Montag, 6. April 2015

Gabriel gegen die Wand.

Gelegentlich haben sich im Volke bestimmte Meinungen festgesetzt und werden von riesigen Mehrheiten vertreten.
Dazu gehört beispielsweise die Auffassung Merkel wäre eine besonders vertrauenswürdige Bundeskanzlerin, daß man „den Russen“ nicht trauen dürfe, daß „die Griechen“ mehr sparen sollten oder daß Schlepperbanden allesamt bösartige Kriminelle wären.

Ich nehme solche demoskopisch erhobenen Daten gern als Beweis für die Untauglichkeit von plebiszitären Elementen.
Das Volk direkt zu befragen statt den kundigeren Fachleuten, den Volksvertretern die Entscheidungen zu überlassen mündet in der Diktatur der Inkompetenz.
Es ist schon schlimm genug nur dieses eine Volk zu haben, welches schon Gauck, Merkel, Wulff und Guttenberg zu seinem beliebtesten Politiker kürte, das schließlich auch die Parlamentarier aussucht.

Es steht also einem Politiker gut an sich auch mal gegen die überwältigende Volksmeinung zu stemmen und Entscheidungen wie die für den Euro per Order di Mufti durchzupauken.

Umgekehrt wird allerdings auch kein Schuh draus.
Gelegentlich gibt es auch große Mehrheiten im Volk für richtige Dinge, die aber hartnäckig von der politischen Klasse ignoriert werden.
Eine Majorität der Deutschen wünscht Legalisierung von aktiver Sterbehilfe, „Homo-Ehe“ und Marihuana. Die allermeisten Deutschen waren gegen den Irakkrieg, den die gesamte CDU vehement unterstützte.
Ginge es nach Volksbefragungen würden außerdem Waffenexporte drastisch eingeschränkt, Millionäre besteuert, Kapitalertragssteuern und Steuern auf Aktiengewinne erhoben, würde TTIP gestoppt und auch Datenkrakigkeit wäre schnell am Ende.

Daß sich in diesen Fällen Politiker so deutlich gegen den Mehrheitswillen ihrer Wähler stemmen, liegt offensichtlich an sehr effektivem Lobbydruck.
Kirchen und Finanzindustrie haben alle Möglichkeiten Politiker unter Druck zu setzen und von ihnen Gehorsam zu erpressen.

Ein gefährliches Spiel. Denn wenn man wie zum Beispiel die Westerwelle-Rösler-FDP zu offensichtlich nur Politik nach den Zuwendungen in die Parteikasse betreibt, steht man womöglich bald ohne Amt und Mandat da.
Nur wenige Politiker wie Guttenberg oder Merkel sind völlig immun gegen Volkszorn.
Sie können noch so offensichtlich lügen und betrügen und werden dennoch hartnäckig von mindestens zwei Dritteln der Wähler adoriert.


Für andere Politiker kann es in der eigenen Partei und im Ansehen bei den Wählern schnell bergab gehen, wenn nicht zu begreifen ist, weswegen sie so strikt wider die Interessen der Mehrheit agieren.

TTIP-, Ceta- und Vorratsdatenspeicherungsfan Sigmar Gabriel hat es besonders schwer, da die Gegner seiner Lieblingsprojekte vornehmlich in der Partei hocken, deren Vorsitzender er ist.

Ich warte voller Spannung auf stichhaltige Begründungen meines Parteichefs.
Mit sachlichen Argumenten wäre ich durchaus zu überzeugen; ich bin schließlich kein Ideologe.

Gabriel liefert aber nicht.
Er verweist beispielsweise auf vage ökonomische Versprechen, die industriefreundliche Institute liefern und die dennoch so grob verfälscht interpretiert werden müssen, um überhaupt einen Sinn aus TTIP zu destillieren.

Politik und Wirtschaft sagen Aufschwung und neue Jobs voraus: Werbung für das Freihandelsabkommen TTIP. Blöd nur, wenn sie sich verrechnet haben. Nun muss auch die EU die Prognosen korrigieren. […]

Bei der Datenspeicherung steht Gabriel sogar noch blamierter da.
Er ist unsolidarisch und düpiert den einzigen richtig guten Minister der SPD: Haiko Maas.
Da hat man ausnahmsweise als Sozi mal Grund wirklich stolz auf einen Minister zu sein und dann kommt der eigene Vorsitzende und haut ihn um.

Parteiintern geht Gabriel damit auf Konfrontationskurs zu Bundesjustizminister Heiko Maas, der die Vorratsdatenspeicherung kategorisch ablehnt und es "fahrlässig" genannt hatte, "den Leuten weiszumachen, dass Anschläge damit zu verhindern seien". Auch SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann trat in Sachen Vorratsdatenspeicherung zuletzt auf die Bremse, warnte vor "hektischem Aktionismus" und erinnerte daran, dass "die beiden höchsten Gerichte in Deutschland und der EU" diesbezüglich sehr strenge Auflagen erteilt hätten.

Gabriels Argumente sind nicht nur schwach, sondern geradezu bösartig und perfide. Wie ein pawlowscher Hund reiht sich Gabriel in die Reihe der wirklich doofen CSUler ein, die nach jedem Gewaltakt Vorratsdatenspeichelfluss generieren.
Der SPD-Parteichef legt sich freiwillig in die Schublade zu Hans-Peter Uhl (CSU), Wolfgang Bosbach (CDU), Hans-Peter Friedrich (CSU), CSU-Generalsekretär Dr. Andreas Scheuer und Thomas de Maizière (CDU) – PEINLICH!

Gabriel entblödet sich nicht mal zu behaupten die NSU-Morde wären mit Vorratsdatenspeicherung verhindert worden. Das erinnert stark an Lügenminister Thomas de Maizière (CDU), der das gleiche über die Charlie-Hebdot-Morde sagte, obwohl es in Frankreich Vorratsdatenspeicherung GIBT, die bewiesenermaßen eben NICHT so eine Tat verhinderte.

[….] Und Heiko Maas setzt einen SPD- Parteitagsbeschluss zur Vorratsdatenspeicherung um, den wir schon Ende 2011 gefasst haben. Wir sorgen jetzt dafür, dass wir ein verfassungskonformes Gesetz machen. Hätten wir das bereits zum Zeitpunkt der ersten NSU-Morde gehabt, hätten wir weitere vermutlich verhindern können. Deshalb werden Kommunikationsdaten auch nur für schwerste Straftaten und immer nur unter dem Vorbehalt eines Gerichtsbeschlusses für die Strafverfolgung zugänglich sein.[….]

Als Parteigenosse darf ich Sigmar ja duzen und sage ihm:
Was redest Du nur für einen unfassbaren Schwachsinn, wenn der Tag lang ist?
Du kannst doch auch manchmal richtig brillieren, mit Nachdenklichkeit imponieren und grandiose Reden halten; warum also jetzt wieder so eine sagenhafte Eselei???
Hast Du überhaupt kein Schamgefühl die zehn Mordopfer des dreckigen Nazi-Terrortrios so zu instrumentalisieren?
Schäm Dich, Sigi!

An dieser Stelle weiß mensch nicht so recht, wo man ansetzen soll: In Bezug zu den lange vorherrschenden Ermittlungsansätzen, die einen rechten Hintergrund konsequent ausschlossen, würde es nicht verwundern, wenn sich Angehörige der Opfer nun nicht nur (erneut) verhöhnt, sondern auch ohne jede Grundlage instrumentalisiert fühlen.

„Pietätlosigkeit“ mag ein passender Begriff sein. Doch in Bezug auf den Umstand, dass der NSU vom Verfassungsschutz nicht nur mehrfach von V-Menschen beobachtet und infiltriert, sondern auch gefördert wurde und allem Anschein nach auch heute noch gedeckt wird, verbleibt einem nur noch die Sprachlosigkeit.

Anstatt aus der Rolle und der Tätigkeit der involvierten Behörden Konsequenzen zu ziehen oder diese zumindest zu hinterfragen, fordert Gabriel nun die Wiedereinführung eines Gesetzes, welches genau diesen Diensten ein sehr mächtiges Überwachungsinstrument an die Hand gab. In ihrer bisherigen, als verfassungswidrig erklärten Umsetzung war die Vorratsdatenspeicherung für Geheimdienste wie den Verfassungsschutz sogar ohne jeglichen richterlichen Vorbehalt nutzbar.

Bereits vor rund zwei Wochen sprach sich Gabriel schon einmal für die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung aus: Er begründete die Forderung mit den Anschlägen von Oslo – hier habe das Instrument dabei geholfen, Anders Breivik zu stellen.

Dumm nur, dass Breivik weder durch eine Vorratsdatenspeicherung gefasst wurde noch dass es dieses Instrument in Norwegen offiziell überhaupt gab. Inoffiziell gab es pikanterweise jedoch wohl eine tolerierte Vorratsdatenspeicherung durch amerikanische (!) Geheimdienste, welche allenfalls abgefragt wurde, um festzustellen, dass Breivik keine Komplizen hatte.

Die Massenüberwachung der NSA und des britischen GCHQ sowie die damit derzeit untersuchten Verstrickungen des BND scheinen also ein politisches Umdenken des Vizekanzlers nicht einmal im Ansatz anstoßen zu können. […]


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