Samstag, 2. April 2016

Uneigenständigkeit.



Die 1970er Jahre sind vorbei.
Da machte man als Sozi Wahlkampf und mit einem populären Kandidaten waren durchaus absolute Mehrheiten denkbar.
Zur Mobilisierung der potentiellen Wähler gab es einerseits die höchst abschreckende Alternative und andererseits klare außenpolitische und sozialpolitische Ziele, die klein Lieschen auf der Straße verstand.

Daß diese klare Unterscheidbarkeit der Parteien nicht mehr da ist, liegt nur zum kleinen Teil in der Verantwortung der (ehemaligen) Volksparteien.
Viele Probleme wurden auf die supranationale Ebene promoviert. Ein Kanzler oder ein Minister kann schon lange nicht mehr all das durchsetzen, das er möchte.
Für noch gravierender halte ich aber den Informationsoverkill mit 100 TV-Sendern und dem Internet.
Selbst wenn man wie Peer Steinbrück 2013 mit recht klaren Alternativen zur Merkel-Westerwelle-Politik ins Rennen geht, werden sie trotz der allgemeinen Veröffentlichung gar nicht wahrgenommen.

Gerade wird wieder einmal die dramatische und hoch gefährliche Ungleichverteilung des Vermögens beklagt, aber als die SPD 2013 mit einem darauf ausgerichteten Programm antrat, in dem Vermögensteuer und Erhöhung der Erbschaftssteuer standen, war der Urnenpöbel ganz verschreckt davon und wählte die CDU mit fast absoluter Mehrheit, also die Kanzlerin, die schon acht Jahre massiv von unten nach oben umverteilt hatte.

Der Wähler ist eben nicht nur ein scheues Reh, sondern auch ein dummes Reh, welches sich lieber Germanys Next Topmodel und Fußball-Bundesliga ansieht, statt mal ein Wahlprogramm zu lesen.
Eine Wahlentscheidung wird so zum Affekt; die Konsequenzen ausgeblendet.

Lehman Brothers, fast 30.000 Angestellte, fast 700 Milliarden Dollar Bilanzsumme, gingen am 15. September 2008 in Insolvenz. Die weltweite Superfinanzkrise war da, die gesamte Spekulations/Privatisierungs-Ideologie kollabierte. In der gesamten westlichen Welt mußten die Steuerzahler für aberwitzige an den Börsen verzockte Summen geradestehen.
Und was tut der deutsche Urnenpöbel? Wählt im September 2009 genau die Partei mit Rekord-15% in die Bundesregierung, die wie keine andere für Privatisierungen und Investmentbanking stand, so daß in den nächsten vier Jahren massive Geschenke an die Finanz-, Pharma- und Versicherungsindustrie von den FDP-Minister durchgeboxt wurden.
Absurd, denn in der GroKo von 2005-2009 hatte der SPD-Finanzminister Steinbrück eine keynsianische Politik mit massiven Konjunkturprogrammen durchgesetzt, von der Deutschland heute noch profitiert – im Gegensatz zu den EU-Ländern, denen das gegenteilige Austeritäts-Konzept aufgezwungen wurde.
Wie sehr das in die Hose ging konnte man sehr schön an der schwarzgelben Periode 2009-2013 erkennen. Europaweit wurden die Staatsschulden dem Steuerzahler aufs Auge gedrückt, während die spekulationsgierigen Banker, die das erst verursacht hatten, von Merkel und Schäuble das Geld zugeschoben bekamen.



Im Wahljahr 2013 entschied der Wähler, er wolle noch mehr Merkel.

Politisch links denkende Menschen verzettelten sich unterdessen in SPD, Grüne, Linke und Piraten.
„Links“ waren früher mal eindeutig SPD-Anhänger.
Heute kann „links“ alles Mögliche heißen.
Und diejenigen, die die Aufspaltung praktizieren, indem sie beleidigt zeternd nicht/nie mehr SPD wählen, sind dann groteskerweise die ersten, die R2G als einen Block ansehen und meinen so könnte die CDU abgewählt werden.
Was für ein Schwachsinn.
Wer keine rechte, neoliberale Regierung möchte, muß sich auf eine linke Partei einigen und nicht immer weiter sektieren.

Es ist nicht so abwegig, daß der SPD-Chef Gabriel aus den Bundestagswahlergebnissen 2009 und 2013 den Schluß zieht, daß linke, nachfrageorientierte Finanz- und Wirtschaftspolitik offenbar vom Wahlvolk absolut nicht gewollt wird.
Höheren Steuern für Millionäre und Konjunkturprogrammen wurden an den Wahlurnen klare Absagen erteilt.

Es ist naheliegend daraus Konsequenzen zu ziehen und den Kurs gen Mitte zu ändern. Die Sozi-Freunde aus den 1970ern, die sich über Schröders Agenda 2010 geärgert hatten, waren ja ohnehin längst zu Linken, Piraten und heute auch zur AfD abgewandert.
Um den Kuchen konnte sich Gabriel also gar nicht mehr bemühen.
Taktisch gedacht, muß man als Parteipolitiker fast zu dem Schluß kommen, mehr in die merkelige Mitte zu rutschen.

In der Praxis führte das aber offenbar zu so viel Verwirrung, daß die letzten SPD-Wähler nun auch noch verschreckt werden. Sie bleiben zu Hause oder wählen gleich die in allen Lagern so überaus beliebte Angela Merkel.

Und nun?

Da hilft nur noch ein Neuanfang!
Desaströse Wahlergebnisse, kaum Problembewusstsein: Die SPD hat ihren Tiefpunkt erreicht. Wenn sie sich nicht bald grundlegend ändert, wird sie nicht mehr benötigt.

Das schreibt Yannick Haan, Sprecher des Forums Netzpolitik der Berliner SPD und Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Berlin Alexanderplatz, am 29.03.2016 in der ZEIT und führt aus, wie er sich eine Zukunft seiner Partei vorstellt.

Den Haan, gerade mal 30 Jahre alt, finde ich äußerst sympathisch. Es ist lobenswert sich einzusetzen und Konzeptionen zu überlegen.

Statt aber selbstbewußt auf originäre SPD-Politik zu setzen, schwebt ihm ein irgendwie geartetes, überpolitisches, europäisches Konglomerat aus allen erdenklichen Gruppen vor. Das Internet soll es möglich machen.

Warum also nicht einen europäischen Parteitag einberufen, auf dem wir debattieren, wie eine linke Wirtschaftspolitik aussehen soll? Warum nicht einen Plan schmieden für einen New European Deal. Der muss endlich die neoliberalen Reformen und die derzeitige ökonomische Abwärtsspirale in Europa beenden. Eine linke europäische Bewegung muss dafür sorgen, dass Europa kein Elitengebilde bleibt. Hierfür müssten wir die Gewerkschaften, die NGOs, die Sozialverbände, die Netzaktivisten, die Kirchen und andere gesellschaftlichen Akteure mit ins Boot holen.

Ich teile die politischen Zielsetzungen Haans, aber sein Weg dahin scheint mir zum Scheitern verurteilt zu sein.

Netzaktivisten?
Diese Rudimente der Chaos-Piraten, die sich bundesweit lächerlich gemacht haben?
Gewerkschaften?
Diese ultrabürokratischen Schnarcher, die auf Kohlestrom setzen und so altbackenen Modellen anhängen, daß ihre Mitglieder noch viel schneller davon rennen, als die der SPD?
Kirchen?
Die Fortschrittsbremsen, Kinderfickervertuscher, Handaufhalter, ultrareichen CDU-Klienteliker, Homohasser, Patientenverfügungsgegner und Arbeitsrecht-Verweigerer?

Nein danke.
Ich wünsche mir eine SPD, die sich genau von solchen Typen emanzipiert und eigene Konzepte entwickelt.

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