Jeder, der als Kind in Hamburg lebte, verbindet viele Erinnerungen mit Hagenbecks Tierpark. Über 1.850 Tiere leben in den Gehegen und der Parkanlage. Dazu kommt das 8.000 Quadratmeter große Tropen-Aquarium mit weiteren 14.300 Tieren. Hagenbeck ist der einzige in Familienhand befindliche Tierpark Deutschlands.
Erst liebte ich die Tiere, wollte da immer hingehen. Als Teenager begriff ich aber, wie grausam das Delphinarium ist, was Hospitalismus ist, daß man Schimpansen und Gorillas nicht in winzige Glaskästen stecken darf, was artgerechnete Haltung und „Enrichment“ sind, daß es kein Vergnügen für Elefanten und Kamele ist, von lärmenden Besuchern „geritten“ zu werden.
Ein Vierteljahrhundert boykottierte ich den berühmtesten Zoo Deutschlands.
Immerhin lernten die Hagenbecker aber auch dazu. Die Schandflecken, wie das Affenhaus und Delphinarium, wurden ganz aufgeben. Leoparden wurden aus ihren kleinen Käfigen geholt. Es gab weniger Tierarten, dafür mehr Individuen, die in viel größeren Gehegen lebten. Elefantenreiten wurde abgeschafft und zum Unmut der Besucher wurde das Füttern bis auf wenige Ausnahmen verboten. Den Tieren ist nicht geholfen, wenn sie Zentnerweise Süßigkeiten fressen.
In dem neuen Tropenhaus und dem Eismeer, leben die Tiere sicherlich nicht, wie in freier Wildbahn, aber sie haben viel mehr Platz, die Gegebenheiten sind viel besser ihrem natürlichen Lebensraum angepasst. Sie werden nicht mehr bloß verwahrt und gefüttert, sondern auch einigermaßen artgerecht unterhalten.
Grundsätzlich sind Zoos moralisch sehr problematisch. Ob Publikumsmagneten wie Eisbären, Löwen und Elefanten überhaupt artgerecht gehalten werden können, bezweifele ich. Besser geeignet sind sicherlich die gerade bei Kindern beliebten kleineren Tiere – Meerschweinchen, Karnickel, Capybaras (Wasserschweine), Maras (Pampashasen), Ziegen, Pfauen, Schwäne – die auf dem riesigen Gelände weitgehend frei herumlaufen können und machen, wozu sie Lust haben. Dabei ist besonders wichtig, daß sich die Viecher zwar unter die Besucher mischen können, es aber auch geschützte, abgetrennte menschenfreie Bereiche gibt, in die sie sich zurückziehen können.
Das Gegenargument, daß dennoch für Tiger- oder Nashornhaltung spricht, sind die Arterhaltungsprogramme. Es gibt in freier Wildbahn ausgestorbene Tiere, die (fast) nur noch in Zoos vorkommen. Die Zoos sind international vernetzt, erfassen die Genome der einzelnen Individuen. Jeder Großzoo ist auf ein paar Tierarten spezialisiert, die sich bei ihm mit möglichst wenig Inzucht fortpflanzen sollen, indem ihnen andere Tierparks genetisch möglichst nicht verwandte Exemplare schicken.
Aber auch das ist ein etwas schales Argument. Nutzen die aufwändigen Transporte und die Kosten überhaupt etwas, wenn dann ein paar Dutzend Tiere einer Art überleben, die ohnehin keinen Lebensraum mehr haben und nie wieder frei und wild leben können werden?
Sollten wir nicht lieber alle Ressourcen dafür verwenden, Lebensraum zu erhalten, indem zum Beispiel Schutzgebiete aufgekauft werden?
Aber auch das funktioniert nicht bei jeder Art. Vielen Tieren macht der Klimawandel zu schaffen. Eisbären verhungern, wenn es zu warm ist, so daß das Meer nicht zufriert. Das wird man schlecht mit Geld beeinflussen.
Meine Verbindung zu Hagenbeck wuchs wieder mit der NDR-Zoo-Serie Leopard, Seebär und Co, von der zwischen 2007 und 2018 volle 200 Episoden produziert wurden.
Die Serie spielte eine große Rolle bei der Bespaßung von Alten und Dementen, die sich tagsüber langweilen, sich aber nicht mehr auf ein Buch oder TV-Geschichten mit Handlungssträngen konzentrieren können. Für sie sind Zoo-Serien ideal. Mit der Zeit bildet man sich ein, die Pfleger zu kennen, begreift die Abläufe hinter den Kulissen.
Umso trauriger also, daß die bis aufs Blut zerstrittenen zwei Hauptzweige der Eigner-Familie Hagenbeck, als letzte Gemeinsamkeit den „Diktator“ Dirk Albrecht, 73, also Zoo-Chef einsetzten.
Der Mann ist ein derartiger Tyrann, daß er einen Gerichtsprozess nach dem nächsten gegen die Angestellten führt, sie mit Schikanen überhäuft, willkürlich entlässt. Selbst die Hamburger Landesregierung mischte sich ein, nennt Albrecht „starrsinnig.“
[….] Hamburg. Die Schlammschlacht im Tierpark Hagenbeck wird erneut zum Fall für die Justiz: Wie die Hamburger Staatsanwaltschaft am Mittwoch bestätigte, hat der Betriebsrat eine weitere Strafanzeige gegen den Tierpark-Geschäftsführer Dirk Albrecht erstattet.
Der Vorwurf lautet auf Behinderung der Arbeitnehmervertreter, was nach Paragraf 119 des sogenannten Betriebsverfassungsgesetzes mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr bestraft werden kann. [….]
Ein Drittel der Tierpfleger hat bereits aus Verzweiflung gekündigt. Das ist äußert ungewöhnlich. Tierpfleger verdienen zwar eher schlecht, bleiben aber üblicherweise lebenslang bei Hagenbeck, weil sie sich den Tieren verpflichtet fühlen.
Es ist wie in einem Pflegeheim. Man muss sich immer um sie kümmern, egal ob Silvester oder Sonntag ist. Tierpfleger streiken deswegen nicht. Der Sadist Albrecht ließ ihnen aber keine Wahl, da eine Zusammenarbeit mit ihm unmöglich ist und so kam es im August 2022 erstmal zu Warnstreiks.
[….] "Die Geschäftsführung führt einen regelrechten Kampf gegen die eigenen Beschäftigten und wendet dabei Strategien des "Union Busting" an, um den Betriebsrat einzuschüchtern", sagte der gewerkschaftspolitische Sprecher der Linksfraktion, David Stoop, am Mittwoch. Unter "Union Busting" verstehen Gewerkschaften die systematische Bekämpfung ihrer Arbeit. Der Tierpark Hagenbeck wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Der Streit bei Hagenbeck beschäftigt auch die Justiz. Auf eine Anfrage der Linken teilte der Senat mit, dass in den vergangenen zwei Jahren 33 Verfahren gegen die Geschäftsführung eingeleitet wurden. In drei Fällen ermittele die Staatsanwaltschaft wegen der Vorwürfe der Behinderung des Betriebsrats und wegen Betrugs im Zusammenhang mit Kurzarbeitergeld. "Die Vielzahl an Gerichtsverfahren zeigt, dass etwas gehörig schiefzulaufen scheint bei Hagenbeck", sagte Stoop. Im August dieses Jahres hatten Beschäftigte für bessere Arbeitsbedingungen bei Hagenbeck gestreikt. Bislang weigere sich der Geschäftsführer Dirk Albrecht jedoch, sich mit der Gewerkschaft an einen Tisch zu setzen, kritisierte IG-Bau-Regionalleiter André Grundmann. […]
Nur die Hagenbeck-Familie könnte Dirk Albrecht rauswerfen.
Aber sie lassen lieber den ganzen Tierpark zu Grunde gehen und verzichten auf die halbe Belegschaft.
Damit wären wir beim zweiten großen Hagenbeck-Problem: Die Hagenbecks sind Arschlöcher. Sie behandeln ihre Mitarbeiter wie Dreck und wollen sich auch 2022 noch nicht von ihrem Gründer-Großvater Carl-Hagenbeck distanzieren, der mit seinen europaweiten Menschenzoos berühmt und sagenhaft reich wurde.
Die Zeiten des alten Carl Hagenbeck, der kontinuierlich neue Wildtiere und Menschen in Afrika einfangen ließ, um sie in seinem Hamburger Zoo vorzuführen, sind vorbei.
Es ist keine Hundert Jahre her, daß man hier bei mir vor der Tür in Hamburg entrechtete Menschen in Käfige sperrte und anglotze.
Gerne wurden „Schau-Neger“ auf
Jahrmärkten gezeigt. Carl Hagenbeck ließ für seinen Zoo in
Hamburg allerlei „wilde Afrikaner“ einfangen und zeigte sie den höchst
interessierten Hanseaten in seiner „Völkerschau“.
Den christlichen Besuchern kam es gar nicht in den Sinn, daß es irgendwie
unmoralisch sein könnte, neben Löwen und Antilopen auch Hottentotten und Zulus
in Käfigen zu zeigen.
Die Körperlichkeit der vielen afrikanischen Völkerschauen in Deutschland
faszinierte insbesondere die Frauen in Deutschland - hatten sie doch in der
Regel noch nie nackte Männer gesehen.
Blütezeit der Völkerschauen in Europa war zwischen 1870 und 1940. Allein in
Deutschland wurden in dieser Zeit über 300 außereuropäische Menschengruppen
vorgeführt. Teilweise lebten in diesen „anthropologisch-zoologischen
Ausstellungen“ gleichzeitig über 100 Menschen.
(Wiki)
Tatsächlich konnten die in Hamburg gefangenen Afrikaner noch von Glück reden.
Es war nämlich durchaus auch üblich „Neger“ aus praktischen Erwägungen
auszustopfen oder des einfacheren Transports halber nur ihre Köpfe
auszustellen.
Noch heute lagern in den Kellern der Berliner Charité kistenweise getrocknete
Köpfe von Menschen aus allen Gegenden Afrikas.
Auch heute weigert sich Claus Hagenbeck das Unrecht anzuerkennen.
[….] Doch Hagenbeck schweigt sich dazu konsequent aus, dabei hatte man vor zwei Jahren nach Protesten selbst eine kritische Aufarbeitung angekündigt. Wiederholt hat Panorama bei Hagenbeck angefragt. Es gibt kein Interview zum Thema, keine Antworten auf viele Fragen. Der Tierpark verweist immer wieder auf das gleiche schriftliche Statement. Darin heißt es: Die Menschen "arbeiteten als Darsteller mit Verträgen und Gage für Hagenbeck". Carl Hagenbeck habe die Teilnehmer der Völkerschauen "als Gäste" gesehen und nie misshandelt. Dessen Urenkel und heutiges Familienoberhaupt Claus Hagenbeck lehnt ein Interview ebenfalls ab. Dabei hat er sich in der Vergangenheit durchaus zu dem Thema geäußert, sieht sie offenbar aber nicht kritisch. In einer Dokumentation aus dem Jahr 2020 sagt Hagenbeck: "Völkerschauen waren ja eine Kunstform. Es wurden ja nicht Sklaven hier nach Europa geholt, sondern es waren Gaukler, die in ihrem Heimatland gegaukelt haben." In einem früheren TV-Statement aus dem Jahr 2003 räumte er indirekt eine Inszenierung der ausgestellten Menschen als Wilde ein. Offenbar amüsiert berichtete er: "Was die Veranstalter nicht gerne sahen, war, dass die Eingeborenen in Anführungsstrichen, die sich ja hier präsentierten als wilde Menschen, dass die sich abends Schlips und Kragen umbanden und nach St. Pauli zum Tanzen gingen. Das war nicht gerne gesehen, weil dann ja der Nimbus der Wilden, Fremden etwas aufgelöst wurde." [….]
Es hilft alles nichts. Ich muss Hagenbeck wieder boykottieren.
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