Freitag, 22. Juli 2022

Mächtige kirchliche Arbeitnehmer

 

Noch mal mein Dank an die Römisch-katholische Kirche in Deutschland, die sich nach ihrer gestrigen hochwirksamen Mitgliedervertreibungs-Aktion heute erneut bemühte, sich besonders abstoßend zu präsentieren.

Die katholische Hebamme Sandra Eltzner arbeitete ab 1994 volle 20 Jahre im katholischen Dortmunder St. Johannes-Hospital, war anschließend fünf Jahre selbstständig und fing vor drei Jahren wieder an, im Johannes-Hospital zu arbeiten. Dann begann der Ärger.

[….] Allerdings war Eltzner in der Zwischenzeit aus der katholischen Kirche ausgetreten. Grund war für sie die Flut an Missbrauchsfällen in der Kirche. Sie habe sich als Hebamme schließlich dem Kinderschutz verschrieben.

[….] Erst nach einigen Tagen kamen Nachfragen, ob sie nicht wieder in die Kirche eintreten könne. Doch Eltzner lehnte unter Verweis auf die aus ihrer Sicht unzureichende Aufklärung der kirchlichen Missbrauchsfälle ab. Deshalb kündigte das Krankenhaus Eltzner noch in der Probezeit. [….] Doch das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm erklärte im September 2020 die Kündigung der Hebamme für rechtmäßig. Es sei eine „berufliche Anforderung“ an Hebammen in einem katholischen Krankenhaus, dass sie nicht aus der Kirche ausgetreten sind. Während Mitarbeiter:innen, die noch nie Mitglied der katholischen Kirche waren, dieser tendenziell „gleichgültig“ gegenüberstehen, lehne eine Hebamme, die aus der katholischen Kirche austritt, diese ausdrücklich ab. Auch „berechtigte Kritik an Misständen“ könne den Kirchenaustritt nicht rechtfertigen, so das LAG Hamm.  Bei einer Hebamme bestehe vielmehr die Gefahr, dass sie ihre Kontakte zu den werdenden Müttern nutzt, um sich „kirchenfeindlich oder jedenfalls kritisch“ zu äußern. Sie könne so Frauen „im Sinne von Ansichten beeinflussen, die mit dem kirchlichen Ethos nicht vereinbar sind“ – vor allem zum Mißbrauchsskandal, der immer noch Gegenstand öffentlicher Diskussion sei. [….] Richter Koch stellt auch André Plessner, dem Anwalt des Hospitals, eine Frage: „Traut das Hospital der Klägerin wirklich nicht zu, im Sinne der Nächstenliebe zu arbeiten?“ Plessners Antwort: „Natürlich ist die Klägerin zur Nächstenliebe fähig, aber eben nicht zur Nächstenliebe im Sinne der katholischen Glaubenslehre“. [….]

(Christian Rath, 21.07.2022)

Durch das antihumanistische Kirchenarbeitsrecht, das es den Kirchen erlaubt ihre Mitarbeiter zu demütigen und zu diskriminieren, fühlten sich die Katholiban sicher, gewannen die ersten Instanzen.

Aber Eltzner klagte weiter, inzwischen liegt der Fall vorm EuGH.

Damit schafft es die RKK, dieser für sie extrem schädlichen PR maximale Aufmerksamkeit zuzuführen. Auch wenn die Hebamme verlieren sollte, berichten doch die Medien über diesen Fall und der fromme Billionenkonzern steht in noch schlechterem Licht da. Gewinnt sie, wird es genauso unangenehm für die Kirchen, weil in dem Fall Atheisten, Hindus, Juden, Muslime, die von katholischen Trägern nicht eingestellt werden – obwohl der Staat die Kosten übernimmt – drängen könnten, ebenfalls einen Job zu bekommen. Oder noch schlimmer, unter den 500.000 kirchlichen Arbeitnehmern, die bisher nur aus Angst um ihren Job Kirchensteuern bezahlen, könnten Zigtausende ebenfalls austreten.

Die Katholiken haben sich in eine Triple-No-Win-Situation manövriert.

Bisher konnten die Kirchen Juden oder Muslime als Angestellte blockieren, sowie geschiedene oder gar queere christliche Mitarbeiter drangsalieren, weil es einerseits Arbeitslosigkeit und andererseits Monopolsituationen gab.

(….) Läßt sich ein katholischer Chefarzt scheiden, kann die Kirche ihn feuern. Outet sich seine Kollegin als lesbisch, fliegt sie ebenso. Noch abartiger: Kirchen stellen in der Regel nur Kirchenmitglieder ein.  Bei der Personalpolitik heißt es also „Juden unerwünscht.“ Natürlich auch „Muslime unerwünscht und Atheisten unerwünscht!“

 In kirchlichen Einrichtungen gilt das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) nicht. In § 118, Absatz 2 heißt es, dass das Gesetz „auf Religionsgemeinschaften und ihre karitativen und erzieherischen Einrichtungen unbeschadet deren Rechtsform“ keine Anwendung findet. Die Kirchen praktizieren ein eigenes kirchliches Arbeitsrecht, das in wichtigen Punkten vom allgemeinen Arbeitsrecht abweicht und mit mehreren Grundrechten kollidiert.  Für die über eine Million Beschäftigten in kirchlichen Einrichtungen, vor allem von Caritas und Diakonie, hat dies in zweierlei Hinsicht weitreichende Folgen.   Zum einen gilt dort eine besondere Loyalitätspflicht, die sich nicht nur auf das Verhalten am Arbeitsplatz erstreckt, sondern bis ins Privatleben der Beschäftigten reicht. Das bedeutet zunächst, dass Konfessionslose und Angehörige nichtchristlicher Religionsgemeinschaften in diesen Einrichtungen generell keine Anstellung finden.

[…] Zum anderen müssen die Beschäftigten auf grundlegende Arbeitnehmerrechte verzichten. In kirchlichen Einrichtungen wird der sog. Dritte Weg praktiziert. […]  Der Dritte Weg kennt […] kein Streikrecht, auch ein Betriebsrat ist nicht vorgesehen.

[…]  Das kirchliche Arbeitsrecht hat zur Folge, dass in Sozialeinrichtungen wie Krankenhäusern oder Sozialstationen, die völlig oder weitestgehend aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden, die Grundrechte nicht uneingeschränkt gelten. Insbesondere das Recht auf Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist weitestgehend außer Kraft gesetzt. Dies führt zum Phänomen der „Zwangskonfessionalisierung“ […]  Diese Sonderstellung kirchlicher Sozialeinrichtungen ist Ergebnis intensiver Lobbyarbeit der Kirchen. Sie widerspricht jedoch dem Geist des Grundgesetzes ebenso wie dem den europäische Antidiskriminierungsrichtlinien. […]  

(Gerdia.de)

Angesichts des dieser Tage wieder extrem medial präsenten Fachkräftemangel in der Pflegebranche ist es ein Skandal größten Ausmaßes auf kirchliche Träger zu setzen.

Null Prozent Finanzierung durch die Kirche, aber 100 Prozent Hoheit über die private Lebensführung der dort Beschäftigten! Das dürfe wohl nicht sein! […]  Kirchliche Krankenhäuser werden nicht etwa aus der Kirchensteuer finanziert – wie die meisten Menschen glauben. Die Investitionen zahlt der Staat nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz, die laufenden Kosten der Behandlung werden durch Beiträge der Versicherten über die Krankenkassen oder Zusatzbeiträge bezahlt. Damit ist es völlig unvereinbar, dass einer vergewaltigten Frau die Hilfe verweigert wird. […]  Die Eingriffe der Kirchen und ihrer Einrichtungen wie Caritas und Diakonie in die private Lebensführung ihrer rund 1,3 Millionen Beschäftigten passen nicht in die moderne Demokratie. Sie verstoßen auch gegen Grund- und Menschenrechte: Zum Beispiel gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Artikel 3 Grundgesetz, wie das Bundesarbeitsgericht im Falle der Kündigung eines Chefarztes in einem katholischen Krankenhaus wegen Wiederverheiratung als Geschiedener entschieden hat.  Oder die Diskriminierung Homosexueller. Oder sie verstoßen gegen das Recht auf Streik nach Artikel 9 GG, wie mehrere Landesarbeitsgerichte und das Bundesarbeitsgericht entschieden haben.

Oder gegen die Menschenrechtskonvention, so der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, als einem Organisten nach 14 Jahren untadeliger Arbeit wegen Ehebruch gekündigt wurde. Dieser Mann musste sich 13 Jahre lang durch 7 (!) Instanzen quälen, bevor er Recht bekam. Und dann der dauernde Verstoß gegen die Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG, wenn zum Beispiel Krankenschwestern oder Pfleger in kirchlichen Krankenhäusern aus der Kirche austreten und dann gekündigt werden. Oder als Konfessionslose oder Muslime erst gar nicht hineinkommen. […]  Es ist doch geradezu absurd, dass bei den Kirchen für das ganze Personal inklusive Putzfrau, technisches Personal, Laborkräfte wichtige arbeitsrechtliche Schutzrechte und Mitbestimmung ausgeschlossen sind. Und wenn – wie zum Beispiel im Rheinland – weit über die Hälfte der Krankenhäuser kirchlich sind, dann führt das eben dazu, dass bei der Berufsberatung eine Mitarbeiterin jungen Muslimen, die sich für eine Ausbildung im pflegerischen Bereich interessieren, davon abrät, weil sie in der Gegend hier keine Arbeitsstelle finden würden!!

[…]  In vielen Gegenden finden Sie überhaupt keine nichtkonfessionellen bzw. städtischen Kindergärten. Mein Mann und ich haben das selbst erlebt, dass unsere Kinder im katholischen Kindergarten in Königswinter nicht aufgenommen wurden, weil wir und die Kinder nicht in der Kirche waren. Das ist nun wirklich toll: Mit meinen Lohn- und Einkommensteuerzahlungen als Konfessionsfreie bezahlt die Stadt den katholischen Kindergarten fast oder ganz komplett mit der Folge, dass man danach seiner Kinder nicht hineinbekommt.

[…]  Den Kirchen ist es gelungen, diesen Irrglauben zu verbreiten. Dabei steht fest, dass die Kirchensteuer nur zu einem Bruchteil von unter 5 % für soziale Zwecke ausgegeben wird. Der frühere Caritasdirektor und Finanzdirektor der Erzdiözese Köln, Norbert Feldhoff, hat schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass die Kirche die Kirchensteuer nicht benötigt, um die Sozialarbeit zu finanzieren. […] 

(Ingrid Matthäus-Maier 28.03.2013)

Soziale Einrichtungen unter kirchlicher Trägerschaft sind in Wahrheit natürlich nicht billiger für den Staat, wenn man die rund 20 Milliarden Euro jährlich dagegen verrechnet, die uns allen durch die  Steuerfreiheit der Kirchen verloren gehen. RKK und EKD zahlen keine Körperschaftssteuer, Gewerbesteuer oder Umsatzsteuer. Es fallen keine Schenkungssteuern und Erbschaftssteuern an, wenn man die Kirche als Begünstigten einsetzt. Spenden an die Kirchen gehen auch zu Lasten des Steuerzahlers, da sie bei Einkommens-/Körperschaftssteuer steuermindernd berücksichtigt werden.  (….)

(Impudenz des Monats Januar 2018, 01.02.2018)

Angesichts des drastischen millionenfachen Fachkräftemangels in Deutschland, wird es aber Zeit für die kirchlichen Mitarbeiter, den Spieß umzudrehen und sich nicht mehr mit jahrelangen Rechtsstreitereien gegen Kündigungen zu wehren, sondern ihrerseits zu kündigen.

Die Kirchen haben wie so viele Arbeitgeber, die jetzt unter Umsatzeinbußen leiden, noch nicht verstanden, daß die Merz-Lindnerische Lehre, nach der Personalkosten immer der Faktor sind, den man drücken kann, der Weg in die Sackgasse ist.

Eine Firma ist nur so gut wie ihre Mitarbeiter. Ein Chef, der zufriedene, gut bezahlte und hoch motivierte Mitarbeiter hat, sieht darin sein größtes Kapital.

Ein Kapital nicht nur im moralischen Sinne, sondern tatsächlich auch in finanzieller Hinsicht. So eine Firma ist konkurrenzfähiger, als eine, in der lauter Stellen nicht besetzt sind, die verbliebenen Leute sich bereits in innerer Immigration befinden und nur noch das Allernötigste tun, ohne ihre Ideen einfließen zu lassen.

Also liebe christlichen Lehrer, Krankenschwestern, Chirurginnen, Hebammen, Kindergärtner: Kündigt und sucht Euch einen Job bei einem säkularen Arbeitgeber, bei dem Tarif- und Arbeitsrecht gelten.

Mal sehen, wie energisch die Kirchen noch auf ihr eigenes Arbeitsrecht beharren, wenn ihre Betriebe zusammenbrechen, weil nur noch die Hälfte der Stellen besetzt sind.

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