Donnerstag, 15. Dezember 2022

Was nun, Sunak?  

 

 Eins ist mal ganz sicher: Der Brexit war eine extrem schlechte Idee, die nur Verlierer hervorbrachte. Mal abgesehen von den paar ultrakonservativen Tories, die dadurch zu ihren Pöstchen kamen.

Wie so viele rechte Rohrkrepierer, war der Brexit auch einer dieser absehbaren Katastrophen, die nicht etwa überraschend schief gehen, sondern von Anfang an für jedermann sichtbar, ein Desaster waren. Aber die Wähler marschierten sehenden Auges mitten hinein in den urenglischen Clusterfuck.

[….] Wenn es in der Wissenschaft einen Brexit-Konsens gibt, dann ist es wohl dieser: Der EU-Austritt hat Großbritannien wirtschaftlich geschadet.  [….]

(Alexander Mühlauer, London, SZ, 02.12.2022)

Die Briten waren zwar bisher blöd genug, um den Brexiteer-Tories riesige Mehrheiten im Unterhaus zu verschaffen, aber die ökonomischen Probleme sind so gewaltig, daß sie für die erzkonservative Trümmertruppe nicht zu lösen sind. Die Skandalminister verabschieden sich wie in einer Drehtür und bereits drei Regierungschefs – May, Johnson und Truss – scheiterten spektakulär an ihren Ansprüchen.

Rishi Sunak amtiert als dritte Wahl einer gescheiterten Partei, kann aber keine Neuwahlen ausrufen, weil die unausweichliche Erkenntnis „Man darf keine Tories wählen“ inzwischen doch bei der großen Mehrheit des Britenvolks angekommen ist.

Um die abstürzende Ökonomie zu retten, bleibt nur ein seriöser Weg: Ein offizielles Mea Culpa der Tories, die Einsicht, sich völlig verrannt zu habe, bei der EU zu Kreuze kriechen und die ultrakonservative Regierungspolitik komplett umzukrempeln.

Nur das könnte Millionen arme Engländer, Waliser, Nordiren und Schotten, die tatsächlich hungern und frieren, retten.

Selbstredend werden Sunak und seine GOP-Homunculi das aber nicht tun, sondern die Lage kontinuierlich verschlimmern. Dafür verwenden sie ebenfalls das erprobte zweigleisige Trump-Politikkonzept.

1.)
Niemals eigene Irrtümer eingestehen, sondern die Schuld den Unschuldigen in die Schuhe schieben. Das tut die Sunak-Regierung, indem sie um bessere Arbeitsbedingungen kämpfende Krankenschwestern, Sanitäter oder Kindergärtner attackiert.

2.)

Konsequent Fakten diskreditieren und statt sich auf die schnöde Realität zu beziehen, ungeniert und tolldreist lügen.

[….] Die "UK Statistics Authority", kurz UKSA [hat] eine Mahnung an die Partei der Konservativen verschickt, weil der Tory-Minister Michael Gove kürzlich gesagt hatte, das Königreich habe seit dem Brexit-Referendum 2016 neue Handelsabkommen "mit mehr als 70 Ländern" abgeschlossen, im Wert von "insgesamt mehr als 800 Milliarden Pfund". 70 Abkommen, 800 Milliarden Pfund, fantastisch, der Brexit, nicht wahr? Die Rechnung der Tories ist, wie die UKSA trocken feststellte, zum großen Teil Fantasie.  Die Behörde merkte an, die Summe setze sich offenbar aus dem Handel mit EU-Ländern plus den Abkommen mit Nicht-EU-Staaten zusammen, wobei die meisten davon ja bloß eine Kopie der vorher schon existierenden Abkommen zwischen der EU und ebenjenen Ländern seien. Die Zahlen also seien "irreführend und inakkurat", heißt es in dem Schreiben, Gove und die Tories sollten ihre Quellen nennen und die Zahlen in den richtigen Kontext stellen. Genau der aber, der richtige Kontext, wird von den politischen Parteien oft ignoriert, wenn es um den Brexit geht - neuerdings nicht nur von den Tories.  Die wirtschaftlichen Probleme im Vereinigten Königreich sind - akkurat statistisch dokumentiert - größer als in den anderen G-7-Staaten, auch unter Miteinbeziehung von Krieg und Pandemie. Diverse Streiks von Zugführern, Krankenschwestern, Briefträgern und anderen wütenden Schlechtverdienenden sind auch in dieser Woche wieder Ausdruck dieser Probleme. Ebenfalls akkurat statistisch belegt sind die Einbußen, die das Königreich wegen des Brexits hinzunehmen hat. Und trotzdem behandelt die britische Regierung auch unter Premierminister Rishi Sunak den Brexit noch immer wie ein rein ideologisches Wahlkampfthema, in dem man mit ein paar frisierten Zahlen und Slogans Stimmung machen kann. Statt die realen, wirtschaftlichen Folgen des Brexits anzuerkennen. [….]

(Michael Neudecker, 14.12.2022)

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