Donnerstag, 25. April 2019

Alles hat seine Zeit.

Wer ist schon völlig unempfänglich für Rührseligkeiten?
Daher gebe ich auch zu wie angenehm die zelebrierte Freundschaft zwischen Barack Obama und seinem Vizepräsidenten stets auf mich wirkte.
Natürlich werden Freundschaften zwischen prominenten Politikern gern inszeniert, um Sympathien und damit Wahlstimmen zu erheischen.
Aber nachdem ich nun eine Dekade lang genau beobachtete wie die Ehepaare Obama und Biden zueinander stehen, traue ich mir das Urteil zu, daß die sich wirklich sehr schätzen und mögen.

Dabei wirkte der VP-pick anfangs wie ein leicht zu durchschauendes Politmanöver der Demokraten: Der allzu junge, allzu dunkelhäutige, allzu westküsten-pazifisch, allzu unerfahren und allzu junge Obama könnte Wähler aus den klassischen bluecollar- und Gewerkschaftskreisen abschrecken.
Also versuchte man den Präsidentschaftskandidaten abzumildern, indem man ihnen einen in jeder Hinsicht gegenteiligen Vizepräsidentschaftskandidaten zuwies:
Seit 36 Jahren US-Senator aus Delaware, alt, weiß, Sohn eines Autoverkäufers, konservativerer Parteiflügel.
Das roch nach Zweckehe.
So wie Gerd Schröder und Oskar Lafontaine, zwischen die bekanntlich kein Blatt Papier passte.

Mutmaßlich ist es für politische Alphatiere schwer sich in die zweite Reihe zu fügen und einem so viel Jüngeren immer den Vortritt zu lassen.
Zumal Barack Obama anders als sein ebenfalls unerfahrener Vorgänger GW Bush tatsächlich selbst regierte und nicht in Wahrheit seinen Vize (Dick Cheney) die Strategie entwerfen ließ.
Es gehört wahre persönliche Größe dazu die zwei Dekaden jüngere Nummer 1 Fehler machen zu lassen und ihm stets loyal den Rücken zu stärken.
Daher freute es mich für das alte Schlachtross, das so viele grausame persönliche Verluste erlitt – seine Ehefrau Neila und seine Tochter Naomi starben 1972 bei einem Verkehrsunfall, sein Sohn Beau starb 2015 an einem Hirntumor – von seinem Chef und den Wählern so viel Anerkennung zu erfahren.

Verständlicherweise wollte er sich zum Ende seiner Amtszeit als Vizepräsident während des grausamen Todeskampfes seines Sohnes nicht in eine erneute Präsidentschaftskandidatur werfen und so schied er im Januar 2017 im Alter von 75 Jahren aus der Politik aus.

Heute bereitete Joe Biden allerdings den Gerüchten ein Ende und verkündete seine Kandidatur, um als demokratischer Präsidentschaftskandidat 2020 gegen Trump ins Rennen zu gehen.
Washington ist elektrisiert, denn im Feld der mittlerweile 20 demokratischen Kandidaten, die so jung und divers wie nie sind, gilt Biden als der Aussichtsreichste, um den verhassten Trump im Januar 2021 auf das Altenteil zu schicken. JOE2020 lautet der Hashtag.


April 2019

("Die zentralen Werte dieser Nation, unser Ansehen in der Welt, unsere Demokratie, alles was Amerika zu Amerika macht, steht auf dem Spiel. Deshalb kündige ich heute meine Präsidentschaftskandidatur an.")

Jeder Präsidentschaftskandidat betont weswegen gerade besonders viel auf dem Spiel stehe und diese Wahl extrem entscheidend sei.
In den Kandidatendebatten enthält jeder zweite Satz Varianten der Formulierung „to be at stake“, damit bloß kein potentieller Wähler zu faul sein möge zur Urne zu gehen.

Für den 2020er Wahlkampf nach der unfassbar desaströsen Trump-Präsidentschaft und dem totalen moralischen Verfall der GOP, stimmt diese Beschreibung aber mehr denn je.

Verglichen mit den 19 anderen Kandidaten, die alle relative Nobodys sind, bringt Joe Biden viel mehr auf die Waage. Er benötigt keine Kampagne, um sich dem Land vorzustellen. Jeder kennt ihn, die meisten mögen ihn.
Und so orakeln viele, er sei tatsächlich der aussichtsreichste Kandidat.
Nur er, der dem Arbeitermilieu entstammende weiße Mann mit den vielen Schicksalsschlägen, könnte die 2016 an Trump verlorenen gegangenen klassischen Rustbelt-Wähler zurückholen, um wieder Michigan, Wisconsin, Pennsylvania und Ohio zu gewinnen.
Jene klassischen Sozi-Wähler, die immer noch mit Frauen, Jugendlichen, Schwarzen, Schwulen fremdeln. Von den anderen Kandidaten sind nur Warren (links, Frau!) und Sanders (uralt, Sozialist) weltweit bekannt.
Die „Neuen“ haben fast alle das Etikett „divers“.
Cory Booker, Senator aus New Jersey, ist schwarz, Pete Buttigieg, Bürgermeister von South Bend, ist schwul und polylingual, Ex-Minister Julián Castro Latino, Tulsi Gabbard Hawaiianische Frau, Kamala Harris, Senatorin aus Kalifornien schwarz, Wayne Messam ist  bloß Bürgermeister von Miramar, Beto O'Rourke hat kein Amt und spricht ständig spanisch.

Mir gefällt übrigens der ebenfalls kandidierenden Kongressabgeordneter Eric Swalwell aus Kalifornien gut. Aber da Kalifornien ohnehin an die Demokraten geht, wäre es Verschwendung den Heimvorteil nicht in einem Swingstate einzusetzen.

[….] Biden im US-Wahlkampf  [….] Warum er mit 76 Jahren gute Chancen hat, Donald Trump zu schlagen.
[….]  In den meisten Umfragen führt Biden das Feld der demokratischen Bewerber an. Sein Bekanntheitsgrad hilft ihm dabei. Ein weiterer Pluspunkt ist seine Bodenständigkeit, mit der er vermutlich vor allem bei älteren Wählern punkten kann. Und ganz klar: "Uncle Joe" kann mit seinem kumpeligen Charme in den Staaten des "Rostgürtels" im Norden der USA ähnliche Menschen ansprechen wie Donald Trump - weiße Arbeiter, verunsicherte Angehörige der Mittelschicht, Konservative.
Biden selbst wird versuchen, seine lange politische Erfahrung als Vorteil zu verkaufen. Das gilt insbesondere für die Außenpolitik, in der er als ehemaliger Vizepräsident und Senator sicherlich von allen Bewerbern die meisten Kenntnisse hat. Donald Trump schlägt er hier ohnehin um Längen.
Nach allem, was man bisher weiß, wird sich Biden zunächst aber vor allem als moralisches Gegenbild zu Donald Trump positionieren: Schon in seinem Bewerbungsvideo setzt er hier einen klaren Akzent. Es gehe bei der nächsten Wahl um nicht weniger als den "Kampf um die Seele unserer Nation", sagt er. "Es geht darum, wer wir wirklich sind."
Ausdrücklich prangert Biden Trumps Umgang mit dem Neonazi-Aufmarsch und den Gegendemonstrationen in Charlottesville im Sommer 2017 an, als der Präsident erklärt hatte, "auf beiden Seiten" seien "anständige Menschen" unterwegs gewesen. Dies sei für ihn zutiefst erschreckend gewesen, macht Biden deutlich. Ein Angriff auf das Wertefundament der USA, auf die Freiheit, die Demokratie und die Gleichheit von Menschen aller Hautfarben und Glaubensrichtungen. [….]

Biden kann alle anderen Kandidaten mit seiner Prominenz platt machen und auf das Parteiestablishment zählen. Er wäre auch „dran“ nach all den Jahrzehnten selbstlosen Dienstes für die Nation.
Aber reicht das?
Mit den gleichen Pfunden ging auch Hillary Clinton ins Rennen. Niemand bezweifelte ihre Befähigung für das Präsidentschaftsamt. Nach der Papierform hätte sie das parteifremde Greenhorn Trump schlagen müssen. Auf dem Papier gelang das auch – sie holte bekanntlich fast drei Millionen Stimmen mehr als Trump – aber das reicht in Amerika nicht, um sicher ins Amt zu kommen.
Wegen der enormen strategischen Vorteile des Wahlrechts für die Republikaner müssen Demokraten rund 10% mehr Stimmen als Republikaner holen, um Präsident zu werden.

Ich glaube allerdings an eine andere Theorie.
Den relativ wenigen (gleichwohl in einigen Swingstates wahlentscheidenden) Blue-Collar-Wähler zu den Demokraten zurück zu holen, darf nicht so im Vordergrund stehen, da ihr Einfluss sinkt und die jungen, schwulen, schwarzen, urbanen, people-of-color, weiblichen, liberalen Wähler mehr werden.

Trump ist Präsident, weil die unter 30-Jährigen mal wieder nicht von ihren Klugtelefonen wegzuholen waren, lieber Make-Up-Tutorials und Instagram-Beautycontesten frönten, als zur Wahl zu gehen.
Die beiden 70-Jährigen Großeltern-Kandidaten waren zu weit weg – in jeder Hinsicht.

Joe Biden würde bei seiner Vereidigung 78 Jahre alt sein, am Ende der ersten Amtszeit 82 sein.
Nancy Pelosi, Speakerin im House, die derzeit ranghöchste Politikerin der Demokratin wurde am 26.März 1940 geboren, ist jetzt also 79, wird am Anfang einer möglichen Biden-Präsidentschaft also 81 Jahre alt sein.

Ich habe einen ausgesprochenen Faible für alte Menschen, aber ich glaube nicht, daß die Einführung einer Gerontokratie nach Sowjetisch-vatikanischem Vorbild die Demokraten zum Erfolg verhelfen kann. Dann wäre Donald Trump tatsächlich der jüngste Kandidat.

Nach dem Trump-Alptraum muss in den USA eine neue Ära beginnen, die alten homophoben, climate-change-Negierer, isolationistischen, misogynen, Lobbyhörigen, rassistischen Zöpfe müssen alle abgeschnitten werden.
Die Jahre 2021-2029 im Oval Office können nicht glaubwürdig von der Urgroßelterngeneration gestaltet werden, die mit annähernd 90 Politik für die Zukunft machen soll.

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