Samstag, 15. August 2020

Betrachtungen über die Elternschaft


Heute sind 30 Tage FB-Knast vorbei. Ich war ein böser Junge!
Ich habe ein Trump-kritisches Bild meiner Instagram-Story auch auf FB geteilt.
Das geht natürlich nicht! Blasphemie und Majestätsbeleidigung war das. Schande über mich und ER LEBE HOCH, der beste, am wenigsten rassistische, schönste, schlauste, liebevollste, höflichste, bescheidenste und stabilstgenialste Präsident der ganzen Welt und aller Zeiten! Nur um das mal klarzustellen.

Natürlich konnte ich alle Online-Medien dennoch verfolgen und die klugen Meinungsäußerungen dazu lesen.
Ein bißchen hatte ich aber ehrlich gesagt doch das Aufschaukeln der Meinungen in den Gruppenblasen vermisst. Zum Glück konnte ich gleich wieder eine dieser typisch inzestuös-autoaggressiven

Da hatte eine junge Frau doch in einer monothematischen 20.000-Mitgliederstarken Gruppe ein ungeheuerliches Bekenntnis über sich selbst gepostet. Sie wäre a) Single, b) kinderlos und c) glücklich darüber.

Als Antinatalist faszinieren mich die darauf unweigerlich folgenden Empörungsspiralen.
Zunächst gab es als Kommentare ein paar traurige Selbstbekenntnisse auch Single zu sein, allerdings ein Unglücklicher, der auf der Suche nach einem Partner wäre. Hinzu kamen einige alleinerziehende Depressive, die beklagten wie schwierig es sei ihr Kind ohne Hilfe zu umsorgen, aber, so versicherten alle, wie das Amen in der Kirche; sie liebten ihre Brut gar sehr.
Hinzu kamen sogar vereinzelte Stimmen von Müttern, die enthusiastisch von ihrer/m/n Sohn/Söhnen/Tochter/Töchter schwärmten und damit zufrieden wären, keinen Mann an ihrer Seite vermissten.
Schon da fiel mir der tautologische Touch auf. Niemand schreibt in dem Zusammenhang sachlich von „Sohn“ oder „Tochter“, sondern garniert das automatisch mit redundanten Informationen, wie „11 Wochen alte“ oder „wunderschöne“ bis hin zu „die ich sehr liebe“.
Das brachte nun die Väter auf den Plan, die mit mahnendem Zeigefinger ausführten, diejenigen, die keine Kinder hätten, könnten gar nicht beurteilen wie glücklich Kinder machten und wie wundervoll es wäre Eltern zu sein.

So eine Äußerung soll natürlich als Todschlagargument fungieren: Wer keine Kinder hat, darf demnach gar nicht mitreden, weil er den Sachverhalt ohnehin nicht beurteilen kann.

Das hat schon eine religiöse Komponente. Der Gläubige spricht dem Atheisten auch in der Regel ab überhaupt über Glauben sprechen zu dürfen, weil er prinzipiell im Irrtum sei. Extra Ecclesiam Nulla Salus.

Ganz vereinzelt meldeten sich aber weitere Mitleserinnen zu Wort, die ebenfalls bekannten keine Kinder zu wollen.
 Inzwischen war ich so getriggert, daß ich begann ebenfalls ein Statement zu schreiben. Allerdings konnte ich es nicht mehr absetzen, da der Thread dermaßen in gegenseitige Beschimpfungen eskalierte, daß er vom Moderator gelöscht wurde.

Der totale Stopp der Diskussion war gerechtfertigt, da auch nach meiner Erfahrung bei dem Thema in großen Gruppen keine Sachlichkeit walten kann.
Viele Menschen betrachten ihre eigenen Kinder letztendlich als ihre Existenzberechtigung und flippen daher erwartungsgemäß aus, wenn jemand ihnen indirekt diesen Boden entzieht, indem er behauptet ohne Kinder glücklich zu sein.
Die Argumente werden dann augenblicklich irrational und gipfeln mit Liebesbekenntnissen zu dem eigenem Nachwuchs. Nichts sei so stark wie das Band zwischen Mutter und Kind, kein Kinderloser könne das Glück ein Kind zu haben begreifen.
Jeder Widerspruch an diesem Punkt der Diskussion wird als Infragestellung der Liebe zum Kind aufgefasst und führt zu wütenden Reaktionen.
Dabei ist es wahrscheinlich simple Genetik. Jeder liebt sein Kind. (Jeder bis auf wenige Ausnahmen). Jede Mutter bewundert die ersten Schritte und Worte ihres Babys wie ein Weltwunder, hält ihr Kind für das Klügste und Schönste in der Schulklasse. Das ist normal und biologisch notwendig. So gut wie niemand wir rational rankend antworten „nun ja, mein Kind ist so mittelmäßig attraktiv, eher dumm und nicht besonders liebenswert“. Zum Glück, denn es wäre eine brutale Bürde für ein Kind mit vollkommen rationalen Eltern aufzuwachsen.
Selbst rationale Eltern sind in diesem Punkt irrational und gegen augenzwinkernd zu „ich weiß, jede Mutter hält IHR Kind für das Schönste, aber meins ist wirklich das schönste“.
Als Antinatalist wäre ich sicher auch nicht frei von diesen Gefühlen.
Bekäme ich durch irrwitzige Umstände doch ein Kind, würde ich es selbstverständlich auch verhätscheln, für das großartigstes Wesen der Welt halten und im Vatersein aufgehen.
Aber das sind zwei verschiedene Ebenen. Wenn man sich a priori dagegen entscheidet, dann geht es eben nicht um die Frage des Vaterseins und der väterlichen Gefühle.
Das ist ähnlich wie mit der Diskussion mit einer Schwangeren, die fragt, ob sie abtreiben soll.
Man kann da nur verlieren, weil man von außen objektiver guckt. Wenn die Umstände so katastrophal sind, daß man zu einem Schwangerschaftsabbruch rät, die Betroffene aber dennoch das Kind bekommt, wird sie einem anschließend empört vorhalten, man habe gegen ihr geliebtes Kind argumentiert.
Dabei hat man in Wahrheit weder ihre Liebe zum Kind, noch das Kind selbst in Frage gestellt, sondern über eine eben nicht eingetretene Realität ohne Kind gesprochen. Diese Fantasie-Realität ist aber obsolet, wenn das Kind da ist.

Kinder absorbieren einen enormen Teil der emotionalen Zuwendung ihrer Eltern. Das ist sicherlich für beide Parteien ein Vorteil.
Nicht betrachtet werden dabei aber dritte Parteien.
Es gibt viele Witze über den Freundeskreis der Kinderlosen, den man als junge Eltern verlässt. Darin ist viel Wahrheit enthalten. Die geistige Welt von Kinderlosen und jungen Eltern driftet automatisch stark auseinander.

Wenn die Kinder erwachsener werden, lockert sich die soziale Spaltung zwischen Kinderlosen und Eltern. Kinder können sich auch ihren Eltern entfremden.

Damit komme ich zu der Kehrseite der Mutter/Vater-Kind-Bindung.
Kinderlose haben in der Regel natürlich auf diese Bindung zu ihren eigenen Eltern und genau die bleibt intensiver bestehen, wenn die erwachsenen Kinder selbst kinderlos werden.
Nicht umsonst wird Kinderkriegen allgemein als „Familie gründen“ bezeichnet.
Das ist aber sachlich falsch, schließlich war man schon vorher eine Familie, hatte Eltern, Geschwister, Onkel, Tanten, Cousinen.
Wird ein Paar schwanger, gründet es streng genommen also keine Familie, sondern kapselt sich mit der Neugründung einer Familie von der Bisherigen ab.
Natürlich spreche ich von modernen Großstadtfamilien und nicht von früheren Verhältnissen als selbstverständlich alle Generationen in einem Kral, einer Höhle, einem Schuppen wohnten.

Meine eigenen familiären Bindungen richteten sich immer an die vorherigen und nicht die nachfolgenden Generationen.
Schon als Grundschüler begann ich damit regelmäßig Alters- und Pflegeheime zu besuchen. Das habe ich bis heute beibehalten, weil ich sehr genau weiß wie sehr die in Heimen weggesperrten unter ihrer Einsamkeit leiden und wie dankbar sie sind, wenn sie Zuwendung bekommen.
Dabei habe ich über vier Dekaden ganz klar beobachtet, daß sich die Kinderlosen viel leichter tun, weil sie einen intakteren Freundeskreis haben. Das betrifft auch Heimbewohner mit kinderlosen Kindern, die sich in der Regel sehr viel um ihre kranken und/oder pflegebedürftigen Eltern kümmern.
 Die Heimbewohner, die sich besonders allein fühlen, sind die Großeltern.
Deren Kinder haben nämlich ihren Fokus auf die eigenen Kinder gerichtet, haben eine eigene/andere Familie gegründet, die sie automatisch von der vorherigen Generation entfernt.

Das so hochgelobte emotionale Band zwischen Mutter und Kind hat eine böse Kehrseite: Das Band zur Mutter der Mutter wird schwächer, wer nicht mehr nur Kind, sondern auch Eltern ist, kann sich nicht mehr auf die eigenen Eltern konzentrieren.

Das ist biologisch gesehen sicher auch sinnvoll, funktionierte aber besser in den letzten zwei Millionen Jahren, als Homo Sapiens ohnehin kaum je älter als 35 wurde.
Heute bleiben nach dem Klimakterium aber noch viele Dekaden übrig.

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