Freitag, 6. Januar 2023

Ukraine-Fatigue  Teil II

 

Etwa 1,1 Millionen Ukrainer leben derzeit in Deutschland. 200.000 Ukrainische Kinder gehen hier zur Schule.

Ich unterstütze das ausdrücklich und vorbehaltslos.

Deutschland sollte alle Ukrainer aufnehmen, die kommen möchten.

Deutschland sollte auch alle russischen Flüchtlinge, Deserteure, Oppositionelle aufnehmen.

Voller Entsetzen fühle ich mit, wenn ich Berichte/Bilder/Videos aus dem Kriegsgebiet sehe. Es gruselt mich bei der Vorstellung, es in umkämpften Dörfern und Städten ohne Heizung und ohne Strom auszuhalten. Ein unerträglicher Alptraum. Dabei ist es nur meine Phantasie, die leidet. Ich bin mir dessen bewußt, wie unzulänglich das ist und wie viel schlimme es sein muss, den Krieg real zu erleben.

Ich verstehe jeden, der da weg will und meine, die Bundesregierung sollte alles unternehmen, um diese Menschen aufzunehmen.

Es schmerzt mich, mitzuverfolgen, wie Deutschland partiell an dieser Aufgabe scheitert und wie die Stimmung kippt. Im Russland-freundlichen und AfD-affinen Ostdeutschland werden Ukrainer bereits gemobbt und beschimpft. Teile der CDU, beispielsweise der CDU-Landrat Udo Witschas in Bauzen, macht mit der Unterstützung seines CDU-Landesvaters Kretschmer xenophobe Stimmung.

Die unverhohlene Parteinahme für Putin aus der AfD und Teilen von Linken und CDU/CSU ist widerlich.

Es entsetzt mich, zu hören, unter welchen erbärmlichen Bedingungen viele Ukrainer immer noch leben müssen. In Hamburg werden ukrainische Kinder beispielsweise in Stundenhotels am Paulinenplatz unweit der Reeperbahn untergebracht.

Google Earth

[…..] Polizeisprecher Daniel Ritterkamp dagegen ordnet den Bereich als »zentralen Anlaufpunkt für Partygäste« ein, als gelegentlichen Treffpunkt von »Randständigen« und Drogenabhängigen. Viele Häuserfassaden rundherum sind mit Graffiti besprüht, die Türen oft mit zusätzlichen Gittern gesichert. Die Bordelle, Spielcasinos, Kneipen und Klubs rund um die Reeperbahn liegen nur ein paar Hundert Meter entfernt; das Stadion des Fußball-Zweitligisten FC St. Pauli ist direkt gegenüber.

Tatjana, eine kleine Frau in dunklen Freizeitklamotten, ist mit ihren kleineren Kindern jeden Tag hier auf dem Spielplatz. »Ich weiß nicht, wo ich sonst hingehen soll«, sagt sie. Mit ihren acht Kindern bewohnt sie im »Budapester Hof« ein Zimmer. Und während der Nachwuchs auf den Klettergerüsten herumturnt oder schaukelt, bespricht sie mit anderen ukrainischen Müttern ihre Situation. Die, sagt sie, sei schwer erträglich. Ihr Mann, ein Waldarbeiter, sei mit 37 Jahren gestorben, das Herz. Und jetzt, alleinerziehend in einem fremden Land, wisse sie nicht, wie es weitergehen solle. […..] In dem Raum, den die Familie bewohnt, stehen ein riesiges Bett und ein Etagenbett, für andere Möbel ist kein Platz. Drei Jungs zwischen 11 und 14, die keine Lust auf den Spielplatz haben, liegen nachmittags um 15.30 Uhr auf dem Bett und daddeln auf ihren Handys. Die 16-jährige Cristina, Tatjanas älteste Tochter, guckt ihnen dabei zu. Das Mädchen mit den langen dunklen Haaren und dem rosa Kapuzenpulli besucht keine Schule und hat nichts zu tun.

Google Streetview 2008
t stickig, die Heizung voll aufgedreht, obwohl es draußen an diesem Tag noch 19 Grad warm ist. »Sonst kriege ich die Wäsche nicht trocken«, sagt Tatjana. Weil es im Hotel keine Waschmaschine gibt, schrubbt sie die Wäsche mit der Hand, legt sie dann auf die Heizkörper. »Uns wurde schon vor Wochen eine größere Wohnung versprochen«, erzählt sie, passiert sei bisher nichts. […..] Ihre Eltern sind derzeit auf die staatliche Unterstützung angewiesen. Sie bekommen jeder 404 Euro, für jedes Kind zwischen 14 und 17 Jahren werden zusätzlich 376 Euro im Monat gezahlt. […..] Die 2,50 Euro, die Dimitri und Tanja täglich von den Eltern bekommen, reichen nicht für große Sprünge. Ihre Kleidung kommt von der Kleiderkammer eines Wohlfahrtsverbandes, erzählt Dimitri. […..] Ausflüge in die Innenstadt, zum Beispiel zum feinen Jungfernstieg, seien dagegen frustrierend, berichtet Dimitri. Mit anderen ukrainischen Jugendlichen habe er die teuren Läden dort bestaunt. Und nicht genug Geld gehabt, sich irgendetwas zu kaufen. Auch ein Schwimmbadbesuch sei gescheitert. Weil er und seine Kumpels den Eintritt nicht bezahlen konnten. [….]

(DER SPIEGEL, 18.11.2022, Heft 47/2022)

Besser als Bombenhagel. Aber dennoch erbärmlich. All dieser Geschichten bin ich nicht müde. Sie verdienen unsere volle Aufmerksamkeit.

Aber einiges kann ich nach gut 10 Monaten nicht mehr hören. Da ist zum Beispiel die geradezu geifernde Begeisterung einiger Grüner und Gelber für Waffensysteme.

Verrückte Zeiten: Die größten Bundeswehrfreunde, Waffenexport-Befürworter und Selenskyj-Fans sind heute die Grünen, bzw die Olivgrünen.

[….] Wie die Grünen zur Hoffnung der Rüstungsindustrie werden

Strengere Kontrolle, mehr Rücksicht auf Menschenrechte – das war das Ziel der Ampel. Nun stellen geplante Millionendeals eines deutschen Rüstungskonzerns mit autoritären Golfstaaten die Regierung auf die Probe. […..]

(DER SPIEGEL 2/2023)

Typen wie der Mopo-Chefkommentator Christian Burmeister nerven mich. Manisch drischt er auf Putin ein, als ob es irgendwie helfe, ihn zu beschimpfen.
   

In einem Webblog kann ich flapsig das Verb „faseln“ verwenden. In einer gedruckten Zeitung nicht.

Burmeister blickt verächtlich auf Scholz und die Bundesregierung. Sie wären zu feige, um Panzer zu liefern, während er, aus der sicheren Redaktionsstübchen erkannt hat, wie der Krieg zu gewinnen ist. Putin verstünde nur Stärke und bei mehr Ukrainischen Panzern werde er schon einknicken, irgendwann mit einem „Tut mir so leid“ abziehen und seine Niederlage akzeptieren.

Woher Burmeister die Sicherheit nimmt, sagt er nicht. Er erwähnt auch nicht die entscheidende Tatsache, daß Putin nun einmal über ein riesiges Atomwaffenarsenal verfügt, das sicherlich nicht mit deutschen Panzern zu bezwingen ist.

Ich bin es weiterhin Leid, daß mir Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Anton Hofreiter mit großer Selbstverständlichkeit als Militärexperten präsentiert werden.

Hofreiter ist bekanntlich promovierter Biologe und zur frommen Katholikin Strack-Zimmermann ergoogele ich bei Wikipedia:

[….] studierte sie bis 1983 Publizistik, Politikwissenschaft und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) und schloss ihr Studium mit dem Magister Artium ab. 1986 wurde sie an der LMU mit der dort eingereichten Arbeit Bilder aus Amerika: Eine zeitungswissenschaftliche Studie über die USA-Berichterstattung im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) zum Dr. phil. promoviert. Danach war Strack-Zimmermann von 1989 bis 2008 als selbstständige Verlagsrepräsentantin für den mittelständischen Nürnberger Jugendbuchverlag Tessloff tätig […]

Magister Artium und Jugendbuchverlag halte ich im Gegensatz zu Herrn Burmeister nicht für eine ausreichende Qualifizierung als Militär- und Waffenstrategie-Expertin.

Es nervt mich, wenn Dobrindt, Merz und Söder den Bundeskanzler piesacken, er solle a) Lambrecht entlassen und b) schnellstens Leopardpanzer in die Ukraine schicken.

Lambrecht ist die Buhfrau der deutschen Politik, weil sie ein doofes Fotos ihres Sohnes gemacht hat, doofe Schuhe in Mali trug und nun auch noch ein doofes Privatvideo am 31.12.2022 aufnahm. Ja, das ist alles peinlich und ungeschickt, hat aber wenig mit ihrer fachlichen Qualifikation zu tun. Daß die Bundeswehr in einem derart erbärmlichen Zustand ist, daß kaum ein Waffensystem einsatzfähig ist, hat aber im Gegensatz zu den Unkenrufen der CDUCSU-Herren nichts mit der SPD-Politikerin zu tun, sondern liegt an 16 Jahren ununterbrochenem CDUCSU-Totalversagen auf der Hardthöhe und 16 Jahren Total-Desinteresse im CDU-Kanzleramt.

Und noch etwas macht mich wütendmüde: Der ukrainische Vizeaußenminister und glühende Nazi-Fan (Stepan Bandera) Andrij Melnyk! 12 Milliarden Euro Direkthilfen aus Deutschland erhielt die Ukraine seit dem 24.02.2022. Deutschland nahm über eine Million Ukrainische Flüchtlinge auf, stellt seine komplette Energie- und Militärpolitik auf den Kopf und liefert zu dem Waffen und Munition im Wert von Milliarden Euro. Nun auch noch Marder-Panzer.

Wäre da nicht wenigstens mal ein kleiner Halbsatz, der das Wort „Danke“ enthält möglich? Stattdessen weiterhin nur überhebliches Gemecker.

[….]  Der ukrainische Vizeaußenminister Andrij Melnyk sieht in der angekündigte Lieferung von deutschen Marder-Schützenpanzern an die Ukraine »eine richtige, aber sehr verspätete Entscheidung«. Sie habe einen »bitteren Beigeschmack«, sagte der frühere ukrainische Botschafter in Deutschland dem Nachrichtenportal »t-online«. Die Ukraine habe »316, sehr lange blutige Kriegstage« warten müssen.

Melnyk äußerte Zweifel, dass seine »deutschen Freunde auf dieses zögerliche Handeln der Ampel heute stolz« seien. »Ob man dieses Vorgehen als Führungskraft bezeichnen kann, ist ebenso fraglich.« Der Diplomat sieht dabei vor allem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Pflicht. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) sagte Melnyk, die Lieferung der Schützenpanzer solle der »erste Tabubruch« sein, um die Armee unverzüglich mit sämtlichen Waffensystemen auszustatten. »Es geht um all die sofort lieferbaren schweren Waffen wie Kampfpanzer, Kampfflugzeuge, Kampfdrohnen, Kriegsschiffe, U-Boote, ballistische Raketen.« [….]

(SPON, 06.01.2023)

Um es vorsichtig auszudrücken: Mit dieser mauligen Undankbarkeit hilft er seinen Landsleuten nicht, wenn es darum geht, Sympathien in den Ländern zu sammeln, von deren Finanz- und Militärhilfe die Ukraine vollständig abhängig ist.

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