Donnerstag, 14. März 2024

Ausweg Atomweltkrieg?

 Nein, ich bin kein Militärexperte. Es ist hochgradig lächerlich und sogar gefährlich, wenn ganz Deutschland, bar jedes Fachwissens, über hochspezialisierte Waffensysteme diskutiert.

[….] Er will es nicht. Er ist der Kanzler und deshalb gilt das. Olaf Scholz hat seine Gründe genannt. [….] Gestern dann hat Scholz sogar seinen Amtseid in die Waagschale geworfen. Wie viele verzweifelte Bastas eines Bundeskanzlers braucht diese Republik, diese Ampel und vor allem diese Opposition noch, um einzusehen: Wir alle haben uns fürchterlich verrannt.

Klar ist: Jede Bürgerin, jeder Bürger hat das Recht, zu erfahren, warum wir der Ukraine helfen. Warum Deutschland jetzt Milliarden in eine Bundeswehr steckt, die keine einzige einsatzbereite Heeresbrigade hat.

Klar sollte aber auch sein: Bei Fragen von Krieg und Frieden, sicherheitsrelevanten Aspekten der Landes- und Bündnisverteidigung sollten wir kein Volk von 83 Millionen Verteidigungsministern sein, die plappernd alles wissen müssen und wissen dürfen.

In keinem europäischen Land, vermutlich in keinem anderen weltweit, reden Politik und Öffentlichkeit derart offen über Waffensysteme, über Lieferschwierigkeiten, über Fähigkeiten und vor allem Unfähigkeiten der eigenen Armee. Sollte Putin ernsthaft nicht wissen, was der "Taurus" kann, reicht eine Woche deutscher Talkshow-Wirklichkeit, um auf den Stand zu kommen. Da sitzen sie alle, die Röttgens, Masalas, die Strack-Zimmermanns und Hofreiters, die Versteher und Experten, und führen den vermeintlichen Zauderkünstler Scholz vor. Reden über Reichweiten, Programmierung und "Taurus"-Sprengkraft. Und vergessen die Sprengkraft derartiger Transparenz.

[….] den auch in der Ampel mit sicher noblen Gründen geführten Streit über das wie, wann und ob weiterer Ukraine-Hilfen dafür zu benutzen, um genussvoll einen Keil ins Regierungslager zu rammen, ist fahrlässig. Scholz ist kein Friedenskanzler. Er ist Bundeskanzler. Und der braucht strategischen Freiraum. Ihm den nehmen zu wollen, freut am Ende vor allem einen: den Kriegsverbrecher Putin.  [….]

(Georg Schwarte, ARD, 14.03.2024)

Wie sehr die Weidel-Merz-Wagenknecht-Opposition, um des vermeidlichen parteitaktischen Vorteils, Putin hilft, zeigt einmal mehr, daß diese Leute absolut regierungsuntauglich sind. Merz darf niemals Kanzler werden.

Seit 25 Monaten hören wir in Talkshow-Deutschland eine Menge Einschätzungen von echten Militärexperten, die allerdings an dem Makel leiden, sich immer wieder katastrophal zu irren. Weder hatte Putin die Ukraine in wenigen Wochen überrannt, noch brachte die Ukrainische Gegenoffensive im Sommer 2023 die Wende.

(….)  Militärische Prognosen sind immer schwierig; insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen. Da auch echte Militärexperten und hochrangige Offiziere mit sagenhaften Fehleinschätzungen an die Medien gehen, erspare ich mir meine eigenen Laienprognosen. Besser als Brigadegeneral a. D. Erich Emmerich Hugo Vad (*1957), (von 2006 bis 2013 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Merkel), kenne ich mich sicher nicht aus und der lag nicht nur mit allen Prognosen falsch, sondern schwurbelt nun mit Sahra Sarrazin und Alice Schwarzer. (….)

(Ukraine im Pech, 12.12.2023)

Ich weiß definitiv nicht, wie der Ukraine-Krieg ausgeht und kann nicht seriös die Siegchancen der beiden Seiten einschätzen, zumal die darüber verbreiteten Informationen, wie es typisch für Kriege ist, sehr stark Propaganda-verfärbt sind.

Es dürfte allerdings auf allen Seiten Konsens darüber herrschen, daß die russische Seite wesentlich besser mit Munition versorgt wird und die Ukrainer, zusätzlich zum Munitionsmangel, an extremer Müdigkeit leiden.

Sonja Zekri, eine der besten SZ-Autorinnen, der ich sehr vertraue, machte sich auf eine lange Reise an die Frontlinien im Osten der Ukraine. Ihr Bericht dürfte eine der seriösesten Quellen zur Lage an der Front sein, an die Otto Normalbürger kommen kann.

[….] Ihren Raketenwerfer haben Dnister und seine Männer ein paar Meter weiter im Schlamm geparkt. [….] An diesem Tag hat es noch kein einziges Mal gefeuert. Die Einheit schießt generell nur noch selten. [….] Sie könnten hier 40 Raketen in 20 Sekunden abfeuern, aber nur in vier der 40 Rohre stecken Raketen. Zwei davon haben beim letzten Einsatz nicht gezündet. „Früher wurden zehn Raketen in der Woche geliefert. Aber seit Januar kommt gar nichts mehr“, sagt er: „Also verschießen wir aussortierte oder defekte Geschosse, wenn Sie so wollen: Müll.“

Vor Kurzem ist ihnen eine koreanische Schrottrakete um die Ohren geflogen, es gab Verletzte. Inzwischen sind die koreanischen Bestände aufgebraucht. [….] Der Krieg hat sich verändert, [….]  die Stimmung ist gedrückt. Nicht allein aus Ernüchterung über die gescheiterte Gegenoffensive vom vergangenen Sommer. „Alle Welt dachte, dass wir ein Wunder vollbringen“, sagt Dnister: „Aber wir haben kein Wunder vollbracht.“ Vor allem die Katastrophe von Awdijiwka steckt den Soldaten in den Knochen. [….] Es schwindet ja nicht nur der Munitionsvorrat, es schwindet in rasendem Tempo auch das Personal. Wie viele ukrainische Soldaten in den zwei Jahren gestorben sind, wissen wohl selbst Selenskijs Verbündete nicht genau. Dass es nur 31 000 sein sollen, wie der Präsident jüngst behauptete, halten die meisten für einen Witz.  Einer erzählt, er habe allein fünfzehn Bekannte in der Schlacht um Awdijiwka verloren. [….] Die Wahrheit ist, dass den meisten Ukrainern der romantische Schwung im dritten Kriegsjahr längst abhandengekommen ist. Viele drücken sich vor der Einberufung, täuschen ein Studium, Krankheiten, sieche Verwandte vor oder zahlen Tausende Dollar Schmiergeld, weil sie nicht schlecht ausgebildet in einen chancenlosen Kampf ziehen wollen – nicht mal für die Ukraine. [….] „Alians“, 48, [….] kämpft [….]  in der 43. Mechanisierten Brigade mit einem 120-mm-Granatwerfer. Jedenfalls: wenn Munition da ist. Denn auch Alians sagt, was so viele sagen, dass Taurus-Marschflugkörper wünschenswert und frische Soldaten gut wären, dass sie sich natürlich auch über Nato-Truppen freuen würden, aber nichts so verzweifelt herbeiflehen wie Munition. 40, 50 Granaten seien früher am Tag geliefert worden, zuletzt bekamen sie nur drei: „Was sollen wir mit drei Granaten anfangen? Wir sind keine Scharfschützen, wir brauchen vier, fünf Schuss, bis wir das Ziel treffen“, sagt er. Wenn sie einmal schießen, antworten die Russen dutzendfach. Also sparen sie die Granaten auf, reagieren oft gar nicht auf Angriffe: „Wir können ja kaum unsere eigene Stellung verteidigen.“ [……]

(Süddeutsche Zeitung, 12.03.2024)

Das dritte Kriegsjahr und die gesamte mächtige NATO ist nicht in der Lage, genügend Munition zu produzieren. Bisher hing die Ukraine militärisch am Tropf der USA und der wird verebben. Auch wenn Trump nicht der nächste US-Präsident werden sollte. Wenn der orange Umfragenkönig erneut ins Weiße Haus einzieht, ist die Ukraine erledigt.

[….] Trump würde »keinen Penny« für die Ukraine geben – sagt Orbán

Lassen die USA die Ukraine fallen, falls Donald Trump die Wahl gewinnt? Ungarns Regierungschef Viktor Orbán hat ihn in Florida getroffen und behauptet, seine Pläne zu kennen.  [….]

(SPON, 12.03.2024)

Trump, Orbán und die europäischen faschistischen Parteien würden Putins Sieg nicht nur begrüßen. Sie würden ihn durch die gezielte Sabotage der NATO auch auffordern, weiter auf Eroberungskurs zu gehen.

[……] John Bolton zur US-Wahl: „Trump wird aus der Nato austreten“

Und das wäre eine Katastrophe für die USA und Europa, warnt sein früherer Sicherheitsberater John Bolton. Doch der Ex-Präsident, der zurück an die Macht will, verstehe das schlicht nicht.  […..]

(SZ, 01.03.2024)

Was passiert also, wenn die Ukraine den Krieg verliert?

Das wird verdammt übel.

Putin hätte freie Bahn, könnte sich in den nächsten Jahren weitere Länder einverleiben.

Andere Diktatoren, wie Kim Jong Un, Xi und Erdoğan wären ermutigt, ebenfalls Angriffskriege zu beginnen, wenn sie lernen, daß sich Aggressivität und Skrupellosigkeit auszahlt, weil die Demokraten der Welt nicht in der Lage, oder Willens sind, so ein Vorgehen aufzuhalten.

Die unmittelbare Folge für die EU wäre aber ein gewaltiger Flüchtlingsstrom. Analysten rechnen mit zehn Millionen weiteren Ukrainern, die ihr Land verließen. Niemand könnte ihren Asylwunsch abschlagen; zu offensichtlich wäre die reale Gefahr für ihr Leben, wenn sie unter Putins Schlächtern bleiben müssten.

Einige AfD-Ministerpräsidenten mögen das Kriegsende und den russischen Sieg bejubeln. Fragt sich, ob sie das auch noch tun, wenn sie weitere zwei, oder drei Millionen Ukrainer in Deutschland mit Obdach und Sozialleistungen versorgen müssen.

Was passiert also, wenn die Ukraine den Krieg gewinnt?

Das wird verdammt übel.

Denn wenn Putin bereit sein sollte, Atomwaffen einzusetzen, kann es keinen Sieg gegen Russland mit konventionellen Waffen geben.

(….) Die schlichte Tatsache, daß man einen konventionellen Krieg gegen eine atomare Supermacht, mit einem zu allem entschlossenen Diktator, der von der breiten Mehrheit seines Volkes unterstützt wird, gar nicht gewinnen kann, verdrängen Baerbock und Hofreiter. Ich verweise in diesem Punkt erneut auf den vielleicht klügsten lebenden Denker Deutschlands: Jürgen Habermas. Mir fehlt die Phantasie dazu, mir vorzustellen, wie Wladimir Putin, ganz besänftigt von deutschen Panzerhaubitzen, global gedemütigt, seine Niederlage akzeptiert, gelobt nun wieder rechtsstaatliche, demokratisch und liberal zu agieren, ohne auf die Idee zu kommen, in seinen prall gefüllten Giftschrank mit den Horrorwaffen zu greifen.  (….)

(Bundeswehr 2022, 19.06.2022)

Der Gedanke an den Einsatz russischer Atomwaffen, angesichts eines drohenden Sieges der Ukraine ist schon deswegen so naheliegend, weil Putin selbst ganz offen damit droht. In der deutschen öffentlichen Diskussion gibt es kein nachprüfbares Argument gegen die Möglichkeit eines russischen Atom-Erstschlages. Stattdessen greifen wir zu Hohngelächter und einigen uns darauf, diese Drohungen nicht ernst zu nehmen und diejenigen, die sie ernst nehmen, der Feigheit zu bezichtigen.

Und nein, ich weiß selbstverständlich auch nicht, was Putin im Falle einer drohenden konventionellen Niederlage täte.

Die US-Militärs und US-Geheimdienste können das mutmaßlich aber besser einschätzen. Schließlich schockierte Biden die Welt in den Wochen vor dem 24.02.2022 mit sehr präzisen Prognosen zum bevorstehenden russischen Angriff, als das in Europa noch niemand glauben konnte und wir alle dachten, der alte Mann im Oval Office wäre offenbar verrückt geworden.

Die Taurus-Fans Merz, Hofreiter und Strack-Zimmermann reden nicht drüber, aber ganz offenbar hält die US-Regierung einen russischen Atomschlag für absolut möglich. Es ist sogar noch schlimmer; schon zweimal herrschte Alarmstufe Rot, so daß Biden Olaf Scholz kontaktierte, um ihn auf diese bevorstehende Gefahr hinzuweisen.

[….] Olaf Scholz zieht die Konsequenzen aus der realen Gefahr atomarer Eskalation

Mehrfach stand die Welt am Abgrund, weil Wladimir Putin den Einsatz von taktischen Atomwaffen in der Ukraine erwog. Olaf Scholz hat daraus in der Taurus-Frage die Konsequenzen gezogen – und gewinnt plötzlich an Statur als Friedenskanzler

Im Herbst 2022 stand die Welt am Rande eines Atomkriegs. Zum ersten Mal seit den Tagen der Kubakrise 1962. Das enthüllten jetzt gemeinsam die New York Times und der Sender CNN.

US-Präsident Joe Biden war am 6. Oktober 2022 von seinen Geheimdiensten darüber informiert worden, dass hohe russische Militärs aufgrund des ukrainischen Vormarschs in Richtung Krim den Einsatz taktischer Atomwaffen erwägen würden. Biden war alarmiert. Er fürchtete eine Eskalation zum nuklearen „Armageddon“. Der Nationale Sicherheitsrat trat zusammen, es wurden Notfallpläne für den Ernstfall ausgearbeitet. […..]

(Der Freitag, Ausgabe 11/2024)

Freitag-Autor Wolfgang Michal denkt sich das nicht aus, sondern bezieht sich auf seriöse Recherchen der New York Times und CNN, die von Biden’s Armageddon Moment im Oktober 2022 berichten. Letztlich kam es nicht zum russischen Atomschlag, weil die Ukraine doch nicht erfolgreich die Krim rückerobern konnte.

[….] In late 2022, the US began “preparing rigorously” for Russia potentially striking Ukraine with a nuclear weapon, in what would have been the first nuclear attack in war since the US dropped atomic bombs on Hiroshima and Nagasaki nearly eighty years before, two senior administration officials told CNN. The Biden administration was specifically concerned Russia might use a tactical or battlefield nuclear weapon, the officials said.

I first reported US officials were worried about Russia using a tactical nuclear weapon in 2022, but in my new book, “The Return of Great Powers” publishing on March 12, I reveal exclusive details on the unprecedented level of contingency planning carried out as senior members of the Biden administration became increasingly alarmed by the situation. [….] What led the Biden administration to reach such a startling assessment was not one indicator, but a collection of developments, analysis, and – crucially ­- highly sensitive new intelligence.

The administration’s fear, a second senior administration official told me, “was not just ­hypothetical —­ it was also based on some information that we picked up. [….] During this period from late summer to fall 2022, the National Security Council convened a series of meetings to put contingency plans in place “in the event of either a very clear indication that they were about to do something, attack with a nuclear weapon, or if they just did, how we would respond, how we would try to preempt it, or deter it,” the first senior administration official told me. [….] Late summer 2022 was proving a devastating period for Russian forces in Ukraine. Ukrainian forces were advancing on Russian-occupied Kherson in the south. The city had been Russia’s biggest prize since the invasion. Now, it was in danger of being lost to the Ukrainian counteroffensive. Crucially, as Ukrainian forces advanced, entire Russian units were in danger of being surrounded. The view inside the administration was that such a catastrophic loss could be a “potential trigger” for the use of nuclear weapons. [….] “If significant numbers of Russian forces were ­overrun —­ if their lives were shattered as such ­ that was a sort of precursor to a potential threat directly to Russian territory or the Russian state, the first senior administration official said.

“In Kherson at that time there were increasing signs that Russian lines could collapse. Tens of thousands of Russian troops were potentially vulnerable.”

Russia was losing ground inside Ukrainian sovereign territory, not inside Russia. But US officials were concerned that Russian President Vladimir Putin saw it differently. He had told the Russian people that Kherson was now part of Russia itself, and, so, might perceive a devastating loss there as a direct threat to him and the Russian state. [….] However, US officials were not certain they would know if Russia was moving tactical nuclear weapons into place. Unlike strategic nuclear weapons, capable of destroying entire cities, tactical or battlefield nuclear weapons are small enough to be moved quietly and could be fired from conventional systems already deployed to the Ukrainian battlefield.

“If what they were going to do is use a tactical nuclear weapon, particularly a very low-yield tactical nuclear weapon and particularly if they were only going to use one or a very small number, it was not one hundred percent clear to us that we necessarily would have known, this senior administration official continued.

Multiple senior administration officials took part in an urgent outreach. Secretary of State Antony Blinken communicated US concerns “very directly” with Russian foreign minister Sergey Lavrov, according to senior administration officials. Joint Chiefs Chairman General Mark Milley called his Russian counterpart, General Valery Gerasimov, chief of the general staff of the Russian Armed Forces. According to a senior US official, President Joe Biden sent CIA Director Bill Burns to speak to Sergey Naryshkin, the head of Russia’s foreign intelligence service, in Turkey to communicate US concerns about a nuclear strike taking place and gauge Russian intentions.

The US also worked closely with its allies both to develop contingency plans for a Russian nuclear attack and to communicate warnings to the Russian side about the consequences of such a strike. [….]

(Jim Sciutto, CNN, 09.03.2024)

Olaf Scholz wurde vom Weißen Haus informiert, weiß sicherlich noch mehr, als öffentlich in CNN- und NYT-Berichten auftaucht.

Ich mutmaße, er hat sehr gewichtige Gründe für eine Absage an die Taurus-Lieferungen und bin sehr froh, daß im Moment Scholz und kein dubioser Merz-Hitzkopf Kanzler ist.

[…..] In CDU und CSU spüren sie, dass Olaf Scholz sein Beharren auf "Besonnenheit" politisch nutzen könnte. Nicht alle glauben, dass "Taurus"-Anträge der richtige Weg sind, um ihn vor sich herzutreiben.  [….]

(SZ, 14.03.2024)

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