Natürlich und völlig zu Recht empören sich heute viele
Journalisten über die Anti-Böhmermann-Entscheidung der Kanzlerin.
Ich schließe mich dem an.
Es gibt eine zweite Gruppe, die sehr viel empörter
über das „Schmähgedicht“ an sich sind und immer wieder einzelne Zeilen
zitieren. So würden sie sich auch nicht beschimpfen lassen und im Übrigen wäre
es rassistisch, weil damit alle 78 Millionen Türken diskriminiert würden.
Das ist schon erstaunlich, wie viele Menschen nach
zwei Wochen des medialen Dauerfeuers immer noch nicht begriffen haben worum es
geht: Böhmermann zeigte auf was erlaubte Satire ist und grenzte dagegen
verbotene „Schmähkritik“ ab, die er zur Illustration mit bösem Gesicht vortrug;
immer betonend, daß man dazu nicht klatschen dürfe, daß dies nicht erlaubt sei.
Selbst ein juristisch hochgebildeter Heribert Prantl, der zu Recht fordert den Schahparagraphen abzuschaffen, kann es
sich nicht verkneifen immer wieder drauf hin zu weisen wie abscheulich und dumm
er diesen kleinen Teil aus Böhmermanns Satire findet.
Dabei ist es juristisch selbstverständlich vollkommen
irrelevant ob irgendeinem dieses „Schmähgedicht“ gefällt. Satire muß überhaupt
niemand gefallen. Auch wenn jeder einzelne Mensch des Planeten Böhmermanns Satire-Strecke
schlecht findet, wäre das noch lange kein Grund sie zu verbieten.
Ein dritte Gruppe Journalisten mischt sich nicht in
die persönliche Bewertung der Causa ein, geriert sich aber als besonders
schlau, indem sie allen Anderen Unwissenheit unterstellt, weil diese eine
Entscheidung des Gerichts vorweg nähmen. Es wäre doch sehr schlau von der
Kanzlerin nun den Fall in die Hand unabhängiger Richter abzugeben und ob die
gegen Böhmermann entschieden, wäre schließlich noch offen.
Beispiele:
Die Bundesregierung überlässt das Urteil deutschen Gerichten. Gelingt mir
beim besten Willen nicht, mich darüber zu empören.
(Stefan Niggemeier 13:14 - 15 Apr 2016)
Merkels Entscheidung ist richtig: Im Fall Böhmermann muss die Justiz
urteilen, nicht die Politik. Ein Maulkorb für Satire ist das aber nicht.
Greven und Niggemeier verstehen offenbar nicht, daß
die juristische Klärung ohnehin auf dem Wege des § 185 StGB erfolgt. Erdogan
hatte Böhmermann schließlich auch schon privat wegen Beleidigung verklagt.
Dafür ist der § 185 StGB da; unabhängige Gerichte
klären, ob es sich um eine erlaubte Äußerung handelt, oder strafbar beleidigend
ist.
Die Kanzlerin hat nun aber – gegen den ausdrücklich
Protest ihres SPD-Außenminister, ihres SPD-Vizekanzlers und ihres
SPD-Justizministers – noch zusätzlich eine juristische Prüfung über den § 103
StGB freigemacht. Die Besonderheit dieses Paragraphs liegt eben darin, daß der
Strafrahmen extrem hoch ist und daß Ermittlungen der Zustimmung der
Bundesregierung bedürfen. Die ist in diesem Fall eben nicht neutral, weil
Merkel schon vor zwei Wochen in vorauseilendem Gehorsam Böhmermann verurteilt
hatte, indem sie der türkischen Regierung erklärte das „Schmähgedicht“ wäre „bewußt
verletzend“.
Abgesehen davon, daß also Merkel auch zu denen gehört,
die offensichtlich "die gesamte satirische Strecke gar nicht gesehen und
daher den Zusammenhang nicht verstanden hatte, hätte sie als Exekutive keine
juristisch Bewertung vorab vornehmen dürfen, bevor sie eben diesen von ihr
schon schuldig Gesprochenen mit der Autorität der Kanzlerin der Judikative
vorwirft.
Rechtsanwalt Ströbele erklärt das wunderbar:
Die Kanzlerin will Erdogan milde stimmen und verheddert sich. Presse- und
Meinungsfreiheit drohen auf der Strecke zu bleiben. Sie entscheidet politisch,
die Ermächtigung zu erteilen, daß Böhmermann nun auch nach § 103 StGB wegen
Beleidigung des türkischen Präsidenten Erdogan mit einer höheren Strafdrohung
Freiheitsstrafe von 3 bis 5 Jahren verfolgt werden kann. Danach klingen Ihre
Beschwörungen des hohen Wertes von Pressefreiheit, Meinungs- und Satirefreiheit
hohl. Die Begründung, die unabhängige Justiz - Staatsanwaltschaft und Gericht -
sollten entscheiden, ob eine strafbare Beleidigung vorliegt, rechtfertigt ihre
Entscheidung keineswegs. Die Justiz entscheidet sowieso, nachdem Erdogan
Strafantrag gestellt hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt und prüft, ob Anklage
wegen Beleidigung nach § 185 StGB erhoben wird. Völlig absurd, daß die
Kanzlerin den Weg frei macht für die Anwendung der Strafvorschrift, die sie
selbst für entbehrlich hält und abschaffen wird. Das alles nur, um Erdogan
milde zu stimmen.
Wie ist
die Angelegenheit aber politisch zu bewerten?
Hat nicht Herr Erdogan ein Eigentor geschossen, weil er eine kleine Spartensender-Sendung mit homöopathischen Einschaltquoten erst bekannt gemacht hat? 99% der Menschen, die jetzt über die angeblichen Beleidigungen Erdogans reden, wüßten gar nichts davon, wenn der türkische Präsident sie nicht selbst so aufgebauscht hätte.
Hat nicht Herr Erdogan ein Eigentor geschossen, weil er eine kleine Spartensender-Sendung mit homöopathischen Einschaltquoten erst bekannt gemacht hat? 99% der Menschen, die jetzt über die angeblichen Beleidigungen Erdogans reden, wüßten gar nichts davon, wenn der türkische Präsident sie nicht selbst so aufgebauscht hätte.
Ist Erdogan etwa genauso dumm wie Joseph Ratzinger,
der im Juli 2012 mit seiner Klage gegen die Titanic ein ihn schmähendes Bild,
das sonst gar nicht bemerkt worden wäre, erst bundesweit bekannt gemacht hatte?
In diese
Richtung dachte Claus Kleber vor einigen Tagen, als er Michael-Hubertus
von Sprenger, den
Anwalt von Erdoğan, grillte.
Ein
interessanter, aber irrelevanter Gedanke. Ich bin überzeugt, daß es Erdoğan
persönlich recht gleichgültig ist was ein ihm unbekannter Nachwuchssatiriker in
einem Minisender erzählt.
Dem
türkischen Präsidenten geht es um eine Machtdemonstration und um Rache.
Als er
2003 Regierungschef wurde, ging er mit großen Schritten auf die Europa zu,
krempelte sein Land um, liberalisierte und generierte ein gewaltiges
Wirtschaftswachstum. Die EU-Mitgliedschaft war der Türkei schon lange
versprochen worden.
2005 kam
dann aber Merkel ins Amt und trat ihm mit Wucht ins Schienbein.
Sie
bedeutete ihm, daß 40 Jahre Versprechungen nicht zählten, daß sie die Türkei generell
für zu minderwertig hielte, um jemals zur EU zu gehören, allenfalls eine „privilegierte
Partnerschaft sei drin.
Erdoğan wurde
durch die Kanzlerin schwer gedemütigt. Offensichtlich wuchs sich diese Kränkung
im Laufe der Jahre zu einer echten Psychose aus. Jahr für Jahr wurde er immer
skrupelloser und machtgieriger. Vor zwei Jahren zettelte er sogar die
militärische Auseinandersetzung mit den Kurden wieder an, obwohl er selbst
Jahre zuvor den Friedensprozess eingeleitet hatte.
Ab 2010
empfand der Türke die Herablassung und Geringschätzung durch Merkel möglicherweise
noch viel stärker, weil der NATO-Partner Türkei mit dem Flüchtlingsstrom aus
Syrien allein gelassen wurde. 2,5 Millionen Syrer hat Erdoğan aufgenommen,
während sich „der Westen“ einen schlanken Fuß machte, im Falle Merkels die
Nahostkonflikte durch Waffenlieferungen noch anheizte; 2015 sogar direkt an die
von Ankara so verhassten Kurden.
2016
bekommt Erdoğan nun endlich die Chance sich zu rächen. Die geopolitischen
Umstände haben sich so gedreht, daß Merkel nun ihn braucht. Das will er sie
spüren lassen, weil er eine Dekade Wut auf Deutschland angesammelt hat.
Nun kann
er Merkel springen lassen wie er möchte und das beweist er mit dem Vorgehen
gegen Extra3 und das Neo-Magazin-Royale.
Merkel
badet also auch ihre eigenen Fehler aus. Ihre Ablehnung der EU-Mitgliedschaft
von vor zehn Jahren, ihr absurdes Flüchtlingstausch-Konzept mit Ankara und nun
auch noch ihre erbärmliches Vorpreschen, als sie Böhmermanns Text als „bewußt
verletzend“ verurteilte.
Möchte
man der ganzen Angelegenheit etwas Gutes abgewinnen, so ist es der klare
Unterschied zwischen SPD und Union. Alle SPD-Bundesminister haben sich scharf
gegen Merkels § 103 StGB-Entscheidung ausgesprochen.
Möge man
also bei den nächsten Wahlen für die SPD und nicht für die CDU stimmen.
Der
kleine parteitaktische Vorteil für die Sozis wird allerdings durch den
gewaltigen Imageschaden für die Politik insgesamt überstrahlt.
Seit
Jahr und Tag wird das politisches Desinteresse der Jugendlichen, der Rückgang
der Wahlbeteiligung, die EU-Skepsis, die Re-Nationalisierung beklagt.
Und
genau dem Affen gibt Merkel nun Zucker.
AfDler
und Aluhüte haben nun die Bestätigung: Politik ist korrupt, der EU geht es nur
um Machtinteressen, man steht nicht für Werte ein…
Deswegen
ist Merkels heutige Entscheidung auch so scharf zu verurteilen.
Georg
Restle, Oliver Kalkofe und Michael Schmidt-Salomon haben das bereits so schön
aufgeschrieben, daß ich abschließend die drei Herren zitiere, statt selbst in
Koprolalie zu verfallen.
[…]
Auch wenn die Zulassung einer Klage und
das Verweisen an die Gerichte sachlich eine korrekte Alternative war und ist -
ich persönlich schäme
mich gerade ganz furchtbar...
für die massive Eierlosigkeit
und Rückgratschwäche unserer Regierung
(wobei das Statement
der Kanzlerin deutlich sagte, dass ihre Entscheidung wohl nicht von vielen mit
getragen wird, weshalb sie die Erklärung auch komplett alleine abgab).
Mein Bauchgefühl sagt mir,
wir erlebten hier gerade den Anfang vom Ende der Ära Merkel...
Ein mutloses,
unsouveränes und potentiell fatales Zeichen.
In einer
Lose-Lose-Situation wurde am Ende die Doppel-Lose-Entscheidung gewählt...
und egal ob das inhaltlich
korrekt ist oder nicht, egal wie es begründet wird - das Zeichen der Kanzlerin
gegen unsere Presse-Meinungs-Satirefreiheit und das Einknicken vor der
überzogenen Reaktion eines schnaubenden Despoten, nur um das wichtige Abkommen
nicht zu gefährden - dieses Zeichen
zeigt keine Stärke, keinen Mut und keine Souveränität.
Und wird letztendlich
als trauriges Einknicken und Verrat an den Werten des eigenen Landes stehen
bleiben. Egal ob das nun stimmt oder
nicht.
Der Bumerang wurde
vielleicht lasch geworfen, wird aber mit Wucht im eigenen Nacken landen. Und
den falschen Leuten in die Hände spielen...
Ich habe solch eine
Entscheidung zwar befürchtet, hätte aber niemals geglaubt dass sie so wirklich
geschieht.
Dies ist vielleicht nicht
der Tod der Satirefreiheit, aber ein kräftiger Tritt von Mutti in deren Eier, die
ihr selber gerade verloren gegangen sind.
Was für ein Kotau! Die
Bundeskanzlerin geht vor dem türkischen Präsidenten in die Knie und erlaubt es
tatsächlich, dass deutsche Staatsanwälte gegen Jan Böhmermann ermitteln. Dabei
hat Böhmermann nur das getan, was man von einem Satiriker erwarten darf: Er hat
provoziert. Er hat die Regeln des Anstands bewusst verletzt. Er hat einen
selbstherrlichen Herrscher der Lächerlichkeit Preis gegeben. Das muss nicht
jedem gefallen; soll es auch gar nicht. Schon gar nicht dem türkischen
Präsidenten.
Dass die
Bundeskanzlerin ihre Entscheidung jetzt auch noch mit dem Hinweis auf
Rechtsstaat und Gewaltenteilung rechtfertigt, macht allerdings sprachlos. War
sie es doch selbst, die Böhmermann gegenüber dem türkischen Präsidenten auf
beispiellose Art und Weise vorverurteilt hat. Dabei ist der Spezialparagraph
103 StGB ein rechtsstaatlicher Anachronismus. Er soll die auswärtigen
Beziehungen schützen, ganz gleich ob es um Despoten, Diktaturen oder
Folter-Regime geht.
Und da droht demnächst
noch Schlimmeres. Wenn die Pläne der Bundesregierung und der EU Wirklichkeit
werden, werden wir demnächst mit Libyen, Äthiopien oder dem Sudan die nächsten
Deals abschließen. Man mag gar nicht dran denken, wenn sich die Bundesregierung
künftig nicht nur von Herrn Erdogan, sondern auch von einem sudanesischen
Präsidenten erpressen lässt, der ein international gesuchter Kriegsverbrecher
ist. Auf genau diesen Pfad hat sich die Bundeskanzlerin heute begeben. Ein
Pfad, der zeigt, dass diese Kanzlerin und diese Bundesregierung offenbar vor
nichts mehr zurückschrecken, wenn es nur darum geht, Flüchtlinge von Europa
fern zu halten. Dass sogar elementare Menschenrechte verhandelbar geworden
sind, nicht nur in der Türkei, sondern auch hier in Deutschland.
Jan Böhmermann hat all
dies nolens volens offen gelegt. Dafür sollte man ihn mit Preisen überhäufen;
statt ihm die Staatsanwälte auf den Hals zu hetzen.
"Wer hat Böhmermann verraten? Christdemokraten!"
Der Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung Michael Schmidt-Salomon
hat die Entscheidung der Bundesregierung, eine Strafverfolgung gegen Jan
Böhmermann auf der Basis von §103 StGB zuzulassen, als "Kniefall vor einem
Despoten" kritisiert, der "in seinem eigenen Land den überkommenen
Straftatbestand der Majestätsbeleidigung nutzt, um politische Gegner auszuschalten."
Die Erklärung von Kanzlerin Merkel, in Deutschland solle nicht die
Regierung, sondern die Justiz "das letzte Wort" haben, weshalb die
Ermächtigung zur Strafverfolgung "keine Vorverurteilung Böhmermanns"
bedeute, bezeichnete Schmidt-Salomon als "heuchlerisch": "Eine
Ermächtigung zur Strafverfolgung kann nur dann erteilt werden, wenn ein
hinreichender Tatverdacht besteht. Insofern muss die deutsche Kanzlerin
zumindest unterstellen, dass Jan Böhmermann gegen §103 StGB verstoßen haben
könnte. Dies ist jedoch absurd, wenn man den Kontext berücksichtigt, in dem das
umstrittene Gedicht ‚Schmähkritik‘ vorgetragen wurde."
"Echte Schmähkritik setzt voraus, dass der Kritiker seine Schmähungen
ernstmeint", erklärte Schmidt-Salomon. "Liegt diese Voraussetzung
hier vor? Ganz sicher nicht! Denn niemand, der die Sendung gesehen hat, und
noch halbwegs bei Verstand ist, wird davon ausgehen, dass Jan Böhmermann ernsthaft
unterstellen wollte, dass der türkische Präsident ungewöhnlich kleine
Genitalien hat und sexuell mit Ziegen und Schafen verkehrt! Böhmermann ging es
um etwas völlig anderes (siehe das Transkript der Sendung): Seine Satire zielte
darauf ab, dass Erdogan zwischen berechtigter Satire und verbotener
Schmähkritik nicht unterscheiden kann, was der türkische Präsident mit seiner
Reaktion auf die ZDF-Sendung dann ja auch eindrucksvoll unter Beweis stellte.
Schon allein dies wäre tragisch-komisch genug und ein Beleg für Böhmermanns
satirische Qualitäten! Leider aber scheint auch die deutsche Kanzlerin samt
ihrer Berater, wie sich heute gezeigt hat, nicht über das erforderliche
Differenzierungsvermögen zu verfügen, denn ansonsten hätte sie dem
Strafverfolgungsinteresse der Türkei aufgrund fehlenden Tatverdachts niemals
nachgeben dürfen!"
Positiv hob Schmidt-Salomon hervor, dass sämtliche SPD-Minister gegen die
Strafverfolgung gestimmt haben: "In Anlehnung an eine alte Redewendung,
die ursprünglich gegen die SPD gerichtet war, könnte man heute sagen: ‚Wer hat
Böhmermann verraten? Christdemokraten!‘ Wie schon bei der Sterbehilfedebatte
ist die CDU/CSU nun auch bei der Frage des Umgangs mit der Türkei all jenen in
den Rücken gefallen, die die Prinzipien einer offenen Gesellschaft stärken
wollen. Die Kanzlerin hätte heute die Chance gehabt, ein klareres Profil zu
zeigen und dem türkischen Präsidenten eine Lehrstunde in Sachen Demokratie,
Meinungs- und Kunstfreiheit zu erteilen. Diese Chance hat Angela Merkel
kläglich vergeben."
[…][…]
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