Wenn es offiziell wird drücke ich mich natürlich etwas
höflicher aus als in den Tammox-Rants und so schickte ich eine zivilisierter
Version meines Wutanfalls nach dem letzten Klingbeil-Verdikt
wider die Säkularen unter Klarnamen an die verschiedenen SPD-Gliederungen.
Der Hamburger Landesverband antwortete ebenso wenig wie der
Parteivorstand oder gar Andrea Nahles selbst.
Zu Dokumentationszwecken veröffentliche ich den Wortlaut:
Meine lieben Genossen!
Vor zwei Wochen erhielt ich von meiner Hamburger Landeschefin Leonhard ein Glückwunsch-Schreiben zu meinem 25-Jährigen.
Dafür möchte ich mich bedanken
und anlässlich dieses runden Datums ein paar Gedanken äußern.
Ich weiß noch genau aus welchen
Gründen ich Anfang 1994 in die Partei eintrat, der ich mich ohnehin immer am
engsten verbunden fühlte. Es war meiner Ansicht nach eine schwere
Fehlentscheidung Rudolf Scharping zum Chef zu wählen. In einem Verfahren, das
ohne einen zweiten Wahlgang offensichtlich auf ihn zugeschnitten war, um Gerd
Schröder zu verhindern.
Hier in Hamburg hielten alle
meine Freunde das für einen offensichtlichen groben Fehler und erklärten unter
diesen Umständen nicht die SPD im 1994er Wahlkampf mit dieser absurden Troika,
die von dem Schwächsten der drei geführt wurde, zu unterstützen. Uns schien die
heißersehnte Möglichkeit Helmut Kohl endlich abzuwählen damit vertan. Und wir
sollten Recht behalten.
Im Gegensatz zu meinen
Altersgenossen, die sich frustriert von der SPD wegdrehten, dachte ich „jetzt
erst recht!“ und trat in die Partei ein, weil ich fand, man müsse mitarbeiten,
statt zu kritisieren.
Es kamen auch bald viel bessere
Zeiten.
1995 der Durchmarsch Lafontaines in Mannheim,
als mir zum ersten mal auch meine JUSO-Chefin Nahles auffiel, die von einem
Kamera-Team der Küppersbuschen WDR-Sendung „ZACK“ begleitet dort einmarschierte
und theatralisch verkündete, es ginge nun darum „den Rudolf zu wählen!“
Ich konnte es nicht fassen. Wieso
merkte ausgerechnet die Juso-Frau so gar nichts von der brodelnden Anti-Scharping-Stimmung
in der SPD?
Es bedurfte nur einer
hervorragenden Rede und weg war ihr Rudolf.
Leider sollte es in den folgenden
zweieinhalb Dekaden zum Markenzeichen der heutigen Fraktions- und
Parteivorsitzenden werden die Stimmung in der Partei spektakulär falsch
einzuschätzen: Causa Müntefering/Wasserhövel, Außenminister Schulz,
Maaßen-Beförderung – um nur drei eklatante Beispiele zu nennen.
Die Partei ist aber keine
einzelne Person; es kamen tatsächlich viele bessere Momente.
1998 zum Beispiel.
Das war die Zeit, als ich stolz
auf meine SPD war. Mutig, säkular und fortschrittlich gab sich die
SPD-Regierung, das Kanzleramt geführt von einem der prominentesten Atheisten
Deutschlands: Rolf Schwanitz.
Deutlich niedrigere
Eingangssteuersätze (15% statt 26%!), Homo-Ehe, Zwangsarbeiterentschädigung, Staatsbürgerschaftsrecht,
Ökosteuerreform, Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure, Atomausstieg, bis
hin zu der Möglichkeit, daß Prostituierte sich krankenversichern lassen können,
etc.
Besonders aber hat man Schröder
für ewig dankbar zu sein, daß wir eben NICHT mit im Irak stecken, weil nämlich
Schröder und Fischer sich mit aller Macht gegen Bush stemmten und schließlich
den ganzen UN-Sicherheitsrat überzeugten, so daß USA und GB isoliert waren.
Oder 2011, als Olaf Scholz mit
einer absoluten Mehrheit die schwarzgrüne-Chaos-Regierung in Hamburg wegfegte.
Ach Hamburg. Da hat man es schwer
als SPD-Kritiker.
Hamburg verfügt über die vermutlich
beste Landespartei der SPD, produziert die mit Abstand besten Wahlergebnisse,
stellt mit dem introvertierten Wissenschaftler Peter Tschentscher einen sehr
guten SPD-Bürgermeister, macht wirklich ausgezeichnete Stadtpolitik
(Kriminalität und Arbeitslosigkeit auf Tiefststand, Flüchtlingsintegration
klappt vorbildlich, sozialer Wohnungsbau boomt) und zudem ist Olaf Scholz‘
Nachfolgerin als Landeschefin, Melanie Leonhard, die 41-jährige promovierte
Historikerin und Sozialsenatorin prima!
Hier bin ich gern Sozi.
Aber nach 25 Jahren
Parteimitgliedschaft haben es Nahles und Klingbeil so weit gebracht, daß ich es
fast nicht mehr vor mir selbst rechtfertigen kann zahlendes Mitglied der Bundes-SPD
zu sein nachdem seit Tagen das erneute Verbot eines säkularen Arbeitskreises
durch die Presse geht.
[….] Wer nicht kirchlich orientiert ist, hat es schwer in der SPD: Die
„Säkularen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen“ wollen einen Arbeitskreis
in der Partei gründen – so wie Christen, Muslime und jüdische Genossen jeweils
einen haben. Aber die weltlich Gesinnten dürfen nicht. Mehr noch:
Generalsekretär Lars Klingbeil verbietet ihnen mit Hinweis auf die
Parteijustiziarin, sich als „Sozialdemokraten“ auszugeben. „Das gilt auch für
öffentliche Auftritte, zum Beispiel im Internet“ schreibt Klingbeil in einem
Brief an die Gruppe, welcher der F.A.Z. vorliegt. [….]
Ich kann noch nicht mal sagen
angesichts dieser Ungeheuerlichkeit fassungslos zu sein; schließlich ist mir
der hartnäckige Katholizismus der Parteichefin und mehrerer anderer
Parteiprominenter (Thierse, Griese) lange bekannt.
Erst vor einem Monat machte sich
Andrea Nahles gehässig und brutal über die Zehntausenden von katholischen
Priestern missbrauchten Kinder lustig, indem sie während des Vatikanischen
Missbrauchsgipfels den Papst, der demonstrativ Pädophilenschützer wie Babarin
unterstützt und sich weigert Strukturen zu ändern, so daß jetzt weiterhin
Kinder durch Priester missbraucht werden, lobte:
[….]
Auch in der katholischen Kirche werde es irgendwann einmal Priesterinnen geben,
versicherte sie und warb für Verständnis, dass eine Weltkirche nicht schnell zu
reformieren sei. "Erst vor einigen Jahren hat der Papst offiziell
festgestellt, dass es keine Lindwürmer gibt. Manchmal braucht das etwas."
[….]
Manchmal braucht es etwas, lacht die SPD-Vorsitzende die weltweit
über 100.000 von Priestern missbrauchten Opfer aus und verteidigt den Mann, der
dafür sorgt, daß weiterhin die RKK-Strukturen Pädophile anziehen.
Wie ist es nur möglich, daß eine
Sozialdemokratin so vollkommen gefühllos und mitleidslos spricht?
Nahles ist keine Privatkatholikin
sondern zwingt ihre antihumanistischen Überzeugungen auch anderen auf.
Das ist leider typisch für
Religion; sie beinhaltet Intoleranz und steht dem Pluralismus im Weg.
Wer nicht so denkt wie Nahles und
Klingbeil, darf sich nun noch nicht mal mehr „Sozialdemokrat“ nennen. Das
widerspricht so ziemlich allem was ich unter plural und aufgeklärt verstehe.
Hätten sich Sozialdemokraten in
den letzten 150 Jahren immer so an die katholische Kirche geklammert wie
Nahles, gäbe es heute noch kein Frauenwahlrecht und Kinderarbeit.
Katholikin Nahles hat
offensichtlich Angst vor Argumenten, weil sie ihrer religiösen „wir sind besser
als die“-Ideologie frönt, die es grundsätzlich ausschließt, daß auch andere
Recht haben könnten.
Evolutionäre Humanisten wie ich,
die Nahles und Klingbeil in der SPD verbieten, verfolgen genau den diametral
entgegengesetzten Weg: Wir argumentieren, diskutieren und sind immer bereit
eine These zu Gunsten einer Besseren aufzugeben. Es gibt immer mal wieder neue
Themenfelder, die Humanisten vor 100 Jahren noch nicht in den Sinn kamen –
Tierrechte, Verbot der Kinderarbeit, §218, Frauenrechte, Beschneidungsverbot,
Transident-Ehe – die wir aber in unsere Agenda integrierten.
Möglicherweise gibt es im Jahr
2119 Sozialdemokraten, die sich wundern, daß die Humanisten von heute an für
sie ganz wichtige Themen noch gar nicht dachten.
Bei Kirchisten verbietet sich
dieser evolutionäre Ansatz; sie haben schon vor 2.000 Jahren ex cathedra gehört
was das einzig Richtige ist. Für sie gilt die Bibel, in der Jesus den Sklaven
vernietet sich gegen ihre Besitzer aufzulehnen, den Frauen gebietet in der
Gemeinde zu schweigen, den Hass auf Juden ausdrückt.
Eine ungeheuerliche Demütigung,
daß ausgerechnet die traditionell kirchenfernen Sozialdemokraten, die sich
gegen die der Obrigkeit verpflichteten Pfaffen stellten, nun von einer
religiösen Extremistin geführt werden.
Als säkularer Sozialdemokrat, als
Humanist, trete ich für die Rechte von Religiösen ein, würde immer dafür
kämpfen, daß jeder glauben darf was er möchte, daß jeder privat so katholisch
sein kann wie er will.
Das sind sozialdemokratische
Werte: Toleranz, Freiheit, Solidarität.
Der katholische Parteivorstand
hingegen agiert diametral umgekehrt: Er setzt sich nicht nur nicht für die Freiheit etwas anderes zu
glauben ein, sondern verbietet ausdrücklich Gedankenfreiheit, will Säkulare per
order di mufti auf Kurs bringen.
Dabei sind wir Säkulare im
Gegensatz zu Katholiken nicht mit einer schwulenfeindlichen, frauenfeindlichen
Ideologie verknüpft, die allein in Deutschland Zehntausende Kinder quälte und
missbrauchte.
Und ganz nebenbei bemerkt, wir
Säkularen sind eine relative Mehrheit in Deutschland. Es gibt mehr deutsche Konfessionslose
als Katholiken und wir werden jedes Jahr mehr.
Und wir wenden uns von der SPD
ab.
Ich würde jederzeit dafür
kämpfen, daß eine SPD-Vorsitzende Katholikin sein darf, aber sie darf nicht
anderen ihre metaphysischen Überzeugungen aufzwingen und andere ausgrenzen.
2019 ist offenbar die religiöse Wende
vollzogen, die Parteispitze der SPD ist sicher nichts mehr, auf das man stolz
wäre. Die Kirchen-Mitglieder haben übernommen. Statt bei Schröders bundesweiten
41% liegen wir nun bei 15%.
Kein Wunder, denn das Überstülpen
von Klerikalen freiheitsfeindlichen Ansichten, die von der überwältigenden
Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden – ich nenne nur Verbot der
Sterbehilfe, Einschränkungen bei der Patientenverfügung, Beschneidungsdebatte –
treibt die Menschen von der SPD weg.
Die bedeutenden
sozialdemokratischen Intellektuellen Ingrid Matthäus-Maier und Rolf Schwanitz
werden kalt gestellt und dafür kommt nun die rheinisch-schlichte katholische
Karnevals-Fraktion.
Projekt Fünfprozenthürde?
Die Konfessionslosen sind heute
nicht nur heimatlos; sie werden von ostentativ frommen Führungsfiguren der SPD-Parteiführung
abgeschreckt.
Ich glaube nicht, daß ich noch
SPD-Mitglied bin, wenn ein nächstes rundes Datum anstünde, zu dem eine
Landesvorsitzende einen Glückwunschbrief schreiben würde.
Mit freundlichen Grüßen
Immerhin eine Reaktion gab es.
Vom Generalsekretär Lars Klingbeil.
(….)
vielen Dank für die Mail und die
damit verbundene Nachfrage! Es ist immer wichtig, sich direkt auszutauschen,
damit kein falscher Eindruck entsteht.
Die Mitglieder der SPD gehören
unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an und es gibt auch viele
konfessionsfreie Menschen in der SPD. Alle sind herzlich eingeladen, sich in
der SPD zu beteiligen.
Die Nutzung des Parteilogos und
des Namens der SPD allerdings ist klar geregelt. Grundsätzlich steht die
Nutzung neben unseren Funktions- und Mandatsträger*innen im Rahmen der
Parteiarbeit nur offiziellen Organisationseinheiten und Gremien zu. Und welche
das sind, darüber entscheide nicht ich, sondern ein Parteitag oder der
Parteivorstand. Für die Einhaltung dieser Regeln bin ich als Generalsekretär
verantwortlich.
Als SPD bekennen wir uns zum
jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen
des Glaubens. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung. Kernanliegen
der „Säkularen Sozis“ ist die strikte Trennung von Kirche und Staat. Das ist
eine legitime Position. Es ist allerdings nicht die Position der SPD, so wie es
auch nicht die Position des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist.
2011 hat der SPD-Parteivorstand daher die Einrichtung eines laizistischen
Arbeitskreises einstimmig abgelehnt.
Natürlich darf sich jeder der
säkularen Mitstreiterinnen und Mitstreiter Sozialdemokrat nennen, so wie alle
Mitglieder der SPD. Wo kämen wir denn da hin? Nur die säkulare Gruppierung, die
nicht offiziell von der Partei als Arbeitskreis anerkannt wird, darf die
Bezeichnung SPD sowie Sozialdemokrat nicht verwenden. Gegen die Bezeichnung
„Säkulare Sozis“ bestehen z.B. hingegen keine Bedenken. Diese Regeln gelten
selbstverständlich für alle.
Ich habe den säkularen Sozis vor
gewisser Zeit zur Klärung des Sachverhalts ein Gesprächsangebot gemacht, das
bisher nicht angenommen wurde. Vielleicht nutzt die aktuelle Debatte, den
Gesprächsfaden doch noch einmal aufzunehmen. Ich würde es mir wünschen.
Beste Grüße
Lars
Lars Klingbeil
Generalsekretär
SPD-Parteivorstand
Willy-Brandt-Haus
Wilhelmstraße 141
10963 Berlin
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