumentierte Amotz Zahavi, dass solche auffälligen Darstellungen „ehrliche“ Indikatoren für die genetische Qualität von Männern sind, weil ihre Herstellung kostspielig ist und minderwertige Männer sich den damit verbundenen Aufwand nicht leisten könnten. Nach dem Handicap-Prinzip entstehen auffällige Signale, weil sie kostspielig sind und nicht trotz ihrer Kosten, wie bei anderen Merkmalen. Diese Idee war zunächst sehr umstritten – aber dann änderte sich alles.
1990 veröffentlichte Alan Grafen zwei Arbeiten mit mathematischen Modellen des „Strategic Choice Signaling“, die er als Bestätigung des Handicap-Prinzips interpretierte. Seine Schlussfolgerungen wurden weithin akzeptiert, auch von früheren Kritikern Zahavis. Seitdem hat sich das Handicap-Prinzip als allgemeines Prinzip, das die Entwicklung zuverlässiger Signale erklärt, durchgesetzt und wird als solches auch in Lehrbüchern zitiert.
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Inzwischen scheint diese Theorie aber auch wieder überholt und da ich kein Verhaltensbiologe bin, möchte ich nicht tief in die Materie einsteigen.
Ich war noch nie Pfau oder unechte Korallenschlange, aber das Prinzip der „kostspieligen Signale“ ist mir aus der jahrzehntelangen Betrachtung von Religionen und Kulten wohl bekannt.

Man unterstreicht seine Zugehörigkeit zu einer Sekte, indem man etwas sehr „kostspieliges“ opfert. Das kann mit großem Aufwand, Schmerzen, Enthaltsamkeit oder aber auch ganz profan finanziellen Opfern verbunden sein.

Ein Guru/Priester/Cult-Leader wäre für seine Jünger weniger überzeugend, wenn er seine Lehre anstrengungslos verträte.
Es wäre schließlich nichts Besonderes Katholik zu sein, wenn man masturbieren, verhüten und sonntags ausschlafen könnte wie alle anderen auch.
Man muss dem Kult diese Anstrengung opfern, um die anderen Gläubigen zu signalisieren dazu zu gehören. Nur so stellt sich das Gefühl der Exklusivität ein.
Und das ist schließlich der Kern eines jeden religiösen Kultes: Wir sind besser als die.
Daraus speist sich das wohlige Gefühl mehr als die anderen zu dürfen, mehr wert zu sein, im Recht zu sein, nicht zweifeln zu müssen.
Die religiösen Führer müssen noch mehr als gewöhnliche Mitglieder opfern, um glaubhaft zu sein.
Daher gibt es den katholischen Zölibat, daher sitzen Gurus auf Nadelbrettern, fasten Imame  - ganz zu schweigen von den 613 Mizwot-Regeln der Juden.

[…..] Heute  gibt  es  keine  Menschenpopulation,  in  deren  Mitte  nicht  kostspieliges, religiöses Verhalten auftritt. Neuere interdisziplinäre   Forschungen, beispielsweise im Rahmen des Netzwerks der Evolutionary Religious Studies, haben in den letzten Jahren ein völlig neues Bild der   konvergenten und „biologischen“ Emergenz  von  Religiosität  entstehen  lassen. Der gemeinsame Glaube an übernatürliche  Akteure, die soziales  und insbesondere sexuelles Verhalten beobachtend, belohnend und bestrafend geglaubt werden, stiftet unter den Glaubenden Vertrauen und  damit  Kooperationschancen. Die Einforderung kostspieliger Signale (wie  Rituale, Ge- und Verbote) wehrt  Trittbrettfahrer ab. […..] Im Zentrum der  religiösen Vergemeinschaftung steht dabei neben dem Überleben  insbesondere die Reproduktion. […..]

Es ging ursprünglich um biologische Grundtriebe wie Fortpflanzung und Fressen, bei denen die Zugehörig zu einem Kult helfen kann.
Heutige Gläubige wählen gern für Außenstehende besonders absurd und anstrengende, jedenfalls aber sinnlose Beweise für ihre Treue zum Kult. Pilgerfahrten, die Hadsch, Geißelungen, Bußgürtel und Fasten sind Beispiele für kostspielige Signale.
Schon seit Beginn seiner Amtszeit sehe ich Trump-Anhänger weniger als politische Gruppe, denn als Kult an.

[…..] Es macht keinen Sinn sich wie die Anhänger des Opus Dei selbst zu geißeln, sich die Neunschwänzige zum Gefallen Gottes auf den Rücken zu knallen, einen Bußgürtel mit nach innen gerichteten rostigen Stacheln zu tragen, auf Knien tagelang zur Fatima in Portugal zu rutschen, oder auf Knien die unzähligen Stufen zur Schwarzen Madonna von Częstochowa (Tschenstochau) hochzukraxeln. Vier Millionen Katholiken tun es aber dennoch jedes Jahr, weil sie damit in ihrer Gemeinschaft beweisen welche Strapazen sie für den Glauben auf sich nehmen.
In Manila lassen sich Katholiken sogar mit echten Nägeln zu Ostern an ein Kreuz nageln, um Jesus zu ehren.
Derlei Leidensbeweise gibt es in allen Religionen.

Schiiten fügen sich blutige Verletzungen durch Peitschen und Säbel zu, um ihre Zugehörigkeit zum Kult zu demonstrieren. Erst wenn alle blutig sind hören sie auf.

Trumps aberwitzige Lügen zu glauben, ihn kollektiv anzufeuern, auf seinen Rallys in einen Massenwahn zu geraten folgt dem gleichen psychologischen Prinzip.

[…..] Das Si­gnal der kost­spie­li­gen Hin­ga­be schafft ei­nen star­ken Zu­sam­men­halt. Es er­mög­licht Frem­den der glei­chen Fik­ti­ons­ge­mein­schaft, ein­an­der mit Ver­trau­en zu be­geg­nen; und es hält Tritt­brett­fah­rer fern, die nichts bei­tra­gen und im Zwei­fels­fall schnell wie­der weg sind. Un­ter güns­ti­gen Um­stän­den kön­nen auf die­se Wei­se gro­ße ver­schwo­re­ne Grup­pen her­an­wach­sen – und die ge­teil­te Fik­ti­on wird zur his­to­ri­schen Macht.
Da­von pro­fi­tie­ren nicht nur Re­li­gio­nen, son­dern in glei­chem Maß po­li­ti­sche Sek­ten. Denn auch die Be­reit­schaft, ge­gen jede Evi­denz zu lü­gen, ist ein fäl­schungs­si­che­res Si­gnal der Hin­ga­be – je kras­ser, des­to bes­ser.
Ab­sur­de Ge­schich­ten sind in der An­hän­ger­schaft im­mer ge­fragt, und sie ver­brei­ten sich auch noch be­son­ders gut. Das ist kein Zu­fall. Das Un­glaub­li­che er­staunt, es bleibt leicht hän­gen – bes­ter Er­zähl­stoff, so­lan­ge es noch ir­gend­wie stim­mig scheint.
[…..]
(SPIEGEL Nr. 50, 08.12.2018, s.108 ff)

So wenig man einen überzeugten Christen/Juden/Muslimen mit wissenschaftlichen Fakten und klaren Beweisen dazu bringen kann sich aus seiner andere extrem exkludierenden Fiktionsgemeinschaft zu lösen, so sehr ist es auch zum Scheitern verurteilt Impfgegner, Homöopathie-Anhänger, Aldebaraner-Jünger, Soros-Verteuflern, Gauland-Fans oder Trump-Wählern von ihrem offensichtlichen Irrsinn abzubringen. Wer sich die „Beweise“ für eine gefakte Mondlandung oder eine Unterwanderung durch extra-terrestrische Reptilien einmal als Beitrittsgeschenk zu einer Hassgruppe verinnerlicht hat, bleibt auch dabei, weil er die Sphäre des Realen für seinen Glauben verlassen hat. [….]

Mit jedem Monat im Amt wird Trump bizarrer und unglaubwürdiger, so daß die Zugehörigkeit zu ihm kostspieliger wird und der Zusammenhalt nur noch größer wird.


Während wir normalen Menschen fassungslos vor dem Bildschirm sitzen und seit Tagen staunen, wie Trump damit prahlt einen Demenz-Test überstanden zu haben, elektrisiert der Irrsinn seine Basis.

(……) Wer aber dem cult-leader Trump verfallen ist, wird grundsätzlich nicht von rationalen Erwägungen getrieben.
Es ist eher ein psychologisches Zusammenwirken. Die Jünger haben sich einmal dem Propheten verschrieben, weil sie den Hass auf dieselben Menschen teilen und sich tief im Inneren befriedigt fühlen, wenn ihr Leader diese bisher vom Über-Ich blockierten Dämonen frei hinaus-ejakuliert.
Das schafft eine starke gefühlige Verbindung; eine Solidarisierung unter Bösen.
Man sitzt nun in einem Boot und empfindet fürderhin alle Angriffe von außen auf den Cult-Leader als Angriff auf sich selbst.
Bei jeder Meldung aus anderen Informationsblasen, nach denen Trump gefehlt hat, gehen seine niederen Drohen automatisch in Verteidigungshaltung, bilden eine Wall.
Einem CNN-Anchor, der von kriminellen Machenschaften des Anführers berichtet, kann man schon deswegen nicht glauben, weil das Verrat an den Glaubensbrüdern wäre, die mit einem zusammen den Abwehr-Wall bilden.

Sehr ähnlich ist es mit religiösen Gemeinschaften.
Myriadenfach haben katholische Geistliche kleine Kinder sexuell missbraucht, sie gequält, sadistisch verprügelt, viele in den Selbstmord getrieben und bei noch viel mehr Kindern schwere, ein Leben lang anhaltenden psychische Störungen verursacht.
Für die RKK ist das geradezu ein Geschäftsmodell, denn gequälte und beschädigte Seelen fühlen Schuld und glauben den Schutz der Geistlichen zu benötigen.
Daher ist es auch so ideal Masturbation und nahezu alle sexuellen Aktivitäten – mal ganz abgesehen von homosexuellen Handlungen – als Sünde zu brandmarken. Denn nahezu jeder Gläubige verspürt irgendwann einmal sexuelle Triebe. Genau dann, wenn kleine Jungs anfangen zu pubertieren und zu onanieren, erfolgt die Kommunion und damit auch die erste Beichte, so daß den zukünftigen Erwachsenen a priori ein schlechtes Gewissen anerzogen wird.

Wer Sex und Masturbation völlig frei von Schuldgefühlen ausübt, ist umgekehrt ein schlechter Kunde der RKK. (….)

Das Prinzip der kostspieligen Signale trifft natürlich auch auf verwandte verschwörungstheoretische Kulte, wie den QAnon-Wahn zu.
Während sich frühere Verschwörungstheoretiker, wie beispielsweise diejenigen, die 9/11 für eine Tat der amerikanischen Regierung halten und die Mondlandung bezweifeln noch umständlich pseudowissenschaftliche Theorien geschliffen werden mussten, sind die Verschwörungs-Spinner des social-media-Zeitalters der Realität vollständig entkoppelt.
Alle Brücken zu Realität und Logik sind bei Hildmann-Naidoo-QAnon abgebrochen.
Daher spielt es auch keine Rolle mehr wenn Q-Prophezeiungen nicht eintreten oder Trump sich massiv selbst widerspricht.
Im Gegenteil; das ist geradezu hilfreich für den Zusammenhalt der Gläubigen, da die Signale noch kostspieliger werden. Man muss schon sehr überzeugt sein, um den Schwachsinn mitzumachen.

 [……]  Wer an die große Konspiration glaubt, muss also an der Faktenlage gar nicht übermäßig interessiert sein. Entscheidend ist das dumpfe Gefühl, irgendwie von erzbösen Drahtziehern hintergangen zu werden. Wie die das anstellen, ist nicht so wichtig. Was zählt, ist der Grundverdacht, der laut dem amerikanischen Politikwissenschaftler Michael Barkun alle Verschwörungstheorien umtreibt: Nichts ist, wie es scheint.
Bei QAnon geht es nun um nicht weniger als die Apokalypse, da kommt es erst recht nicht auf Details an. [……] Die QAnon-Anhänger glaubten an "eine Verschwörung von fast unbeschreiblicher Verworrenheit", schreiben zwei amerikanische Politologen, Russell Muirhead und Nancy Rosenblum. Es gebe keine Brücke mehr zwischen den Anhängern und dem Rest der Welt, wo noch Fakten zählen.
Tatsächlich gelten in der Parallelwelt der Gläubigen Dinge als plausibel, die Außenstehenden völlig närrisch erscheinen. Den Leuten von QAnon hingegen kommt ihre bizarre Erzählung rundum stimmig vor, das ist ihnen Beweis genug. [……] Aber wie immer, wenn es um Glaubenssysteme geht, kommt es nicht auf Sinn und Logik an. QAnon bietet vor allem ein starkes Gemeinschaftserlebnis, wie es für Sekten typisch ist. Nicht von ungefähr lautet der Leitspruch der Bewegung "Where we go one we go all", kurz WWG1WGA. Frei übersetzt heißt das: einer für alle, alle für einen.
Wie die Geschichte der Religionen zeigt, sind Gemeinschaften, die ihren Mitgliedern eine Menge abverlangen, oft besonders erfolgreich und langlebig. Das hat der amerikanische Anthropologe Richard Sosis nachgewiesen. Ein Glaube, der Überwindung kostet, stärkt den Zusammenhalt – egal ob die Anhänger umständliche Fastenregeln befolgen oder, wie die Katholiken im Mittelalter, mehrstündige lateinische Messen durchstehen.
In jedem Fall gilt: Mitläufer, die nichts beitragen, werden abgeschreckt. Nur die wahrhaft Gläubigen nehmen solche unsinnigen Zumutungen auf sich. Damit beweisen sie einander, dass sie es ernst meinen mit der Gruppe. Religionsforscher sprechen von "kostspieligen Signalen".
Auch der Glaube an Unglaubliches selbst kann ein kostspieliges Signal sein; je krasser, desto stärker der Effekt. Wer aberwitzige Überzeugungen vertritt, die den Verstand beleidigen, bezahlt einen hohen Preis. Menschen, die ihn kennen, wenden sich ab, er macht sich zum Gespött – alles um der Gruppe willen. [……]
(Manfred Dworschak, SPIEGEL Nr 30/ 18.07.2020, s.108)

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