Samstag, 9. März 2019

Das Kulturgut

Da gab es also eine Kita in Hamburg, die nicht mehr wünschte die kleinen Racker zum Fasching in Indianerkostümen zu sehen.

Eine hervorragende Steilvorlage für die ganz große Shitstorm-Show. Die Hamburger Boulevardmedien druckten seitenweise empörte Leserbriefe und beide Vorsitzenden der C-Parteien ritten das Thema gründlich bei ihren Aschermittwochs-Grölereien.

[…] Die Halle jubelt, auch als sich Söder gegen Schüler-Demos gegen den Klimawandel zur Schulzeit wendet und sagt: „Demos bitte am Freitagnachmittag oder Samstag früh“. Oder als er die Diskussion um Indianer-Kostüme in Hamburg aufs Korn nimmt: „Wenn die Welt wüsste, über welchen Quatsch wir streiten, hätte die Welt keine Angst und keinen Respekt vor uns. Wir müssen wieder vernünftig werden.“ [….]

100 Jahre Karneval und nun wollen die Linksgrünversifften in ihrem Verbotswahn die Kostüme bannen.
Dabei hatte natürlich keine Partei und kein Parlament irgendetwas gefordert, sondern lediglich eine private Kita einen dezenten Hinweis gegeben.

[…..] Dabei hatte sich die Leitung der Einrichtung im Stadtteil Ottensen für vorurteilsfreie Kostüme eingesetzt. Schon vor Jahren veröffentliche die Kita eine Broschüre, in der auf ein vorurteilsbewusstes Fasching aufmerksam gemacht wurde.
„Wir achten im Kitaalltag sehr auf eine kultursensible, diskriminierungsfreie und vorurteilsbewusste Erziehung“ und das solle sich auch an Faschingstagen nicht ändern, hieß es. [….]

Aber welche Rolle spielen schon Fakten, wenn konservative Großsprecher eine Chance sehen sich auf Kosten von Minderheiten vor einer johlenden Menge zu profilieren?


[…..] Eine Woche nach ihrem verunglückten Scherz über Toiletten für Transgender und Berliner Macchiato-Trinker hatte sie am politischen Aschermittwoch die Gelegenheit, sich zu entschuldigen. In Demmin, Mecklenburg-Vorpommern, tat Kramp-Karrenbauer aber nichts dergleichen. Vielmehr kritisierte sie ihre Kritiker: "Manchmal muss man auch genau hinschauen, bevor man sich über irgendwas künstlich aufregt." Und: "Heute habe ich das Gefühl, wir sind das verkrampfteste Volk, das überhaupt auf der Welt herumläuft, das kann doch so nicht weitergehen." Silvester-Böller, Fleischessen, Veganismus, Diesel-Fahren, Indianer-Kostüme beim Kita-Fasching – Kramp-Karrenbauer ließ keine der identitätspolitisch aufgeladenen Themen für ihre Gegenoffensive aus. Double down nennt man das im Englischen. 
Politisch fällt die ganze Fastnachtsepisode wohl eher in die Kategorie Geplänkel. Vor dem Narrengericht in Stockach hatte Kramp-Karrenbauer gewitzelt: Die dritte Toilette sei für Männer, die nicht wüssten, ob sie beim Pinkeln sitzen oder stehen sollten. […..]

Einmal, es war gleich in der ersten Klasse meiner Grundschullaufbahn, war ich auch als Indianer verkleidet. Und zwar nicht freiwillig.
Zur Einweihung einer neuen Aula mussten sich alle Jungs auf der Bühne in einen Kreis setzen, bekamen eine Feder ins Haar gebunden und mussten diese Karl-May-Laute machen; uns die Hand vor den Mund schlagen und Uhuhuhu jaulen.
Dazu tanzten die mit Mutters Rouge bemalten Mädchen, ebenfalls mit alter Taubenfeder im Haar um uns herum und sangen „Weh ja heia Weheheja waheia!“
Ich fand es so entsetzlich und diese grausigen fünf Minuten brannten sich derart in mein Hirn, daß ich mich auch ein halbes Jahrhundert später noch mitschäme.
Damals gab es vermutlich noch gar nicht den Begriff „Sozialphobie“, aber so stelle ich es mir vor agoraphobe Panikattacken-Trigger vor: Gegen den Willen in blamabler Exposition auf eine Bühne ausgeleuchtet werden vor einem großen dichtgedrängten Publikum.


In den folgenden Jahren gab es weitere Faschingsfeste der Schule. In der Zweiten Klasse wurde ich mit einer Paillettenweste meiner Mutter als Zauberer ausstaffiert und ab der dritten Klasse gelang es mir erfolgreich mich um diese Demütigungen zu drücken. Dank trickreicher Ausreden  musste ich nie wieder in Verkleidung zu organisiertem Lustig-Sein erscheinen.
Mit ca 16 Jahren war ich mal auf einer New-Wave-Black&White-Party, aber nur weil ich die (sehr viel ältere) Gastgeberin toll fand und ohnehin nur schwarze Klamotten besaß. Ich mußte mich also nicht verkleiden, galt aber als perfekt dem Partymotto angepasst.
Anschließend waren Toga-Partys „in“, bei denen man de facto nackt erschien und sich ein weißes Bettlaken um den Leib wickelte. Als Varianten existierten noch „Caribbean-Night“ oder „70er“ für die beliebten Motto-Parys. Unnötig zu erwähnen, daß die alle ohne mich stattfanden.

Die Saarländerin Kramp-Karrenbauer betrachtet Karneval offensichtlich als „Kulturgut“, welches es gegen die übertriebene political Correctness der Verbots-affinen Berliner Grünen zu verteidigen gelte.
Dabei ist deutscher Karneval keineswegs Kulturgut, sondern eindeutig Kulturschlecht.
Als Fernsehzuschauer erlebt man viel Brutales, aber nichts ist derartig schlecht wie Übertragungen von Mainzer Faschingsumzügen, „Köln wie es singt und lacht“ oder gar Saarländischen noch gruseligeren Abarten.


Statt armen Flüchtlingen und Asylanten diese Ausgeburten der Humorhölle als deutsche Kultur aufzuzwingen, sollte man lieber endlich die Gelegenheit nutzen sich von dem teutonischen Alptraum zu verabschieden.

Heil Hitler und Alaaf“ lautete das Motto des Kölner Karnevals in der NS-Zeit.


Die Karnevalisten stehen in einer erbärmlichen Tradition.

Wir sollten und endlich von dem Mist trennen.
Man muss es nicht verbieten, schließlich gibt es überall Peinliches in Deutschland. Sollen sich doch ein paar Rheinische Deppen blamieren damit.
Aber wir könnten uns wenigstens ein bißchen dafür schämen und versuchen dieses internationale Debakel etwas weniger hoch zu hängen.
Jahrzehntelang wurden in Zoos und Zirkussen Menschenrassen und Behinderte zur allgemeinen Belustigung ausgestellt. War auch Tradition.
Machen wir aber nicht mehr.
Wir stecken auch keine Schwulen mehr in den Knast, nehmen unverheirateten Frauen nicht die Kinder weg und verbrennen keinen Hexen mehr.
Der evolutionäre Humanismus bedeutet auch eine gewisse Weiterentwicklung; wir müssen und nicht an jede historische Schrecklichkeit klammern; zumal wir laufend Neue entdecken (Halloween, Selfi-Wahn, Schlagermove, Motorradgottesdienst), die dann zukünftige hoffentlich weiser gewordene Generationen mühsam wieder abschaffen müssen.


Unnötig zu erwähnen, daß die katholische SPD-Parteichefin auch beim Fasching an Peinlichkeit unübertroffen ist.


Ja, vor Jahrzehnten hat man sich nichts dabei gedacht Schwarze “Neger” zu nennen, Schwule zu verdreschen, Abfall auf die Straße zu werfen, Frauen auf den Po zu hauen, sie als „Schätzchen“ anzureden oder auch ethnische Minderheiten beim Fasching lächerlich zu machen.
Das war alles Kulturgut.

Aber nur weil wir damals nicht böswillig blackfacing betrieben, ist das heute nicht genauso möglich.
Früher waren wir dumm und ignorant. Heute, immerhin ein kleiner Fortschritt, hören wenigstens einige auch mal Intersexuellen, Native Americans oder Schwarzen zu.

Intersexuelle finden es gar nicht witzig was AKK so raushaut -  im Gegensatz zu der bierseligen CSU-Meute in Söderstan.


Nur weil Söder, AKK und große Teile der veröffentlichten Meinung nichts dabei empfinden Indianer nachzumachen, bedeutet es nicht, daß die Betroffenen nicht darunter leiden. Nachfahren amerikanischer Ureinwohner fühlen sich diskriminiert.
Wir haben es vorher nur ignoriert, was sie dazu denken

[….] Die sind fassungslos. Schockiert, in welche Richtung die aktuelle Debatte geht. Warum? Weil ein Großteil der Bürger das Kostüm-Verbot eben nicht nachvollziehen kann. „Diese Verkleidungen sind verletzend. Es ist traurig, dass so wenige das verstehen“, sagt Carmen Kwasny zur MOPO. Sie ist die Vorsitzenden des Vereins „Native American Association of Germany“, [….] „Ganz besonders schlimm ist dies für Kinder und Jugendliche indianischer Abstammung, die hier in Deutschland leben und in pädagogischen Einrichtungen im Rahmen von ‚Indianerprojekten‘ und zur Faschingszeit auf offener Straße damit konfrontiert werden“, so Kwasny. Native-Gäste aus den USA und Kanada würden nach wie vor mit lautem „Indianergeheul“ begrüßt. „Das ist geschmacklos und peinlich.“ Kein Native American würde sich mit der Hand auf den Mund schlagen, dabei einen Schrei ausstoßen. Das sogenannte „Lulu“ – ein Trällern, wird von Frauen mit Hilfe der Zunge im Mund erzeugt - ist vielmehr Teil eines Ehrentanzes.
[….] „Mit Hilfe des Internets und der sozialen Netzwerke werden Informationen innerhalb kürzester Zeit weltweit verbreitet und so erfahren Native Americans in den USA und Kanada auch, wie ihre verschiedenen Nationen hierzulande dargestellt werden und es wird ständig von Native-Seite aus Kritik daran geäußert“, so Kwasny. Auch die aktuelle Debatte ist längst in den USA angekommen, sorgt dort für Bestürzung. Native-Teenager in einer amerikanischen Middleschool haben sich gegenüber der Organisation über die „Rücksichtlosigkeit und Respektlosigkeit“ beschwert.
„Wir haben das Gefühl, dass man sich mit den Kostümen über uns lustig macht“, soll ein junger Native laut Kwasny gesagt haben. Native Americans tragen keine Kostüme, es sind traditionelle Kleidungen. Die Adler-Federn würde man nur dann erhalten, wenn man besondere Taten vollbracht habe. [….] Inzwischen äußern sich auch immer mehr Indianer in den sozialen Netzwerken. Der Hamburger Steven Whitfield, nach eigenen Angaben gebürtiger Chickasaw Native American, bittet, künftig auf Indianer-Kostüme zu verzichten: „Macht das nicht“ [….]

Natürlich wird PC oft übertrieben, aber so weit wie in den USA sind wir noch lange nicht. Und der Karneval ist wirklich keine Tradition, auf die man stolz sein könnte. Es lohnt sich nicht sie zu erhalten. Im Gegenteil. Weg damit.

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