Nur etwas mehr als 45% der Weltbevölkerung leben in einer Demokratie.
Dabei werden Demokratien global nicht etwa attraktiver. Das war die Annahme der US-Neocons um George W. Bush und wurde auch von den konservativen Ikonen Thatcher und Reagan so gesehen. Demnach müsste man ein kommunistisches oder anderes autokratisches Regime nur stürzen und anschließend strebe die Bevölkerung ganz natürlich zu einer parlamentarischen Demokratie, weil sie sich a) nach Freiheit sehnten und b) die Urdemokratien wie GB und USA als leuchtendes Vorbild dienten. Mit militärisch-chirurgische Präzision die Taliban absägen oder Saddam Hussein verjagen. Die Bevölkerung würde den Amerikanern dafür zujubeln, demokratische Staaten nach US-Vorbild erreichten und diese friedliche parlamentarische Republik Irak wäre so ein strahlendes Beispiel, daß alle NahOst-Nachbarstaaten wie die Dominosteine den gleichen Weg gingen.
Mit der Grundannahme funktionierte einst auch „Wandel durch Handel“: Wenn demokratische und autoritäre Staaten sich nicht mehr bekämpften und diplomatisch blockierten, sondern mehr wirtschaftliche Beziehungen eingingen, prosperierten beide Seiten, dadurch käme es zu vertiefteren Handelsbeziehungen und immer mehr Kontakten, bei denen die Bürger des autokratischen Landes die vielen Freiheiten und Vorteile der Demokraten erst kennenlernten und in Folge dessen auch für sich selbst anstreben würden.
In dieser Darstellung wirkt die westliche Sicht sehr überheblich, aber in der Tat war die sozialliberale Ostpolitik der 1970er Jahre sehr erfolgreich mit der Methode „Wandel durch Annäherung“.
Es ging nicht mehr nur um Gesichtswahrung und Hass, sondern die Welt wurde friedlicher und das Leben der Menschen verbesserte sich, indem beispielsweise BRDler endlich zu ihren verwandten DDRlern reisen konnten. Im Atomzeitalter war es wichtig, den Menschen des anderen Blocks ein Gesicht zu geben und so Spannungen abzubauen. Das ging nur, indem der Westen von seinem hohen Ross abstieg und die Interessen der Ostblockstaaten anerkannte.
Nur so konnte es zu dem berühmten Treffen des zweitmächtigsten Mannes der Erde, Leonid Breschnew, des Herrschers über da Warschauer-Pakt-Imperiums, in der bescheidenen Reihenhaus-Kellerbar des ehemaligen Weltkriegsoffiziers Helmut Schmidt kommen. Es kann gar nicht unterschätzt werden, wie wichtig diese erste längere echte persönliche Begegnung der beiden Staatsmänner aus Ost und West war. Als man sich gegenseitig die grauenhaften Erfahrungen des zweiten Weltkrieges erzählte und gemeinsam die feste Überzeugung teilte „diese Scheiße“ dürfe nie wieder passieren.
Bis zum Ende des sowjetischen Imperiums, insbesondere unter der Herrschaft des großen Michail Gorbatschow, wandelte sich die Welt tatsächlich zum Besseren.
Als schließlich 1990 all die kommunistischen Regime Osteuropas unter dem ökonomischen Druck des Westens kollabierten und sich immer mehr Teilrepubliken der riesigen Sowjetunion abspalteten, riefen die konservativen Vordenker der USA „das Ende der Geschichte“ aus. Na super. Der Westen hatte gewonnen und nun würde alles gut.
Tatsächlich gerieten aber die Neudemokraten zunächst einmal in gewaltige soziale Nöte. Es war Schluß mit der kostenlosen Gesundheitsvorsorge, Frauen verloren Rechte, viele Millionen Jobs gingen verloren, in Russland verhungerten die Menschen auf der Straße. Staatliche Löhne wurden nicht gezahlt und wenige Oligarchen rafften den gesamten Staatsbesitz zusammen. Schon bald gehörten sämtliche volkseigenen Betriebe (VEB) und die meisten Immobilien Westlern.
Wählen und reisen zu dürfen, keine Angst mehr vor der Staatssicherheit haben zu müssen, sowie freien Zugang zu allen Westprodukten vom Porno-Heft bis zum gebrauchten VW-Golf zu haben, war großartig.
Aber all das kostete Geld, das man schlecht verdienen konnte, als die Transformationen der Gesellschaften in Massenarbeitslosigkeit endeten.
Wahlrecht ist schon weniger attraktiv, wenn man in St. Petersburg beim Betteln auf der Straße erfriert und sich an die Sicherheit als Sowjetbürgerin zurück erinnert.
Diejenigen, die Demokratie für so überlegen halten, vergessen was Putin in seinen ersten Amtsjahren schaffte: Er beseitigte Chaos und Unsicherheit der Jelzin-Jahre. Niemand musste mehr verhungern, Löhne wurden wieder pünktlich gezahlt und die Renten kräftig erhöht. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.
Zudem erwiesen sich die westlichen Demokratien ohne das kommunistische Gegengewicht als erstaunlich dysfunktional. Die schlimmsten Karl-Marxschen Alpträume wurden wahr: Abenteuerliche Reichtumskonzentration und ganz offensichtlich konnten diese Superreichen den demokratischen Regierungen ihre Wünsche diktieren. Das Internet sorgte außerdem für die rasante Verbreitung von Verschwörungstheorien, Hass und Fehlinformationen. So konnte den beiden Urdemokratien massiver Schaden zugefügt werden. Nach Trump befinden sich die USA auf dem Weg in einen Bürgerkrieg. Nach Johnson/Brexit rutscht das Vereinigte Königreich in eine endlose Rezession.
Im ehemaligen Westeuropa bricht die Zeit der politischen Clowns an. Italien, Frankreich, Österreich, Dänemark wählten bereits rechtsextreme Populisten in die Regierung oder waren kurz davor.
Polen und Ungarn sind bereits verloren.
[…] Die Demokratie ist nach einer aktuellen Studie zufolge weltweit auf dem Rückgang. Wie die britische "Economist"-Gruppe in ihrem jährlichen "Demokratieindex" ermittelte, lebten 2021 noch 45,7 Prozent der Weltbevölkerung in irgendeiner Form einer Demokratie. Das waren noch einmal deutlich weniger als 2020 mit 49,4 Prozent. In einer "vollständigen Demokratie" lebten sogar nur 6,4 Prozent, ein leichter Rückgang im Vergleich zum Vorjahr (6,8 Prozent). Weit mehr als ein Drittel der Menschen leben in einer Diktatur – 37,1 Prozent bedeuteten ein leichtes Plus zu 2020. Der Anteil der autoritär regierten Staaten ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.
Die analytische Forschungseinheit der "Economist"-Gruppe (EIU) spricht von einem "weiteren düsteren Rekord" bei seinem Demokratie-Index. Es handelte sich demnach um den stärksten Rückschritt seit 2010 und das schlechteste Ergebnis seit Beginn der jährlichen Untersuchung 2006. […]
Selbst wer das Glück hat, zu den 6,4% der Weltbevölkerung zu gehören, die in einer „vollständigen“ Demokratie leben, muss sich wie die Deutschen damit arrangieren, daß weite Teile der eigenen Bevölkerung diese Demokratie ablehnen, sich nach einem starken Führer sehnen.
So wichtig wie 1990 angenommen, ist den einst so unfreien Menschen das Wahlrecht offensichtlich nicht, wenn in den Ost-Bundesländern kaum noch 50% der Wahlberechtigten an Landtags- oder Europawahlen teilnehmen.
Über 100 Millionen wahlberechtigte US-Amerikanern wählen grundsätzlich nie, weil sie Washington verachten.
Die Demokratien schwächeln, während China gleichzeitig reicher/mächtiger und unfreier wird. Weniger Demokratie bedeutet also mehr ökonomische Prosperität?
Auch urdemokratische Unternehmer bewundern nicht nur heimlich die Effizienz in China, das Großprojekte wie Staudämme, Flugzeugträger, Hauptstadtflughafen, Staudämme oder ganze künstliche Millionenstädte in Zeiträumen erreichtet, die in Deutschland noch nicht mal für die Planung, geschweige denn Genehmigung reichen.
Die Demokratie verliert offenbar immer mehr an Strahlkraft. Das liegt auch an den freiwillig apathischen und bornierten Demokraten selbst, die schließlich nicht gezwungen werden für den Brexit, Trump, LePen, italienische Faschisten, FPÖ, AfD oder die Tories zu stimmen und so ihre eigenen Nationen sabotieren.
Sind die deutschen Covidioten und AfD-Wähler so verdummt, weil sie BILD und Facebook-Pegida-Seiten lesen? Oder hat die BILD einen so viel größeren ökonomischen Erfolg als die taz, weil die Deutschen so dumm sind?
Fast jeder hat in Deutschland freien Informationszugang im Internet. Wer zwingt sie eigentlich, statt seriöser Informationsportale, Schwurbler auf Telegram zu konsumieren? Diese Huhn-oder-Ei-Frage lässt sich nicht leicht beantworten. Ganz offensichtlich haben die alten westlichen Demokratien aber nicht die Kraft, sich gegen Populisten und Hetzer zu behaupten, sondern werden eher von den Trumps verschluckt. Das sind gute Neuigkeiten für die Xis und Mohammed bin Salmans und Erdoğans und Le Pens und Putins und Orbáns dieser Welt. Menschen sehnen sich gar nicht so sehr nach Demokratie und wählen diejenigen gern wieder, die zuvor die unabhängige Justiz und Presse abschafften.
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