In Hamburg, als Sohn einer deutschen Mutter geboren, deutsches Abitur, deutsches Studium, brauchte ich nur etwas mehr als ein halbes Jahrhundert, um einen deutschen Pass zu bekommen.
Nachdem ich alle Unterlagen, also etwa eine DHL-Large-Box voller ausgedruckter beglaubigter Zettel, mit meinem Antrag auf Einbürgerung eingereicht hatte, brauchte die Hamburger Ausländerbehörde nur noch vier weitere Jahre, um zu entscheiden, daß die Entscheidung auf diesem Wege noch unendlich lange dauern könne, ich aber dank eines neuen Gesetzes, die deutsche Staatsangehörigkeit durch Erklärung erwerben könne. Dafür gab es zwar in Hamburg noch keine Vordrucke und kein geordnetes Verfahren, aber einer sehr aufmerksamen Mitarbeiterin, die fähig war, outside her box zu denken, fiel nur anderthalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes beim Betrachten meines Papierstapels in der Ausländerbehörde auf, daß ich diese Abkürzung nehmen könnte. Und so kam ich zur Nemesis der CDU, der gemeingefährlichen Doppelstaatsbürgerschaft. Gerade mal 54 Jahre in Deutschland und ZACK; schon wurde von den Linksgrünversifften „das Kostbarste, das wir haben“ (Fritze Merz) an mich „verramscht“ (Alexander Dobrindt).
Wer zu schnell aufgibt und nicht die Passion hat, ein läppisches halbes Jahrhundert zu warten, soll dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Deutschland braucht keine zusätzlichen blöden Steuerzahler, die hier als Pflegekräfte, Ingenieure oder IT-ler arbeiten.
(…..) Christiane Krämer, die Leiterin des Seniorenzentrums Martha-Maria in Stuttgart kriegt alle Krisen. Sie schämt sich öffentlich für ihr Land und ihre Stadt, weil alle zwei Wochen eine Fachkraft aufhöre zu arbeiten, nur weil die Ausländerbehörde nicht hinterherkommt, die richtigen Fiktionsbescheinigungen zu erteilen und somit den Aufenthaltsgenehmigung erlischt.
[…..] Im Seniorenzentrum Martha-Maria arbeiten 170 Pflegerinnen und Pfleger, rund 60 Prozent kommen aus Drittstaaten, aus Madagaskar, aus Syrien, aus Thailand. "Wir brauchen diese Leute dingend", sagt Krämer. Und am Ende sei es doch so: Wenn weniger Pflegekräfte arbeiten dürfen, müssen die verbliebenen mehr leisten. Das bedeutet: mehr Stress, mehr Krankheitsfälle, mehr Burn-outs. Die ganze Situation sei, vorsichtig formuliert, nicht gerade Werbung für den Standort Deutschland. Das werde sich herumsprechen. "Wir müssen um jede gute Fachkraft kämpfen, wir holen sie ins Land - und dann behandeln wir sie so." […..]
Die Stuttgarter Ausländerbehörde ist telefonisch und per Email nicht zu erreichen. In ihrer Not stellen sich ausgebildete Pfleger, die fest in einem Stuttgarter Pflegeheim angestellt sind, immer wieder im Morgengrauen mit einem Klappstuhl vor die Ausländerbehörde, warten viele Stunden, nur mit der vagen Hoffnung, überhaupt eine der begehrten Wartenummern zu ergattern.
[…..] [Der aus Madagaskar stammende, ausgebildete und fest angestellte Pfleger] Edmond weiß inzwischen ziemlich genau, wie es in der Schlange so läuft. Erst wartet man stundenlang, Profis erkennt man an den Klappstühlen. Wenn er es bis zum Türsteher schafft, weist ihn dieser mit dem freundlichen Hinweis ab, dass er für die Änderung des Arbeitgebers und seines Status einen Termin braucht. Nur: Wenn er in der Ausländerbehörde anruft, um einen Termin zu vereinbaren wie auf der Internetseite gefordert, hebt keiner ab. Wenn er eine E-Mail schreibt, bekommt er keine Antwort. "Was soll ich tun?", fragt er, und wie er so in der Schlange steht und von seinen Versuchen erzählt, mit den deutschen Behörden in Kontakt zu treten, die Tür zum Ausländeramt im Blick, muss man kurz an Kafkas Schloss denken. Das Ziel so nah, und doch unerreichbar.
Der Sprecher der Stadt schreibt: "Die Darstellungen treffen zu. Leider."
Edmond sagt, dass er gerne wüsste, wie sich die Stadt das vorstellt. Wie soll er ohne Gehalt seine Miete bezahlen, 1200 Euro für sich und seine Frau? Wovon sollen sie leben? […..]
Ich kann und will keine
Erklärungen mehr dafür finden, weswegen in einem so reichen Land wie
Deutschland und ausdrücklich in so einer besonders reichen Gegend, wie
Stuttgart, diese extreme politische Unfähigkeit grassiert. Als ob der Notstand
in der Pflege ein neues Problem wäre! (….)
(Stuttgart, 27.07.2023)
Als lediger, kinderloser Deutscher, der mit Sicherheit die längste Zeit seines Lebens hinter sich hat, habe ich selbstverständlich jede juristische mögliche Vorsorge getroffen. Vollmachten, Pflegeverfügung, Testament, Bestattungsvertrag.
Bei der Abfassung meines letztes Testaments, klärte mich die Notarin auf, sie habe früher dem Testamentsvollstrecker eine Frist von einem Jahr nach dem Tod des Erblassers gegeben, um die Vermächtnisse zu erfüllen.
Dies erweise sich in der Praxis zunehmend als unmöglich, da die Amtsgerichte derart überlastet wären, daß Testamentseröffnungen und Bestellung des Testamentsvollstreckers oft schon ein Jahr brauchten. Logisch, wer bereits tot ist, bekommt auf den zu bearbeitenden Aktenbergen keine hohe Priorität eingeräumt.
Nun schreibt sie in ihre Testamente, der Testamentsvollstrecker habe die Vermächtnisse innerhalb eines Jahres nach der Testamentseröffnung zu erfüllen.
[…..] Immer mehr Strafverfahren, zu wenige Juristen: Bei den baden-württembergischen Staatsanwaltschaften wächst der Berg unerledigter Arbeit.
Der Deutsche Richterbund warnt angesichts der immer größer werdenden Masse an unerledigten Verfahren vor einer Überlastung der Justiz. Die Zahl neuer Fälle erreichte im vergangenen Jahr bundesweit mit mehr als 5,2 Millionen Verfahren ein Rekordhoch, wie Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte. Der Aufwärtstrend setze sich fort. Ende Juni meldeten die Ermittlungsbehörden laut Richterbund fast 850.000 offene Verfahren. Die Zahl der unerledigten Fälle nahm im Vergleich zum Juni 2021 um 28 Prozent zu. In Baden-Württemberg stieg die Zahl der nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren laut Richterbund um fast ein Drittel (31 Prozent). Insgesamt mehr als 75.800 Fälle sind nach Angaben der Richter und des Justizministeriums noch offen, vor zwei Jahren waren es knapp 58.000. […..]
Ich wollte mir eigentlich inzwischen selbst ein Bild vom Innenleben eines Amtsgerichtes gemacht haben, da ich seit dem 01.01.2024 hauptamtlicher Schöffenrichter bin.
Aber alle bisher für mich angesetzten Verhandlungstermine sind ausgefallen: Personalmangel.
[….] Eine „Kapitulation der Justiz“ nennt Christian Lemke, Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamburg, die Situation am Amtsgericht in einem Schreiben an die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne). Menschen, die unbedingt auf die Bearbeitung ihrer Fälle angewiesen seien, dürften nicht monatelang hingehalten werden.
Ausgangspunkt für das Schreiben an die Senatorin ist eine Stellungnahme von Julia Kaufmann, Direktorin des Zivilsegments am Amtsgerichts. In dieser geht es unter anderem um eine über Monate andauernde kritische Personalsituation, um Aktenberge und um die Priorisierung der Anfragen nach Dringlichkeit.
Eine schnelle Besserung der Personalprobleme stellt das Amtsgericht nicht in Aussicht. Die Bewerbungslage sei durchweg schlecht, es mangele sowohl an Quereinsteigenden als auch an Auszubildenden. Dennis Sulzmann, Sprecher der Justizbehörde, erklärt: „Aufgrund des demografischen Wandels und der großen Besetzungsnot hat die Justizbehörde die Ausbildung schon 2016 aufgestockt und 2018 noch mal verstärkt.“
Seitdem habe man jedes Jahr Ausbildungsplätze für 40 Justizsekretär:innen sowie 20 Justizfachangestellte. In der aktuellen Legislaturperiode seien außerdem 71 Stellen für Richter:innen, Staatsanwält:innen, Rechtspfleger:innen, Geschäftsstellenmitarbeitende und Justizwachtmeister:innen neu geschaffen worden. Die neuen Stellen und Ausbildungsplätze zu besetzen ist derweil die Hürde, an der die Justizbehörde scheitert. [….]
Aber auch, wer noch nicht tot ist, oder nicht ein halbes Jahrhundert gleichmütig auf seinen Pass warten kann, bleibt in den Fängen der total maroden deutschen Bürokratie stecken, wie Bettina Offer, Expertin für Arbeitsmarktmigration, im vorletzten SPIEGEL zu berichten weiß.
[…..] Offer: Als deutsche Anwältin bin ich in diesem Fall das letzte Glied in der Kette. Die globalen Agenturen kontaktieren mich, wenn sie für ein Unternehmen bestimmte Mitarbeiter nach Deutschland schicken wollen. Wir beraten die inländischen Personalabteilungen, schauen, welche Visa infrage kommen, stellen die Anträge bei den Auslandsvertretungen und Ämtern und helfen, wenn es hier Probleme mit den Behörden gibt.
[…..] Wie sagte eine Kollegin kürzlich zu mir: Sie hätte nie gedacht, dass sie sich als Juristin einmal wünschen würde, mit einer Brechstange Türen aufstemmen zu können. […..] Meine Kanzlei stellt pro Jahr etwa 3000 Anträge. Das System hat noch nie besonders gut funktioniert, inzwischen ist es in manchen Regionen zusammengebrochen. Man ruft bei der Behörde an, und es geht niemand ans Telefon. Man schreibt eine Mail, die wird nicht gelesen. Man versucht persönlich hinzugehen, aber da steht ein Sicherheitsbeamter und lässt einen nicht rein, weil man keinen Termin hat. Das ist selbstverständlich nicht überall so, aber tatsächlich funktionieren zu viele Behörden derzeit einfach nicht mehr so, wie es wünschenswert wäre.
SPIEGEL: Was ist mit dem guten alten Postweg?
Offer: Das können Sie versuchen und hoffen, dass der Brief nicht verloren geht. Dann dauert es drei bis vier Wochen, bis der Umschlag von der Poststelle auf den Schreibtisch des Sachbearbeiters gelangt. […..] Bei uns müssen sie erst monatelang auf einen Termin in einem Konsulat warten, um endlich an ein Visum zu kommen. Wenn sie es nach Deutschland geschafft haben, stehen sie mitunter stundenlang vor der Ausländerbehörde in der Schlange. Das schadet dem Image des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Es muss doch für eine ausländische Fachkraft möglich sein, eine Aufenthaltsgenehmigung zu verlängern, ohne einen Nervenkrimi zu erleben. […..]
(DER SPIEGEL 12/2024, 17.03.2024)
Machen wir den Laden doch einfach zu und verkaufen die BRD gleich an China. Wir schaffen es nicht. Die ökonomische Talfahrt ist ohnehin unausweichlich und zur Selbstverwaltung sind wir ganz offensichtlich zu dumm.
Ich könnte dann nach Trumpmerica auswandern. Da läuft es super.
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