Montag, 4. März 2019

Miese Medien

    "'Meine Mutter hatte die Masern und ist auch nicht gestorben', hört man oft in Facebook-Gruppen. Das Problem ist nur: Wenn die eigene Mutter als Kind an den Masern gestorben ist, gibt es keine Nachkommen, die das dann auf Facebook posten können."
 Christian Schiffer und Christian Alt, "Angela Merkel ist Hitlers Tochter - im Land der Verschwörungstheorien" (2018)

Wenn Denis Scheck in seiner Top Ten Bücher mit Verve in die Tonne wirft, bekomme ich immer noch leichte Beklemmungen, weil ich in einem Haushalt aufwuchs, in dem noch unter dem Schock der Nazi-Bücherverbrennungen jedes Buch verehrt und pfleglich behandelt wurde. Bis heute kann ich kein Buch wegwerfen.
Aber Scheck hat Recht, auch durch mein Lieblingsmedium „Buch“ wird unerträglicher Schund verbreitet, den man nur in den Müll werfen kann. Was soll man sonst mit dem Unsinn von Sarrazin, Hahne oder Käßmann tun?


Das Medium Buch mit schlechten Autoren gleichzusetzen ist eine unzulässige Ebenen-Verquickung.

[….] Platz 4: Peter Hahne: "Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen!"
Dieses Buch ist ein Musterbeispiel für jenen vulgären Populismus, der als Fluch die westlichen Demokratien zu Beginn des 21. Jahrhunderts heimsucht. "Wir lassen uns nicht für dumm verkaufen", nennt der dumpfe Stammtischmichel Peter Hahne sein Pamphlet, um seine Leser auf den folgenden 128 inkonsistenten, wirren und abstrusen Seiten – genau: für dumm zu verkaufen. [….]

Ich bin alles andere als ein Soziale-Medien-Experte, verwende einige davon aber sehr regelmäßig: Youtube und Facebook.
Natürlich ärgert man sich täglich über den Mist, der dort verbreitet wird.
FB ist wie das Internet insgesamt, das schließlich auch ein gewaltiger Mist-Multiplikator, eine Zeitklaumaschine, sowie ein Verdummungsinstrument ist, welches man aber dennoch so vielfach nutzen kann.
Mit ein bißchen Grips und Mühe kann man sich Facebook so zu Nutze machen, daß es eine Bereicherung ist, Informationen liefert und tatsächlich Kontakte zu interessanten Menschen in aller Welt knüpft, die man auf keinem anderen Wege kennenlernen kann.

Anders als Bücher haben die sozialen Medien eine System-immanente Problematik, da sie ohne Lektoren und Verleger eigentümlich gefiltert (keine weibliche Brust mit Nippel erscheint auf FB, ohne innerhalb von Sekunden gelöscht zu werden, gruppenbezogener Hass wird nicht erkannt)  und dafür umso schneller auch gefährlichste Thesen verbreiten.

Es bleibt nicht bei Thesen, sondern führt zu außerordentlich dramatischen Konsequenzen.
Trumps Twitterei und die über Facebook verbreiteten Falschmeldungen machten den 8.000-fachen Lügner zum Präsidenten.

Ein derart rassistisch-verlogener Nepotist mit Zimmer-Temperatur-IQ wie Trump hätte im Zeitalter von Zeitungsjournalismus nicht Präsident werden können.
Twitter macht ihn möglich.

Die sozialen Medien tragen auch entscheidend dazu bei, daß sich in den westlichen Ländern tödliche Infektionskrankheiten ausbreiten, weil Globuli-Wahn, Impfgegner-Schwachsinn und Chemtrail-Theorien ebenso leicht auf den kalifornischen Algorithmen zu Millionen Europäern surfen, wie seriöse WHO-Informationen. Gegenwärtig sterben weltweit wieder jährlich 100.000 Menschen an Masern, obwohl es dagegen eine Impfung gibt. Die wird aber von „Impfgegnern“ so verbissen bekämpft, daß sie lieber sterben.


 [….] Vermutlich hat keine andere Erfindung der Geschichte mehr 
Menschenleben gerettet als Impfungen. Viele Jahrzehnte lang waren Impfungen eine der wenigen konsistenten Erfolgsgeschichten. Das droht sich gerade zu ändern, dank Verschwörungstheoretikern, aggressiven Impfgegnern - und nicht zuletzt aufgrund versehentlicher Unterstützung durch Google, YouTube und Facebook. [….]
Die medizinische Fakultät der Brown University in Rhode Island betreibt ein Kooperationsprojekt mit ukrainischen Wissenschaftlern. In dessen Rahmen wurden 2015 Medizinstudentinnen und -studenten einer ukrainischen Universität nach Einstellungen zum Thema Impfung befragt. 60 Prozent der Befragten hingen dem zweifelsfrei widerlegten Irrglauben an, Impfungen verursachten Autismus. Desinformation kann tödlich sein.
[….] All die "Impfkritiker", Verschwörungstheoretiker, Besserwisser und Esoteriker, die ihre Kinder nicht impfen lassen, sind Teil eines globalen Problems. [….] Die WHO betrachtet Impfgegner mittlerweile als globale Bedrohung.
Insbesondere Google, Facebook und YouTube sind aufgrund ihrer Sortier- und Selektionsmechanismen Nährboden und Verstärker für Anti-Impf-Verschwörungstheorien. Weil Inhalte, die Angst und Wut auslösen, dort besonders gut laufen. [….] Wenn man im März 2019 mit einem anonymen Browser und ohne Google-Login "Impfen ist" in ein Google-Suchfenster tippt, schlägt die Autocomplete-Funktion der Suchmaschine als erstes die Vervollständigung "Impfen ist Gift" vor. Folgt man dem Suchvorschlag, ist der erste Treffer eine Impfgegner-Seite voller Desinformation. Der zweite auch. Und der vierte und der fünfte.
In der Leiste mit Video-Ergebnissen erscheinen ausschließlich Clips mit extremen Anti-Impfungs-Verschwörungstheorien, gern religiös unterfüttert. In einem davon wird vor einem Plan zur Ausrottung der gesamten Menschheit gewarnt, von den angeblichen Tätern getarnt als Massenimpfung. [….]

Es ist tatsächlich so:
Menschen sind so unfassbar dumm, daß man sie technisch vor sich selbst schützen muss.
Sie ungefiltert alle Informationen konsumieren zu lassen, überfordert sie nicht nur theoretisch und intellektuell, sondern ist tatsächlich im wahrsten Sinne des Wortes tödlich.






Das Internet man Kluge klüger und Dumme dümmer.
Während also die Klugen nicht nur immun gegen Fakenews sind, sondern auch noch vom ungehinderten Zugang zu Informationen profitieren, ist die breite Masse ohne die Gatekeeping-Funktion klassischer Journalisten verloren.
Auch aufgeklärte Nationen wie England oder die US verblöden so rapide, daß sie Brexit und Trump herbeiführen.

Aber es geht noch schlimmer.
Beispiel Brasilien. Hier ist es vor Allem Whatsapp, das dazu beitrug durch miese Manipulationen Abermillionen Christen für einen zutiefst verlogenen Nazi-Rassisten zu begeistern.

[…..] Ihren Höhepunkt erlebte die Flut an Falschmeldungen während des Präsidentschaftswahlkampfes im vergangenen Jahr. Sie spülte den rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro in das höchste Amt des Staates. Er selbst hatte im Wahlkampf immer wieder Falschmeldungen verbreitet.
So behauptete Bolsonaro etwa, sein Widersacher Fernando Haddad wolle Kinder zur Homosexualität umerziehen. Diese absichtliche Lüge macht Fernando Haddad noch heute wütend. Der Unterlegene der Präsidentschafts-Stichwahl weiß, dass die millionenfach geklickten Fake News-Videos bei Facebook und WhatsApp entscheidenden Anteil an seiner Niederlage hatten. Absurdeste Falschmeldung: Haddad wolle Babyflaschen mit Penis-Nuckel einführen.  [….]


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