Vor ein paar Monaten ließ ich mich bei Civey für tägliche Onlineumfragen registrieren und bilde mir seither ein, auf ganz winzige Weise die Politik direkt mitzubestimmen. Viele große Medienhäuser, wie DER SPIEGEL veröffentlichen die Civey-Umfragen. Schlagzeilen wie „Große Mehrheit der Bundesbürger lehnt XY ab“ beindrucken Journalisten und Politier gleichermaßen. Letztere natürlich in negativer Weise, da sie, um ihre Wiederwahlchancen zu verbessern, in Versuchung geführt werden, die jeweils populärere Haltung zu vertreten.
So erklärt sich fast immer das rechtspopulistische Flügelschlagen der Schwarzgelben.
Was eine Mehrheit will, muss aber keineswegs richtig sein. Insbesondere, wenn es sich um ein bildungsphlegmatisches strukturkonservativ-spießiges Volk, wie das Deutsche handelt.
Bei allen Antworten rund um die Themen „Umwelt, Klima, Nachhaltigkeit, Energie, Tierwohl“ ist mein Erschrecken riesig, aber meine Überraschung winzig.
Eine Mehrheit erkennt die Probleme an, versteht sich selbst aber nicht als Ursache.
Problemlösungen stellt sich der gemeine Deutsche offenbar streng nach dem St. Florians-Prinzip vor. Die anderen sind schuld, die anderen sollen sich ändern, nur man selbst darf keinesfalls belastet werden.
Man versteht sich als sehr tierlieb, guckt voller Empörung auf die abartigen Zustände bei der Massentierhaltung, will aber auf gar keinen Fall, mehr Geld für Fleisch ausgeben, oder gar weniger Fleisch essen.
Man ist geschockt vom Kükenschreddern, findet Eier aber ohnehin schon viel zu teuer, so daß man nicht einen Cent mehr dafür ausgeben will.
Es muss mehr gegen den Klimawandel unternommen werden, aber bei der Frage, welches das wichtigste Kriterium für einen neuen Stromanbieter sind, antworten fast alle „Preis“ und kaum einer „Nachhaltigkeit.“ Die Bahn soll schneller, pünktlicher und luxuriöser werden, aber keinesfalls würde man Streckenneubau in der Nachbarschaft oder höhere Ticketpreise akzeptieren.
Die Treibhausgasemissionen sollen drastisch gesenkt werden, aber man will unter keinen Umständen auf den Billigflug nach Antalya und Mallorca verzichten.
Die Bereitschaft, von sich aus sein Verhalten zu verändern, ist kaum vorhanden. Das sollen „die Politiker“ tun. Aber Wehe, die Politiker sorgen tatsächlich für Änderungen. Das wäre schreckliche Gängelung und Freiheitsberaubung.
Daher gibt es in Deutschland viele Erkenntnisse darüber, was geschehen müsste, aber bei einem 84-Millionen-Trägheitsmoment ist das ohnehin schwer. Wenn aber diese enorme träge Masse auf kleine Stupser auch noch hysterisch reagiert und bei kleinsten Bewegungen, sofort HAUT AB-grölend auf die Straße rennt und AfD wählen will, wird es nahezu unmöglich, das bräsige Volk zu Verhaltensänderungen zu bringen.
Seit sieben Jahren regieren sehr starke Grüne in Hamburg, stellen den Verkehrssenator, der massiv die Fahrradfahrer fördert und den PKW-Individualverkehr behindert, um die Leute zum Umstieg auf ökologischere Bewegungsmittel zu treiben. Erreicht wurde das Gegenteil. Jedes Jahr gibt es mehr Autos in Hamburg.
[….] Allen Beschwörungen einer Mobilitätswende zum Trotz: Die Zahl der in Hamburg registrierten Kraftfahrzeuge steigt weiter. Am 1. Januar 2021 waren in Hamburg 799.434 Pkw angemeldet, wie der Senat jetzt in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage des CDU-Verkehrspolitikers Richard Seelmaecker mitteilte. Ein Jahr zuvor, am 1. Januar 2020, waren es noch 797.427. Die Zahl der registrierten Lkw wuchs im selben Zeitraum von 65.488 auf 70.319 und die der Krafträder von 53.025 auf 55.353. Für CDU-Politiker Seelmaecker ist das Signal klar: „Die Menschen wollen weiter mit dem Auto fahren.“ [….]
(Abendblatt, 01.02.2021)
Anfang des Jahres 2022 wurden in Hamburg 813.800 Personenkraftwagen gezählt.
Wir Hamburger wissen natürlich, daß dringend weniger Auto gefahren werden muss und sind als Bewohner einer reichen Großstadt in der glücklichen Lage, genügend Alternativen zu haben. Es gibt, Busse und Bahnen, Moia und E-Scooter und viele Strecken sind mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu bewältigen. Aber es sollen eben andere auf ihr Auto verzichten, denken sich immer mehr Hamburger und kaufen immer mehr Autos.
Ein noch erschreckenderes Bild zeigt sich beim Müll.
Seit Jahren werden wir über die Verpackungsmüllberge informiert, sehen täglich die grauenhaften Bilder, wie sich Meeresbewohner in Plastikabfällen verheddert zu Tode quälen. Mikroplastik befindet sich mittlerweile im Trinkwasser. Immer mehr Startups entwickeln Plastik-Alternativen, denn diese Kunststoffe sind nicht nur eine Umweltpest, sondern werden auch noch aus Erdöl hergestellt, welches bekanntlich knapp und teuer ist. Der Gipfel der Perversion: Für viele Plastikverpackungen muss gar keine ökologische Alternative gefunden werden; die sind ohnehin überflüssig und können ersatzlos gestrichen werden.
So entstanden unter anderem die „Zero Waste Shops“ (Unverpackt-Läden), die jetzt aber reihenweise pleitegehen, weil die Deutschen zu bequem sind lieber das billige Zeug in ganz viel Plastik kaufen.
[….] Unverpackt-Läden stehen für nachhaltiges Einkaufen. 2019 rannten die Kunden ihnen die Geschäfte ein, heute schließt ein Laden nach dem anderen. [….] Vor zwei, drei Jahren schossen die Unverpackt-Läden aus dem Boden. Nachdem der offiziell Erste im Jahr 2014 in Kiel eröffnet hatte, folgten weitere. Das Konzept passte zum Zeitgeist, Plastikvermeidung war en vogue, und die Läden, in denen man Reis und Müsli in mitgebrachte Gefäße rieseln lassen kann, kamen mit dem Nachfüllen kaum hinterher. Jetzt, im Jahr 2022, hagelt es wieder Nachrichten aus der Branche, allerdings geht es diesmal oft um das Ende von Träumen. Zuletzt traf es beispielsweise Tante M. in Stuttgart-Sillenbuch. Am 25. November war Schluss. [….]
(Stuttgarter Zeitung, 28.11.2022)
[….] Erst eröffneten sie reihenweise, nun machen sie reihenweise dicht: Hamburgs Ökoläden stecken in der Krise und brauchen dringend Hilfe. „Der richtig große Umsatzeinbruch kam im Sommer 2021“, heißt es in der verzweifelten Mitteilung der „Ohne Gedöns GmbH“, in der sie auf die momentane Situation der Unverpackt-Läden aufmerksam machen wollen. […]
Die Folgen der deutschen Doofheit sind klar: Neue Rekorde bei der Müllproduktion.
Eine halbe Tonne Müll produziert jeder einzelne Deutsche derzeit pro Jahr.
[….] Die Menge an Haushaltsabfällen ist im vergangenen Jahr auf einen Rekordstand gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte, wurden 2021 pro Kopf 483 Kilogramm Abfälle eingesammelt - sechs Kilogramm mehr als im ersten Corona-Jahr 2020. Bei diesen sechs Kilogramm handelt es sich fast ausschließlich um Bioabfälle. Die Gesamtmenge bei den Haushalten stieg 2021 auf 40,2 Millionen Tonnen Abfälle. Das war ein Anstieg um 1,5 Prozent im Jahresvergleich und der höchste Wert seit Beginn der Erhebung 2004. [….]
Über 40 Millionen Tonnen Müll.
Vielen Dank auch an das Onlineshopping. Vielen Dank, Amazon.
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