Dienstag, 23. September 2014

Bad Vibrations.


Bei Landtagswahlen ist für mich einer der interessantesten Aspekte, was die harten Zahlen in den nächsten Wochen für einen „Spin“ entwickeln.
Der deutsche Michel wählt nämlich gerne die Partei, für die die Stimmung gut zu sein scheint. Parteiprogramm, Wahltaktik und politische Konstellationen sind vielen Wählern weniger wichtig, als das psychologische Wohlgefühl zu den Gewinnern zu gehören.
Wenn eine Partei es schafft mit Wahlerfolgen und positiven Erwartungen assoziiert zu werden, stellen sich diese Ergebnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tatsächlich ein.
Oma Kowalski kreuzt gerne deswegen CDU an, weil sie annimmt, daß Merkel auch Bundeskanzlerin wird, bzw bleibt.

Landtagswahlen können sehr spezifische Ergebnisse haben, die nicht auf andere Bundesländer zu übertragen sind.
Extreme Ergebnisse können eine entsprechend extreme Ablehnung widerspiegeln oder eine extreme Zustimmung ausdrücken.

Für Ersteres sind die Wahlen in Kiel 1987/88 ein gutes Beispiel. Barschels CDU saß auf einer satten absoluten Parlamentsmehrheit und rauschte dann binnen eines Jahres auf 33% runter, während Engholm 55% holte. Der CDU-Skandal war so gewaltig, daß die Wähler aus echter Wut von ihr abwandten.
Ähnlich war es bei der jetzt schon legendären Hamburger Bürgerschaftswahl 2011 als die regierende CDU sagenhafte 21 Prozentpunkte verlor und auf 21,9% krachte, während die oppositionelle SPD aus dem Stand eine absolute Mehrheit holte. Hier war es auch eindeutig das Entsetzen über die CDU-Pleitenregierung von Christoph Ahlhaus. Olaf Scholz spielte (noch) keine entscheidende Rolle.

Gegenbeispiele sind die sogenannten „kleinen Präsidentschaftswahlen“ in Sachsen und Brandenburg von 1994.
CDU-Ministerpräsident Biedenkopf holte in Dresden 58%, während Kollege Stolpe in Potsdam 54% einfuhr. Die Landeskinder liebten ihre Landesväter, die sie zuvor das erste mal frei wählen konnten.

Solche Extrem-Ergebnisse versuchen die Bundesparteien selbstverständlich auszuschlachten und als Rückenwind für weitere Wahlen zu nutzen.
Aber diese Vorhaben sind wenig erfolgreich, weil sie zu offensichtlich nur bestimmten Personen und Konstellationen zu verdanken sind.

Manche Landtagswahlen nehmen aber viel stärker bundespolitische Schwingungen auf, so daß sich in ihnen ein Trend für oder gegen eine Parteienfamilie artikuliert. Dann können die Ergebnisse eine erstaunliche Dynamik haben und das ganze Land in Aufruhr versetzen.

Bekannte Beispiele dafür sind die Niedersächsische Landtagswahl von 1998, als der ohnehin potente und nach Höherem strebende Gerd Schröder sensationell zulegte und 48% für die SPD holte.
Am selben Abend warf sein innerparteilicher Kanzlerkandidatenkonkurrent das Handtuch und Helmut Kohls Schicksal war besiegelt.
Es hatte sich ein echter SPD-Spin entwickelt; jeder Journalist verglich den dynamischen erfolgreichen jungen Schröder mit dem offensichtlich ausgelaugten und reformunwilligen Kohl, der nach 16 Jahren im Amt immer noch nicht abtreten wollte. Gegen diesen Megatrend konnte die CDU nichts mehr ausrichten.

Einen ähnlich gewaltigen bundespolitischen Effekt erreichte die Landtagswahl in Nordrheinwestfahlen von 2005. Trotz sehr guter rotgrüner Bilanz unter Peer Steinbrück, gewann zum Entsetzen der SPD Jürgen Rüttgers das Land, welches immer stolz als „Herzkammer der Sozialdemokratie“ bezeichnet wurde.
Alle großen Presseorgane (außer ZEIT und SZ) hatten in den drei Jahren zuvor massiv die Schröder-Fischer-Regierung runtergeschrieben und überboten sich wöchentlich mit Lobeshymnen auf ihr damaliges Traumpaar Merkel-Westerwelle.
Das Düsseldorfer Ergebnis von 2005 wurde sofort zur Totenglocke der Bundesregierung erklärt. Kanzler und Vizekanzler; beide mit Sicherheit keine Mimosen, die bei medialem Gegenwind schnell umzukippen drohten, konnten nach dem Landtagswahlergebnis nicht mehr standhalten.
Das Ergebnis ist bekannt – am Ende des Jahres hieß die Bundeskanzlerin Merkel.

Die Wahlen in Thüringen und Brandenburg vom 14.09.14 ergaben nur für die Zwergparteien Piraten, FDP und AfD eindeutigen Spin.
Für die ersten beiden hat nicht nur das Totenglöckchen, sondern eine große Glocke geschlagen. Piraten und FDP erlebten den Toten-Dicker-Pitter. Zu tausenden fliehen die Mitglieder der Piraten und die FDP ist sogar schon vergessen. Einen „guten Spin“ erlebt zweifellos die AfD, die inzwischen demoskopisch auch bundesweit deutlich über 5% gesehen wird – ein weiterer Beleg für die die Wahlunfähigkeit des Urnenpöbels.

Über die etwas relevanteren Parteien ließen sich zunächst aus den Landtagswahlergebnissen keine klaren Schlüsse ziehen. Allerdings sehe ich erhebliche Probleme auf die Phlegma-Grünen zukommen. Antje Hermenaus Anbiederungskurs an die CDU ist kläglich gescheitert – sie verließ inzwischen die Politik und läßt ihre demoralisierten Sachsen-Grünen im Stich.

Angesichts der Vorstellung von Jürgen Trittins brillanten Buch „Stillstand“ schreibt die Süddeutsche Zeitung heute prominent auf ihrer „Seite 3“:

„Ein anderes Land ist möglich“, findet Jürgen Trittin. Derweil zerlegen sich die Grünen. Über einen Anführer ohne Partei – und eine Partei ohne Anführer.“

Wie wahr. Und wie dumm von den Grünen!
Wer nach der Bundestagswahl 2013 die fromme Spitzenkandidatin Göring-Kirchentag als Fraktionsvorsitzende einsetzt, Trittin rausschmeißt und sich gleichzeitig in Hessen den Rudimenten der Koch-CDU ausliefert, hat es nicht besser verdient.

Und die beiden Großen?
(Bzw „Größeren“; denn nach den 12,4% der SPD in Thüringen und Sachsen kann man ja kaum noch von einer großen Partei  reden.)

Obwohl Merkels Macht in Ländern und Kommunen weiter bedenklich erodiert, sitzt sie in der Bundespolitik extrem fest im Sattel.
Sie macht weiterhin ihre Lobbypolitik, hält sich programmatisch zurück und blamiert Deutschland international.
Der Urnenpöbel ist entzückt. Er liebt Stillstand im Kanzleramt. Die CDU-Chefin hat keinen Grund zur Sorge.

Unter großer internationaler Teilnahme findet heute der UN-Klimagipfel in New York statt. UN-Generalsekretär Ban, Obama und weitere 125 Staats- und Regierungschefs wollen endlich zur Tat schreiten.
Nur Merkel fehlt mal wieder. Ähnlich wie bei der Mandela-Beerdigung schwänzt sie gern hochkarätige Treffen, obwohl sie die einzigartige Gelegenheit bieten, unverbindlich und unkompliziert mit anderen Regierungschefs Großkrisen zu besprechen. (Mir war da so, als ob es im Moment durchaus das ein oder andere kleine Problem in der Welt gäbe….)
Merkel hat dazu aber keine Lust, weil das für sie Positionierungen bedeuten könnte. Sie will sich aber partout auf nichts festlegen und ewig schwamming weiter durch Deutschland mäandern.
Statt sich für die Klimarettung zu engagieren, umschmeichelt die Kanzlerin heute lieber beim BDI-Branchentreffen diejenigen, die das Klima ruinieren.
Der CDU bekommt dieses erbärmlich-kriecherische Verhalten erfahrungsgemäß sehr gut.

Nun der Blick auf die SPD; was sagen die ersten bundesweiten Umfragen nach den Landtagswahlen?
Absturz total – da sind sich die Institute einig.
Bei GMS schrumpft die SPD von 26% auf 24%. Noch schlimmer sieht es bei Forsa aus; dort sackt die SPD von 24% auf 22% zusammen.

Wie kommt’s?
Macht Gabriel nicht das Gleiche wie die Kanzlerin?
So scheint es. Der Vizekanzler ist heute auch beim BDI-Branchentreffen und umschmeichelt die Wirtschaftsbosse, der Vizekanzler hatte auch keine Lust auf UN. Der Wirtschaftsminister setzt sich ebenso wie die Kanzlerin in seiner Partei für das TTIP-Abkommen ein. Der SPD-Vorsitzende betreibt ebenso wie die CDU-Vorsitzende eine Verschärfung des Asylrechts, will Sinti und Roma in die Balkanstaaten abschieben, in denen sie massiv diskriminiert werden.
Sigmar Gabriel trägt ebenso wie Angela Merkel die perverse EU-Frontex-Politik mit, durch die täglich Menschen im Mittelmeer grausam zu Tode kommen.

Nur einen Fehler begeht der Vizekanzler: Er vergisst, daß seine Parteimitglieder kein CDU-Parteibuch haben, sondern ein Rotes.
Ob er es glaubt, oder nicht: Der gemeine Sozi ist eben nicht genau wie der CDU’ler. Er hätte lieber besseres Klima und weniger Kriechen vor der Industrie.


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