Dienstag, 3. Januar 2023

Kabale, Kurie, Kirche.

Ich kann es ja nicht lassen. Heute habe ich schon wieder einige Dokumentationen über Ratzi gesehen, sowie diverse Nachrufe gelesen.

Mit Joseph Ratzinger beschäftige ich mich schon seit er in den frühen 1980ern als Panzerkardinal als die Inquisitionsbehörde in Rom leitete.

Mein Kurienfimmel hatte sich 1984 mit dem frisch erschienen „Im Namen Gottes? Der mysteriöse Tod des Papstes Johannes Paul I“ von David A. Yallop entzündet.

Ich war begeistert. Als atheistischer Teenager aus dem säkularen Norddeutschland, tat sich mir eine neue Welt auf in den geheimnisvollen Präfekturen der dubiosen Kurie. Damals las ich auch enthusiastisch JJR Tolkien, weil mich diese Phantasie-Universen seit Michael Endes „Die unendliche Geschichte“ (1979) faszinierten. Aber Yallop bot den besonderen Kick, daß es sich um Realität handelte. Kurienkardinäle, die in bunten Kleidern durch uralte Gemäuer, hochgeheime Archive, riesige Schatzkammern und geschichtsträchtige Säle wandelten, gab es wirklich.

Unglaublich, diese grotesken misogynen Gestalten, die keine Frauen duldeten und gegen Menschenrechte wetterten, wurden ernst genommen. Und als Krönung, war der Mächtigste von allen auch noch ein Deutscher mit hoher Stimme und bayerischem Akzent.

Wenn das nicht pures Comedy-Gold war!

Mein amerikanischer Familienzweig ist polnisch-stämmig und daher natürlich streng katholisch. Das wurde mir aber auch erst in den 1980er Jahren klar, da mein Vater, nachdem was ihm Priester ans Kind angetan hatten, radikal mit der Kirche brach und fürderhin als schwarzes Schafe der Familie Atheist war, dann eine Atheisten heiratete. Natürlich nicht kirchlich und seine Kinder wurden nicht getauft. Als Kind erschien mir das ganz normal; ich vermisste nichts, weil ich es gar nicht erst kennengelernt hatte. Nach der Yallop-Lektüre tauchte ich aber genauer in die Familiengeschichte ein und lernte, daß meine US-Onkel und Tanten mit ihren Familien nicht nur streng katholisch waren, sondern noch einmal zusätzlich national euphorisiert wurden, nachdem sensationell 1978, das erste mal in 2.000 Jahren, einer der ihren, ein Pole, Papst wurde. Ehrensache, daß sich die US-Polen nun noch enger an die RKK banden. Ich lernte weiterhin, daß der Zwillingsbruder meines Vater, nicht mit Hass oder Verachtung auf uns blickte, sondern voller Sorge. Er war wirklich ein guter Mensch, den man nur mögen konnte. Aber er war so verhaftet in sein religiöses Weltbild, daß ihn die Vorstellung von seinem Bruder und den Neffen in der Hölle, bis zu seinem Tod umtrieb. Er mochte uns schließlich und daher wünschte er sich, wir würden uns irgendwann doch taufen lassen.

Die Möglichkeit, im Unrecht zu sein, bestand für ich nicht, because „we do things right!“ Die Hamburger waren hingegen die Irrenden, die vom Glauben abgefallen waren und sich an ihren Kindern versündigten, indem sie ihnen Gott nicht nahe brachten.

Am 02.04.2005 telefonierte ich mit meiner US-Tante, die furchtbar unglücklich über den Tod ihres geliebten polnisches Papstes war. Wie sollte es nur weiter gehen?

Zu ihrer größten Verblüffung warf ich sofort mit den Namen einiger Papabili um mich. Wieso ich das denn wisse, you arn’t even religious, right?

Sie wußte noch nicht einmal wie ein Konklave funktioniert, geschweige denn, daß es selbstverständlich bei einem alten und im Sterben liegenden Papst, hinter den Kulissen heftige Machtkämpfe gab, um Stimmen zu sammeln. 2005 trat eine Rekordzahl von 115 wahlberechtigten Kardinälen unter 80 Jahren an. Die wichtigsten Strippenzieher neben Joseph Kardinal Ratzinger, die ich meiner Tante erklärte, waren der Camerlengo Eduardo Kardinal Martínez Somalo und der Subdekan des Kardinalskollegiums: Angelo Kardinal Sodano.

Es war schwerer, denn je einzuschätzen, was passieren würde, da die meisten Kardinäle aus dem letzten Konklave 1978 inzwischen über 80 und/oder tot waren. Zudem hatte Woytila so viele Nicht-Italiener, wie nie zuvor zu Purpurträgern erhoben. Umso wilder schossen die Spekulationen in den Himmel.

Ratzinger hatte ich ausgerechnet nicht auf dem Zettel, weil er als Glaubenspräfekt, Kardinaldekan und engster Vertrauter des Polen, der mit Abstand Mächtigste war und somit der natürliche Nachfolger. Aber die Regel lautete, daß der der als Papst-Favorit ins Konklave geht, als Kardinal wieder rauskommt.

Am 19.04.2005 rief meine Tante wieder an.

Ein Deutscher als Papst? Kennst Du den etwa?

Nach einem Vierteljahrhundert als Vatikanischer Glaubenswächter, war Ratzinger den US-Katholiken immer noch völlig unbekannt.

Da begriff ich, wie man glauben konnte: Indem man nicht zu viel weiß und sich insbesondere von den Interna seiner eigenen Religion fern hält.

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