Samstag, 20. April 2019

Obrigkeiten


Eins können wir Sozis eindeutig besser als alle anderen Parteien: Unzufrieden an der eigenen Führung herumnörgeln.
Die da oben sollen alle unsere Wünsche erfüllen, auch die sich gegenseitig diametral Widersprechenden. Wenn das nicht sofort gelingt, fallen wir automatisch in ein tiefes Tal der Tränen.
Die Ausschläge sind extrem. Erst überschütten wir neue Führungen mit grenzenlosem Vertrauen und Vorschusslorbeeren – 100% der Delegiertenstimmen für Martin Schulz – und wenn sie dann sehr schnell wieder zurückgetreten sind, hassen und verachten wir sie (Lafontaine, Scharping, Schröder), vergessen sie völlig (Engholm, Platzeck) oder ignorieren sie (Beck, Schulz).
(Andrea Nahles ist insofern etwas Neues, als sie a priori unbeliebt war, niemand von ihr irgendwas erwartete und sie nur mangels Alternative gewählt werden musste mit 2/3 der Delegiertenstimmen.)
Das liegt in den Genen der Sozialdemokratie: Wir wollen, daß sich alles ändert, gerechter wird, daß es allen besser geht und zwar sofort und ganz ohne daß es irgendjemand wehtut.
Wenn wir das nicht bekommen, ist natürlich der Vorsitzende Schuld.
Von der Parteiführung erwarten wir tatsächlich Führung. Der Chef soll Emotionen wecken, uns mitreißen, den Weg weisen, Pläne entwickeln, Konzeptionen darlegen, die Welt erklären, staatsmännlich agieren, gebildeter und schlauer als die anderen sein und gleichzeitig soll er aber auch ein ganz durchschnittliches Würstchen wie wir sein. Er darf kein Geld haben oder womöglich mal einen Maßanzug tragen. Das ist schon suspekt.

Natürlich kann die Erwartungen niemand erfüllen. Der letzte große Sozialdemokrat war Gerhard Schröder. Der wußte sogar wie man Wahlen gewinnt, schraubte die SPD bei der Bundestagswahl 1998 auf fast 41%, konnte zweimal das Bundeskanzleramt erobern und eine Fülle sozialdemokratischer Herzensangelegenheiten umsetzen: Zwangsarbeiterentschädigung, Ökosteuerreform, Friedenspolitik (Irak), gesellschaftliche Liberalisierungen (Homoehe, Prostitutionsgesetz), drastische Steuersenkungen und enorm verbesserte Beziehungen zu den Nachbarn.
Zum Dank dafür wird Bundeskanzler Schröder auch noch 14 Jahren nach seinem totalen Rückzug aus der Politik von den allermeisten Sozis gehasst wie die Pest.

Die CDU hat es in dieser Hinsicht sehr viel einfacher.
Die konservative Basis erwartet von ihrer Führung zu führen.
Das bedeutet in erster Linie zu regieren und zwar nicht um des Regierens Willen, sondern um zu verhindern, daß andere regieren.
Eine CDU- oder CSU-Führung, die Wahlen gewinnt und die höchsten Posten des Landes zuverlässig mit Unions-Leuten besetzt, wird kaum hinterfragt.
Ein/e Vorsitzende/r, der/die das abliefert, muss auf Parteitagen niemals das erleben womit sich SPD-Obere abmühen.
C-Chefs brauchen keine guten Redner sein, sie benötigen keine Konzepte, können auf Charisma verzichten.
Sie brauchen keine Versprechen einzuhalten, können beliebig ruppig mit den Untergebenen umgehen. Affären, Lügen, finanzielle Katastrophen, akademische Betrügereien, Skandale sind nahezu irrelevant, wie man beispielsweise an Roland Koch sah. Ungeniert wählten ihn seine eigenen Leute immer wieder.
Merkel konnte in ihren fast zwei Dekaden als Chefin nahezu jedes Unions-Alleinstellungsmerkmal einreißen, dennoch bekam sie immer über 90% der Delegiertenstimmen.
Das gemeine CDU-Mitglied ist zufrieden, wenn einer der ihren es an die Spitze geschafft hat und schläft dann gemütlich ein. Genau zu dem Zeitpunkt wird ein Sozi erst richtig wach und zappelig.

Wenn ein konservativer Chef die Wahlchancen ruiniert – und das kommt im strukturell konservativen Deutschland nicht leicht vor  - kann es allerdings ungemütlich werden.
So wurden die Parteichefs Erwin Huber und Horst Seehofer gegangen, so warf letztes Jahr selbst Angela Merkel hin.

Eine höchst seltene und ungewohnte Situation für die CDUler. Denn Merkel ist schließlich noch Bundeskanzlerin und um so weit zu kommen, braucht man einmal die Kanzlermehrheit im Bundestag.
Die homophobe Annegret ist zwar die neue starke Frau, die Zukunft der CDU, das Objekt, das nun von allen, die Karriere machen wollen umschwärmt und umschmeichelt wird, aber AKK weiß nicht, wie sie selbst jemals die Kanzlermehrheit erlangen könnte.
Schon wieder #Neuland für die CDU. Um Pöstchen zu bekommen, muss man sich an Kramp-Karrenbauer heranwanzen und von Angela Merkel distanzieren.
Aber die Neue kann bisher nur Versprechungen machen und hat nichts zu verteilen.
Am Fleischtopf der Macht, dem Kabinett, sitzt noch AKKs Vorgängerin und ist dort auch nicht so leicht wegzubekommen.
Mutmaßlich liegt Merkel durchaus so viel an ihrer Partei, daß sie ihrer Wunschnachfolgerin einen guten Start verschaffen will. Aber um gut in die Bundestagswahl 2021 zu starten, müsste AKK Bundeskanzlerin sein.
Zurzeit hat sie noch nicht mal ein Bundestagsmandat und es ist nicht einfach sie vorzeitig zur Kanzlerin zu machen.
In der bestehenden Groko ist es nahezu unmöglich, weil die SPD bei Neuwahlen nur zu verlieren hätte und der neuen Konkurrenz einen gewaltigen Vorteil verschaffen würde, wenn AKK mit dem Kanzlerbonus ausgestattet werden sollte.
So verrückt kann noch nicht mal Andrea Nahles sein. Seit 2005 warten die Sozis verzweifelt darauf, daß Merkel verschwindet, weil sie nicht gegen sie gewinnen können. Die winzige Chance, die sich für die Sozis auftut, indem Merkel endlich nicht mehr antritt, werden sie nicht sofort wieder schmälern, indem AKK aufgewertet wird.
Die CDU/CSU-Fraktion müsste also erst mal die Groko aufkündigen. Und dann?
Sie wäre auf Lindners Leute angewiesen, die sich Ende 2017 bekanntlich als unzuverlässige Hasenfüße erwiesen und wegliefen.
Selbst wenn Lindi umfiele, hätte die FDP aber nicht genug Stimmen für die Kanzlermehrheit. Die Grünen müssten ins Boot.
Die müssten allerdings auch verrückt sein, wenn sie ihre derzeit nur 8,9% (im Bundestag) in die Waagschale schmissen, um Ministerposten zu ergattern.
Schließlich sehen alle Umfragen sie derzeit weit mehr als doppelt so stark an; eher auf CDU-Augenhöhe. Sogar GR2 ist in rechnerischer Reichweite.
Habeck könnte also bei Neuwahlen selbst Bundeskanzler werden.
Wieso sollte er sich also auf die 8,9% reduzieren und als kleinster Partner in einer CDU/CSU/FDP/Gr-Koalition das schöne Amt an AKK zu schieben?
Alles spricht dafür, daß die Groko bis 2021 hält. Mit Kanzlerin Merkel.
Es sei denn, es gibt bei den Landtagswahlen so erhebliche Verschiebungen, daß im Willy-Brandt- und Konrad-Adenauer-Haus Köpfe rollen

[…..]  Dass sich daraus eine besondere Dynamik bis hin zum vorzeitigen Ende der Koalition entwickelt, ist nicht ausgeschlossen.
Und so wird in diesen Tagen munter spekuliert, wie es weitergeht in Berlin. Räumt Merkel vorzeitig das Kanzleramt für Annegret Kramp-Karrenbauer? Hat Friedrich Merz doch noch eine Chance auf einen Ministerposten? Und was ist eigentlich mit den diversen Wackelkandidaten im Kabinett - gibt es womöglich demnächst einen größeren Umbau in der Regierung? [….]

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