Samstag, 14. Februar 2015

Fragen vor der möglichen Waffenruhe


Ausnahmsweise schließe ich mich Frau Merkel an: Die Chancen, daß in einer Stunde ein endgültiger Friede in der Ukraine eintritt, sehe ich ebenfalls an minimal an.

Das scheitert schon daran, daß niemand existiert, der das mit seinem bloßen Willen oder per Befehl durchdrücken könnte; die Lage ist unübersichtlich.
Selbst wenn Kiew und Moskau es ernst meinen und Waffenstillstand anordnen, muß das nicht funktionieren, da nicht jeder auf sie hört.

Dazu könnten auf Seiten der Separatisten jene Freischärler und Kosaken-Milizen gehören, die sich den Führungen der „Donezker und Luhansker Volksrepubliken DNR und LNR“ nicht unterwerfen. Auf ukrainischer Seite sind zwar mittlerweile große Teile der Freiwilligenbataillone in die Armeestrukturen eingebunden und Kämpfer, die sich dem Befehl des Generalstabs nicht unterstellen wollten, nach Angaben des Verteidigungsministeriums entwaffnet. Aber zum Beispiel beim Pravij Sektor, einer rechtsnationalen Truppe, dürfte die Bereitschaft, Kompromisse zugunsten der Separatisten einzugehen, sehr gering sein.

Immerhin hat Frau Merkel während sie in der letzten Woche zwischen Minsk, Moskau und Kiew mäanderte offensichtlich verstanden, wie komplex die Lage ist, wie viele Interessenten ihr Süppchen kochen.

Ich staune immer noch, daß überhaupt in Nordosteuropa, Berlin und insbesondere Washington simplifiziert-naiv gedacht wurde, Putin müsse nur einen Knopf drücken und alles wäre OK. Und Putin bekäme man dazu diesen Knopf zu drücken, indem man mit Sanktionen die russische Ökonomie ruiniere.

Insofern hat Jakob Augstein Recht, der Merkels Einsatz für Frieden in der Ostukraine als „Niederlage“ darstellt.

Angela Merkel ist in der Ukraine gescheitert. Sie konnte weder Amerikaner noch Russen dazu bringen, von ihrer Beute zu lassen. Zurück bleibt ein geteiltes Land.

Merkel ist bald zehn Jahre Kanzlerin und sah teilnahmslos zu, wie die NATO Russland immer mehr reizte. Das konnte nicht gut gehen.

Recht haben aber auch diejenigen, die wie der Linken-Fraktionschef jetzt Merkel für ihren jüngsten Einsatz loben.

„Angela Merkel und François Hollande haben letztlich die Initiative ergriffen und zu einem ersten Erfolg beigetragen. Dafür gebührt ihnen Anerkennung.“
(Gregor Gysi 12.02.2015)

Was auch immer für Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden und gegenwärtig noch gemacht werden, wie winzig auch die Chancen auf dauerhaften Frieden sein mögen – JEDER, der sich um ein Schweigen der Waffen bemüht und wenigstens versucht zu erreichen, daß nicht weiterhin Menschen getötet werden, ist zu loben.

Es gilt auch hier das berühmte Willy-Brandt-Wort:

Frieden ist nicht alles – aber ohne Frieden ist alles nichts.

Also auch von mir heute ein Lob für Merkel; immerhin versucht sie noch etwas, um das Schießen zu beenden.

Meine ganze Verachtung gilt den Nörglern in Amerika, die ihren Drang das Problem weiter zu militärisieren kaum kontrollieren können. Für sie zählen keine Menschenleben, sondern nur ihr Hass auf Putin, den sie unbedingt treffen wollen.

Der Friedensnobelpreisträger Obama sitzt zaudernd und zögernd in Washington, trägt rein gar nichts zu den ohnehin schwachen und wackeligen Friedensbemühungen bei und läßt zu, daß man noch Hollande und Merkel in Knüppel in die Beine wirft. Ja, natürlich sind Zweifel angebracht, aber was für ein Bild bietet „der Westen“, wenn kurz nach mühsamsten Verhandlungen die eigenen engsten Partner gleich abwinken und ungeniert die Sinnlosigkeit des Minsker Abkommens herausposaunen? Wer solche Verbündete wie die US-GOPer-Senatoren hat, braucht keine Feinde mehr.
Ekelhaft.

Noch ist die Vereinbarung zu frisch, als dass sich die Kritiker schon zu Wort gemeldet hätten. Aber wenn die Medien zum Maßstab genommen werden können, dann wird das Waffenstillstandsabkommen von Minsk in den USA mit einiger Skepsis aufgenommen werden – gelinde gesagt. Allein die Tatsache, dass die Beratungen der vier Staatschefs sich über 16 Stunden hingezogen hätten und die Ergebnisse dann bei drei separaten Pressekonferenzen vorgestellt worden seien, lasse auf „ein gewisses Fehlen von Einigkeit“ schließen, schreibt die New York Times. [….]
Schon vor Bekanntwerden des Minsker Verhandlungserfolgs hatte die Russland-Expertin Fiona Hill von der Denkfabrik Brookings Institution der US-Presse gesagt, jeder neue Waffenstillstand müsse wohl als „temporär“ betrachtet werden. Der russische Präsident Wladimir Putin wechsle ständig zwischen diplomatischen und militärischen Methoden, je nachdem, was ihm gerade mehr nutze. Seine Ziele halte er bewusst verborgen, der Westen tappe im Dunklen.
[….] im letzten Satz [von Obamas Erklärung] Erklärung ist zu erkennen, wie groß die Zweifel am Wert der Vereinbarung auch im Weißen Haus sind: Die Eskalation der Kämpfe an diesem Donnerstag passe nun gar nicht zum Geist der Vereinbarung, heißt es da. [….] Abgeordnete beider Parteien hatten in den vergangenen Wochen immer lauter die Aufrüstung der Ukraine gegen die von Russland unterstützten Rebellen gefordert und die westliche Zurückhaltung zuletzt mit der fatalen Appeasement-Politik gegenüber Hitler verglichen.
Derart unter Druck hatte Präsident Obama Waffenlieferungen am Montag nicht mehr ausschließen wollen; er habe seine Leute beauftragt, für den Fall des Scheiterns der Diplomatie sämtliche Optionen zu prüfen, auch die von Waffenlieferungen. [….]
(David Hesse, SZ vom 13.02.2015)

Zum Schluss ein Wort über die Rolle der deutschen Presse, die ja schon viel verbockt hat mit ihrer einseitigen Parteinahme für die Ukraine und schwere Verbrechen wider die Menschenrechte durch Kiew nur zögerlich berichtet.

Heute nun lese ich in mehreren Zeitungen seitenlange Berichte über die ungeheuerliche Arbeitsbelastung Merkels. Jeden Tag im Flieger und dazu Marathonverhandlungen überall.
Die arme Kanzlerin – ruiniert sie womöglich ihre Gesundheit für Deutschland?

Merkels unglaubliches Marathon-Programm
Berlin, Washington, Moskau, Minsk, Brüssel: Die Kanzlerin hat eine extreme Woche hinter sich. Und auf die schlaflose Nacht in Weißrussland folgt gleich der EU-Gipfel. Wie schafft sie das eigentlich?
Siebzehn Stunden hatte Angela Merkel (CDU) im weißrussischen Minsk mit Françoise Hollande, Wladimir Putin und Petro Poroschenko verhandelt. Anschließend flog sie nach Brüssel, wo sich ein informeller EU-Rat traf, also die nächsten, langen Verhandlungen begannen.
Obwohl Merkel nun schon neun Jahre Kanzlerin ist und in dieser Zeit, etwa bei der Euro-Rettung, zahlreiche dramatische und lange Nachtsitzungen absolvierte, taucht immer wieder die Frage auf: Wie schafft die Kanzlerin das eigentlich?
(Die Welt 12.02.15)

Mit einer Doppelseite bejubelt die MoPo „die eiserne Kanzlerin“

Der gleiche Text steht auch im Kölner Express.

[….] Die eiserne Kanzlerin
Es geht für Angela Merkel von Krisengipfel zu Krisengipfel
[….] Mir geht’s nicht schlecht, also ich bin konzentriert, und die Woche ist auch noch gar nicht zu Ende, morgen ist ja auch noch ein Arbeitstag“, hatte Angela Merkel (60) in der Nacht zuvor in Brüssel gesagt.
Die Ringe unter ihren Augen waren nicht zu übersehen, was ja allein wegen der neunstündigen Verhandlungen über die Griechenland-Krise kein Wunder ist. Mehr noch: Da hatte Merkel bereits sieben stressige Tage hinter sich, die selbst für sie einmalig waren.
„Angela Merkels Leistung nötigt mir hohen Respekt ab“, so SPD-Fraktions-Vize Rolf Mützenich (55). Lob gab es quer durch die deutsche Parteienlandschaft. Die Kanzlerin sei bei den Reisen und Verhandlungen „bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit gegangen“.
Kiew-Berlin-Moskau-München-Berlin-Washington-Ottawa-Berlin-Minsk-Brüssel-Berlin – was für eine Woche! Fast 25000 Kilometer, knapp 40 Stunden in der Luft, mehr als einmal um die halbe Welt. Von Obama bis Putin, von Kanada bis Astro Alex, von Poroschenko bis zur „Übergabe des Valentinsgrußes durch den Zentralverband Gartenbau“ nach der Kabinettssitzung.
Gelegenheit zum Schlaf gab es in diesen Tagen kaum. An Bord der „Konrad Adenauer“, einer von zwei großen Regierungsmaschinen, ist zwar für sie ein Bett bereitet. Doch auch dorthin zog es Merkel in den letzten Tagen nur für kurze Zeit.
[….] Vor öffentlichen Auftritten sorgt Visagistin Petra Keller (54) für das richtige Make-up. Normalerweise versucht die Regierungschefin, sich an den Wochenenden Freiräume zu schaffen, um in ihre Datsche in der Uckermark zu fahren. [….]
Weltweit wird sie vor allem für den Minsker Gipfel gelobt. Emanuelis Zingelis (57), Mitglied des litauischen Parlaments, will sie für den Friedensnobelpreis vorschlagen.

Zunächst einmal: Hahahaha Zingelis, der exzessivsten Waffenexporteurin der deutschen Geschichte, die jedes Krisengebiet mit deutschem Tötungsknowhow versorgt und für die MARE NOSTRUM-Einstellung verantwortlich zeigt, so daß jedes Jahr tausende vor europäischen Küsten krepieren, soll den Friedensnobelpreis bekommen??

Aber was sind das für lächerliche Nebensächlichkeiten, aus denen die Presse hier rumreitet?
Ich habe mich stets dafür eingesetzt, daß die Regierungsmitglieder einer der größten Industrienationen des Planeten selbstverständlich funktionierende Logistik-Struktur zur Verfügung haben müssen.
Sie brauchen moderne Flugzeuge, die schnell genug sind, lange Strecken bewältigen, technisch so ausgestattet sind, daß man vor Bord aus regieren kann und JA, verdammt noch mal, ein Kanzler muß auch die Gelegenheit haben sich im Flugzeug hinlegen zu können, sich zurück zu ziehen und frisch zu machen.
Ein Kanzler ist immer im Amt und soll schon aus Sicherheitsgründen die Flugbereitschaft und Kanzlerlimousine benutzen dürfen, so viel er/sie lustig ist.
Den Job übernimmt man nicht, damit man umsonst fliegen kann. Es ist ein absurder Ausdruck von teutonischer Extrem-Krämerseele, wenn man meint ein deutscher Minister soll sparsamer und weniger fliegen, als die Kollegen aus Frankreich oder Russland. Sie müssen bei Krisen immer und überall einsatzbereit sein. (Ich rede wohlgemerkt von der Regierung! Damit ist nicht gemeint, daß alle 700 Bundestagshinterbänkler auf Steuerzahlenkosten beliebig Dienstreisen in exotische Länder machen sollen.)
Das ist das eine.

Daß aber grundsätzlich ein Kanzler oder ein Außenminister viel im Jet sitzt, von Termin zu Termin hetzt, ständig mit Jetlags, Übermüdung und Doppelbelastung zu tun hat, liegt in der Natur der Sache. Dafür ist er gewählt.
Das ist kein 9-to-5-Job, bei dem man nebenbei reichlich Zeit für Hobbys und Familie hat.
Das weiß jeder, der sich die Herlinde Koelbl-Bilderserien über die Veränderungen im Gesicht bei Toppolitikern angesehen hat. Der Job ist hart, macht oftmals krank und lässt frühzeitig altern. Wer keine stabile physische Konstitution hat, kann das nicht machen. Simple as that.
Merkel weiß das seit einer Dekade aus erster Hand und beklagt sich meines Wissens auch nicht.

Abgesehen davon geht es den anderen Regierungschefs ganz genauso. François Hollande saß genauso viel im Flugzeug und hat mit Sicherheit auch nicht mehr geschlafen.

Wieso sich nun deutsche Journalisten selbst in Hofberichterstatter retardieren und beklagen wie wenig Merkel schlafen kann, entzieht sich meinem Verständnis.


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