Wenn Habeck nun auch noch die Grünen davon überzeugt, für Atomkraft zu plädieren, wird er auch Kanzler.
So oder so ähnlich, lauten nun viele anerkennende politische Kommentare über die Grünen im Höhenflug.
Und ja, als jemand, der schon vor der Bundestagswahl von 2017 lautstark den Grünen riet, auf Habeck, statt auf Spitzenkandidatin Göring-Kirchentag zu setzen, fühle ich mich bestätigt.
Da die Grünen 2017 nicht auf mich hörten; auch nicht 2021 mit der falschen Spitzenkandidatin, dauerte es etwas länger. Habeck ist zweifellos einer der großen Aktivposten der Regierung und macht seinen Job so ausgezeichnet, daß die vorher so selbstbewußte FDP im Vergleich dazu geradezu erbärmlich absäuft.
Flexibilität ist gut. Es ist dumm, auf alten Dogmen zu beharren, wenn sich die Rahmenbedingungen ändern. Tumb, wie die CDUCSU auf falschen Positionen zu beharren, ist Ideologische Politik. „Deutschland ist kein Einwanderungsland“ – „Homoehe gefährdet das Kindswohl“ – „wir wollen keine Windkraft“ – „Abtreibung muss kriminalisiert werden“ – „freie Fahrt für freie Bürger“ – „Vermögenssteuer ist Blasphemie“ - „Cannabis muss kriminalisiert werden“ – all diese Konservativen Dogmen schaden Deutschland und müssen von Realpolitik ersetzt werden.
Es ist aber kein grundsätzliches Qualitätszeichen, heute das Gegenteil von dem zu tun, was gestern noch selbst gefordert wurde.
Während die Top-Journalisten gerade die Grünen dafür feiern, ihre alten Überzeugungen aufzugeben – plötzlich wollen sie Waffenexporte, Kohlekraftwerke und denken über AKW-Laufzeitverlängerungen nach – sollte man nicht so tun, als ob das mit den Mottenkistenpositionen von CDU, CSU und FDP zu vergleichen wäre!
Es ist nämlich nach wie vor richtig, aus der Kernenergie auszusteigen.
Es ist nämlich nach wie vor richtig, eine pazifistische Politik anzustreben.
Es ist nämlich nach wie vor richtig, Klimaschutz zu betreiben.
Es ist nämlich nach wie vor richtig, daß fossile Brennstoffe kurz- bis mittelfristig verschwinden müssen.
Im politischen Berlin wäre es ein klassischer intrakoalitionärer Handel: Die FDP opfert ihr Kernanliegen des unbeschränkten Rasens auf den Autobahnen, wenn die Grünen dafür ihren Widerstand gegen die Verlängerung der AKW-Laufzeiten aufgäben.
Quantitativ sind nämlich beide Forderungen gleichwertig: Sie sind jeweils ein Markenzeichen einer ungefähr gleich großen Koalitionspartei.
Qualitativ sieht es aber ganz anders aus: Eine Tempolimit kostet kein Geld, schadet nicht der Umwelt, wäre ohne jede Gegenfinanzierung und rechtlichen Probleme einführbar, würde Benzin sparen und ganz sicher auch zu weniger Toten und Verletzten führen. Es gibt also gar nichts, das vernünftigerweise gegen ein Tempolimit spräche. Deswegen gibt es auch fast überall auf der Welt Tempolimits.
Die Kernkraft ist hingegen nach wie vor völlig verantwortungslos und so teuer, daß sich noch nicht mal ein Betreiber finden ließe, der das Versicherungsrisiko trüge. Uran kommt aus Russland, Brennstäbe herzustellen ist langwierig. Kernenergie ist nicht für den Dauerbetrieb geeignet – in Frankreich sind derzeit mehr als die Hälfte der AKWs schon deshalb vom Netz genommen, weil die Flüsse entweder zu warm sind oder zu wenig Wasser führen. Tschernobyl, Fukushima. Leukämiefälle im Umkreis der AKWs, weltweit kein Endlager. Ein Terroranschlag mit einem Flugzeug à la 9/11 auf ein AKW würde das Leben in Deutschland auslöschen und zudem haben wir auch noch Krieg in Europa und man möchte sich keine verirrte belarussische Hyperschall-Rakete vorstellen, die in Neckarwestheim 2 einschlägt.
Andere Themen sind noch komplexer, lassen sich nicht so einfach gegeneinander aufrechnen. Ich bin überzeugter Pazifist, halte es für Wahnsinn, daß die Menschen weltweit jedes Jahr Billionen Euro für Rüstung ausgeben. Das muss enden.
Gleichwohl gibt es – LEIDER – Situationen, in denen es nicht ohne Militär geht. Der Völkermord von Srebrenica 1995 oder der Genozid an den Jesiden des Nordiraks von 2014 sind solche Beispiele.
Der Krieg in der Ukraine und insbesondere die mittelbar dadurch entstehenden massiven Energieprobleme Deutschlands dominieren hierzulande die gesamte Bundespolitik.
Ein Komapatient, der heute nach einem Jahr aufwacht, die Nachrichten einschaltet und dort sieht, wie grüne Minister massiv den Waffenexport in ein Kriegsgebiet fördern, bei homophoben misogynen Nah-Ost-Potentaten um Gaslieferungen betteln, AKWs anschalten wollen und auf Kohlekraft setzen, wird sicher denken, daß er weiterhin träumt.
Aber, auch wenn es kaum möglich ist, das ohne überheblichen Ton auszusprechen: Es gibt noch größere Probleme, als den Krieg in der Ostukraine. Das sind erstens die Überbevölkerung und zweitens die Erderwärmung. Beides hängt zusammen und führt zu vielen weiteren Katastrophen wie Hunger, Migration, Artensterben etc.
Alle Maßnahmen, die jetzt unter der Überschrift „Hilfe für die Ukraine“ durchgehen, heizen das Weltklima aber dramatisch weiter an: Einsatz und Unterhalt schwerer Waffen, Kohleverstromung.
Millionen Menschen verhungern deswegen.
[….] Zuerst stirbt das Vieh. Dann sterben die Kinder
Die Regenzeiten fallen aus, viermal bereits. Millionen Menschen in Somalia, Kenia und Äthiopien könnten verhungern – doch Hilfsgelder fließen in andere Krisenregionen. […]
Sozialdemokratische und Grüne Positionen müssen dringend wieder aktive Politik werden. CDUCSUAFDP-Wünsche müssen hingegen verschwinden, wenn die Menschheit überleben soll.
Ich glaube nicht daran und halte es für wahrscheinlicher, daß sich Homo Sapiens in 100 Jahren entweder komplett selbst ausgelöscht hat, oder aber Bruchteile der heutigen Bevölkerung an wenigen verbliebenen bewohnbaren Orten in einer postapokalyptischen Welt vor sich hin vegetieren. Wir haben es nicht besser verdient und es wäre sicherlich nicht schade, um die destruktivste Tierart aller Zeiten. Aber wer Kinder oder Enkel hat, wird ihnen vielleicht eine andere Zukunft wünschen.
Die Grünen und Sozis sollten sich also nicht allzu sehr dafür feiern, jetzt das zu tun, das ihren früheren Überzeugungen widerspricht.
[….] Die »Verbalisten« (so Willy Brandt in seiner Rede zur Verleihung des Friedensnobelpreises) und Bellizistinnen pflegen einmal mehr die Untugend der Ungeduld kombiniert mit etwas Maulheldentum. Sie rufen nach schweren Waffen, um Putin zu bezwingen.
Aber: Nicht jedem Ruf nach Waffen ist anzumerken, dass diese, egal, wo sie eingesetzt werden, Leiden verursachen werden. Und nicht jeder Waffen-Rufer ist von der Einsicht durchdrungen, dass jeder Tote – ob Russe oder Ukrainer – einer zu viel ist. Und dass um jeden Soldaten irgendwann eine Mutter oder ein Vater weint.
An manchen Diskussionen erschreckt mich die Kälte, wenn militärische »Planspiele« fernab von Kiew, Odessa oder der Krim angestellt werden. Manch einer redet über den Kriegsschauplatz fernab wie über den Fußballplatz daheim.
Diese furchterregende Kälte hätte ich nach der dramatischen deutschen Kriegserfahrung nicht mehr für möglich gehalten. Und sie bestärkt mich darin, dass der Krieg immer zuerst an den Seelen frisst, dass der Krieg mit Lügen beginnt und mit Lügen endet. Ich staune über den kalten Ton der Talkshowgäste, die in ihren sauberen Anzügen fernab der Spur des Todes sitzen. Sie müssen ja nicht an die Front. Ich vermisse in den Debatten eine Gegenstimme gegen die Dominanz von Gewalt und Gegengewalt. [….]
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