Heute Morgen macht der Mopo-Kolumnist Andreas Niesmann folgende
Überlegung zum einjährigen Geburtstag der Groko auf: Sie nerve, sei anstrengend
und eigentlich eine Zumutung für die Deutschen.
Wir alle hätten nur gelitten, bezeichnend wäre, daß
die drei Parteichefs, die die Groko aushandelten – Merkel, Schulz und Seehofer –
allesamt von der Wut über das angerichtete Desaster aus ihren Parteiämtern
gefegt wurden.
Ein Dreivierteljahr verplempert, weil insbesondere ein
vollkommen amtsunfähiger Psychopath im Innen/Bau/Heimatministerium geradezu
wollüstig die komatöse Koalition kollabieren lässt (Maaßen, Flüchtlinge).
Aber das alles sei eben noch Gold verglichen mit den
hirnverbrannten Deppen, die in anderen Ländern regieren.
Ein Argument, das man schwerlich nicht von der Hand weisen kann
und eine beliebte Argumentationslinie, wenn es mal mies läuft: Finde
irgendetwas, das noch schlimmer ist und vergleiche dich damit.
Die Merkel-Regierung muss nicht lange suchen, um sich mit
solchen Abwärtsspiral-Vergleichen aus dem Sumpf zu heben:
[….] Das ist ihnen nicht immer gelungen, aber manchmal hilft bei der
Bewertung einer Regierung auch der Blick über den eigenen Tellerrand. Welche
Staatsführung hätten wir denn stattdessen gerne? Die von Rechtsextremen
getriebenen Präsidenten-Bewegung aus Paris? Die Chaos-Koalition aus Rom? Die im
Brexit-Nirvana verhedderten Konservativen aus London? Oder die Truppe um den
narzisstischen Präsidentendarsteller aus Washington?
Man kann es auch so sehen: Während in den Hauptstädte Europas und der
Welt ein Flächenbrand wütet, schwelen in Berlin nur einzelne Glutnester. Das
zeigt sich nicht zuletzt daran, dass trotz aller Groko-Kritik die
rechtspopulistische AfD im Vergleich zur Bundestagswahl ausweislich aller
Meinungsumfragen in der Wählergunst nicht zulegen konnte.
Die Groko ist also besser als ihr Ruf. [….]
Wohl wahr.
Verglichen mit dem untersten Bodensatz der Regierungen in
der Welt – nehmen wir noch Recep Tayyip Erdoğan, Jair Messias Bolsonaro, Abd
al-Aziz Bouteflika oder Rodrigo Roa Duterte als Eichwerte – sollten wir vor
Glück über die Groko Luftsprünge machen.
In Deutschland sind immerhin nur die C-Minister verblödet –
allen voran die bei den Instituten historisch schlecht bewerteten Spahn und von
der Leyen, aber Altmaier, Klöckner und Seehofer sind ebensolche Totalausfälle.
Die Hälfte der Kabinettsmitglieder leistet solide Arbeit.
Von den sechs Sozen stellt sich bisher nur Frau Schulze als Fehlbesetzung
heraus. Sogar Hubertus Heil macht seine Sache etwas besser, als ich vor einem
Jahr befürchtete.
40 Gesetze haben die Grokominister auf den Weg gebracht, sie
arbeiten also sogar fleißig, schaffen es nur nicht bessere Stimmung zu
erzeugen.
In den USA ist nicht nur der Präsident ein Korrupter,
verlogener, radikal bornierter Verbrecher, sondern auch alle Minister sind
moralisch völlig verkommen und hinzu kommt, daß der arme Irre auch nach
zweieinhalb Jahren im Amt noch nicht die elementarsten Regierungsfunktionen
leistet. Noch immer sind ganze Flure der Ministerien verwaist und Dutzende Botschafterposten
nicht besetzt.
Im Parlament wurde einer Hälfte der Volksvertreter chirurgisch
das Rückgrat entfernt, so daß sie tumb grinsend jede Perversion mitmachen.
Die britischen Minister können zwar theoretisch im Gegensatz
zu ihrem amerikanischen Kollegen ihre Amtsgeschäfte wahrnehmen, aber dafür sind
im englischen Unterhouse gleich beide großen Parteien kollektiv
unzurechnungsfähig.
Ein größeres Politikversagen als in den letzten anderthalb
Jahren in London kann man sich nicht mehr vorstellen.
Zweieinhalb Jahre polterte Frau May „Breixit is Brexit“, um
14 Tage vor dem EU-Austrittschließlich zu drohen, es könne auch gar keinen
Brexit geben.
Oder man verschiebt noch mal die Entscheidung. Damit warf
sie natürlich das einzige Druckmittel aus der Hand, das einem noch bleibt, wenn
man keinerlei inhaltliches Politik vorlegen kann: Den Zeitdruck.
Wenig verwunderlich, daß nun die gesamte britische Politik
in heillosem Chaos versinkt.
Nach der Brexitentscheidung stellten wir anderen Europäer
uns die gewaltigen Probleme vor, die es bereiten würde die englischen Wünsche
mit denen der Rest-EUler auf einen Nenner zu bringen.
Wie sich inzwischen herausstellte war selbst das eine viel
zu optimistische Annahme. EU und GB konnten nie richtig anfangen zu verhandeln,
weil GB bis heute noch nicht weiß was es eigentlich will.
Die Parteien zersplittern, die Regierung ist gelähmt, das
Volk frustriert und die Ministerien können sich um nichts anderes mehr kümmern.
Und alles was erreicht wurde seit 2016 sind vage Aussagen
darüber was man nicht will: Nämliche keinen Backstopp, also keine irgendwie zur
EU offene Irisch-Nordirische Grenze und keinen No-Deal.
Was man stattdessen möchte konnte hingegen noch nicht von
den Konservativen formuliert werden und weil die Regierung so dermaßen
debakuliert, gibt sich die Opposition Mühe dem nicht nachzustehen.
[…..] Alternativ gingen auch Neuwahlen. Bekäme
Labour die absolute Mehrheit könnten sie einfach den Brexit absagen.
Theoretisch.
Praktisch ist aber auch die
Opposition von so unfassbarer Unfähigkeit geschlagen, daß SPD und US-Demokraten
aufgeweckt und patent wirken.
[….] Neben der unerträglichen Inkompetenz und Verantwortungslosigkeit der
Tories ist es nämlich die Labour Party, die sowohl den Zerfall der politischen
Kultur als auch die Prinzipienlosigkeit verkörpert.
Corbyn hat das Kunststück vollbracht, dass er zweieinhalb Jahre nach
dem Brexit-Votum keine belastbare Aussage über das Ziel seiner Partei vorlegen
kann. Labour will einen Brexit, aber keinen unkontrollierten. Eine Mehrheit der
Mitglieder würde allerdings auch gerne in der EU bleiben, nicht aber der
Vorsitzende. Die Partei will möglicherweise ein neues Referendum, aber auch nur
unter bestimmten Bedingungen. Kommt auf die Frage an.
Sicher ist nur: Corbyn will an die Macht, und deswegen will er eine
Vertrauensabstimmung und dann Wahlen gewinnen. Brexit? Wird irgendwie gelöst. [….]
Wenn Politik so richtig
schiefgeht, spricht man gern von “Neustart“.
Wäre das nicht toll, wenn man die
fatalen Entscheidungen der letzten drei Jahre rückgängig machen könnte? [….]
Noch nicht mal elementarste Hausaufgaben konnte London erledigen
[….] Die EU unterhält mehrere Hundert Abkommen mit Drittstaaten, über den
Luftverkehr, Nuklearsicherheit und -forschung, Fischerei, Industrie- und Lebensmittelstandards
oder den Umweltschutz. Der wichtigste Teil aber sind die rund 40
Freihandelsverträge. Bis zum Brexit-Termin am 29. März, das hatte der britische
Handelsminister Liam Fox noch im Herbst 2017 versprochen, werde er jeden
einzelnen von ihnen neu abgeschlossen haben. Man müsste die Verträge mit den
Drittstaaten einfach nur auf Großbritannien umschreiben. Ein Klacks.
Doch die Operation Copy-and-paste kommt kaum vom Fleck - das beweist
ein Schreiben der britischen Regierung an die EU-Kommission, das dem SPIEGEL
vorliegt. [….] Demnach konnte die
britische Regierung bisher lediglich sechs der 40 Handelsverträge umschreiben.
Einig sind sich die Briten mit:
Chile,
der Schweiz,
dem ost- und südafrikanischen
Handelsverbund ESA,
den Färöer-Inseln,
Israel,
Liechtenstein,
der Palästinensischen
Autonomiebehörde.
Damit ist klar, wie schwer die Briten es haben, andere Länder zum
Kopieren ihrer Abkommen mit der EU zu überreden. [….] Zudem zählen die bisherigen sechs Partner nicht gerade zu den Giganten
des internationalen Handels. Entsprechend wenig könnten sie dabei helfen, die
Folgen eines No-Deal-Brexits für die britische Wirtschaft zu dämpfen. Bei den
größeren EU-Handelspartnern kommen die Briten dagegen kaum weiter. Im
Gegenteil: Mit zweien - der Türkei und Japan - sind die Gespräche inzwischen
gescheitert, wie aus Barrows Tabelle hervorgeht. Mit Mexiko, Kanada und Südkorea
verhandelt London noch.
Mit den USA geschieht derzeit nicht einmal das. Unter
"Handel" tauchen auf Barrows Liste keine Gespräche mit Washington
auf. Der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer hat aber kürzlich schon ein
paar Bedingungen diktiert. Sollte er sich damit durchsetzen, müssten sich die
Briten nicht nur auf Chlorhühnchen gefasst machen. Sie könnten womöglich auch
keine Handelsverträge mehr mit Ländern ohne freie Marktwirtschaft abschließen -
etwa mit China. "So viel zum Thema, die Kontrolle zurückzugewinnen",
lästerte der "Guardian" über das "Taking back
control"-Mantra der Brex [….]
Das große ehemalige Weltreich, das Empire will also in
Zukunft im Zollchaos seinen Außenhandel auf die Färöer-Inseln, Liechtenstein,
und die Palästinensische Autonomiebehörde stützen.
Wir hingegen haben Scholz und Maas und Barley, also wahrlich
kein Grund uns zu beklagen.
Und die Irren in England sind auch noch stolz auf den
suizidalen Amoklauf.
Macht nichts, die Organisation „Leavemeansleave.eu“
propagiert immer noch „NO DEAL? NO PROBLEM!“, denn ohne Trade-verträge liefe
alles viel besser.
Der Wahnsinn ist so weit fortgeschritten, daß man die
britische Brexiteer-Pasta unmöglich zurück in die Tube bekommt.
Daher nützt auch kein neues Referendum mehr. Die Talsohle muss nun durchschritten werden. Ein Pro-EU-Votum ist keine Option, weil dann eine Hälfte der Briten Amok laufen würde. Und London wäre weiterhin eine quertreibende Bremse in Brüssel.
Es entstünden Verschwörungstheorien, die UKIP und der
Rechtsradikalismus würden mit so einer Dolchstoßlegende richtig aufblühen.
50% der Briten würden noch mehr vom Brexit träumen.
Leider müssen sie das jetzt durchziehen wegen des
Lerneffekts.
Und dann sollte es eine derartig brutale Rezession geben,
dass auch der letzte Brexiteer versteht, was für eine Scheißidee es war Europa
in den Rücken zu fallen und dass man keinen Rechtspopulisten nachrennen soll.
Und wenn die Briten so richtig in der Megakrise stecken,
sollen sie einen Wiederaufnahmeantrag stellen.
Und dann sollten wir anderen EU-Staaten großzügig und nicht
nachtragend sein.
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