Donnerstag, 5. September 2019

Basis-Drama

Waren die Monty-Python-Filme wirklich lustiger als Live-Übertragungen aus dem britischen Unterhaus?
 Da sieht man wieder einmal; man hätte sich zu Theresa Mays Zeiten nie dazu hinreißen lassen sollen zu denken „noch schlechter kann England nicht regiert werden!“.

Doch, es geht.
Premierminister Johnson poltert Trumpesk durch die demokratischen Institutionen, reißt alles ein und läuft dann immer wieder völlig unvorbereitet, aber mit Karacho gegen die Wand.
Sein eigener Bruder, der ebenfalls als Tory im Parlament sitzt, gab aus Gram und Frust seinen Staatssekretärposten und das Mandat ab.


[….] Wieder soll der Brexit verschoben werden, nichts ist mehr übrig von den einstigen Plänen Boris Johnsons. Die internationale Presse kann nur noch den Kopf schütteln. Die linksliberale slowakische Tageszeitung „Pravda“ spricht am Donnerstag von einem absurdem Theater Johnsons im Brexit-Streit: „Mit der Niederlage im Parlament sind Johnsons Clownereien und sein Servieren von billigen Bonmots anstelle von wohlüberlegten Gedanken und Fakten vorerst hart auf den Boden des britischen Unterhauses aufgeschlagen.“
Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“: „Die EU bereitet sich auf einen chaotischen No-Deal-Brexit vor. Um die eventuellen Kosten dafür abzudecken, hält sie für die Mitgliedsstaaten einen Fond bereit, der normalerweise für den Fall von Naturkatastrophen gedacht ist. Denn aus Sicht der EU ist der Brexit zu einer Naturkatastrophe geworden. Etwas, das man nicht vermeiden kann, wie etwa den Ausbruch eines Vulkans oder ein Erdbeben.“
Die liberale slowakische Tageszeitung „Sme“ gibt zu bedenken: „Die sich beschleunigende Eskalation des Konflikts zwischen beiden Lagern stürzt die älteste Demokratie in ein beispielloses Chaos.“ […..]

Johnson, der ewige Querulant, der bevor er Premierminister wurde, immer wieder gegen seine Parteichefin und Regierungschefin May gestimmt hatte, lässt sich seinerseits keinerlei Widerspruch gefallen. Die 21 Tory-Abgeordneten, darunter prominente Schwergewichte wie den Alterspräsidenten und ehemaligen Schatzkanzler Ken Clarke und den Enkel des Kriegspremiers Winston Churchill, Nicholas Soames, die für den geordneten Brexit gestimmt hatten, ließ er sofort aus der Fraktion werfen. Bei den sehr bald anstehenden Neuwahlen werden sie also nicht mehr aufgestellt.


 Der zweitmächtigste Tory ist Herr Reese-Mogg, der so erzreaktionär und menschenverachtend ist, daß er unmöglich 2019 leben kann, sondern sich offensichtlich um zwei Jahrhunderte verirrt hat, macht sich gemeinsam mit seinem Boss daran die britische Demokratie einzureißen.

[….] Jacob Rees-Mogg ist ungefähr 150 Jahre zu spät geboren, und so ist er im Jahre 2019 Leader of the House. [….] Jacob Rees-Mogg ist ein witziger, gebildeter Reaktionär, zurzeit die informelle Nummer zwei in Boris Johnsons Partei, ein Snob of Snobs, ein Politiker gewordener Investor, dessen persönliches Vermögen jenseits der 50-Millionen-Pfund-Grenze liegt. [….]  Er ist außerdem, pardon the expression, [….], a rich, amusing asshole mit einem stark narzisstischen Zug. Boris Johnson und Jacob Rees-Mogg sind Brüder im Geiste, auch wenn Johnson wahrscheinlich liberaler ist als Rees-Mogg, obwohl man, wäre man gerade schlecht drauf, auch sagen könnte, dass es bei zwei Neandertalern nicht so wichtig ist, wessen Stirn fliehender aussieht (das ist natürlich nur ein Sprachbild und keinesfalls ein Vergleich). Rees-Mogg ist gegen alles, was modern ist: gegen das Recht auf Abtreibung, gegen Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Partnern/innen, gegen die EU, gegen den Vorrang der Umwelt vor der Wirtschaft. [….]

Bis vor kurzem dachte ich, den Konservativen wären wenigstens die Monarchie und ihre 93-jährige Queen heilig, aber weit gefehlt.
Die Neandertaler trampeln alles nieder.

[…..] Boris Johnson beschädigt seine Partei, das Parlament und auch die Queen. Er will die Macht, und zwar die ganze. Das Parlament hat ihm eine Waffe gegeben, die schärfer nicht sein könnte. [….]

Wie in Amerika - haha #Sharpiegate - verführen diese nie dagewesenen Protuberanzen dazu sich nicht vorstellen zu können, daß solche Regierungschefs wiedergewählt werden könnten.

Aber so viel Optimismus darf man sich nicht gestatten.


In beiden Nationen begünstigt das Mehrheitswahlrecht massiv die Rechte.
In beiden Nationen tobt die ultrarechte fanatische Desinformationspresse des Rupert Murdoch.
In beiden Nationen ist die Hälfte der Bevölkerung unrettbar verblödet.

Und schließlich, in beiden Nationen beeindruckt die Opposition immer wieder mit sagenhafter Ungeschicklichkeit.
Sie lassen sich von den Rechten Talkingspoints vorschreiben, schaffen es nicht ihre eigene Agenda auf die Tagesordnung zu setzen, streiten sich mit Vorliebe untereinander und lassen sich von den Parteigeronten dominieren.

Die amerikanischen Demokraten sind dabei heterogener und haben durchaus politische Talente zu bieten. Es ist keineswegs ausgemacht, wer Trumps Herausforderer wird.
In Großbritannien ist die die Lage noch absurder, weil schon nächsten Monat gewählt werden könnte und dann ein Parteichef Boris Johnson herausfordern wird, den die eigenen Abgeordneten schon mehrfach wegen dessen völliger Unfähigkeit stürzen wollten.
Zudem ist Jeremy Corbyn, der 70-Jährige Gewerkschaftsfunktionär ohne Brexitstrategie, aber dafür mit antisemitischer Vergangenheit sowohl auf Funktionärsebene als auch bei den Wählern extrem unbeliebt.

[….] Im März hatten führende Vertreter der jüdischen Gemeinden in Großbritannien in einem Brief an Labour offenen Antisemitismus beklagt. Insbesondere der Parteivorsitzende Jeremy Corbyn ergreife „immer wieder“ Partei für antisemitische Positionen, hieß es darin. Corbyn sei „ideologisch so sehr auf seine weit links stehende Weltsicht fixiert, dass er den jüdischen Gemeinschaften der Mitte instinktiv feindselig gegenübersteht“. [….]

Corbyn ist derartig unfähig und chaotisch, daß er es geschafft seine Labour-Partei trotz des Lügen-Chaoten Johnson in Umfragen deutlich hinter die Konservativen zurückfallen zu lassen. Das muss man erst mal schaffen.

[…..] Corbyn ist sicher das größte Problem für Labour. Die Antisemitismus-Vorwürfe und sein Image als radikal Linker schaden der Partei. Für die meisten ist er eben ein weltfremder, bärtiger Sandalenträger, der sich weigert, sich bei Zeremonien zu verbeugen. Und so oberflächlich das klingt - auch danach entscheiden Wähler. Labour hätte sicher eine bessere Chance ohne Corbyn und es gibt Leute in der Partei, die den Job machen könnten. Doch Corbyn wird bleiben. […..]

Wie konnte es so eine Groteske Witzfigur an die Labour-Parteispitze bringen?
Ganz einfach, die Spezies der Basis-Mitglieder liebt ihn und wählt ihn immer wieder wider alle Vernunft auf den Chefsessel.
Basisdemokratie ist eine üble Sache. Diktatur der Inkompetenz. Daher bin ich schon sehr beunruhigt, welchen Parteichef sich die SPD-Genossen dieses Jahr zulegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen