Sonntag, 24. März 2019

SPD-Briefwechsel

Wenn es offiziell wird drücke ich mich natürlich etwas höflicher aus als in den Tammox-Rants und so schickte ich eine zivilisierter Version meines Wutanfalls nach dem letzten Klingbeil-Verdikt wider die Säkularen unter Klarnamen an die verschiedenen SPD-Gliederungen.
Der Hamburger Landesverband antwortete ebenso wenig wie der Parteivorstand oder gar Andrea Nahles selbst.

Zu Dokumentationszwecken veröffentliche ich den Wortlaut:

Meine lieben Genossen!

Vor zwei Wochen erhielt ich von meiner Hamburger Landeschefin Leonhard ein Glückwunsch-Schreiben zu meinem 25-Jährigen.
Dafür möchte ich mich bedanken und anlässlich dieses runden Datums ein paar Gedanken äußern.

Ich weiß noch genau aus welchen Gründen ich Anfang 1994 in die Partei eintrat, der ich mich ohnehin immer am engsten verbunden fühlte. Es war meiner Ansicht nach eine schwere Fehlentscheidung Rudolf Scharping zum Chef zu wählen. In einem Verfahren, das ohne einen zweiten Wahlgang offensichtlich auf ihn zugeschnitten war, um Gerd Schröder zu verhindern.
Hier in Hamburg hielten alle meine Freunde das für einen offensichtlichen groben Fehler und erklärten unter diesen Umständen nicht die SPD im 1994er Wahlkampf mit dieser absurden Troika, die von dem Schwächsten der drei geführt wurde, zu unterstützen. Uns schien die heißersehnte Möglichkeit Helmut Kohl endlich abzuwählen damit vertan. Und wir sollten Recht behalten.
Im Gegensatz zu meinen Altersgenossen, die sich frustriert von der SPD wegdrehten, dachte ich „jetzt erst recht!“ und trat in die Partei ein, weil ich fand, man müsse mitarbeiten, statt zu kritisieren.

Es kamen auch bald viel bessere Zeiten.
 1995 der Durchmarsch Lafontaines in Mannheim, als mir zum ersten mal auch meine JUSO-Chefin Nahles auffiel, die von einem Kamera-Team der Küppersbuschen WDR-Sendung „ZACK“ begleitet dort einmarschierte und theatralisch verkündete, es ginge nun darum „den Rudolf zu wählen!“
Ich konnte es nicht fassen. Wieso merkte ausgerechnet die Juso-Frau so gar nichts von der brodelnden Anti-Scharping-Stimmung in der SPD?
Es bedurfte nur einer hervorragenden Rede und weg war ihr Rudolf.
Leider sollte es in den folgenden zweieinhalb Dekaden zum Markenzeichen der heutigen Fraktions- und Parteivorsitzenden werden die Stimmung in der Partei spektakulär falsch einzuschätzen: Causa Müntefering/Wasserhövel, Außenminister Schulz, Maaßen-Beförderung – um nur drei eklatante Beispiele zu nennen.

Die Partei ist aber keine einzelne Person; es kamen tatsächlich viele bessere Momente.

1998 zum Beispiel.
Das war die Zeit, als ich stolz auf meine SPD war. Mutig, säkular und fortschrittlich gab sich die SPD-Regierung, das Kanzleramt geführt von einem der prominentesten Atheisten Deutschlands: Rolf Schwanitz.

Deutlich niedrigere Eingangssteuersätze (15% statt 26%!), Homo-Ehe, Zwangsarbeiterentschädigung, Staatsbürgerschaftsrecht, Ökosteuerreform, Rehabilitierung der Wehrmachtsdeserteure, Atomausstieg, bis hin zu der Möglichkeit, daß Prostituierte sich krankenversichern lassen können, etc.
Besonders aber hat man Schröder für ewig dankbar zu sein, daß wir eben NICHT mit im Irak stecken, weil nämlich Schröder und Fischer sich mit aller Macht gegen Bush stemmten und schließlich den ganzen UN-Sicherheitsrat überzeugten, so daß USA und GB isoliert waren.

Oder 2011, als Olaf Scholz mit einer absoluten Mehrheit die schwarzgrüne-Chaos-Regierung in Hamburg wegfegte.

Ach Hamburg. Da hat man es schwer als SPD-Kritiker.

Hamburg verfügt über die vermutlich beste Landespartei der SPD, produziert die mit Abstand besten Wahlergebnisse, stellt mit dem introvertierten Wissenschaftler Peter Tschentscher einen sehr guten SPD-Bürgermeister, macht wirklich ausgezeichnete Stadtpolitik (Kriminalität und Arbeitslosigkeit auf Tiefststand, Flüchtlingsintegration klappt vorbildlich, sozialer Wohnungsbau boomt) und zudem ist Olaf Scholz‘ Nachfolgerin als Landeschefin, Melanie Leonhard, die 41-jährige promovierte Historikerin und Sozialsenatorin prima!
Hier bin ich gern Sozi.

Aber nach 25 Jahren Parteimitgliedschaft haben es Nahles und Klingbeil so weit gebracht, daß ich es fast nicht mehr vor mir selbst rechtfertigen kann zahlendes Mitglied der Bundes-SPD zu sein nachdem seit Tagen das erneute Verbot eines säkularen Arbeitskreises durch die Presse geht.

[….] Wer nicht kirchlich orientiert ist, hat es schwer in der SPD: Die „Säkularen Sozialdemokraten und Sozialdemokratinnen“ wollen einen Arbeitskreis in der Partei gründen – so wie Christen, Muslime und jüdische Genossen jeweils einen haben. Aber die weltlich Gesinnten dürfen nicht. Mehr noch: Generalsekretär Lars Klingbeil verbietet ihnen mit Hinweis auf die Parteijustiziarin, sich als „Sozialdemokraten“ auszugeben. „Das gilt auch für öffentliche Auftritte, zum Beispiel im Internet“ schreibt Klingbeil in einem Brief an die Gruppe, welcher der F.A.Z. vorliegt. [….]

Ich kann noch nicht mal sagen angesichts dieser Ungeheuerlichkeit fassungslos zu sein; schließlich ist mir der hartnäckige Katholizismus der Parteichefin und mehrerer anderer Parteiprominenter (Thierse, Griese) lange bekannt.

Erst vor einem Monat machte sich Andrea Nahles gehässig und brutal über die Zehntausenden von katholischen Priestern missbrauchten Kinder lustig, indem sie während des Vatikanischen Missbrauchsgipfels den Papst, der demonstrativ Pädophilenschützer wie Babarin unterstützt und sich weigert Strukturen zu ändern, so daß jetzt weiterhin Kinder durch Priester missbraucht werden, lobte:

 [….] Auch in der katholischen Kirche werde es irgendwann einmal Priesterinnen geben, versicherte sie und warb für Verständnis, dass eine Weltkirche nicht schnell zu reformieren sei. "Erst vor einigen Jahren hat der Papst offiziell festgestellt, dass es keine Lindwürmer gibt. Manchmal braucht das etwas." [….]

Manchmal braucht es etwas, lacht die SPD-Vorsitzende die weltweit über 100.000 von Priestern missbrauchten Opfer aus und verteidigt den Mann, der dafür sorgt, daß weiterhin die RKK-Strukturen Pädophile anziehen.
Wie ist es nur möglich, daß eine Sozialdemokratin so vollkommen gefühllos und mitleidslos spricht?

Nahles ist keine Privatkatholikin sondern zwingt ihre antihumanistischen Überzeugungen auch anderen auf.
Das ist leider typisch für Religion; sie beinhaltet Intoleranz und steht dem Pluralismus im Weg.
Wer nicht so denkt wie Nahles und Klingbeil, darf sich nun noch nicht mal mehr „Sozialdemokrat“ nennen. Das widerspricht so ziemlich allem was ich unter plural und aufgeklärt verstehe.
Hätten sich Sozialdemokraten in den letzten 150 Jahren immer so an die katholische Kirche geklammert wie Nahles, gäbe es heute noch kein Frauenwahlrecht und Kinderarbeit.
Katholikin Nahles hat offensichtlich Angst vor Argumenten, weil sie ihrer religiösen „wir sind besser als die“-Ideologie frönt, die es grundsätzlich ausschließt, daß auch andere Recht haben könnten.

Evolutionäre Humanisten wie ich, die Nahles und Klingbeil in der SPD verbieten,  verfolgen genau den diametral entgegengesetzten Weg: Wir argumentieren, diskutieren und sind immer bereit eine These zu Gunsten einer Besseren aufzugeben. Es gibt immer mal wieder neue Themenfelder, die Humanisten vor 100 Jahren noch nicht in den Sinn kamen – Tierrechte, Verbot der Kinderarbeit, §218, Frauenrechte, Beschneidungsverbot, Transident-Ehe – die wir aber in unsere Agenda integrierten.
Möglicherweise gibt es im Jahr 2119 Sozialdemokraten, die sich wundern, daß die Humanisten von heute an für sie ganz wichtige Themen noch gar nicht dachten.
Bei Kirchisten verbietet sich dieser evolutionäre Ansatz; sie haben schon vor 2.000 Jahren ex cathedra gehört was das einzig Richtige ist. Für sie gilt die Bibel, in der Jesus den Sklaven vernietet sich gegen ihre Besitzer aufzulehnen, den Frauen gebietet in der Gemeinde zu schweigen, den Hass auf Juden ausdrückt.

Eine ungeheuerliche Demütigung, daß ausgerechnet die traditionell kirchenfernen Sozialdemokraten, die sich gegen die der Obrigkeit verpflichteten Pfaffen stellten, nun von einer religiösen Extremistin geführt werden.

Als säkularer Sozialdemokrat, als Humanist, trete ich für die Rechte von Religiösen ein, würde immer dafür kämpfen, daß jeder glauben darf was er möchte, daß jeder privat so katholisch sein kann wie er will.
Das sind sozialdemokratische Werte: Toleranz, Freiheit, Solidarität.
Der katholische Parteivorstand hingegen agiert diametral umgekehrt: Er setzt sich nicht nur nicht für die Freiheit etwas anderes zu glauben ein, sondern verbietet ausdrücklich Gedankenfreiheit, will Säkulare per order di mufti auf Kurs bringen.

Dabei sind wir Säkulare im Gegensatz zu Katholiken nicht mit einer schwulenfeindlichen, frauenfeindlichen Ideologie verknüpft, die allein in Deutschland Zehntausende Kinder quälte und missbrauchte.
Und ganz nebenbei bemerkt, wir Säkularen sind eine relative Mehrheit in Deutschland. Es gibt mehr deutsche Konfessionslose als Katholiken und wir werden jedes Jahr mehr.
Und wir wenden uns von der SPD ab.

Ich würde jederzeit dafür kämpfen, daß eine SPD-Vorsitzende Katholikin sein darf, aber sie darf nicht anderen ihre metaphysischen Überzeugungen aufzwingen und andere ausgrenzen.

2019 ist offenbar die religiöse Wende vollzogen, die Parteispitze der SPD ist sicher nichts mehr, auf das man stolz wäre. Die Kirchen-Mitglieder haben übernommen. Statt bei Schröders bundesweiten 41% liegen wir nun bei 15%.

Kein Wunder, denn das Überstülpen von Klerikalen freiheitsfeindlichen Ansichten, die von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt werden – ich nenne nur Verbot der Sterbehilfe, Einschränkungen bei der Patientenverfügung, Beschneidungsdebatte – treibt die Menschen von der SPD weg.

Die bedeutenden sozialdemokratischen Intellektuellen Ingrid Matthäus-Maier und Rolf Schwanitz werden kalt gestellt und dafür kommt nun die rheinisch-schlichte katholische Karnevals-Fraktion.
Projekt Fünfprozenthürde?

Die Konfessionslosen sind heute nicht nur heimatlos; sie werden von ostentativ frommen Führungsfiguren der SPD-Parteiführung abgeschreckt.

Ich glaube nicht, daß ich noch SPD-Mitglied bin, wenn ein nächstes rundes Datum anstünde, zu dem eine Landesvorsitzende einen Glückwunschbrief schreiben würde.

Mit freundlichen Grüßen

Immerhin eine Reaktion gab es.
Vom Generalsekretär Lars Klingbeil.

(….)
vielen Dank für die Mail und die damit verbundene Nachfrage! Es ist immer wichtig, sich direkt auszutauschen, damit kein falscher Eindruck entsteht.

Die Mitglieder der SPD gehören unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften an und es gibt auch viele konfessionsfreie Menschen in der SPD. Alle sind herzlich eingeladen, sich in der SPD zu beteiligen.

Die Nutzung des Parteilogos und des Namens der SPD allerdings ist klar geregelt. Grundsätzlich steht die Nutzung neben unseren Funktions- und Mandatsträger*innen im Rahmen der Parteiarbeit nur offiziellen Organisationseinheiten und Gremien zu. Und welche das sind, darüber entscheide nicht ich, sondern ein Parteitag oder der Parteivorstand. Für die Einhaltung dieser Regeln bin ich als Generalsekretär verantwortlich.

Als SPD bekennen wir uns zum jüdisch-christlichen und humanistischen Erbe Europas und zur Toleranz in Fragen des Glaubens. Grundlage und Maßstab dafür ist unsere Verfassung. Kernanliegen der „Säkularen Sozis“ ist die strikte Trennung von Kirche und Staat. Das ist eine legitime Position. Es ist allerdings nicht die Position der SPD, so wie es auch nicht die Position des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland ist. 2011 hat der SPD-Parteivorstand daher die Einrichtung eines laizistischen Arbeitskreises einstimmig abgelehnt.

Natürlich darf sich jeder der säkularen Mitstreiterinnen und Mitstreiter Sozialdemokrat nennen, so wie alle Mitglieder der SPD. Wo kämen wir denn da hin? Nur die säkulare Gruppierung, die nicht offiziell von der Partei als Arbeitskreis anerkannt wird, darf die Bezeichnung SPD sowie Sozialdemokrat nicht verwenden. Gegen die Bezeichnung „Säkulare Sozis“ bestehen z.B. hingegen keine Bedenken. Diese Regeln gelten selbstverständlich für alle.

Ich habe den säkularen Sozis vor gewisser Zeit zur Klärung des Sachverhalts ein Gesprächsangebot gemacht, das bisher nicht angenommen wurde. Vielleicht nutzt die aktuelle Debatte, den Gesprächsfaden doch noch einmal aufzunehmen. Ich würde es mir wünschen.

Beste Grüße
Lars

Lars Klingbeil
Generalsekretär

SPD-Parteivorstand
Willy-Brandt-Haus
Wilhelmstraße 141
10963 Berlin

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