Heute habe ich in einem richtigen Foto-Studio biometrische Bilder von mir machen lassen. Vielleicht hätte es auch ein Automat getan, aber ich wußte gar nicht, was „biometrisch“ genau bedeutet und außerdem brauchte ich für den US-amerikanischen Pass immer andere Bildformate.
In vier Wochen habe ich meinen Termin im Bezirksamt, um einen deutschen Pass und einen deutschen Personalausweis zu beantragen.
Meine ersten europäischen Papiere überhaupt. Da soll es nicht an den peinlichen Fotos scheitern.
Daß es überhaupt so weit ist, kann ich immer noch nicht richtig glauben. Ich bin zwar nun schon seit zehn Tagen deutscher Staatsbürger; es fühlt sich aber noch nicht so an, weil ich den seit Anfang 2019 laufenden Einbürgerungsprozess nie abschloss, sondern aufgrund der genannten Neuregelung für Undeutsche mit einem deutschen Elternteil, an den anderen Antragsstellern vorbeizog.
Eigentlich sollten meine Geburt in Deutschland, meine deutsche Mutter, meine deutschen Vorfahren und über ein halbes Jahrhundert Aufenthalt in Deutschland ausreichen, mich auch deutsch zu fühlen, aber nach so vielen Jahrzehnten bitterer Ablehnung (durch fromme christliche Bundesinnenminister wie Wolfgang Schäuble, der Doppelstaatlichkeit zu einer „Schizophrenie“ erklärte und solche Menschen wie mich nie in Deutschland zulassen wollte), hätte ich lieber die lange Strecke genommen. Wie jeder Migrant, der nicht in Deutschland geboren wurde und sich aktiv selbst hier Wurzeln anschaffte.
Zudem habe ich seit 2019 mein ganzes Leben en Detail dem Amt für Migration dargelegt. Die haben alles von mir. Jedes Zeugnis, jede finanzielle Information, jede politische Einstellung.
Wir sind doch ein Beamtenland, das berühmt für seine Bürokratie ist. Nach knapp vier Jahren Wartezeit, hätte ich gern ein offizielles OK bekommen, das bedeutet, auch ohne deutsches Blut würdig genug zu sein.
Vielleicht muss ich wirklich erst einen Pass mit meinem Foto und der Aufschrift „Bundesrepublik Deutschland“ in der Hand haben, um Dazugehörigkeit zu fühlen.
Bei dem „normalen Verfahren“, das alle meine Daten evaluiert, könnte es allerdings noch sehr lange dauern. Über 100.000 Einbürgerungsverfahren werden seit Jahren verschleppt, weil die Ämter völlig überlastet und unterbesetzt sind. Aberwitzige bürokratische Hürden, bornierte Parlamentarier, desinteressierte Innenminister wie Horst Seehofer und katastrophale Personalpolitik haben zum vollständigen Gridlock der Migrationsämter geführt.
[….] In Deutschland warten mehr als Hunderttausend Ausländer nach einem Bericht der „Welt am Sonntag“ zum Teil seit Jahren auf eine Einbürgerung. Die Behörden kämen der Bearbeitung der Anträge vielerorts nicht hinterher, wie eine Umfrage der Zeitung bei den 25 einwohnerstärksten Städten ergeben habe. In Berlin seien rund 26.000 Anträge anhängig, davon 10.000 aus dem Jahr 2021. In Hamburg seien 18.000 Gesuche zur Einbürgerung in Bearbeitung, in München etwa 10.000. In allen anderen angefragten Großstädten stapelten sich jeweils Anträge in vierstelliger Höhe, heißt es in dem Bericht. Selbst wenn das Verfahren in die Wege geleitet ist, dauere es in vielen großen Kommunen zwölf bis 18 Monate, zum Teil aber auch bis zu drei Jahren, bis der deutsche Pass ausgestellt sei. [….] Für die Wartenden seien die Verfahren „sehr ermüdend und unüberschaubar“ geworden, kritisierte der Vorsitzende des Bundeszuwanderungs- und Integrationsrat, Memet Kilic, in der Zeitung. Jeder Tag des Wartens senke die Motivation zur Einbürgerung und verwehre Migranten ihnen zustehende Teilhaberechte. [….]
Deutschland leidet an massiver Personalknappheit, die zu einem massiven ökonomischen Schaden führt, die nur durch massive Migration verbessert werden kann, aber genau das passiert nicht – wegen massiver Personalknappheit. Kann man sich nicht ausdenken.
[…] Die Lage für die Wirtschaft spitzt sich zu. Der Bedarf an Arbeitskräften ist im ganzen Land viel größer, als der Markt diese hergibt. Fachleute zählten zuletzt mehr als 1,8 Millionen offene Stellen. Ein Mangel, der zur ernsten Gefahr zu werden droht. Man müsse die Wirtschaft am Laufen halten, mahnte Arbeitsminister Hubertus Heil am Freitag im Bundestag. Die Debatte zur Fachkräftestrategie der Regierung machte klar: Bis 2035 werden weitere sieben Millionen Arbeitskräfte verloren gehen. Viele Beschäftigte geburtenreicher Jahrgänge gehen in Rente, viel weniger Junge kommen nach. Das Land muss umdenken. Ohne deutlich mehr Fachkräfte aus dem Ausland ist der akute Mangel längst nicht mehr zu beheben. [….]
(Markus Basler, SZ, 20.01.2023)
CDU, CSU, AfD und FDP hängen immer noch der irrigen Annahme an, Deutschland wäre das Traumland jedes Inhabers eines anderen Passes auf diesem Planeten. Alle strebten nur hierher und daher könne man sich gönnerhaft aussuchen, wem man „das Kostbarste“ (Merz), nämlich die Staatsbürgerschaft geben.
Die Gelben, Braunen und Schwarzen leben in einer 60 Jahre alten Illusion. Viele andere Länder mit Arbeitskräftemangel sind viel attraktiver. Da muss man nicht erst so eine schwere Sprache lernen, wird besser bezahlt und willkommen geheißen.
Und muss sich nicht über viele Jahre mit arroganten Behörden plagen, die einen wie Bittsteller behandeln, statt den Roten Teppich auszurollen.
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