Mittwoch, 10. April 2019

Planlosigkeit als Plan.

Vielleicht war das ja der geheime Plan der konservativen, aber nicht völlig Johnson-Rees-Mogg-Wahnsinnigen: Wir machen Britannien zur Schrödinger-Katze. Wir treten aus der Europäischen Union aus und bleiben gleichzeitig Vollmitglied.
Tatsächlich wird inzwischen fast vergessen, daß das Vereinigte Königreich reguläres Mitglied der EU ist, alle EU-Regelungen umsetzt und von allen EU-Gesetzen und Verträgen profitiert.
Währenddessen bleibt die Inselregierung aber de facto von allen wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen. Wenn wir von „die EU“ reden, meinen wir ganz selbstverständlich „die EU der 27“, also alle EU-Staaten minus England.
Alle wichtigen Weichenstellungen für die Zukunft treffen die Regierungschefs ohne Frau May.


Es wird inzwischen von höchstrangigen Ratsmitgliedern wie Merkel ventiliert, London könne auch noch bis Ende 2020 Mitglied bleiben, um der Premierministerin mehr Zeit zu geben einen Austrittsvertrag ratifiziert zu bekommen.



Man staunt, fast drei Jahre nach dem Leave-Votum des Volkes, nach fast drei Jahren der Paralyse des Londoner Unterhauses, nach mehr als einer halben Legislatur der völligen Untätigkeit soll also weiter abwarten die Lösung sein?

Die Antwort auf Frau Mays Bitte nach mehr Zeit, die gegenwärtig in Brüssel diskutiert wird kenne ich nicht.


Die besten Chancen einen chaotischen No-Deal zu verhindern sehen Merkel und
EU-Ratspräsident Donald Tusk in einer möglichst langen Frist, also einer Verschiebung des Austrittstermins um möglicherweise ein ganzes Jahr. Man habe schließlich erlebt wie unfähig das britische Parlament sei unter Zeitdruck Entscheidungen zu treffen.

[…..] Unsere Erfahrung und die tiefe Spaltung innerhalb des Unterhauses geben uns wenig Grund zur Annahme, dass der Ratifizierungsprozess bis Ende Juni abgeschlossen werden kann", schrieb Tusk am Dienstag in seiner Einladung an Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre EU-Kollegen zum Brexit-Gipfel an diesem Mittwoch in Brüssel.


[…..] Tusk sagte […..], die vergangenen Monate gäben wenig Anlass zur Hoffnung, dass es bis dahin eine Einigung im britischen Parlament geben werde. Eine kurze Brexit-Verschiebung berge das Risiko immer neuer Sondergipfel und immer neuer Fristen. "Deshalb glaube ich, dass wir über eine alternative, längere Fristverlängerung diskutieren sollten." Dann könne auch Großbritannien noch einmal über seine Strategie nachdenken. […..]

Kurz und Macron argumentieren genau umgekehrt.
Geduld und lange Fristen führten nur zu einer Verfestigung der jeweiligen Position der zerstrittenen Insulaner.
Nur unter enormen Zeitdruck hätten sich Labour und die Tories endlich zusammengesetzt.


[…..] "Ergebnisse bekommt man aus Großbritannien nur unter Druck", sagt ein EU-Diplomat. Im Falle einer langen Verlängerungen aber wäre der No-Deal-Brexit erst einmal vom Tisch - "und die Gespräche zwischen Tories und der Labour-Partei wären tot". Der drohende Chaos-Brexit sei der einzige Grund für Labour-Chef Jeremy Corbyn, überhaupt mit May zu verhandeln. Ohne diese Gefahr hätten weder die regierenden britischen Konservativen noch die Opposition noch einen Anreiz, dem Austrittsabkommen mit der EU zuzustimmen. Stattdessen könnte es dann zu Neuwahlen kommen - die womöglich einen Brexit-Hardliner wie Boris Johnson zum Premierminister machen. […..]

  
Beide, sich gegenseitig ausschließenden Argumentationslinien sind für sich genommenen schlüssig.
Ich neige allerdings mehr zur Wien-Paris-Lesart.
Ein langer Aufschub birgt zudem die Gefahr, daß London die Brüsseler Politikfähigkeit talibanisiert.
Schon in den letzten 10 Jahren litt die Runde der EU-Regierungschefs unter der Quertreiberei und musste wegen des Prinzips der Einstimmigkeit ständig Rücksichten auf die Bremser von der Themse nehmen.
Möglicherweise wäre die EU heute nicht in so einer Krise, wenn die Ratsentscheidungen der letzten Dekade nicht so quälend umständlich und mutlos gewesen wären.


Mays Parteifreund Rees-Mogg, Multimillionär, Dunkelkatholik, Klimawandelleugner und Homohasser, droht schon damit die EU bei einer weiter bestehenden Mitgliedschaft seines Landes von innen zu zerstören.

[…..] Jacob Rees-Mogg, einer der härtesten Hardliner, droht bereits: Wenn das so kommt, dann müsse man das schwierigstmögliche Mitglied sein.
Die Europäische Union verhalte sich ja keineswegs kooperativ, findet Rees-Mogg, denn sie versuche mit dem Backstop die Einheit des Landes auseinanderzubrechen. Deshalb sei auch Großbritannien nicht zur Kooperation verpflichtet. "Wenn der neue mehrjährige Haushaltsplan auf den Tisch kommt und wir immer noch dabei sind, dann ist das eine nur alle sieben Jahre wiederkehrende Möglichkeit, unser Veto einzulegen. Auch die Pläne von Herrn Macron für ein engeres Zusammenwachsen der EU könnten wir stoppen." [….]


Offenbar fürchtet sich die „EU der 27“ tatsächlich vor diesen Drohungen und überlegt die Zustimmung zu einer Brexit-Fristverlängerung mit Klauseln zu verquicken, die England zu einem gewissen Wohlverhalten verpflichten.
Die meisten juristischen Einschätzungen halten das allerdings für undurchführbar. Es gibt keine Mitgliedschaft zweiter Klasse und wie soll man eigentlich genau messen, ob ein Land eine EU-Entscheidung aus ehrlicher Überzeugung oder aus einem destruktiven Impuls heraus erschwert?

Die konservativen Regierungschefs Merkel und Kurz, die sich in der Frage der Brexit-Verschiebung entgegenstehen, haben allerdings in einem anderen Aspekt allerdings gemeinsame Interessen. Sie möchten bei der Europawahl den CSU-Mann Weber als EVP-Spitzenkandidaten zum Juncker-Nachfolger machen.
Die Chancen stehen ob der notorischen schwachen S&D Fraktion gut – solange die Briten außen vor bleiben.
Sollte London nun allerdings doch bei der Europawahl teilnehmen – und das wird gegenwärtig vorbereitet – rechnet man aufgrund der Tory-Schwäche und des Mehrheitswahlrechtes mit einem Labour-Durchmarsch, der die sozialistische Fraktion in Brüssel erheblich stärken könnte.
Gut möglich, daß Merkel sich einen Aufschub bis Ende 2020 und eine Wahlniederlage Webers eher vorstellen kann, weil sie in zwei Jahren mutmaßlich als Rentnerin den ganzen Zirkus von außen anguckt und sich nicht erneut mit May ärgern muss.
Die jüngeren Regierungschefs wie Kurz oder Macron, die vorhaben noch länger zu amtieren, möchten der britisch-gordischen Knoten lieber jetzt zerschlagen.

Es bleibt also kompliziert.

  
Als Urnenpöbel-Skeptiker lehne ich die Ergebnisse der meisten Plebiszite bekanntlich ab: Brexit, Trump, das türkische Verfassungsreferendum, oder auch die gestrige Wiederwahl Netanjahus.
Ich halte die englische Entscheidung Europa den Rücken zu kehren für einen Jahrhundertfehler, den es noch bitter bereuen wird und für den wir alle zahlen müssen.
Der Souverän war zu doof und zu borniert, um die Entscheidung zu fällen, die David Cameron aus Feigheit im Jahr 2013 ankündigte.
Auch ein neues Referendum könnte die gespaltene Nation nicht einen.
Sie müssen genauso wie Trumpmerica erst schmerzhaft ihre Lektion lernen.

(…..) Man sollte Trump und den Brexit nicht abwenden bevor Trumpmerica und die Brexiteers ihre Lektion gelernt haben.

Die vielen Millionen Menschen sind dümmer und amoralischer als alle Hunde Spaniens und Deutschlands zusammen.
Sie müssen wirklich mit voller Kraft ihren Kopf in die von ihnen selbst geschissene Scheiße gerammt bekommen.
Anders lernen sie es nicht.
Wer so heftig in sein Haus kackt, muss auf die harte Tour erzogen werden.

Die Evangelikalen, Hillbillies, Rednecks und sonstigen Trump-Rassisten müssen am eigenen Leib erleben wohin seine isolationistische Hasspolitik führt.
Sie brauchen eine tiefe Wirtschaftskrise, Jobverlust und böse Krankheiten ohne Obamacare.
Sie brauchen durch Trumps environment-feindliche Politik ausgelöste Umweltkatastrophen vor ihrer Haustür und durch von Trump ermächtigte raffgierige Banker herbeigeführte Obdachlosigkeit.

Nur so begreifen sie, daß Trumpismus in die Krise führt und daß man so einen nicht wieder wählen darf.

Und so leid es mir für alle normalen Briten tut – auch ihre Europa-hassenden Landsleute brauchen diese Lektion. Sie müssen einen katastrophalen Wirtschaftszusammenbruch mit Lebensmittelknappheit und geplatzter Immobilienblase erleben. Sie müssen deutlich spüren wie sehr sie auf die anderthalb Millionen in England arbeitenden Europäer anderer Länder angewiesen sind.
Erst wenn jeder das bitter erfahren hat und GB am Boden liegt, sollen sie wieder angekrochen kommen und ein neues EU-Beitrittsgesuch stellen.
Farage und Johnson werden dann nicht noch mal ihr Maul aufreißen. (…..)


Also bitte keine Fristverlängerung mehr, keine Zugeständnisse, sondern gebt den Forderungen der Ultras Rees-Mogg, Johnson, Farage nach: Brutaler No-Deal-Brexit jetzt.
Leseempfehlung:
Andreas Edmüller fasst alles sehr schön in einem Essay seines Philosophie-Blogs zusammen:

[….] Die Hauptargumente der Brexit-Kampagne sind heute im Grunde als Lügen, groteske Verzerrungen bzw. Erfindungen entlarvt.4) Nur: Wer das wissen wollte, hatte schon vor dem Referendum sehr leicht die Gelegenheit, sich die nötigen Fakten und Daten zu beschaffen und in Gegen-Argumente umzuformen. Und: Obwohl die Argumente offensichtlich entkräftet sind, will immer noch annähernd die Hälfte der Briten den Brexit. Für mich als Argumentationsprofi heißt das: Rational betrachtet hat der Brexit mit den Argumenten seiner Befürworter bzw. deren nüchterner Bewertung nicht viel zu tun.
Wir müssen also im Arationalen nach einer Antwort suchen. Das ist wie bei der Religion: Die zum Teil katastrophalen Denkfehler diverser Gottesbeweisversuche sind mittlerweile allgemein bekannt und Inhalt von Proseminaren zum Thema – trotzdem beeindruckt das Gläubige nicht. Sie wiederholen einfach ihre „Beweise“ und ignorieren deren Schwachstellen. Oder sie verzichten gleich darauf, die Existenz Gottes mit schnöden rationalen Mitteln beweisen zu wollen. Man glaubt und will einfach glauben. Wer braucht da schon Argumente …


So ähnlich ist das mit dem Wunsch nach dem Brexit: Argumente greifen nicht, man braucht auch keine, man weiß einfach, dass das der rechte Weg ist. […..] Bleibt das UK nun doch aus irgendeinem Grund in der EU, dann sehe ich die große Gefahr, dass der dadurch sich garantiert verschärfende Kampf der Brexiteers auf andere Länder bzw. die EU übergreifen wird. Sie werden keine Ruhe geben und alles tun, um die EU wie bisher von innen heraus zu schwächen und zu bekämpfen. Gleiches gilt für diverse sanftere Lösungen: Sie werden auch darin eine perfide Versklavung der Briten sehen und dagegen ins Feld ziehen. Verschärft wird diese Befürchtung noch durch einen recht einflussreichen Verbündeten, den sie in diesem Kampf gegen die EU haben: Trump und die USA. [….]

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