Donnerstag, 30. April 2015

Vorbild Merkel


 Die Bundeskanzlerin ist anders als ihr Vorgänger keine Macherin, sondern eine perfekte Beharrerin.
Alles soll so bleiben wie es ist, niemanden soll etwas zugemutet werden, man ergeht sich in bräsiger Zufriedenheit, blendet eigenes Fehlverhalten aus und über die Elenden der Gesellschaft redet man zwar mit Pathos in der Stimme, aber man würde nie tatsächlich etwas unternehmen, um die Schuldigen an diesem Elend zu verprellen.

Die fromme Protestantin Merkel ist somit das ideale Vorbild für die Evangelische Kirche in Deutschland.
Auch für sie gilt: Mit minimalen Aufwand die größtmögliche Anziehungs-Trägheit zu entfalten.
Daß sich immer weniger Menschen Sonntags die Kirchen von innen ansehen, daß man intellektuell verkümmert ist eher bequem als beunruhigend – solange die Kirchensteuermilliarden weiterhin fließen und die Topkleriker ihre prestigeträchtigen Posten behalten.

Glücklicherweise war ich noch nie auf einem evangelischen Kirchentag, aber die von dort via TV übertragenen Events haben mich mit ihrer tumben Primitivsymbolik und der erschreckenden kunst-antagonistischen akustischen Folter schwer verstört.

Schließlich leidet die Evangelische Kirche nachhaltig unter dem intellektuell dürftigen Niveau ihrer Top-Kleriker.
Offensichtlich wird jeder, auch wenn er in der Schule nur Singen und Klatschen belegt hat, zum Theologiestudium zugelassen und umso schneller zum Pastor gemacht, je mangelhafter seine Allgemeinbildung ist.
(…….)
Möglicherweise ist es tatsächlich so, daß der intellektuelle Niedergang der evangelischen Theologie, der in Huber und Käßmann ihre Apotheose fand, die eigentlich noch absurderen Katholiken (Zölibat, Primat des Papstes, Frauen-Ausschluss,..) in Relation gut dastehen läßt.

Im aktuellen SPIEGEL (15/2015 vom 04.04.2015) gibt es ein vierseitiges Doppelinterview mit dem EKD-Chef Bischof Heinrich Bedford-Strohm und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster unter anderem zum Thema „militanter Islam“.
Gratulation auch an die morialogische Glanzleistung des SPIEGELS zum Thema Gewalt im Islam von Juden und Christen nur ÜBER den Islam zu sprechen und nicht MIT ihm; ein muslimischer Vertreter darf gar nicht erst mitreden.
An einen Humanisten oder Atheisten wird ohnehin gar nicht gedacht.
Die Redakteure Frank Hornig und Katja Timm stellen die üblichen harmlosen Fragen nach Integration und Glaubensferne.
Ein Freifahrtschein für die beiden Top-Religioten zu überzeugen und für sich zu werben.
Schuster, als Vertreter einer in Deutschland sehr kleinen Minderheit schlägt sich nicht schlecht, fällt zumindest nicht durch besondere Doofheiten auf.
Aber der Nachfolger von Huber, Käßmann und Schneider gibt Plattitüden von sich, daß man immerhin wunderbar Heinz-Werner Kubitzas Essay wider die Theologie als „Wissenschaft“ bestätigt bekommt.
Bedford-Strohm ist Professor und demonstriert eine Anti-Intellektualität, daß er jeden Denkenden aus der Kirche treiben muß. (…..)

(……….) Der Niedergang des deutschen Protestantismus ist vermutlich unaufhaltsam.
Der Grund ist, daß es einfach keine sympathischen Führungspersönlichkeiten in der EKD gibt.
Die Laien werden von Politikern dominiert, die sich aus dem unsympathischsten Bodensatz ihrer jeweiligen Parteien rekrutieren: Volker Kauder, Hermann Gröhe, Günther Beckstein, Kathrin Göring-Kirchentag, Irmgard Schwätzer (FDP), Christoph Matschie (SPD), Kerstin Griese (SPD), Josef Philip Winkler (Grüne), Pascal Kober (FDP) oder Stefan Ruppert (FDP) sind die schlimmen Namen.

Bei den Theologen der EKD sieht es sogar noch düsterer aus: Huber, Schneider, Käßmann, Bedford-Strohm oder gar Petra Bahr heißen die Menschenschrecker, die meistens in die Talkshows geschickt werden.
Kein Wunder, daß die Gläubigen schneller aus der EKD flüchten als aus der zölibatären Kinderficker-RKK. (………….)

Konsequenterweise wurde Plapperista Käßmann als BILD-Kolumnistin genau dort geparkt, wo sie intellektuell hingehört  - bei F.J. Wagner und Kai Diekmann.

EKD-Chefphlegmatiker Bedford-Strohm huldigt diesem Niveau-Limbo nun auch mit der neuen Denkschrift „Solidarität und Selbstbestimmung im Wandel der Arbeitswelt.“
Möglichst wolkig und mit dem erkennbaren Bemühenen niemand vor den Kopf zu stoßen haben die EKD-Oberen einen Allgemeinplätzchenbrei zusammengerührt, den jeder zunächst einmal unterschreiben würde, dann aber auch möglichst schnell wieder vergessen wird.

Zur Sicherheit ist sie auch mit einer Schutzgebühr von € 5.99 versehen, so daß kein kritischer Blogger per Zufall angesurft kommen kann und nachliest.

Das was frei zur Verfügung steht, ist an Banalität nicht zu überbieten:

Es hätten „evangelische Maßstäbe ethischer Verantwortung in der Arbeit für aktuelle Entwicklungen in der heutigen Arbeitswelt“ zu gelten – wie ungeheuer überraschend für ein EKD-Papier.

Gewerkschaften seien „Akteure für eine menschengerechte Arbeitswelt“. Potzblitz. Kein Bundestagsabgeordneter von Links bis CSU würde widersprechen.

Die „Würde der Arbeit“ läge im „Gemeinschaftswerk aller“ und müsse „in Selbstbestimmung, Kooperation und Solidarität erbracht werden können. Nicht das rastlose Tätigsein als solches ist das Ideal des Christlichen, sondern die sinnvolle Einbeziehung aller Menschen in eine Wirtschaft, die mit allen geschieht“ – soweit EKD-Ratsvorsitzende, Landesbischof Dr. Heinrich Bedford-Strohm.
Mehr blabla geht nicht, wollte ich gerade bemerken, aber dann läßt der EKD-Chef auch noch den merkeligsten aller Merkel-Sätze fallen:
Im Zentrum der Arbeitsorganisation müsse der einzelne Mensch stehen!
Das hat er offenbar direkt vom Phrasenautomat der Merkel-Redenschreiber generieren lassen.
Und es geht genauso einschläfernd weiter auf der EKD-Homepage:

Im Blick auf die aktuellen Entwicklungen in der Wirtschaft kritisiert die Denkschrift vor allem die gewachsene soziale Ungleichheit. Zwar sei die Lage auf dem Arbeitsmarkt insgesamt erfreulich. […]
Als problematisch bezeichnet die Denkschrift die unterschiedliche Entwicklung von Kapital- und Arbeitseinkommen sowie die gestiegene Einkommensungleichheit. Gerade in der Arbeit gelte es weiter, Armut zu bekämpfen, so Bedford-Strohm. „Die Grenze ist erreicht, wenn sich ein einzelner Mensch von seiner Vollzeitarbeit nicht ernähren kann.“ […] Die Denkschrift betont auch die gemeinsamen Aufgaben von Kirche und Gewerkschaften in der Umsetzung einer Gesellschaft der „gerechten Teilhabe“.

Gähn, man braucht wirklich starken Kaffee, um nach so einer Verbal-Tranquilizer-Attacke wieder wach zu werden.

Daß die Kirchen als zweitgrößter Arbeitgeber Millionen Arbeitnehmer entrechten, indem sie ihnen Streik und die Einhaltung des gesetzlichen Arbeitsrechts verweigern, nach diskriminierenden Maßstäben einstellen (Keine Juden in kirchlichen Einrichtungen erwünscht!) und in ihren Einrichtungen unter Tarif bezahlen, verschweigen die EDK-Herren mit ihrem fünfstelligen Monatsgehältern.

Was für ein Elend.
Wie tief kann die EKD eigentlich noch sinken?
Statt auch nur einen aufrüttelnden Satz zu formulieren, mäandern die Lutheraner konsequent unter dem Aufmerksamkeitsradar hindurch.
Diese Denkschrift ist lediglich eine Schlafschrift und wird zu Recht in der Presse so gut wie gar nicht erwähnt.
Eine Diskussion löst sie garantiert nicht aus. Dazu ist sie zu rundgelutscht.
Es gibt nichts, das zum Aufreger taugte.

Selbst der superfromme SZ-Katholik Drobinski lässt so viel Langweile nicht durchgehen.

Die Denkschrift zur Arbeit ist ein harmloses Stück Papier.[….] Sie riskiert nichts, sie provoziert kein Nachdenken. Sie hofft aufs Kopfnicken.
[….] Dies aber ist kein Dokument, mit dem die evangelische Kirche etwas bewegen will. Sie will befrieden. Sie sucht den inneren Konsens, sie ist freundlich zu den Gewerkschaften, ohne die Arbeitgeber zu vergrätzen. Sie geht nicht an den Rand, sie sucht die ruhige Mitte, und das in einem Nominalstil, der Jesus gegraust und Luther erzürnt hätte.



Mittwoch, 29. April 2015

Der Minusmann – Teil VI

Immer wieder das gleiche in der Toppolitik: Amtsträger stolpern nicht über die Affäre an sich, sondern weil sie so stümperhaft damit umgehen.
Der Urnenpöbel ist doch so bereit alles zu verzeihen. Die größten Lügner sind kontinuierlich in den Top-5 der Politiker-Beliebtheitsrankings.
Als Minister kann man sich allerlei erlauben.
Mit einem frühzeitigen Schritt an die Presse, einer ehrlichen Offenlegung der Faktenlage, der klaren Benennung dessen, womit man sich schuldig gemacht hat und einem mea culpa ist alles erledigt.

Aber der „mir-kann-keiner-was“-Glauben ist doch enorm verbreitet an der Spitze.
Möglicherweise ist das eine normale psychische Konsequenz des beruflichen Erfolgs. Wer es über Dutzende Hierarchiestufen bis zum Bundesminister gebracht hat, mußte zwangsläufig so viele Konkurrenten hinter sich lassen, daß man sich womöglich daran gewöhnt mit allem durchzukommen.
Seltsam, denn andererseits ist es manchmal so offensichtlich, daß Amtsinhaber ihrer Position nicht gewachsen sind, daß noch nicht einmal die glühendsten Parteianhänger das anders sehen können.
Kristina Schröder? Dirk Niebel? Franz Josef Jung? Ilse Aigner? Alexander Dobrindt? Hans Peter Friedrich? Fipsi Rösler? Ronald Pofalla?
Es tut mir Leid, aber ich kann nicht glauben, daß IRGENDJEMAND diese Kabinettspfeifen für geeignete Minister gehalten hat.

Anyway, ich schwiff ab.
Der Minusmann Thomas de Maizière liefert das Paradebeispiel, wie man es nicht macht.
Gut möglich, daß er im nächsten „Politaffären für Dummies“ mehrfach als Negativbeispiel zitiert wird.

G36, Kundus-Drama, Mare-Nostrum-Desaster – immer wenn es richtig schief geht, taucht de Maizière ab, schweigt, redet sich raus, gibt nur das zu, was ohnehin schon öffentlich ist oder aber wälzt die Verantwortung auf Untergebene ab.
Niemals käme ihm in den Sinn zuzugeben selbst gefehlt zu haben.

Die BND-Affäre, für die er als Geheimdienstkoordinator in seiner Funktion als Kanzleramtsminister (2005-2009), sowie als Innenminister mitzuständig war, weitet sich von einer mittelgroßen Angelegenheit inzwischen aber zu einem staatsübergreifenden Großskandal aus.
Vorgestern war noch Stand der Dinge, daß der BND der amerikanischen NSA dabei geholfen hätte Wirtschaftsspionage bei deutschen Firmen zu betreiben. Dies wurde 2008 dem Kanzleramt gemeldet und de Maizière vertuschte es.

Dank der Recherchemacht des SZ-WDR-NDR-Verbundes unter der Leitung des Ex-SPIEGEL-Chefredakteurs Georg Mascolo sind inzwischen einige dramatische Umdrehungen hinzugekommen.

[…] Die Abhöreinrichtung des Bundesnachrichtendienstes (BND) im bayerischen Bad Aibling wurde nach Feststellung von Regierungsexperten jahrelang für Spionage gegen europäische Staaten missbraucht. Nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR zählen zu den Betroffenen hochrangige Beamte des französischen Außenministeriums, des Élysée-Palastes und der EU-Kommission. […] Innenminister Thomas de Maizière, der sich dem Vorwurf der Verschleierung gerade in der Frage der Wirtschaftsspionage ausgesetzt sieht, bot am Mittwoch an, wegen der Geheimhaltungspflichten vor dem Parlamentarischen Kontrollgremium und dem NSA-Untersuchungsausschuss auszusagen. […]
"Der Kern ist die politische Ausspähung unserer europäischen Nachbarn und von EU-Institutionen," sagte eine mit den Vorgängen vertraute Person. […] Alle von den USA seit Beginn der Kooperation angelieferten Suchworte werden nun noch einmal überprüft. Ihre Zahl ist riesig: Allein im Jahr 2013 waren es 690 000 Telefonnummern und 7,8 Millionen IP-Suchbegriffe. In einer sogenannten Ablehnungsdatei landeten 40 000 Suchbegriffe. […]

Abhören unter Freunden geht gar nicht” – hatte die Kanzlerin noch vor einem Jahr empört getan, als der SPIEGEL veröffentlichte, ihr Handy würde von Amerikanern abgehört.

Nun scheint es so zu sein, daß der deutsche Geheimdienst, der in Merkels Kanzleramt geführt wird noch viel mehr Dreck am Stecken hat.

Aus dieser Falle – nichts davon gewußt zu haben, ist genauso ein eklatantes Regierungsversagen wie „gewußt und vertuscht“ – wird auch die Teflonkanzlerin nicht leicht entflutschen können.

Nun müssen wirklich Köpfe rollen; denn eins ist jetzt schon sicher: Die Bundesregierung hat massiv das Parlament belogen.

Hat das Kanzleramt den Bundestag erneut belogen?
"Nachdem sich entgegen allen Beteuerungen der Bundesregierung herausgestellt hat, dass der Drohnenkrieg der USA, bei den es zu zahlreichen gezielten und mindestens zum Teil wohl auch völkerrechtswidrigen Tötungen gekommen ist, maßgeblich über die deutsche Militärbasis in Ramstein gesteuert wurde und womöglich immer noch wird, gibt es binnen weniger Tagen einen weiteren Fall, in dem der dringende Verdacht der bewussten Falschinformation gegenüber dem Parlament besteht. Obwohl gestern verschiedene Medien meldeten, dass das Bundeskanzleramt anders als bisher behauptet, nicht erst im März 2015, sondern bereits im Jahr 2008 durch den BND in einem Sonderbericht über Aktivitäten der NSA im Bereich der Wirtschaftsspionage und gegen europäische Interessen unterrichtet wurde, aber nichts dagegen unternommen habe, herrschte im Koalitionsausschuss heute Nacht lautes Schweigen", moniert André Hahn, Mitglied der Linksfraktion im Parlamentarischen Kontrollgremium, und derzeit auch dessen Vorsitzender. Hahn weiter:
"Wenn die neuesten Medienberichte stimmen und es schon im Jahr 2008 einen oder gar mehrere Berichte des BND über versuchte bzw. auch real erfolgte Wirtschaftsspionage seitens der NSA an die Dienst- und Fachaufsichtsbehörde gegeben hat, dann hätte das Bundeskanzleramt das Parlamentarische Kontrollgremium erneut belogen, denn ihm gegenüber hat Kanzleramtsminister Altmaier erklärt, sein Amt habe erst vor wenigen Tagen von derartigen Bestrebungen erfahren.

Natürlich war Herr Altmaier damals noch nicht im Amt - das war er jetzige Bundesinnenminister De Maizière - aber er trägt neben der Bundeskanzlerin die Hauptverantwortung für sein Haus.

Angela Merkel soll sich erst mal gegenüber der deutschen Bevölkerung erklären. Im Wahlkampf 2013 nach den Snowden-Veröffentlichungen, die ja überhaupt erst auf dieses ganze Problem hingewiesen haben, hat sie so getan, als wüsste man von allem nichts und als wäre man ganz erstaunt, was die NSA alles Böses kann und tut, und man ist massiv empört gewesen und ist ja schon in die USA gereist und hat da über irgendwelche Dinge verhandelt, die bis heute keiner versteht. Tatsächlich wissen wir heute, auch durch die Akten und durch die Arbeit des Untersuchungsausschusses, dass man sehr gut Bescheid wusste und dass der BND sehr eng mit der NSA kooperiert hat in den letzten Jahren und dass man über die Fähigkeiten und diesen massenhaften Datenabgriff, den die NSA organisiert, voll Bescheid wusste. Insofern muss Frau Merkel einfach mal die Wahrheit erzählen.

"Das Bundeskanzleramt muss dem NSA-Untersuchungsausschuss bis zum morgigen Mittwoch zum einen die Liste der 2000 Selektoren vorlegen, die der BND für den NSA eingesetzt hat und die erst nach 2013 durch eine Prüfung des BND zu einem bislang unbekannten Zeitpunkt als gegen deutsche Gesetze verstoßend identifiziert wurden", fordert Martina Renner, Obfrau der LINKEN im NSA-Untersuchungsausschuss. Renner weiter:
"[…] Der Ausschuss hat sich schon im Winter 2014 mit der Frage nach den von der NSA an den BND übergebenen Selektoren beschäftigt. Im November 2014 beispielsweise wurde ein BND-Zeuge namens T.B. gehört, der sowohl Dienststellenleiter der Abhörstation in Bad Aibling als auch später als BND-Sachgruppenleiter explizit für die Datenauswahl zuständig gewesen war. Dieser BND-Sachgruppenleiter hatte dem Untersuchungsausschuss ganz klar erklärt‚ dass Selektoren herausgefiltert würden, die gegen deutsche Interessen verstoßen‘. Der Zeuge war sich sicher, dass die Fehlerquote im Promillebereich liege und hat sogar den Bereich Industriespionage explizit erwähnt. Mit dem Wissen von heute müssen wir den Zeugen nun noch einmal hören.
Das Kanzleramt kann sich im Übrigen jetzt nicht darauf zurückziehen, die Schuld im BND zu suchen. Wenn Geheimdienstkoordinator und Kanzlerin von den Vorgängen nichts gewusst haben, ist das ein Skandal. Wenn sie davon gewusst haben, genauso."

De Maizière ist als Minister nicht mehr haltbar
"Thomas de Maizière hat das Parlament belogen und über Jahre hinweg tatenlos zugesehen, wie deutsche sowie französische Politiker und Unternehmen von US-amerikanischen Geheimdiensten ausspioniert wurden. Damit ist er als Innenminister völlig untragbar. Organisationen wie der BND, die als Handlanger der NSA agieren und die Interessen des eigenen Landes verraten, sind überflüssig und gefährlich. Auch das verfassungswidrige Projekt der Vorratsdatenspeicherung muss umgehend gestoppt werden, wenn wir nicht wollen, dass sämtliche Kommunikationsdaten von ausländischen Geheimdiensten ungehindert abgegriffen werden können", kommentiert Sahra Wagenknecht Medienberichte, nach denen de Maizière den Bundestag mehrfach über seine Kenntnisse der illegalen Spionagepraxis von NSA und BND belogen hat. […]

Nun sind wir als Regierte es lange gewöhnt belogen zu werden und stören und nicht so sehr daran, weil der Urnenpöbel seine Wahlentscheidungen ohnehin unqualifiziert und irrational trifft.
Diesmal wurden aber auch Parlamentsfraktionen und Regierungspartner massiv belogen. Ob die das auch so locker achselzuckend hinnehmen?

[…]  Nun steht der Vorwurf der Lüge im Raum.
Am 14. April teilte das Innenressort von Thomas de Maizière (CDU) auf eine Anfrage der Fraktion der Linken mit: "Es liegen weiterhin keine Erkenntnisse zu angeblicher Wirtschaftsspionage durch die NSA oder anderen US-Diensten in anderen Staaten vor". […].
Spätestens im Jahr 2010 liefen im Kanzleramt BND-Meldungen ein, wonach die USA versucht hatten, die Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter auszuspähen. Diese Versuche, so ein geheimes Papier, wurden vom BND im Jahr 2005 entdeckt und "im Anschluss unterbunden". Die Regierung hat die Existenz dieses Papiers bestätigt.
Die Linken werfen der Bundesregierung eine bewusste Falschaussage vor. "Die Antwort vom 14. April ist ganz offenbar gelogen", sagte der Linken-Politiker Jan Korte SPIEGEL ONLINE. Er glaube der Bundesregierung in der Affäre "kein Wort mehr".
[…] Die neue Wendung setzt Thomas de Maizière unter Druck, der ohnehin seit Tagen in der Kritik steht. Dass ausgerechnet der Innenminister, von 2005 bis 2009 als Chef des Bundeskanzleramts für die Kontrolle des BND zuständig, trotz der internen Aufregung um die Affäre eine falsche Antwort ans Parlament schickte, rückt ihn weiter in den Fokus.
[…] Merkels Kanzleramtschef Peter Altmaier ist in Sachen Offenlegung derzeit in Konsultationen mit den Amerikanern. Dass sich Washington kooperativ zeigt, ist sehr unwahrscheinlich, würde doch so alle Welt sehen, für welche westeuropäische Unternehmen oder gar Politiker sich die NSA in Westeuropa interessiert.
Weigert sich Washington, müssen Merkel und Altmaier entscheiden, ob sie die Liste gegen den Widerstand des engsten Verbündeten veröffentlichen. Es wäre ein Affront. […]

Thomas de Maizière ist als Innenminister auch Verfassungsminister, kontrolliert den Verfassungsschutz und garantiert die innere Sicherheit.
Auf so einem sensiblen Posten einen ausgemachten Lügner sitzen zu lassen, ist schon ein starkes Stück.

Dienstag, 28. April 2015

Oh, wie peinlich!

 Klartext verlangt der deutsche Urnenpöbel immer gern, aber er will ihn gar nicht hören.
Die beliebtesten Politiker sind immer die wolkigen Faseler, die stets um die heißen Brei herummäandern und das bräsige Volk nicht mit Fakten behelligen.
Deswegen liebt man Merkel.

Die Ausnahme ist, wenn sich die „Klartext-Sprüche“ gegen irgendwelche anderen wenden. Klare Kante gegen „die faulen Griechen“, die schmarotzenden Rumänen oder die von Natur aus bösen Russen kommt immer gut an.

Die Türken mit dem Völkermord an den Armeniern zu piesacken ist besonders populär bei den Deutschen. Denn einerseits gibt es tatsächlich keine Rechtfertigung dafür, daß sich Ankara immer noch darum drückt die eigene Schuld einzugestehen und andererseits möchte der vergangenheitsgeplagte deutsche Michl nichts lieber, als endlich nicht mehr allein im Völkermöderboot zu sitzen.

Ob es diplomatisch sinnvoll ist in weltpolitisch angespanntester Lage die strategisch wichtigsten Partner zu verärgern, ist allerdings eine realpolitische Frage, die man auch nicht mal eben vom Tisch wischen darf. Die Türkei ist nun einmal der große NATO-Staat, der Anrainer zum IS-Gebiet ist. Sie bildet unsere Frontlinie zum Terror.
Ähnlich verhält es sich mit Russland.
Moskau handelt nicht immer aus purem Altruismus und Nächstenliebe, liefert Steilvorlagen für viel Kritik.
Aber Russland ist ein so wichtiger geopolitischer Player, daß ohne Russland Friedensbemühungen in der Ukraine, in Syrien und im Iran nicht funktionieren.
Das totale Scheitern von NATO-Militäroperationen ohne Rücksichtnahme auf Russland ist in Afghanistan, im Irak und in Libyen nur zu offensichtlich.
Moskau zu isolieren und in die Schmollecke zu schieben ist also derzeit keine Option.
Und es sollte auch nicht ausgerechnet Deutschland sein, das sich bis heute darum drückt Reparationen (beispielsweise an Griechenland zu zahlen), das mit erhobenem Zeigefinger vor Russland auftritt.

So ist das in der Realpolitik. Die Staaten, die wichtig, reich und mächtig sind, beurteilt man moralisch weit weniger streng als Armen und Schwachen.

Das reichste und mächtigste Land, die USA, läßt man sogar ganz ohne moralische Beurteilung vom Haken.
Exzessive Todesstrafen-Anwendung, Folterlager, illegale Drohnenangriffe unter Brechung des Völkerrechts, Rassismus auf der Straße - und in der Vergangenheit waren da auch einige Mordaktionen, die in Richtung Genozid gingen.
Korea, Vietnam und auch sonst war nicht alles so nett, was die Amerikaner im letzten Jahrhundert angestellt haben. Aber natürlich würden Gauck und Merkel niemals öffentlich die USA deswegen rügen.
Das tun sie bei Russland und der Türkei, weil sie die ohnehin nicht mögen.

Spanien hatte einst die Philippinen kolonialisiert und christianisiert.
Allerdings erdreisteten sich die Unterjochten vor rund 100 Jahren unabhängig werden zu wollen und riefen 1898 die Republik aus.
Das brachte die USA auf den Plan - so ging es ja nun nicht, daß Nicht-Weiße plötzlich machen was sie wollen - die Amerikaner erklärten den Krieg.
Von 1899 bis 1902 killten sie dann etwa eine Million Filipinos (20 % der Gesamtbevölkerung) und das Land wurde zur amerikanischen Kolonie.
So dehnte sich das christlich-imperiale Amerika tief in den Pazifik aus.
The land oft he free.
Noch heute haben die USA Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte auf den Philippinen.
Mit Farbigen kann man es ja machen.

Beim Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg - was sich tatsächlich als ein Segen für Europa heraus stellte - gab es also große amerikanische Flottenstützpunkte auf Hawaii und den Philippinen.
Dort lebten reiche Amerikaner ein HERRLICH koloniales Leben.
In der Navy war alles klar geregelt:
Schwarze durften dienen, servieren, putzen und Kohlen schaufeln. Nicht aber mit den Weißen zusammen arbeiten. Schwarze Offiziere waren verboten, Schwarze und Gelbe saßen hinten im Bus.
Nach dem Beginn des Kriegs im Pazifik (Pearl Harbor, 7. Dezember 1941) war in den USA klar, wie man mit diesen „Gelben“ umzugehen hatte - sie wurden weggesperrt.
Alle. Auch die Amerikaner.
Rasse allein war das Kriterium, um Menschen zu enteignen, zu entwürdigen und entrechten.
Etwa 120.000 Japan-stämmige Menschen - davon 62 % amerikanische Staatsbürger wurden in War Relocation Centers zusammen gepfercht.
Eine Kriegs-Umsiedelungs-Behörde sorgte dafür, daß niemand diesen Lagern entkam.
Die Christen in Gods Own Country fanden das nicht im Geringsten verwerflich und so dauerte es bis 1992 (!!!!), daß eine Entschuldigung ausgesprochen wurde.
Der große Superpräsident Ronald Reagan, die Ikone der Freiheit („Tear down this wall, Mr Gorbatschow“) mochte so einen Satz nicht über die Lippen bringen.

Dies alles sind Verbrechen, die von Christen begangen wurden und gegen die offizielle kirchliche Stellen auch keinerlei Einwände hatten.

Kurzum, es gibt in der großen Politik viel Anlass zu Kritik und zu diplomatischer Zurückhaltung.
Die Feigheit vor dem Freund, oder „dieses elende Duckmäusertum vor den USA“ (wie es Gregor Gysi nennt) ist schwerer verständlich als Frank-Walter Steinmeiers Vorsicht vor dem Begriff „Völkermord“ bezüglich der Türkei.

Dennoch war es alles andere als eine taktische Glanzleistung des SPD-Außenministers als derjenige dazustehen, der als einziger in Deutschland vor Erdogan einknicken wollte.

[…] Vor 100 Jahren wurden im Osmanischen Reich mehr als eine Million Armenier vertrieben und getötet. Das Europa-Parlament, der Papst und viele andere haben die schrecklichen Taten trotz aller Drohungen der Türkei als Völkermord verurteilt. In der vergangenen Woche haben das endlich auch der Bundespräsident, der Bundestagspräsident und alle Fraktionen getan. Das war überfällig - auch wegen der deutschen Mitschuld an den Gräueltaten.
[…] Es ist schlimm genug, dass Steinmeier die Einlassungen des Bundestags verhindern wollte. Nach Ansicht des Außenministers gefährdet es die Aussöhnung zwischen Armenien und der Türkei, wenn man den Völkermord auch "Völkermord" nennt. Er habe im Gegensatz zu anderen darauf zu achten, dass die Aufarbeitung zwischen Eriwan und Ankara "nicht verunmöglicht wird", sagt Steinmeier typisch verquast - und seine eigene Rolle überschätzend. Mit dieser Position hat sich der Außenminister zum Glück nicht durchsetzen können. […]

Hier offenbart sich das ganze Elend des durchaus beliebten Außenministers Steinmeiers. Die Deutschen mögen ihn zwar für seine nette Unverbindlichkeit. Aber andererseits ist er als Außenpolitiker auch sagenhaft erfolglos. Es klappt einfach gar nichts, das er anfasst.
Das ist zwar immerhin noch deutlich besser als Westerwelles Bilanz, der auch keine Erfolge vorweisen konnte und zudem auch noch Deutschland international laufend blamierte, so daß man sich immer mitschämen mußte, wenn er im Ausland auftauchte.
Aber bella figura allein, ist ebenfalls zu wenig.

Unglücklicherweise ist der frustrierte Steinmeier nun auf dem Weg in Richtung Westerwelle-Stil und fügte seiner Völkermord-Farce eine richtig schlechte Aktion hinzu.
Er schwang die verbale Holocaust-Keule und redete sich um Kopf und Kragen.

[…]  Steinmeier sagt auf die Frage, warum er sich gegen den Begriff "Völkermord" gewehrt habe, einen Satz, der so ungehörig ist, dass man ihn in ganzer Länge zitieren muss: "Wir müssen in Deutschland aufpassen, dass wir am Ende nicht denen recht geben, die ihre eigene politische Agenda verfolgen und sagen: Der Holocaust hat eigentlich vor 1933 begonnen." Übersetzt heißt das nicht weniger, als dass der Papst, Joachim Gauck und Norbert Lammert den Verharmlosern des Holocaust in die Hände spielen.
Dieser Vorwurf ist für sich genommen schon dreist. […] Auch ein Blick in die Geschichte zeigt, wie absurd Steinmeiers Einlassung ist. Als Adolf Hitler 1939 wenige Tage vor dem Überfall auf Polen erklärte, er habe den Totenkopf-Verbänden den Befehl erteilt, unbarmherzig gegen "Mann, Weib und Kind" vorzugehen, berief er sich auch auf das Schicksal der Armenier. "Wer redet denn heute noch von der Vernichtung der Armenier?", fragte Hitler triumphierend - auch um seinen Generälen die Sorge vor Konsequenzen eigener Untaten zu nehmen. […]

Und da wir gerade von ehrlicher Sicht auf die eigene Vergangenheit sprechen – die Weigerung der Steinmeier-Regierung Reparationen an Griechenland zu zahlen hatte ich schon angedeutet – da gäbe es noch einiges mehr zu tun für Deutschland.

 […]   In den Jahren 1904 bis 1908 ermordeten kaiserliche Truppen im heutigen Namibia etwa 90 000 Angehörige der Herero und Nama - aus Vergeltung. Die Stämme hatten sich gegen die Kolonialherren erhoben. Wer nicht erschossen wurde, den trieben die Deutschen zum Sterben in die Omaheke-Wüste. Auf der Haifischinsel errichteten sie ihr erstes Konzentrationslager, die Gefangenen arbeiteten sich zu Tode oder verhungerten. Nicht einmal ein Drittel der Herero und nur die Hälfte der Nama überlebten. […] 
"Nachdem sich der Deutsche Bundestag ehrlich gemacht hat und offen vom Völkermord an den Armeniern spricht, kann das Kapitel Südwest-Afrika in der deutschen Kolonialgeschichte nicht unbearbeitet bleiben", schreibt Özdemir auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung: "Eine offizielle Entschuldigung und Förderung der Aufarbeitung fehlt bis heute."
[…]  Deutlicher wird der Linken-Abgeordnete Niema Movassat. Es sei " längst überfällig", dass auch der Vernichtungsfeldzug gegen die Herero und Nama als Völkermord anerkannt wird, teilt Movassat auf SZ-Anfrage mit: "Dieser erste Völkermord des 20. Jahrhunderts darf nicht länger geleugnet werden!" […]  Überliefert ist der sogenannte Vernichtungsbefehl des deutschen Generalleutnants Lothar von Trotha, der die Herero für vogelfrei erklärt: "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen."
[…]  Von Völkermord spricht die Regierung nicht. Sie greift aber auch nicht auf die Formulierung ihrer Vorgängerin zurück. Die hatte 2012 auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion geantwortet, dass die UN-Konvention von 1948 nicht rückwirkend gelte, die Verbrechen an Herero und Nama somit "nicht als Völkermord eingestuft werden." […]  

Montag, 27. April 2015

Der Minusmann – Teil V

Das war schon praktisch für die US-Geheimdienste. Nach 9/11 mußten sie gar nicht mehr selbst in Deutschland spionieren, sondern haben einfach den Ausspionierten gesagt, sie sollten sie selbst ausspionieren und die Ergebnisse nach Amerika übermitteln.
Das ist in etwa so, als ob ein Kunstdieb im Louvre anriefe und anwiese die Mona Lisa bitte abzuliefern an Adresse xy.

Die USA überspielen den Deutschen sogenannte Selektoren; also beispielsweise Telefonnummern oder E-Mail-Adressen, nach denen der BND seine Datenbanken zu durchsuchen hatte.
Ging es anfangs lediglich um Terrorgefahren, befanden die Amis schnell, daß man auch geradezu ideal Wirtschaftsspionage auf diese Weise betreiben könnte.
Bereitwillig lieferte der BND der NSA Insiderinformationen über Unternehmen wie EADS oder Eurocopter.
Nun ist dem BND wie wir inzwischen wissen so ziemlich alles zuzutrauen.
Aber pure Wirtschaftsspionage für andere Nationen kam selbst den Pullachern irgendwann etwas dubios vor.

Merkel tut heute empört; das müsse aber aufgeklärt werden, wieso das erst im Jahr 2015 bekannt werde.
Eine typische Merkel-Nebelkerze.
Sogar konservative SPRINGER-Blätter glauben davon kein Wort mehr.

Doch dann berichtete "Bild am Sonntag", schon 2008 sei das Kanzleramt darüber informiert worden, dass in Bad Aibling etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Mehr noch: Es sei der BND gewesen, der die Regierung damals darauf hingewiesen habe. In einem streng vertraulichen Bericht habe der Auslandsgeheimdienst das Kanzleramt unter dessen damaligem Leiter, dem heutigen Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), informiert, dass die NSA bei der Kooperation mit dem BND Täuschungsversuche unternommen habe.
[…]  Der BND kannte dabei, so scheint es jedenfalls, nicht die konkreten Zielobjekte, sondern nur jene Koordinaten, die sogenannten Selektoren, zu denen vor allem Mail-Adressen oder IP-Nummern zählen. Doch unter diesen Selektoren der NSA – so habe es der BND laut "BamS" 2008 ans Kanzleramt gemeldet – seien immer wieder solche gewesen, die auf Firmen oder Behörden hingedeutet hätten, welche man überhaupt nicht hätte überwachen dürfen.

Wer hat es also wieder verbockt, wer hat gelogen und seinen Job nicht gemacht?
Minusmann de Maizière mal wieder.

Der Mann muß dringend entlassen werden.

Merkels Schmusekater Gabriel mag dazu nichts sagen, aber SPD-Generalsekretärin Fahimi wird schon etwas unruhig.

[….] Die Spionageaffäre um den deutschen Auslandsgeheimdienst BND belastet die Große Koalition. Die SPD hält es sogar für möglich, dass es zu Rücktritten kommt. "Wenn die gravierenden und schweren Vorwürfe sich bewahrheiten, dann muss man deutlich sagen, dass die Aufsicht des Bundeskanzleramts gegenüber dem Bundesnachrichtendienst kläglich versagt hat", sagte SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Sie wolle zwar nicht reflexartig Rücktritte verlangen - nach Abschluss der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses könnten personelle Konsequenzen aber nicht mehr ausgeschlossen werden.
[….] Auf SPIEGEL ONLINE sprach sie zuvor von einer ganz neuen Dimension des Skandals. Die Sozialdemokraten sehen das Kanzleramt schwer belastet und wollen den Fokus des NSA-Untersuchungsausschusses im Bundestag nun entsprechend erweitern. "Wir sollten dringend prüfen, ob der Untersuchungsauftrag des NSA-Ausschusses ausgedehnt werden muss", sagte Fahimi SPIEGEL ONLINE. [….]

Freundlich von der SPD.
Offenbar haben Mindestens Merkels brillante Kanzleramtsminister de Maizière und Pofalla gelogen. Aber auch Merkel sitzt in der No-Win-Falle:
Hat sie von so einem hochbrisanten Vorgang über Jahre nichts gewußt?
Dann ist sie offensichtlich als Kanzlerin unfähig.
Oder hat sie es gewußt? Dann hat sie das Volk massiv belogen.

Zunächst erweckte das Kanzleramt den Eindruck, von dem Missbrauch der Anti-Terror-Kooperation erst in diesem März erfahren zu haben. Danach sei umgehend das Parlament unterrichtet und Konsequenzen beim BND eingeleitet worden. Die Vermerke aus den Jahren 2008 und 2010 erwähnen allerdings bereits den Verdacht von Wirtschaftsspionage von den USA, das Kanzleramt war also informiert.
Die Papiere dienten der Vorbereitung von Spitzenbeamten, laut "Bild" ging das erste im Jahr 2008 direkt an den damaligen Kanzleramtschef und heutigen Innenminister Thomas de Maizìère, der kurz darauf zu Gesprächen in die USA reiste. Im März 2010 erreichte ein ähnliches Papier den zuständigen Geheimdienst-Abteilungsleiter Günther Heiß, da er sich mit US-Vertretern treffen wollte.
Dass man also in der Spitze des Hauses bis 2015 nichts von den US-Versuchen wusste, wirkt unglaubhaft - zumal Heiß bis heute Chef der Abteilung 6 ist, die den BND kontrolliert. Es stellt sich vielmehr die Frage, was man ab 2008 unternahm, um den möglichen Missbrauch der Kooperation seitens der NSA zu verhindern oder warum dies unterblieb.

Derweil versucht sich Stefan Braun von der SZ mit einem politischen Psychogramm des Multiministers de Maizière.
Es sei eben seine Persönlichkeit immer besonnen zu sein und abzuwarten.
Möglich. Aber dann hat er einen ganz falschen Job.

[…] Der Mittwoch dieser Woche dürfte für Thomas de Maizière zu den schwersten Tagen seiner Karriere gezählt haben. Am Mittag verkündete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, dass das Standardgewehr der Bundeswehr, das G36, wegen gravierender Sicherheitsmängel "keine Zukunft mehr" habe. Zeitgleich wurden Berichte bekannt, dass von der Leyens Vorgänger de Maizière schon 2012 Kenntnis von den Problemen hatte, aber nicht in gleicher Weise reagierte. Zwei Stunden später trat die Fraktionschefin der Grünen, Katrin Göring-Eckardt, im Bundestag ans Mikrofon, um dem Bundesinnenminister eine Mitschuld an den Toten im Mittelmeer zu geben. Verstand und Herz hätten ihm sagen müssen, dass Abschottungspolitik Flüchtlinge nicht abschrecken könne, so Göring-Eckardt. Deswegen seien die Toten auch seine Toten.
Zwei politische Krisen, zwei dramatische Konsequenzen, und beide Male steht der Bundesinnenminister sehr schlecht da. Beide Male erscheint er, wenn alles so stehen bleibt, wie ein besonders verantwortungsloser Politiker. Ein Gewehr, das in schweren Gefechtssituationen nicht mehr funktioniert? Wie kann einer das zulassen? Flüchtlinge, die wegen mangelnder Hilfe ertrinken? Wieso hat er dagegen nichts unternommen? Schwerer können politische Vorwürfe kaum wiegen.
Wie konnte es so weit kommen? Die Antwort, das offenbart diese Woche im April 2015, hängt eng mit de Maizières Politikstil zusammen. […] Eine Herangehensweise an Politik, die de Maizière mal als besonders besonnen und dann wieder als besonders unentschlossen erscheinen lässt. […]  Er delegierte Verantwortung an seine Staatssekretäre und nahm die Angelegenheit […] nicht selbst in Besitz, verband sie nicht mit seinem Namen, machte sie nicht zu seiner Sache. […]

So läuft es wohl bei der Aussitzer-Präsidentin Merkel.
Schwamm drüber. Ruhe im Puff.

Sonntag, 26. April 2015

Der Minusmann – Teil IV


„Was habt ihr nur gegen Beamte? Die tun doch gar nichts!“

Es gibt so viele Beamtenwitze, daß mir die Jungs schon lange leidtun.
Andererseits haben Beamte heute immer noch so viele Privilegien – automatische Beförderung, Unkündbarkeit, private Krankenversicherung, bombensichere Pensionen, ohne in die Rentenkasse einzahlen zu müssen – daß ich es vertretbar finde, als Gegenleistung Witze auf ihre Kosten aushalten zu müssen.

Die Idee eines „Staatsbeamten“ hat natürlich auch etwas für sich. Es sollte sie ja schon geben, diese Menschen im Dienst der Allgemeinheit, die aufgrund ihrer Absicherungen unbestechlich Dienst tun, ohne daß sie vor einem Arbeitgeber mit bestimmten Partikularinteressen kuschen müssen.

Gelegentlich gibt es auch Beamte, die tatsächlich ohne Rücksicht auf ihre Vorgesetzten straight für die Interessen der Allgemeinheit kämpfen.
Zum Beispiel Steuerfahnder in Hessen, die sich dachten, das Gehalt eines Steuerfahnders amortisiert sich zehnfach angesichts der Summen, die sie für das Bundesland bei Steuerkriminellen eintreiben.

Eigentlich eine zwingende Logik. Wieso stellt man nicht viel mehr Steuerfahnder ein und lässt sie nach Steuerhinterziehern und Schwarzgeld fahnden?
Ist das nicht eine Win-Win-Situation?

Jein, sagen dazu konservative Ministerpräsidenten. Denen sind der Rechtsstaat und Steuergerechtigkeit eher zweitrangig. Sie befürchten viel eher, daß ein Konzern seinen Sitz in ein anderes Bundesland verlegt, wenn offensichtlich wird, daß die Finanzbehörden kein Auge zudrücken.

Steuerfahnder in Hessen haben erlebt was die Koch-Regierung mit ihnen macht, wenn sie ernsthaft ihren Job verrichten. Auf Ministerebene erklärt man sie für „psychisch krank“, um sie loszuwerden.

Beim Finanzminister Weimar geht es darum, daß er systematisch seine Steuerfahnder angewiesen hat, nicht so genau bei Steuerhinterziehern hinzu sehen.
Es sei nämlich ein Wettbewerbsnachteil, wenn bekannt werde, daß das Bundesland Hessen pingelig gegen „Unternehmer“ vorginge.
So wurde Hessen zu einer "hausgemachten Steueroase" (Monitor).
Während bei Arbeitnehmern automatisch jedes Jahr die Steuerschuld abgezogen wird, sind Koch und Co zu den Großen großzügig.

Wer in Hessen bei seiner Steuererklärung schummelt, der darf sich auch hier recht sicher fühlen. Auch hier muss ein Einkommensmillionär nur alle neun Jahre mit einer Steuerprüfung rechnen.

Würde Weimar rechtlich korrekt handeln, kämen große Mehreinnahmen auf das Land zu - aber dank der CDU verzichtet man zugunsten der Steuerhinterzieher:

Das Land Hessen beispielsweise bezahlt für einen Steuerfahnder circa 62.000 Euro. Im Schnitt bringt dieser rund zwei Millionen Euro Mehreinnahmen an Einkommensteuer.

Übereifrige Steuerfahnder, die von sich aus ermitteln, will Weimar nicht haben.
Zur Not schickt er sie mit fingierten Gutachten als „psychisch krank“ gebrandmarkt in den Ruhestand.

Nach Ostern muss sich der Minister vor einem Untersuchungsausschuss verantworten, weil vier hessische Steuerfahnder, die gegen Großbanken und im CDU-Schwarzgeld-Skandal ermittelt hatten, mit vorsätzlich falschen psychiatrischen Gutachten für paranoid erklärt und aus dem Dienst entfernt wurden. (FR)


Und damit komme ich zum Minusmann de Maizière, der durch exzessives Lügen, Versagen und radikale Unbarmherzigkeit ins Abseits rückte.

Derzeit liegt er mit der gewohnheitsmäßigen Lügnerin von der Leyen im Clinch, die sich ihr Versagen in der G36-Affäre nach gewohnter Manier vom Halse schaffen will, indem sie die Schuld anderen in die Schuhe schiebt.
Der angeschlagene de Maizière soll es ausbaden und sich für Foto-Uschi ins Messer stürzen.

Ein, wie immer, sehr mieses Verhalten der frommen Hannoveranerin, aber mit ihrem Amtsvorgänger trifft es keinen Falschen.
Der Minusmann hatte nämlich auch schon sie hessische Methode verwendet und penible Beamten mit unangenehmen Wahrheiten kreuzigen lassen.

Offiziell mag de Maizière nicht über das leidige Gewehr reden, aber wenn man lange genug mit seinen Leuten spricht, dann bekommt man einen Eindruck, wie der Minister die Dinge sieht. De Maizière ist überzeugt, dass er sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Aber er weiß, wie heikel die Lage für ihn ist. Er kann nicht behaupten, von den Problemen mit dem Sturmgewehr nichts gewusst zu haben, das ist sein größtes Problem. Im März 2011 zog de Maizière ins Verteidigungsministerium ein, und schon kurz darauf schickte ihm ein Beamter aus dem Wehrbeschaffungsamt in Koblenz einen Brief, in dem die Mängel des G36 aufgelistet waren. Der Minister ordnete an, man möge der Sache nachgehen, doch die einzige Konsequenz war, dass der Beamte zum Querulanten mit psychologischem Betreuungsbedarf erklärt wurde und in den Vorruhestand versetzt werden sollte.
(DER SPIEGEL 18/2015 s. 33)

Das ist nicht die feine englische Art!
Wird Zeit, Thomas de Maizière auch in den Vorruhestand zu versetzen – mit oder ohne psychologischen Betreuungsbedarf.



Samstag, 25. April 2015

Faul und feige

Finanzminister haben recht unterschiedlich schwierige Voraussetzungen.
Siv Jensen, Finanzministerin in Oslo, hat es mit einem Haushalt zu tun, der jedes Jahr gewaltige Überschüsse erwirtschaftet. Nicht, daß sie etwas dafür getan hätte. Die rechtsextreme Politikerin kam ins Amt, nachdem die Sozialdemokraten diesen gewaltigen Geldberg erwirtschaftet hatten
Norwegen, das weniger als die Hälfte der Einwohner Griechenlands hat, weiß gar nicht mehr wohin mit all den Moneten und schuf daher 1997 den inzwischen reichsten Staatsfonds der Welt.

Der mächtigste Fonds der Welt
[…] Wer hierzulande an Staatsfinanzen denkt, der denkt in der Regel zuerst an Schulden: Die durchschnittliche europäische Regierung ist schon stolz, wenn die Neuverschuldung nicht von Jahr zu Jahr größer wird. Nicht so die Norweger. Das Öl in der Nordsee hat das kleine skandinavische Land in den letzten Jahrzehnten reich gemacht. Und statt das Geld auszugeben, haben die Norweger gespart. Im Jahr 1997 legten sie mit den Erträgen aus dem Ölgeschäft einen Fonds auf, der mit den Milliarden Aktien, Anleihen und seit einiger Zeit auch Immobilien auf der ganzen Welt kauft. […]  878 Milliarden Dollar oder rund 650 Milliarden Euro verwaltet der Ölfonds heute, mehr als jeder andere Staatsfonds auf der Welt. Seit seiner Gründung haben die Manager des Fonds eine Durchschnittsrendite von knapp sechs Prozent erzielt, die allerdings in den letzten Jahren größer geworden ist: Im Jahr 2013 erwirtschafteten sie stolze 16 Prozent. […]
Die schier unerschöpfliche Menge an Geld, die dem Fonds für seine Investitionen zur Verfügung steht, gibt ihm enorme Macht auf globalen Kapitalmärkten. […]  Er hält rund zweieinhalb Prozent aller Unternehmensaktien in Europa und besitzt Anteile an mehr als 8000 Unternehmen weltweit. […]
(FAZ 14.08.14)

Am anderen Ende der Schwierigkeitsskala sitzen Menschen wie Jannis Varoufakis. Na gut, er ist besser dran als der Kollege in Kiew, aber es sieht schon sehr schlecht aus in Athen.
Wenigstens versteht er etwas von Job. Das ist schon mal ganz anders als in Deutschland.

(……) Besonders frech von Tsipras war natürlich die Personalie Varoufakis.
Da setzt der griechische MP einfach einen Typ ein, der international anerkannter Ökonom ist! Ein FACHMANN! So eine Frechheit.
Unter Merkel werden in Deutschland werden grundsätzlich nur völlige Laien, die von ihrem Amt nicht die geringste Ahnung haben, als Minister berufen. Christian Schmidt, Hermann Gröhe, Jurist Schäuble, Ärztin von der Leyen.
Wo kämen wir dahin, wenn andere Nationen plötzlich Menschen zu Verhandlungen schicken, die etwas von der Materie verstehen? Wie sehen die Deutschen Dummerchen denn dagegen aus?

Die Personalie Varoufakis ist eine echte Provokation, die Finanz-Laie Schäuble zu Recht als persönlichen Affront versteht.
Der CDU-Senior im Merkel-Kabinett hat noch jeden zusammengefaltet und öffentlich beleidigt und gedemütigt, der nicht spurte.

Ungeniert plappern deutsche Politiker aller politischen Lager (außer den Linken) in jedes Mikrofon und geben nichtssagende Anweisungen an die Athener Regierung.
Das sind heruntergebetete Macho-Sprüche zur Freude der eigenen Wähler.
Herrn Tsipras nutzen die immer gleichen Doof-Texte von den Hausaufgaben gar nichts.


Der Anspruch an den Job des Finanzministers liegt in Berlin zwar etwas höher als in Norwegen, aber es ist natürlich viel leichter als in Griechenland.
Auch hier sprudeln die Steuereinnahmen und der Schuldendeinst wird aufgrund der Nano-Zinsen unverdienterweise in den nächsten Jahren um 100 Milliarden Euro billiger als eingeplant.
Deutschlands Finanzschwierigkeiten liegen eher im System.
Die Milliarden kommen dort an, wo sie nicht verloren haben, fehlen bei den Bedürftigen und versickern in einem gewaltigen Steuergesetzgebungschaos.
Es gäbe keine bessere Gelegenheit diese Absurditäten endlich mal anzupacken.
Herr Schäuble hätte es dabei unendlich viel leichter als Kollege Varoufakis.
Seine Kassen sind voll und er hat eine überwältigende 80%-Parlamentsmehrheit im Rücken.

Dennoch tut Schäuble nichts, weil er offensichtlich zu faul oder zu feige ist.
Merkel und Schäuble machen sich beide vor den Lobbyisten in die Hose.

Da werden auch zu groteske Schwachsinnigkeiten nicht angefasst.


Schäuble ist ein fauler Arbeitsverweigerer, der einfachste Reformen zu Hause schon seit vielen Jahren aussitzt, während er aber umso rabiater von anderen – also zum Beispiel den Griechen – fordert endlich ihre Hausaufgaben zu machen.
Schon vor fünf Jahren (sic!) hatte ich eben diesen Sachverhalt kritisiert. Damals saß die Merkel-Westerwelle-Regierung auf einer großen Mehrheit, die sie lediglich dazu nutzte, das Mehrwertsteuerchaos noch zu vergrößern.

Die nächsten fünf Jahre hat Schäuble aber kontinuierlich weiter durchgeschlafen.

Dringend notwendige Reformen verschiebt der Minister oder sagt sie ganz ab.
Die Berechnung der Mehrwertsteuer, dieser Irrsinn im Quadrat, bleibt bestehen.

Offenbar fürchtet Schäuble, der zurzeit im Krankenhaus liegt, massive Widerstände gegen die Steuerpläne.
Der Regierung liegt ein Gutachten vor, wonach der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent allein für Lebensmittel gerechtfertigt sei. Die Vergünstigung beispielsweise für Schnittblumen, zahntechnische Leistungen oder Zeitungen seien dagegen steuerlich nicht zu begründen. Die Gutachter empfehlen, für diese Güter den vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zu berechnen. Der Finanzminister will dieser Empfehlung nicht folgen. In der Koalition wird Schäubles Weigerung mit Verwunderung aufgenommen, da sich der Finanzminister die Gelegenheit entgehen lasse, die Staatskasse zu füllen.
Die Regierung vertagte eine Entscheidung in dieser Frage immer wieder. Im Koalitionsvertrag wurde vereinbart, dass eine Kommission den Katalog der ermäßigten Steuersätze überprüfen soll.
(
Stuttgarter Zeitung 05.10.10)

Nun bleibt es bei dem Schilda-artigem Dickicht.
7% für Hotelübernachtungen, Windeln 19%, Rennpferde 7%, Apfelsaft 19 Prozent, aber Äpfel 7%. Aufgebrühter Kaffee 19 Prozent. Auf Kaffeebohnen, Haustauben, Bienen und Chicoree, Speisesalz (aber nicht in wäßriger Lösung!) gibt es 7 %.
Die schwarz-gelbe Steuersenkungskoalition hat in ihrem ersten Gesetz das Chaos noch vergrößert - wider alle Vernunft.
Inzwischen blickt keiner mehr durch und die Merkelregierung mit ihrer dicken Bundestagsmehrheit legt tatenlos die Hände in den Schoß.
Schäuble fällt aus und sagt Vereinfachungen ab.

So bleiben die
ermäßigten Mehrwertsteuersätze ein Fall für Comedians.

So ist Esel nicht gleich Esel: Denn nicht nur für Hengste, Wallache, Stuten und Fohlen gilt der ermäßigte Steuersatz von 7 Prozent, sondern auch für Kreuzungen zwischen Eselhengst und Pferdestute (Maultier) sowie Pferdehengst und Eselstute (Maulesel). Der ermäßigte Satz ist auch für reinrassige Esel fällig, aber nur für geschlachtete. Schließlich wird ja auch "Fleisch von Pferden, Eseln, Maultieren oder Mauleseln, frisch, gekühlt oder gefroren" begünstigt. Für lebende "Hausesel und alle anderen Esel" gilt der volle Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent. Reichlich Stoff für Büttenredner bietet auch diese Klarstellung: Genießbare getrocknete Schweineohren unterliegen dem ermäßigten Steuersatz von sieben Prozent, auch wenn sie als Tierfutter verwendet werden. Getrocknete Schweineohren, die nicht für den menschlichen Verzehr geeignet sind, werden mit dem vollen Satz belegt. Zum Kuriositäten-Katalog gehört ferner: Ermäßigte Mehrwertsteuer für Hausschweine, normaler Satz für Wildschweine - und Flusspferde; ermäßigter Satz für Kartoffeln aller Art, aber Regelsatz für Süßkartoffeln; ermäßigter Satz für Tomatenmark und Tomatensaft, normaler Satz jedoch für Tomatenketchup und Tomatensoße. Oder: Pilze und Trüffel, ohne Essig haltbar gemacht: ermäßigt; Pilze und Trüffel, mit Essig haltbar gemacht: normaler Steuersatz. Und so weiter.
(
Evang. 2.12.09)

Diese Koalition ist ein einziger Witz - ob ein Minister mehr oder weniger arbeitsfähig ist, spielt keine Rolle mehr.

Mit der Ankündigung von Finanzminister Schäuble, die Mehrwertsteuerreform auf Eis zu legen, beweisen Minister und Koalition ihre Reformunfähigkeit und ihr fehlendes Durchsetzungsvermögen gegenüber ihrer Klientel und den Lobbyverbänden. Nach der steuerlichen Forschungsförderung wird ein weiteres zentrales Reformprojekt der Koalition sang- und klanglos beerdigt. Damit kapituliert Schäuble vor der CSU und Teilen der FDP, die unbedingt an der Ermäßigung für Beherbergungsdienstleistungen festhalten wollen. Herr Schäuble und die CDU sind damit bei der Mehrwertsteuerreform gescheitert. Statt eines ordnungspolitisch sauberen Konzepts soll es bei dem undurchschaubaren Sammelsurium an nicht nachvollziehbaren Einzelermäßigungen bleiben.
Richtig wäre es, eine schnelle erste Teilreform der Mehrwertsteuer durchzuführen. Dort könnten viele ungerechte Branchensubventionen wie etwa die Ermäßigung für Übernachtungen, Tierfutter, Schnittblumen oder für Skilifte und Rennpferde sofort abgeschafft werden. Durch Abschaffung dieser ineffektiven Einzelermäßigungen könnten jährlich drei bis vier Milliarden Euro gespart werden. Danach sollten verbleibende Ermäßigungen auf ihre soziale, ökologische und kulturpolitische Wirkung untersucht werden. Nur in diesen drei Bereichen sind für uns Umsatzsteuerermäßigungen gerechtfertigt.
Die Koalition scheitert am eigenen Klientelismus und bringt nicht den Mut auf, eigene Fehler zu korrigieren. So ist der Koalitionsvertrag das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt ist. Eine Reform der Mehrwertsteuerermäßigungen nach unseren Vorschlägen wäre ein Schritt zu mehr Steuergerechtigkeit, weil für die bestehenden Steuerausfälle durch die unsinnigen Ermäßigungen alle Bürgerinnen und Bürger zahlen.

(PM Nr 1170 der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. 5. Oktober 2010)