Samstag, 21. Februar 2015

Doof und arm und faul.



Nun fragen sie mich wieder; wie konnte das denn bei euch passieren? Hamburg ist doch eine liberale Stadt und nun sitzen da die AfD im Parlament und zudem auch noch eine inhaltslose FDP, die wir endlich überwunden gehofft hatten.

Die Erklärung: Schuld ist der Urnenpöbel.
Damit meine ich aber nicht in erster Linie die wenigen Wähler, die tatsächlich bei der AfD ihr Kreuz gemacht haben. Jene zähle ich zu dem rechten Bodensatz, den es nun mal derzeit hier gibt – wie in vielen anderen Bundesländern; was die Sache keineswegs besser macht. Aber wir hatten schon vorher erstaunliche Erfolge von Schill, Statt-Partei und DVU.

Das ist aber eine überschaubare Zahl.
Wir hatten diesmal 1.299.411 Wahlberechtigte, die über die Landesliste mit je fünf Stimmen über die Zusammensetzung der Bürgerschaft bestimmten.
Es gab also 6.497.055 Stimmen zu vergeben. Davon erhielt die AfD 214.401 Stimmen. Absolut sind es also ~ 3% ~ 43.000 Menschen.
Ekelig, aber so ist das nun mal in einer Millionenstadt.
Diese gut 40.000 Blödmänner fielen aber sehr viel weniger ins Gewicht, wenn die knappe Hälfte der Hamburger nicht zu phlegmatisch wäre überhaupt zu wählen oder zu doof wäre das neue Wahlrecht zu verstehen.

Hamburgs Wahlrecht ist zu komplex. Erfahrene Fachpolitiker scheitern am Wahlrecht. Kompetenz wird nicht honoriert
[….] Zwei Stimmzettel, zehn Stimmen und 887 Kandidaten, dazu die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens und schließlich Wahlkreisbewerber, die sich am Ende gegen Kandidaten auf den Landeslisten durchsetzten – zu behaupten, dass vielen Hamburgern das Wahlrecht komplex erscheint, ist noch eine Untertreibung. Das schlägt sich nicht nur in der nochmals gesunkenen Wahlbeteiligung nieder. 21.981 Hamburger gaben am Sonntag ungültige Wahlzettel ab, dreimal so viele wie 2008 bei der letzten Wahl nach altem Recht.
Die Absicht ist löblich: Das neue Wahlrecht soll dem Volk mehr direkten Einfluss auf die Auswahl der Personen einräumen, die sie im Parlament vertreten. Das setzt aber voraus, dass sich die Bürger zumindest in Ansätzen mit den Kandidaten beschäftigen, die in ihrem Wahlkreis antreten, mit ihren Programmen und ihrer Leistungsbilanz. Und das scheint im wahren Leben nicht (immer) der Fall zu sein. Stattdessen machen viele Wähler bei demjenigen Kandidaten ihr Kreuz, den sie zumindest dem Namen nach kennen (Theatermacherin Isabella Vértes-Schütter bekam 9169 Stimmen), der einen Vertrauen einflößenden Beruf angibt ("Sanitäter" Hauke Wagner) oder schlicht mit einem Doktortitel beeindruckt.
[….]  Gedacht war das Wahlrecht, um den Einfluss der Parteien auf die Auswahl der Kandidaten einzuschränken. In der Praxis werden aber nicht nur die Parteien geschwächt. Das Wahlrecht schwächt das Parlament selbst, wenn statt kompetenter Fachpolitiker, die in die immer komplexer werdende Materie eingearbeitet sind, unerfahrene Neulinge in der Volksvertretung sitzen[….] Und schließlich dürften auch die Abgeordneten selbst ihre Lehre aus dem Wahlverhalten der Hamburger ziehen: Fleiß im Hintergrund zahlt sich nicht aus, das Ringen um Themen in langen Ausschusssitzungen bringt den Einzelnen nicht voran, eine noch so hohe Anerkennung in Fachkreisen verschafft nicht ausreichend Stimmen. Wer wiedergewählt werden will, muss sich bekannt machen, nach vorn drängen, schnell bei der Hand sein mit Einschätzungen und Forderungen – ins Rampenlicht, egal wie.

Das Wahlrecht ist nicht nur an sich eher gut gemeint als gut gemacht, sondern es hilft den Kaspern, den Hallodris und nicht unbedingt den seriösesten Parlamentariern.

Noch schlimmer ist aber die Betrachtung der Wahlbeteiligung, die sich in den einzelnen Stadtteilen ERHEBLICH unterscheidet.
Es gibt dabei eine klare Korrelation von Einkommen und Wahlfaulheit.
Je ärmer die Menschen, desto weniger gehen sie zur Wahl.
In den reichsten Stadtteilen stimmten über 70% der Menschen ab. Bei den ganz Armen und Abgehängten waren es teilweise nur 20%.
Damit hat dieses komplizierte Wahlrecht genau das bewirkt was es nicht sollte.
Es hat Wählen nicht etwa attraktiver gemacht, sondern im Gegenteil dazu geführt, daß die Bedürftigen sich selbst aus der Demokratie ausklinken und dafür die Mächtigen und Besitzenden weit überproportional ihren Willen durchsetzen.

Genau daran krankt auch der Irrweg der plebiszitär orientierten Piraten. Volksabstimmungen und Direktwahlen führen dazu, daß gut organisierte Reiche ihre Partikularinteressen gegen den Willen der Habenichtse durchsetzen.
Wir haben den Beweis bei den sogenannten „Gucci-Protesten“ erlebt, als  die Millionäre der Elbvororte gegen den Willen von Grünen, Linken, CDU und SPD die Stadtteilschulen zu Fall brachten, weil sie ihre begüterten Söhne und Töchter weiterhin von den armen Kindern isolieren wollten.
Möglich machten es die Eltern der Armen, die gar nicht begriffen worum es ging und daher nicht an der Abstimmung teilnahmen.

Daher also noch einmal mein dringender Appell den Unsinn mit den Volksbefragungen endlich sein zu lassen.
Der Urnenpöbel ist schon mit einem Kreuz für eine Partei überfordert. Macht es nicht noch schlimmer, indem die Diktatur der Inkompetenz den Walter Scheuerles dieser Welt ermöglicht mit einer Armee von Anwälten und PR-Beratern die Demokratie zu kaufen.

Leider sind die Reichen nicht nur motivierter zur Wahl zu gehen, sondern auch gesünder und langlebiger, weil sie auch besser gebildet sind.
Sie wissen ihren Einfluss besser zu nutzen.
Je mehr man das Wahlrecht diversifiziert, je mehr man Möglichkeiten zu panaschieren und kumulieren eröffnet, desto überproportional erhöht sich der Einfluss der Reichen und Mächtigen – schon allein, weil die HarzIV-Empfänger und Migranten gar nicht mehr wählen. LEIDER.
Man sehe sich die detaillierten Ergebnisse aus den einzelnen Wahllokalen an. FDP und CDU lagen in vielen armen Stadtteilen (Veddel, St Pauli, Altona Nord, Schanze,..) erbärmlich abgeschlagen. Auch die CDU hatte  Ergebnisse unter fünf Prozent (sic!) – aber das viel vergleichsweise wenig ins Gewicht, weil genau dort auch die Wahlbeteiligung niedrig war. Die besten Ergebnisse holten CDU und FDP in den reichen Stadtteilen, die auch die höchste Wahlbeteiligung hatten und somit besonders stark ins Gesamtergebnis einflossen.
Die Armen sind also nicht nur arm, sondern auch doof und faul.

Es ist ein Treppenwitz, daß gerade LINKE und Grüne für mehr direkte Demokratie werben. Damit erweisen sie AfD und FDP den größten Dienst und schaden den sozial Schwächsten. Nun, für die Grünen mag das ja erwünscht sein, aber Linke und SPD sollten aufhören nach plebiszitären Elementen zu verlangen.

[….]  Armes Hamburg, reiches Hamburg – das sind auch mit Blick auf die Bürgerschaftswahl zwei Welten. So lag die Wahlbeteiligung in den 20 Stadtteilen mit den niedrigsten Einkommen und den höchsten Anteilen an Hartz-IV-Empfängern nur bei 43,6 Prozent, in den Stadtteilen mit den höchsten Einkommen und dem niedrigsten Hartz-IV-Anteil hingegen bei 70,2 Prozent. Das geht aus der Analyse hervor, die das Landeswahlamt und das Statistikamt Nord am Dienstag vorstellten. [….] Das zeigt sich auch an den Ergebnissen der Parteien in diesen Stadtteilen, und hier besonders bei CDU, FDP und Linkspartei. So holte die CDU in den "besseren" Stadtteilen im Schnitt 18,2 bis 21,1 Prozent und damit deutlich mehr Stimmen als die 15,9 Prozent in Gesamt-Hamburg. [….] Noch krasser ist es bei der FDP: Sie holte in den Stadtteilen mit hohen Einkommen und wenig Hartz-IV-Empfängern im Schnitt 13,8 Prozent, in den "armen" Gegenden aber nur 4,4 Prozent – und untermauerte damit ihren Ruf als "Partei der Besserverdiener". Nimmt man alle Faktoren zusammen, bedeutet das: Wäre die Wahlbeteiligung in den ärmeren Gegenden Hamburgs so hoch wie in den reicheren, hätte die FDP den Einzug in die Bürgerschaft wohl verpasst, und die CDU hätte noch schlechter abgeschnitten.
Ganz anders ist es bei der Linkspartei: Sie holte in den besser situierten Gegenden nur 4,7 Prozent, aber dort, wo viele Geringverdiener und Leistungsempfänger wohnen, kommt sie auf durchschnittlich 13,8 Prozent – satte 3,8 Prozent mehr als 2011. [….] SPD und Grüne können hingegen von sich behaupten, in allen Teilen der Stadt etwa gleich stark zu sein. Die Sozialdemokraten waren in ihren klassischen Milieus mit durchschnittlich 45,4Prozent nur leicht stärker als in den "besseren" Gegenden mit 43,4 Prozent. [….]
Ungültige Stimmen: Der Anteil ungültiger Stimmzettel lag wie 2011 bei 3,0 Prozent, während er bis 2008 stets bei rund 1,0 Prozent gelegen hatte. Landeswahlleiter Willi Beiß sagte, dass 2011 das relativ komplizierte Wahlrecht, das es den Wählern ermöglicht, bis zu zehn Stimmen in zwei Heften zu vergeben, für etwa zwei Prozent der ungültigen Zettel verantwortlich war. [….] Scholz-Effekt: Vor allem SPD-Wähler haben die Möglichkeit genutzt, auf der Landesliste der Parteien direkt einen Kandidaten zu wählen. Von gut 1,6 Millionen Stimmen, die die SPD hier erhielt, gingen 929.000 oder 57,8 Prozent direkt an Personen. Davon wiederum erhielt allein Bürgermeister Olaf Scholz als Spitzenkandidat unglaubliche 735.737 Stimmen – damit wurden fast 21 Prozent aller 3,5 Millionen Kreuze direkt bei dem Namen "Olaf Scholz" gemacht. Das ist noch mehr als 2011, als Scholz 622.000 Personenstimmen bekommen hatte. Zum Vergleich: Sein Herausforderer Dietrich Wersich von der CDU kam auf 134.584 Direktstimmen.
[….] Stadtteile: In Billbrook war die Wahlbeteiligung mit 26,3 Prozent am niedrigsten, gleichzeitig holte die AfD hier mit 13,3 Prozent ihr bestes Ergebnis und die Grünen (4,1) ihr schlechtestes. In Nienstedten dagegen war die Wahlbeteiligung mit 75,6 Prozent am höchsten, außerdem errang die FDP hier ihr bestes Resultat und wurde mit 22,9 Prozent sogar zweitstärkste Kraft hinter der SPD (36,1) und noch vor der CDU (20,0).

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