Darüber haben wir vielleicht gelacht 1998, als im Bundestagswahlkampf Reporter loszogen und mit bierernster Miene Passanten auf der Straße fragten, was sie eigentlich davon hielten, mit Joschka Fischer möglicherweise einen Heterosexuellen als Außenminister zu bekommen?
Vor einem Vierteljahrhundert war die Stimmung illiberaler, man befürchtete schon, RotGrün könne eine Schwulenpartnerschaft legalisieren, kannte sich aber noch nicht mal mit den Begriffen aus. Von den im Fernsehen Gezeigten, verstand offenbar niemand den Begriff „heterosexuell“, hielt es aber im Zusammenhang mit den Grünen für etwas Hochperverses und pöbelte dementsprechend rum, das dürfe niemals geschehen! So einer könne niemals Minister werden.
Damals hatte kaum jemand Internet, social Media war nicht erfunden und man war auch noch keineswegs Stefans Raabs regelmäßige TV-Total-Segmente gewöhnt, in denen er die totale Verdummung der deutschen Jugend bloßstellte.
Vor einem Vierteljahrhundert wunderte ich mich weniger über die offensichtliche Unkenntnis des Begriffs „Heterosexualität“, als über die Tatsache, daß so viele Menschen überhaupt ausführliche Statements für das Fernsehen abgeben, wenn sie doch offensichtlich das Thema gar nicht verstehen. Ich stellte mir immer vor, sofort wegzurennen, sollte ich jemals in eine Straßenumfrage geraten und dort nach Dingen interviewt werden, von denen ich nichts wüßte. Das hielt ich für eine natürlich Scham. Man möchte doch nicht „vor einem Millionenpublikum“ als Depp entlarvt werden.
Im Jahr 2022, nachdem es nicht mehr extrem selten für Otto Normalverbraucher ist „in die Medien“ zu geraten, sondern jeder einzelne ein Klugtelefon mit sich herumschleppt, mit dem er jederzeit seine irrelevanten Ansichten und sein Gesicht publizieren kann, wundere ich mich über keinen einzigen Idioten, der das regelmäßig tut.
Mittelerstaunlicherweise wurde dabei der Umgang mit klassischen Medien verlernt.
So bemerken es Querdenker, Covidioten, Montagsspaziergänger und Pegidioten gar nicht, wie lächerlich sie sich machen, wenn sie Demonstrationen anmelden, um Aufmerksamkeit zu erregen, dann aber genau das, was Aufmerksamkeit generiert – nämlich Pressevertreter – pöbelnd und schreiend verjagen.
Wer unbedingt in die Sauna will, sollte sich nicht wundern, wenn es darin heiß ist.
Prominente Politiker, die auf der Straße von Reportern mit Kameras angesprochen werden, fragen häufig, von welcher Zeitung oder welchen Fernsehsendung sie stammen. Das ist klug, denn einem Heute-Show-Team antwortet man anders als einem Monitor-Team.
Beim einfachen Volk ist diese Erkenntnis noch nicht sehr weit verbreitet. Menschen plappern in jede Kamera und merken gar nicht, wie sie benutzt werden, damit das Publikum sie auslacht.
Besonders erstaunlich erscheint mir diese bahnbrechende Doofheit bei Trump-Rallys, bei denen selbstverständlich viele liberalere Pressevertreter auftauchen, um mit den Statements des Fußvolkes zu schocken. Es gibt sogar ein eigenes Genre dafür: Spezialisten wie Jordan Klepper von der Daily Show, der seit Jahren Hardcore-Trumpisten blamiert, indem er sie zum Reden animiert. Daß die immer wieder darauf reinfallen, verblüfft insofern, da die angebliche liberalen Medien das zentrale Thema bei Trump-Veranstaltungen sind. Seit sieben Jahren nennt Trump die Presse „Feinde des Volkes“ und hämmert dieses „enemy oft he people“ seinen Jüngern bei jeder Rally ein. Adaptiert haben sie davon aber offensichtlich noch nichts.
Klepper befragt republikanische Wähler beispielsweise nach Obamas Rolle beim World Trade-Center Anschlag und erntet wütende Schimpftiraden wider des demokratischen Präsidenten. Er hätte sich nicht gekümmert, wäre nicht oft genug im Weißen Haus gewesen und hätte ständig nur Urlaub gemacht. Keinem fällt ein, daß Obama erst acht Jahre nach 9/11 ins Amt kam.
Die Massendoofheit verbreitet sich natürlich durch Facebook und Co. Aber eine der wichtigen Quellen ist nach wie vor das lineare, klassische Fernsehen.
Ich staune, daß ich noch staunen kann, aber FOX News strahlte beispielsweise gerade ein Interview mit Ted Cruz aus, in dem nicht nur, wie üblich, alles erlogen war, sondern eine erstaunliche Plumpheit an den Tag gelegt wurde.
Das „Biden White House 2020“ wurde dafür verantwortlich gemacht, im letzten Präsidentschaftswahlkampf Twitter zu Ungunsten Trumps manipuliert zu haben. Dabei kam Biden bekanntlich erst im Januar 2021 ins Amt. Es gab logischerweise 2020 kein Biden-WH, sondern nur ein Trump-WH.
75 Millionen Amerikaner wissen nicht mehr, wer George W. Bush war, können sich nicht mehr an 2001-2009 zurück erinnern, schieben 9/11 und den Irakkrieg Obama in die Schuhe.
Nun stellt sich heraus, daß sie nicht einmal mehr zwei Jahre bis zu ihrem Held Trump zurückwissen.
So etwas wie einen „gesunden Menschenverstand“ gibt es nicht und kann es nicht geben, wenn so große Teile der Menschheit komplett verblödet sind.
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