Phasenweise fröne ich intellektuell niederschwelligen TV-Angeboten und tauche so lange in ein seichtes Genre ein, bis ich es vollständig erfasst habe.
Eine dieser peinlichen Episoden, war mein Interesse an „House-Flipping“-Sendungen auf Home And Garden TV (HGTV).
Es gibt eine große Auswahl von Paaren (es sind immer zwei Menschen), die in verschiedenen US-Städten, mit ganz verschiedenen Budgets in jeder Folge ein heruntergekommenes Haus kaufen, es sanieren, renovieren, dekorieren und schließlich mit stattlichem Gewinn weiter verkaufen. Alles mit perfekt ausgeleuchteten Vorher/Nachher-Bildern, die den Zuschauer staunen lassen. Es ist diese angenehme Form des Reality-TV, bei der man sich einbildet, eine ganz konkrete „reale“ Geschichte zu erleben, obwohl höchstwahrscheinlich alles gestellt und inszeniert ist.
HGTV streut so breit, damit jeder Zuschauer sich mit seinem Lieblings-Houseflipper-Paar identifizieren kann. Das funktioniert auch bei mir. Viele der Protagonisten sind so entsetzlich amerikanisch, laut und nervenaufreiben, daß ich sie nicht ertragen kann. Es gibt aber auch Unterhaltsame und sogar zwei, drei Flippe-Paarer, die ich wirklich sympathisch finde, so daß ich mich dabei erwische mit zu fiebern und ihnen einen hohen Gewinn zu wünschen.
Als deutscher Zuseher bekommt man ein Gefühl für Preise, beliebte Materialien, amerikanische Bauvorschriften und Bau-Methoden.
Ich meine, inzwischen aber alle Mechanismen erfasst zu haben und so flachte mein Interesse so stark ab, daß ich glücklicherweise HGTV nicht mehr einschalten muss.
Als Serviceleistung, um anderen Menschen Stundenlang Zeitverschwendung mit HGTV zu ersparen, folgt nun mein Destillat der Haupterkenntnisse:
1.)
Alle Amerikaner sind verrückt.
2.)
Arbeitsschutzkleidung ist unbekannt. Egal, ob Maurer, Zimmermann, oder Dachdecker: Bei der Arbeit trägt man Baggy Shorts, Flipflops und eine Baseball-Kappe.
3.)
Man wundere sich nicht über erhebliche Sturmschäden. Auch mehrere Millionen Dollar teure Luxushäuser, sind in der Regel nur bessere Pappschachteln. Keller und Fundamente gibt es kaum. Beim Neubau errichtet man ein Ständerwerk aus dünnen Holzlatten, lässt diese dann von den Trockenbauern mit Gipsplatten versehen und als Höchstes der Gefühle, wird an den Außenwänden eine dünne Schicht Putz aufgetragen.
4.)
Es gibt keine Geschmacksunterschiede, mal abgesehen von Nuancen bei der Farbwahl. Amerikaner müssen einen offenen Grundriss haben. Eine große Küche mit bunt gefliestem „backsplash“ und Kücheninsel, weil die Mutter den ganzen Tag brav kocht, aber dabei vom Herd aus die Kinder beobachten will. Es braucht unbedingt eine „entertaining area“ mit großem Flatscreen-TV, weil alle pausenlos „friends and family“ einladen, um gemeinsam Football zu gucken, während Muttchen alle bekocht. Die Eltern schlafen in einem möglichst riesigen Zimmer (master bedroom), das ein „en suite“ Bad haben sollte. Kinder hingegen benötigen offenbar keinen Platz und werden gern in winzige Kammern gesteckt, da sie sich im Gegensatz zu den Eltern, offenbar nicht bewegen und nie spielen. Teppich ist verpönt und ein Garten ist kein Garten ohne eine riesige Grillstation.
5.)
Egal, ob es sich um eine 150.000-Dollar-Hütte in Detroit oder eine 5 Millionen Dollar-Villa in Anaheim, Ca, handelt: Ohne „AC“ (Klimaanlage) geht es nicht. Strompreis und Klimapolitik spielt offenbar keine Rolle; jeder Raum muss sich eiskalt kühlen lassen.
6.)
Noch einmal: Alle Amerikaner sind verrückt. Bei Hausbesichtigungen schleppen sie Schaminnen an, die nach schlechten Stimmungen pendeln und den Geistern früherer Bewohner fahnden. Kein Einzug ohne esoterische Rituale. Mindestens ein Räucherbündel aus getrocknetem Salbei muss durch jeden Raum gewedelt werden, um die Umgebung „spirituell zu reinigen“.
Unglücklicherweise schwappt dieser Einheits-Wohngeschmack schon seit ca 15 Jahren auch nach Deutschland. In Deutschland errichtete Häuser mögen stabiler sein und über die, in den USA unbekannte Technik der unterirdischen Stromleitungen verfügen, so daß nicht bei einem Herbststurm alles wieder zusammenkracht, oder zumindest die Strom- und Internet-Masten umknicken.
Das Wohnungsbau-Design ist aber vollständig vereinheitlicht: Offene Küche, bodentiefe Fenster, lichtdurchflutet, heller Parkettboden (je nach Preislage ggf aus Laminat oder Vinyl).
Da die Leute keine Bücher mehr lesen, brauchen sie auch keinen Wandplatz für Regale. Wer als Interessent einwirft, daß eine geschlossene Küche auch Vorteile habe, weil man beispielsweise bei starker Geruchsentwicklung die Tür schließen könne, oder wer gar nicht so gern von den Nachbarn gegenüber, durch die „bodentiefen Fenster“ beobachtet wird, muss damit rechnen, als sonderlicher Ketzer aus der Stadt gejagt zu werden. Denn „das macht man jetzt so“, die Mieter/Käufer wünschen sich das.
Auch das schamanische Ausräuchern der Räume wird zwischen Flensburg und Bodensee populär.
[….] Boom der Räucherrituale: Warum sich die Deutschen die Bude vernebeln [….] Es ging schon harmonischer zu in mitteleuropäischen Haushalten als in den Jahren 2020 bis 2022. Für die Haushalte sind die Begleiterscheinungen der Pandemie aber anscheinend ein längerfristiges Problem: »Räume sind Energiespeicher. Sie vergessen nichts von dem, was in ihnen geschieht«, sagt Christine Fuchs. »Es ist wichtig, dass wir regelmäßig eine reinigende Hausräucherung durchführen!« Denn der Rauch von glimmenden Pflanzenteilen soll alles hinauskärchern, was sich an schlechter Stimmung in einer Wohnung eingenistet hat. Aha. Beim Räuchern werden getrocknete Kräuter, Harze oder Hölzer erhitzt oder verbrannt. Meist über glühenden Kohlen, alternativ in Schalen, auf Stövchen oder zum Büschel gebunden. Dabei entstehen Duft und Qualm. Christine Fuchs hat sich damit ein ganzes Imperium aufgebaut. Früher arbeitete die Betriebswirtin in der Personalentwicklung eines Stuttgarter Automobilkonzerns. Inzwischen vertreibt sie mit ihrer Firma Lab.danum Bartflechte aus Osttirol und Myrrhe aus Somalia, gibt Räucherkurse und hat mehrere Bücher zum Thema geschrieben. Mit Beginn des ersten Corona-Lockdowns explodierte der Bestelleingang ihres Onlineshops. [….]
Die multiplen Krisen wirken als Esoterik-Verstärker.
[….] Esoterik-Boom dank Krise [….] – Krieg, Corona, Inflation: Eine Krise jagt die nächste – und immer mehr Menschen sehnen sich nach Trost. Dabei suchen immer mehr Ratsuchende Zuflucht in esoterischen Angeboten – und die schießen derzeit wie Pilze aus dem Boden. Bundesweit berichten Beratungsstellen von steigenden Anfragezahlen. „Sogenannte Schamanen, unseriöse Coachings und aggressive Verschwörungstheoretiker haben deutlichen Zulauf“, sagt Sabine Riede, Leiterin des Vereins Sekten-Info NRW. Ähnliches berichten zwei weitere staatlich geförderte Stellen: die Zentrale Beratungsstelle für Weltanschauungsfragen (Zebra) für den süddeutschen Raum in Freiburg und die Sekteninfo Berlin. [….] Sehr beliebt seien derzeit etwa schamanische Angebote, die mit indianischen Amuletten, Bildern, Symbolen und Musik Stabilität gegen die „böse Welt“ draußen versprächen. […]
(MoPo, 16.11.2022)
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