Das war natürlich sehr lustiges Meme-Material, als Oprah Winfrey Ratschläge zum Thema „entspannter leben“ gab.
Sehr witzig, mit ein paar Milliarden auf dem Konto, würde ich auch viel entspannter sein, dachte sich jeder.
Viel Geld zu haben, wünschen sich deshalb so viele Menschen, weil man glaubt, dadurch seine Sorgen los zu werden. Ich gebe gern zu, auch regelmäßig zu phantasieren, was ich mit einem großen Lottogewinn anfinge. Meine hochrationale Tante ärgerte sich immer über meine Floskel „wenn ich im Lotto gewinne…“, fuhr mir mit „du gewinnst aber nicht im Lotto“ dazwischen. Insofern ist es sinnlos, seine Zeit mit solchen Gedanken zu verschwenden. Es sei denn, es macht einem Spaß.
Nun gibt es aber einen Wladimir Putin, der sich offenbar ausmalte, welche enorme Machtoptionen es ihm bringt, wenn er einfach das tut, das man kollektiv als undenkbar betrachtete: Sein europäisches Nachbarland angreifen, die weltweite Energieversorgung zu kappen oder die Menschheit mit Hungerkatastrophen zu erpressen. Putin kommt erstaunlich weit mit der Methode. Eine Methode, die auch schon Trump angewendet hatte, um Präsident zu werden. Er sagte die rassistischen und verbrecherischen Dinge, log die Lügen, von denen man sich vorher nicht vorstellen konnte, daß das einer täte. Damit ruinierte er die USA, aber man kann von Glück reden, daß Trump so viel fauler und dümmer als Putin ist. Wäre Putin nicht russischer, sondern US-amerikanischer Präsident geworden und verfügte über die ökonomische und militärische Macht des potus, wäre er wohl nicht wieder abgewählt worden und wir würden alle nach seiner Pfeife tanzen.
Putin verändert aber auch als Russe die Welt des 21. Jahrhunderts entscheidend. Wenn ich am Wochenende privat mit Freunden plaudere, geht es um Fragestellungen, die vor wenigen Jahren noch niemand von uns im Kopf hatte.
Hast du eigentlich einen Petroleumofen für Notfälle? Wie ist deine Wohnung gedämmt? Sollte man sich nicht ein paar von diese praktischen kleinen 1g-Goldbarren anschaffen für den Fall, daß die Banken zusammenbrechen? Oder eine Rolex? Kann man die Gaskartuschen für den Campingkocher im Keller lagern? Reduziert dein Vermieter die Heizungstemperatur über Nacht? Soll ich für meinen Onkel eine Konvektorheizung kaufen? Wie viel Kilowattstunden kann deine Powerbank speichern?
Es scheint schon wieder Jahrzehnte her zu sein, als wir Anfang 2020, paralysiert wie im Angesicht der Zombi-Apokalypse meinten, man wäre auf alles vorbereitet, wenn man nur genug Nudeln, Klopapier und Desinfektionsmittel im Küchenschrank hätte.
Glückliche Zeiten. Da rechnete noch niemand mit allgemeinen Stromausfall, Stopp der industriellen Produktion und abgeklemmten Heizungen.
Oprah kennt das Problem, das alle Reichen haben: Die Sorge um den Verlust des Reichtums. Wie sichert man sich ab, wie investiert man? Das ist nicht zwangsweise ein Zeichen und unsympathischer Raffgier; vielleicht möchte man auch der mit Ruhm und Reichtum verbundenen sozialen Verantwortung gerecht werden.
Es geht nicht nur um den schnöden Mammon; immer wenn man etwas besitzt, an dem sein Herz hängt, gehen Sorgen damit einher.
Vor 20 Jahren hatte ich ein nagelneues hübsches Auto, das als Neuwagen selbstverständlich auch wertvoll war. Damit hätte ich ungern Samstagabend auf der Reeperbahn geparkt, weil ich befürchtet hätte, mir könnten die Spiegel abgetreten oder der Lack zerkratzt werden. Vielleicht würde es auch gestohlen werden. Oder aufgebrochen, um das Handschuhfach auszuräumen. Es ist ein gewisser Stress, das schönes Auto schön zu behalten. Dauernd muss man zur Inspektion.
Dasselbe Auto fahre ich immer noch. Sein Wiederverkaufswert liegt nun bei Null Euro. Und das ist so herrlich entspannend. Ich kann ihn nun überall in Ruhe stehen lassen. Den klaut sicher keiner. Und wenn ein Vandalist im Vorbeigehen mit einem Schlüsselbund den Lack aufkratzt, würde ich das womöglich nicht mal bemerken, weil schon so viele Kratzer und Beulen drin sind.
Die Stresslevel bei lebendigen Dingen sind um ein Vielfaches höher.
Es war der erste todtraurige Tag meiner Kindheit; ich konnte gar nicht mehr aufhören zu heulen und erinnere mich bis heute daran, wie ich voller Verzweiflung durch das Haus meiner Oma strich, unfähig mir vorzustellen, wie ich diesen Schmerz aushalten sollte. Mein heißgeliebtes Meerschweinchen Merli war über Nacht plötzlich gestorben.
Ein halbes Jahrhundert später weiß ich nicht nur, wie viel mehr es weh tut, geliebte Menschen zu verlieren, sondern kenne auch die endlose grauenvolle Zeit, in der man genau das befürchtet. Vergiss Liebeskummer oder Todesnachrichten, das Schlimmste sind die Sorgen um andere.
Keine Schätze zu besitzen, alle(s) verloren zu haben, befreit von Sorgen.
Anders als in Eritrea oder Somalia, besitzen die meisten Deutschen, die nicht reich sind, dennoch einiges, das sie nicht verlieren wollen. Ein Dach überm Kopf, persönliche Habseligkeiten, eine zumindest partielle Versorgungssicherheit. Man wird wohl nicht hungern, nicht frieren, zum Arzt gehen können, wenn man krank ist und generell vor Gewalt geschützt sein.
Nun steht aber alles zu Disposition. Was passiert denn, wenn es ein strenger Winter wird und ein militärisch von der Nato entnervter Putin alle Gas- und Öl-Lieferungen abstellt? Wenn dadurch die deutschen Industriebetriebe lahmgelegt werden? Wenn womöglich gleichzeitig eine neue Omikron-Variante das Gesundheitssystem kollabieren lässt, die Lebensmittelversorgung zum Erliegen kommt, weil die Bäcker kein Mehl mehr bekommen und ihre Öfen nicht mehr anheizen können? Ja, Deutschland könnte sich so gerade eben selbst mit Lebensmitteln versorgen, aber was nützt das schon, wenn in den Nachbarländern und erst Recht in Nordafrika das Massenverhungern einsetzt? Rollt dann Frau Lambrecht die letzte rostigen Marder an die Grenzen, um alle abzuknallen, die um ihr Leben rennen?
Was ist eigentlich, wenn CDU, CSU und FDP sich durchsetzen, aus irgendeinem ehemaligen Sowjetstaat unpassende Uranstäbe besorgen, die deutschen AKWs wieder hochfahren und dann eine Type wie Lukaschenko „versehentlich“ einen kleinen Marschflugkörper auf Krümmel oder Biblis ballert?
Vor 40 Jahren waren das Gedankenspiele aus reißerischen Hollywoodproduktionen. 2022 ist das nicht mehr völlig abwegig.
Nun ja, ich muss realistisch sein. Wenn wir eine postapokalyptische Prepper-Gesellschaft werden, in der sich bewaffnete Menschen mit im Wald vergrabenen Vorräten gegenseitig im Kampf um Ressourcen umbringen, bin ich längst tot. Ich bin physisch und psychisch nicht dafür geschaffen, mich wie Mad Max oder Rick Grimes durchzuschlagen, zumal ich dafür gar nicht motiviert wäre. Ich habe keine Frau oder Kinder, für die ich kämpfen müsste.
Es ist also wirklich müßig, über diesen Worst Case nachzudenken.
Aber es könnte ein weit harmloseres Szenario geben, bei dem die Deutschen überleben, es aber sehr unbequem haben, weil Strom oder Fernwärme rationiert werden, es nicht mehr 24 Stunden am Tag fließendes Wasser gibt und man nicht wie bei den gewohnten Lockdowns, bequem zu Hause vor bunten Bildschirmen sitzend online bestellt, wonach einem gerade ist.
Ich will von den ganz Reichen lernen, mir etwas mehr Sorgen um das zu machen, was ich habe.
Wenn es 40°C heiß ist, kann man im Baumarkt auf der Suche nach einem Ventilator enttäuscht werden. Man wird in Stress geraten, wenn einem am 20.12. einfällt, daß bald Weihnachten sein könnte und man noch hunderte Geschenke besorgen muss.
Also fange ich lieber jetzt, im Juli, damit an, mich auf eine Zeit vorzubereiten, wenn draußen Null Grad sind und womöglich der Strom abgestellt wird. Dann sind nämlich Batterien, Powerstationen, Solargeneratoren und Campingkocher entweder ausverkauft oder viel teurer als jetzt.
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