Samstag, 21. September 2019

Merkel, go home.

Als Verteidiger der Großen Koalition habe ich es gerade sehr schwer. Zwei Tage musste ich nach Luft schnappen bevor ich einen Satz zum Klimapäckchen schreiben konnte.
Als Blogger pflegt man eine derbere, lockere Sprache als renommierte Printjournalisten; also, wie soll ich das übertreffen, wenn schon die biedere Tagesschau Mit Klimaschutz hat das nichts zu tun! schreibt, der SPIEGEL titelt Gute Nacht. Ein Desaster und Experten von „Klarem Politikversagen“ sprechen?

Ich schüttele so viel mit dem Kopf, daß ich dauernd Aspirin einwerfen muss.


[……] Niemand scheint mit den Plänen des sogenannten Klimakabinetts zufrieden zu sein. Umweltverbände und Wirtschaftswissenschaftler, Klimaforscher und Demonstranten , Kommentatoren nahezu quer durch die Medienlandschaft sind sich einig: Das war nichts.
Der Kern des Kompromisses ist, wie das bei Parteien, die um ihre Wiederwahl fürchten müssen, zu sein pflegt: Wir tun ein bisschen gegen unseren CO2-Ausstoß, aber keine Sorge, lieber Wähler: Du wirst davon gar nichts merken! Nur nicht den "kleinen Mann" verärgern. Auch, wenn man die eigenen Ziele so unmöglich wird einhalten können.
Angesichts von geschätzten eineinhalb Millionen Demonstranten allein in Deutschland und vielen Millionen rund um den Globus, von Bangladesch bis Uganda, von Tasmanien bis New York, erscheint das arg kümmerlich. [….]

Diese aberwitzige Hasenfüßigkeit bei einem Thema, das so viel Zustimmung erfährt. 88 Milliarden Euro betragen die jährlichen Subventionen für die KfZ-Industrie und wenn Autofahrer ein winziges bißchen belastet werden sollen für einen absolut Menschheits-überlebenswichtigen Zweck, knicken die Koalitionäre in vorauseilendem Gehorsam ein.

[…..] Der magere Preisanstieg an der Zapfsäule verbunden mit der höheren Pendlerpauschale führt bei spitzenverdienenden 50-km-Pendlern dazu, dass sie ihren großen SUV behalten können und - zumindest am Anfang - sogar noch daran verdienen! Wer für Mindestlohn pendelt, der zahlt drauf.
Das ist weder sinnvoll noch sozial. [….]

Die Inkarnation des Problems ist Angela Merkel, die völlig unverantwortlich handelt, indem sie nur ihre eigene Amtszeit im Blick, aber keinesfalls das Format zur Kanzlerin hat.

[….] Damit ist eine große Chance vertan. Das Klimapaket steht nicht in einer Reihe mit den großen Aufbrüchen in der jüngeren Geschichte; etwa der Neuen Ostpolitik von Willy Brandt oder der Arbeitsmarkt-Agenda von Gerhard Schröder. Damals waren Regierungsspitzen mutig genug, auch bei schwindenden Mehrheiten für ihre Überzeugungen zu streiten.
Diesen Anspruch hat die große Koalition nicht. Das Klimaschutzpaket zeigt, dass da ein Zweckbündnis nach Kompromissen sucht, die niemandem wehtun. Obwohl alle Parteien wissen, dass das Klima nur zu retten ist, wenn sofort und deutlich Kohlendioxid reduziert wird, was am besten über den Preis geht, haben sie ein gigantisches 50-Milliarden-Euro-Paket voller Klein-Klein geschnürt. Es ist paradox: Das Paket steht dem Aufbruch jetzt eher im Wege. Aber es verlängert die Laufzeit der großen Koalition. […..]

Schließlich sammelte ich mich und kam wieder in der traurigen Realität an: Merkel ist auch am heutigen Tag die beliebteste Politikerin Deutschlands. Die Wähler wollen so eine Beruhigungspille und nicht etwa den dynamischen Kanzlertypus, den ich präferiere.

Eine andere traurige Realität sind die Mehrheitsverhältnisse des Bundestages und die stabilen Umfragewerte.
Ja, ich verteidige die GroKo, aber ich bin wahrlich kein Fan von ihr. Ich verabscheue die Altmaiers, Klöckners, Scheuers.
Die Groko ist aber trotz des dramatischen Ministerversagens immer noch das kleinste Übel, da wenigstens die Hälfte des Kabinetts, nämlich die sechs Sozis gut arbeitet. Alle anderen Alternativen wären weit schlechter.
Das gilt noch immer.

(….)  Groko ist so unbeliebt? Dann geht doch endlich raus da!
Nahles ist eine Versagerin als Parteichefin? Dann soll sie doch abtreten!

So reden Irrealos. In der echten Welt folgt man aber nicht nur seinem ersten Impuls, sondern denkt noch über die Folgen nach.

Was passiert, wenn die SPD die Groko verlässt?
Es gibt drei Möglichkeiten:

1.) Merkel einigt sich auf Jamaika, die sechs SPD-Minister Maas, Scholz, Barley, Giffey, Schulze und Heil werden durch drei FDPler und drei Grüne ersetzt.
Dann wäre Oberlobbyisten und Porschefahrer Lindner Vizekanzler und würde gewaltig die Sozialleistungen zusammenstreichen. Also wäre es eine klare Verschlechterung zum Ist-Zustand. Allerdings ist die Variante unwahrscheinlich, da Jamaika schon einmal scheiterte und die 20%-Grünen von heute sicher keine Lust haben mit weniger Macht als die FDP (BTW 10,7%), nämlich ihren mickrigen 8,9% in die Regierung einzutreten.

2.) Neuwahlen. Dafür gibt es aber hohe Hürden. Sie können nicht einfach so vom Bundestag angesetzt werden, sondern setzt eine gescheiterte Vertrauensabstimmung und entsprechendes Handeln des Bundespräsidenten voraus. Warum sollte Merkel so ein blamables Ende ihrer Kanzlerschaft mutwillig herbeiführen und damit auch auf die glanzvolle EU-Ratspräsidentschaft im Jahre 2020 verzichten? Zumal ein schlechteres CDUCSU-Ergebnis als 2017 zu erwarten ist. Warum sollte die SPD das in sicherer Erwartung dramatischer weiterer Sitzverluste mitmachen? Diese Option ist also auch sehr unwahrscheinlich.

3.) Da man Kanzler nur mit einem konstruktiven Misstrauensvotum abwählen kann, es weit und breit keine Mehrheit für einen anderen Kanzler gibt und sich Frau Merkel zudem in einem persönlichen Umfrage-Hoch befindet – sie ist die beliebteste Politikerin Deutschlands, eine übergroße Mehrheit möchte, daß sie bis 2021 im Amt bleibt – wird sie  mit einer Minderheitsregierung Kanzlerin bleiben und sich hauptsächlich von FDP und AfD aushelfen lassen.
Das ist die mit Abstand wahrscheinlichste Variante.
Die sechs SPD-Minister Maas, Scholz, Barley, Giffey, Schulze und Heil werden arbeitslos, die SPD verliert jeden Regierungseinfluss, stattdessen sucht sich Merkel sechs möglichst weit rechts stehende neue Unionsminister à la Spahn, Klöckner, Seehofer, die mit nationalistischer, xenophober, antieuropäischer, homophober und antiökologischer Politik um die Zustimmung der über 90 AfD-Parlamentarier buhlen. Die Rechtsaußen Merz, Ziemiak, Linnemann scharren schon mit den Hufen.

Alle drei Varianten sind aus linker Sicht eine klare Verschlechterung zur Groko.
Die wahrscheinlichste Variante (3) ist die Allerschlechteste. (….)

So traurig es ist, bis sich die Umfragen nicht dramatisch verändern oder Merkel endlich freiwillig aus dem Kanzleramt geht, ist diese Groko zwar mies und frustrierend, aber besser als alle Alternativen.

Das Klimapaket ist nicht völlig wirkungslos und immerhin konnte die SPD gegen die mauernde Union, die zahlenmäßig sehr viel stärker ist, einiges rausholen.

[….]Über allem hing ein Grundkonflikt, den Kanzleramtsminister Helge Braun vor Beginn der Marathonnacht Unionsabgeordneten deutlich gemacht hatte. Teilnehmer berichten, Braun habe erklärt, dass die Union alles ablehnen werde, was nach Verbot aussehen könnte. Stattdessen sei sie für Anreize, wolle Impulse setzen und Veränderungen im Verhalten anregen, aber keinen Zwang ausüben. Die SPD dagegen verlange auch Verbote und Begrenzungen, etwa, indem der Einbau neuer Ölheizungen von einem bestimmten Datum an verboten werde. Nichts macht deutlicher, welche Grundüberzeugungen in dieser Nacht verhandelt wurden. Am Ende mit einem Paket, in dem es das eine wie das andere gibt, aber so abgeschwächt, dass es fürs Erste niemandem wehtut. [….]

[….] Die CSU, bisher vom Anspruch beseelt, nichts verbieten, aber alles anreizen zu wollen, stimmte plötzlich einem Verbot zu, wie es die SPD gefordert hatte. Die Union war bereit, verdeckte Steuererhöhungen in Kauf zu nehmen. Nichts anderes ist der Einstiegspreis für den Handel mit Emissionsrechten für Gebäude und Verkehr. Für die Anhänger der Union mag das ernüchternd sein. […..]

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