Nun
fragen sie mich wieder; wie konnte das denn bei euch passieren? Hamburg ist
doch eine liberale Stadt und nun sitzen da die AfD im Parlament und zudem auch
noch eine inhaltslose FDP, die wir endlich überwunden gehofft hatten.
Die
Erklärung: Schuld ist der Urnenpöbel.
Damit
meine ich aber nicht in erster Linie die wenigen Wähler, die tatsächlich bei
der AfD ihr Kreuz gemacht haben. Jene zähle ich zu dem rechten Bodensatz, den es
nun mal derzeit hier gibt – wie in vielen anderen Bundesländern; was die Sache keineswegs
besser macht. Aber wir hatten schon vorher erstaunliche Erfolge von Schill,
Statt-Partei und DVU.
Das ist
aber eine überschaubare Zahl.
Wir
hatten diesmal 1.299.411 Wahlberechtigte, die über
die Landesliste mit je fünf Stimmen über die Zusammensetzung der Bürgerschaft
bestimmten.
Es gab
also 6.497.055 Stimmen zu vergeben. Davon erhielt die AfD 214.401 Stimmen.
Absolut sind es also ~ 3% ~ 43.000 Menschen.
Ekelig,
aber so ist das nun mal in einer Millionenstadt.
Diese
gut 40.000 Blödmänner fielen aber sehr viel weniger ins Gewicht, wenn die knappe
Hälfte der Hamburger nicht zu phlegmatisch wäre überhaupt zu wählen oder zu
doof wäre das neue Wahlrecht zu verstehen.
Hamburgs Wahlrecht ist
zu komplex. Erfahrene Fachpolitiker scheitern am Wahlrecht. Kompetenz wird
nicht honoriert
[….]
Zwei Stimmzettel, zehn Stimmen und 887
Kandidaten, dazu die Möglichkeit des Kumulierens und Panaschierens und
schließlich Wahlkreisbewerber, die sich am Ende gegen Kandidaten auf den
Landeslisten durchsetzten – zu behaupten, dass vielen Hamburgern das Wahlrecht
komplex erscheint, ist noch eine Untertreibung. Das schlägt sich nicht nur in
der nochmals gesunkenen Wahlbeteiligung nieder. 21.981 Hamburger gaben am
Sonntag ungültige Wahlzettel ab, dreimal so viele wie 2008 bei der letzten Wahl
nach altem Recht.
Die Absicht ist
löblich: Das neue Wahlrecht soll dem Volk mehr direkten Einfluss auf die
Auswahl der Personen einräumen, die sie im Parlament vertreten. Das setzt aber
voraus, dass sich die Bürger zumindest in Ansätzen mit den Kandidaten
beschäftigen, die in ihrem Wahlkreis antreten, mit ihren Programmen und ihrer
Leistungsbilanz. Und das scheint im wahren Leben nicht (immer) der Fall zu
sein. Stattdessen machen viele Wähler bei demjenigen Kandidaten ihr Kreuz, den
sie zumindest dem Namen nach kennen (Theatermacherin Isabella Vértes-Schütter
bekam 9169 Stimmen), der einen Vertrauen einflößenden Beruf angibt
("Sanitäter" Hauke Wagner) oder schlicht mit einem Doktortitel
beeindruckt.
[….]
Gedacht war das Wahlrecht, um den Einfluss der
Parteien auf die Auswahl der Kandidaten einzuschränken. In der Praxis werden
aber nicht nur die Parteien geschwächt. Das Wahlrecht schwächt das Parlament
selbst, wenn statt kompetenter Fachpolitiker, die in die immer komplexer
werdende Materie eingearbeitet sind, unerfahrene Neulinge in der
Volksvertretung sitzen[….] Und
schließlich dürften auch die Abgeordneten selbst ihre Lehre aus dem
Wahlverhalten der Hamburger ziehen: Fleiß im Hintergrund zahlt sich nicht aus,
das Ringen um Themen in langen Ausschusssitzungen bringt den Einzelnen nicht
voran, eine noch so hohe Anerkennung in Fachkreisen verschafft nicht
ausreichend Stimmen. Wer wiedergewählt werden will, muss sich bekannt machen,
nach vorn drängen, schnell bei der Hand sein mit Einschätzungen und Forderungen
– ins Rampenlicht, egal wie.
Das
Wahlrecht ist nicht nur an sich eher gut gemeint als gut gemacht, sondern es
hilft den Kaspern, den Hallodris und nicht unbedingt den seriösesten
Parlamentariern.
Noch
schlimmer ist aber die Betrachtung der Wahlbeteiligung, die sich in den
einzelnen Stadtteilen ERHEBLICH unterscheidet.
Es gibt
dabei eine klare Korrelation von Einkommen und Wahlfaulheit.
Je ärmer
die Menschen, desto weniger gehen sie zur Wahl.
In den
reichsten Stadtteilen stimmten über 70% der Menschen ab. Bei den ganz Armen und
Abgehängten waren es teilweise nur 20%.
Damit
hat dieses komplizierte Wahlrecht genau das bewirkt was es nicht sollte.
Es hat
Wählen nicht etwa attraktiver gemacht, sondern im Gegenteil dazu geführt, daß
die Bedürftigen sich selbst aus der Demokratie ausklinken und dafür die
Mächtigen und Besitzenden weit überproportional ihren Willen durchsetzen.
Genau
daran krankt auch der Irrweg der plebiszitär orientierten Piraten.
Volksabstimmungen und Direktwahlen führen dazu, daß gut organisierte Reiche
ihre Partikularinteressen gegen den Willen der Habenichtse durchsetzen.
Wir
haben den Beweis bei den sogenannten „Gucci-Protesten“ erlebt, als die
Millionäre der Elbvororte gegen den Willen von Grünen, Linken, CDU und SPD die
Stadtteilschulen zu Fall brachten, weil sie ihre begüterten Söhne und Töchter
weiterhin von den armen Kindern isolieren wollten.
Möglich
machten es die Eltern der Armen, die gar nicht begriffen worum es ging und
daher nicht an der Abstimmung teilnahmen.
Daher
also noch einmal mein dringender Appell den Unsinn mit den Volksbefragungen
endlich sein zu lassen.
Der
Urnenpöbel ist schon mit einem Kreuz für eine Partei überfordert. Macht es
nicht noch schlimmer, indem die Diktatur der Inkompetenz den Walter Scheuerles
dieser Welt ermöglicht mit einer Armee von Anwälten und PR-Beratern die
Demokratie zu kaufen.
Leider
sind die Reichen nicht nur motivierter zur Wahl zu gehen, sondern auch gesünder
und langlebiger, weil sie auch besser gebildet sind.
Sie
wissen ihren Einfluss besser zu nutzen.
Je mehr
man das Wahlrecht diversifiziert, je mehr man Möglichkeiten zu panaschieren und
kumulieren eröffnet, desto überproportional erhöht sich der Einfluss der
Reichen und Mächtigen – schon allein, weil die HarzIV-Empfänger und Migranten
gar nicht mehr wählen. LEIDER.
Man sehe sich die detaillierten Ergebnisse aus den einzelnen
Wahllokalen an.
FDP und CDU lagen in vielen armen Stadtteilen (Veddel, St Pauli, Altona Nord,
Schanze,..) erbärmlich abgeschlagen. Auch die CDU hatte Ergebnisse unter
fünf Prozent (sic!) – aber das viel vergleichsweise wenig ins Gewicht, weil
genau dort auch die Wahlbeteiligung niedrig war. Die besten Ergebnisse holten
CDU und FDP in den reichen Stadtteilen, die auch die höchste Wahlbeteiligung
hatten und somit besonders stark ins Gesamtergebnis einflossen.
Die
Armen sind also nicht nur arm, sondern auch doof und faul.
Es ist
ein Treppenwitz, daß gerade LINKE und Grüne für mehr direkte Demokratie werben.
Damit erweisen sie AfD und FDP den größten Dienst und schaden den sozial
Schwächsten. Nun, für die Grünen mag das ja erwünscht sein,
aber Linke und SPD sollten aufhören nach plebiszitären Elementen zu verlangen.
[….]
Armes Hamburg, reiches Hamburg – das sind auch
mit Blick auf die Bürgerschaftswahl zwei Welten. So lag die Wahlbeteiligung in
den 20 Stadtteilen mit den niedrigsten Einkommen und den höchsten Anteilen an
Hartz-IV-Empfängern nur bei 43,6 Prozent, in den Stadtteilen mit den höchsten
Einkommen und dem niedrigsten Hartz-IV-Anteil hingegen bei 70,2 Prozent. Das
geht aus der Analyse hervor, die das Landeswahlamt und das Statistikamt Nord am
Dienstag vorstellten. [….] Das zeigt
sich auch an den Ergebnissen der Parteien in diesen Stadtteilen, und hier
besonders bei CDU, FDP und Linkspartei. So holte die CDU in den
"besseren" Stadtteilen im Schnitt 18,2 bis 21,1 Prozent und damit
deutlich mehr Stimmen als die 15,9 Prozent in Gesamt-Hamburg. [….] Noch krasser ist es bei der FDP: Sie holte
in den Stadtteilen mit hohen Einkommen und wenig Hartz-IV-Empfängern im Schnitt
13,8 Prozent, in den "armen" Gegenden aber nur 4,4 Prozent – und
untermauerte damit ihren Ruf als "Partei der Besserverdiener". Nimmt
man alle Faktoren zusammen, bedeutet das: Wäre die Wahlbeteiligung in den
ärmeren Gegenden Hamburgs so hoch wie in den reicheren, hätte die FDP den Einzug
in die Bürgerschaft wohl verpasst, und die CDU hätte noch schlechter
abgeschnitten.
Ganz anders ist es bei
der Linkspartei: Sie holte in den besser situierten Gegenden nur 4,7 Prozent,
aber dort, wo viele Geringverdiener und Leistungsempfänger wohnen, kommt sie
auf durchschnittlich 13,8 Prozent – satte 3,8 Prozent mehr als 2011. [….] SPD und Grüne können hingegen von sich behaupten, in allen Teilen der
Stadt etwa gleich stark zu sein. Die Sozialdemokraten waren in ihren
klassischen Milieus mit durchschnittlich 45,4Prozent nur leicht stärker als in
den "besseren" Gegenden mit 43,4 Prozent. [….]
Ungültige Stimmen: Der
Anteil ungültiger Stimmzettel lag wie 2011 bei 3,0 Prozent, während er bis 2008
stets bei rund 1,0 Prozent gelegen hatte. Landeswahlleiter Willi Beiß sagte,
dass 2011 das relativ komplizierte Wahlrecht, das es den Wählern ermöglicht,
bis zu zehn Stimmen in zwei Heften zu vergeben, für etwa zwei Prozent der
ungültigen Zettel verantwortlich war. [….]
Scholz-Effekt: Vor allem SPD-Wähler haben
die Möglichkeit genutzt, auf der Landesliste der Parteien direkt einen
Kandidaten zu wählen. Von gut 1,6 Millionen Stimmen, die die SPD hier erhielt,
gingen 929.000 oder 57,8 Prozent direkt an Personen. Davon wiederum erhielt
allein Bürgermeister Olaf Scholz als Spitzenkandidat unglaubliche 735.737
Stimmen – damit wurden fast 21 Prozent aller 3,5 Millionen Kreuze direkt bei
dem Namen "Olaf Scholz" gemacht. Das ist noch mehr als 2011, als
Scholz 622.000 Personenstimmen bekommen hatte. Zum Vergleich: Sein
Herausforderer Dietrich Wersich von der CDU kam auf 134.584 Direktstimmen.
[….]
Stadtteile: In Billbrook war die
Wahlbeteiligung mit 26,3 Prozent am niedrigsten, gleichzeitig holte die AfD
hier mit 13,3 Prozent ihr bestes Ergebnis und die Grünen (4,1) ihr
schlechtestes. In Nienstedten dagegen war die Wahlbeteiligung mit 75,6 Prozent
am höchsten, außerdem errang die FDP hier ihr bestes Resultat und wurde mit
22,9 Prozent sogar zweitstärkste Kraft hinter der SPD (36,1) und noch vor der
CDU (20,0).
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