Es ging
um den „Bullshit 9.0“, der eine ganz neue Form der Großlüge darstellt.
In Zeiten von Donald
Trump und Boris Johnson ist ein neues Kommunikationsmuster auf dem Vormarsch:
der Bullshit 9.0. Dass dieser so erfolgreich ist, liegt auch am Internet - und
am Publikum.
[….]
Ein 1986 erschienener Aufsatz wurde als
Büchlein 2005 ein internationaler Bestseller: "On Bullshit" von Harry
G. Frankfurt. Elf Jahre nach dem Zweiterscheinen bräuchte es eine erweiterte,
komplett überarbeitete Neufassung. Denn die Welt wird geflutet von der neuen,
vergiftenden Form des Bullshit - toxic bullshit, Bullshit 9.0.
Frankfurts Bullshit
bezog sich auf eine "Indifferenz gegenüber der Realität",
Kommunikation als Füllschaum ohne Bezug zur Wahrheit (was nicht unbedingt
"Lüge" bedeutete). Der brandneue Bullshit 9.0 erklimmt die nächste
Ebene. Der fehlende Bezug zur Wahrheit wird ergänzt durch die Abwesenheit jeder
Konsistenz und, wenn notwendig, verquirlt mit Selbstrelativierung.
Lügner,
die sich selbst ungeniert widersprechen und zudem auch noch so willkürlich
lügen, daß ihr Gerede ohnehin
unglaubwürdig und absurd klingt, können heute US-Präsident werden.
Es ist
beeindruckend, daß ein Lügner wie Trump sich nicht wenigstens
auf ein, zwei falsche Zahlen festlegt, sondern frei oszillierend jede beliebige
Zahl raushaut.
Mit jemandem, der so
etwas ernsthaft sagt, ist keine Diskussion möglich. Es fehlt das Fundament der
Kommunikation: Konsistenz. Und dass A wirklich A heißt und nicht zugleich auch
B oder auf Twitter Y oder doch Q und morgen rückwirkend Z. Das ist Absicht, denn
Bullshit 9.0 ist Bullshit plus Täuschung plus Bigotterie. Bullshit 9.0 ist
damit ein Instrument, um politische Verantwortung für die eigene Kommunikation
zu minimieren: strategische Wirkhülsen von Kommunikation.
Die so kommunizierende
Politik bekommt dabei tatkräftige Mithilfe eines Teils der redaktionellen
Medien, der ohne jede Scham dieses Kommunikationsmuster übernimmt. Politische
und mediale Lügen sind natürlich nicht neu, aber die offene, funktionale
Dreistigkeit ist es - in Verbindung mit der digital-sozialen Öffentlichkeit.
Denn die stört sich nicht daran, sondern belohnt das Verhalten noch. Das
Traurigste, Empörendste an toxischem Bullshit 9.0 ist, dass er funktioniert.
Bullshit 9.0 wirkt.
Damit ist jede Klage
in Form der Beschwerde über "die da oben" unvollständig falsch. Denn
das Publikum trägt mindestens die Hälfte der Verantwortung für den Aufstieg
dieser politischen Kommunikationsform. Das Publikum glaubt das Getöse
vielleicht nicht, aber bezieht es in den Diskurs mit ein, wenn es in den Kram
passt.
Mehr noch: Die halbe
soziale Medienwelt interessiert sich nicht für Konsistenz und sagt in einem
einzigen Satz eine Behauptung und ihr Gegenteil: "Ich habe nichts gegen
Ausländer, aber sie müssen raus." Die "Washington Post" schrieb
von einer "post-fact world", einer nicht mehr tatsachenbasierten
Weltsicht.
Innerhalb
von Stunden nach dem Referendum haben sie ihre drei zentralen Brexit-Argumente
kassiert.
Was
schert mich mein dummes Geschwätz von gestern?
[….]
Noch deutlicher wird die Kehrtwende bei
führenden Politikern der "Leave"-Kampagne. Im Wahlkampf verbreiteten
sie Lügen über die EU und falsche Versprechen über eine glorreiche Zukunft nach
dem Brexit. Nicht einmal eine Woche später haben sie wichtige Punkte ihrer
Kampagne bereits kassiert. Die Slogans der Umfaller im Überblick.
Vor
dem Referendum:
"Wir schicken 350
Millionen Pfund pro Woche nach Brüssel. Lasst uns das Geld lieber für unser
Gesundheitssystem nutzen."
Jetzt:
"Diese Aussage
war ein Fehler der 'Leave'-Kampagne." (Nigel Farage, Ukip-Parteichef)
[….][….]
Vor
dem Referendum:
"Lasst uns wieder
die Kontrolle über unsere Grenzen übernehmen"
Jetzt:
"Wir haben nie
versprochen, dass wir die Einwanderung radikal reduzieren." (Daniel
Hannan, Europaabgeordneter der Konservativen)
Die just
mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandles wohlverdient ausgezeichnete Carolin Emcke schreibt allerdings, auch
Trumps Megalügen hätten eine Grenze.
Es gäbe
eine Sache, die selbst seine fanatischen Fans nicht verzeihten.
Und das
sind Zweifel an seiner eigenen Großartigkeit.
Bisher
hatte Trump nämlich nur einen Programmpunkt: Ihn selbst. Er sei der Klügste,
Beste, Schönste und Reichste. Daher stehe er auch über der Realität, zumal er
auch noch den größten Penis habe!
Hat er
aber womöglich doch nicht so viel Geld wie er immer behauptet?
Das wäre
doch ein Scheidungsgrund für viele seiner Anhänger, mutmaßt Emcke.
[….]
Es ist diese Abwandlung des
Gründungsmythos, an die der Präsidentschaftskandidat Donald Trump in seinem
Wahlkampf bislang hemmungslos appelliert hat: Erfolg dem Erfolgreichen. Die wesentliche
Qualifikation, die Trump an Trump zu preisen hatte, war seine ökonomische
Potenz. Und das schien zu reichen. Seit Anfang dieser Woche hat das
One-trick-Pony, das in der kapitalistischen Manege nur das Kunststück des
eigenen Reichtums aufzuführen wusste, allerdings ein Problem: Der "Federal
Election Commission Report" veröffentlichte die Zahlen der Wahlkampf-Etats
der beiden Präsidentschaftskandidaten, und demnach verfügte die Kampagne des
Multimilliardärs Trump Ende Mai nur noch über schlappe 1,3 Million Dollar (im
Vergleich zu Hillary Clintons Etat, der stolze 42 Millionen Dollar aufwies).
"Ich verstehe von Geld mehr als jeder andere", suchte Trump in seiner
gewohnt bescheidenen Art die Fragen nach dem finanziellen Debakel abzuwehren.
Aber der Bericht der Kommission lässt daran mächtig Zweifel aufkommen. Denn
offensichtlich sammelt Donald Trump nicht nur bemerkenswert wenig Spendengelder
(lediglich 3,1 Millionen Dollar im vergangenen Mai), vor allem aber gibt er
mehr aus (nämlich 6,7 Millionen). 2,2 Millionen Dollar lieh die Privatperson
Trump zudem dem Kandidaten Trump.
[….]
Dem Präsidentschaftskandidaten wurde bislang
nahezu alles verziehen: sein grobschlächtiger Machismo, sein unverblümter
Rassismus, sein ausgeprägter Stolz auf seine Unbildung, ja eigentlich auf
alles, wofür andere sich schämen würden. Nur, dass der Finanzmogul Trump
womöglich seinen Wahlkampf in die Pleite führt, das dürfte der ihm bislang
gewogene Teil der amerikanischen Gesellschaft für absolut unverzeihlich halten.Vermutlich noch unverzeihlicher dürfte es
seine Wählerklientel finden, dass Trump nun auch noch zu jammern begann und die
Republikanische Partei aufforderte, ihn zu unterstützen. Er könne nicht alles
allein leisten, sondern brauche auch die Hilfe der Republikaner. Trump scheint
vergessen zu haben, dass dies die Kehrseite der großen Erzählung des American
Dream ist, die immer nur das Individuum als historische Figur erkennen und
belohnen will: Wer scheitert, ist dafür immer allein verantwortlich. [….]
Derjenige,
der immer prahlt so unfassbar reich zu sein, muß nun um Spenden betteln, wie
gewöhnliche Kandidaten auch. Und das tut er auch noch mit besonders wenig
Erfolg. Die üblichen GOP-Milliardäre halten ihre Portemonnaies zu.
Nun
mußte der presumptive candidate sogar schon illegal im Ausland um Geld betteln.
America
second?
[….]
Neuer Ärger für Donald Trump: Der
republikanische Präsidentschaftsanwärter wurde angeschwärzt, weil er
Abgeordnete im Ausland um Geld anbettelte. Im US-Wahlkampf ist das verboten.
"Bitte steuern
Sie etwas bei, damit mein Vater Präsident der Vereinigten Staaten werden
kann": Diese Botschaft soll Donald Trump Jr., Sohn des voraussichtlichen
Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner, an Parlamentarier in
Großbritannien, Australien und Island versandt haben. Das Problem: Trump darf
für seinen Wahlkampf in den USA gar keine Spenden von ausländischen Politikern
einsammeln.
Zwei Bürgerrechtsgruppen
haben die staatliche Wahlkommission auf die versandten E-Mails aufmerksam
gemacht. Das Anschreiben, das von der offiziellen Kampagne Trumps verschickt
wurde, machte nun die schottische Abgeordnete Natalie McGarry öffentlich. Sie
lehnte die Aufforderung übrigens entrüstet ab.
Der Blog "Fresh
Intelligence" des "New York Magazine" kommentierte den
Zwischenfall: "Wenn wir Ihnen erklären müssen, warum es für
Präsidentschaftskandidaten verboten ist, ausländische Politiker um Spenden für
den Wahlkampf zu bitten, sind Sie wahrscheinlich Donald Trump."Längst ist kein Geheimnis mehr, dass Trumps
Kampagne in finanziellen Schwierigkeiten steckt. Dabei hatte er selbst immer
wieder stolz darauf verwiesen, dass er seine Kandidatur mehr oder weniger
selbst finanziere. Er machte das "Self-Funding" zu seinem
Markenzeichen, auch um seine vermeintliche Unabhängigkeit von Lobbyinteressen
zu unterstreichen. [….]
Die
Erkenntnis habe ich zwar auch schon vor ein paar Jahren gewonnen, aber für mich
als Geront ist es immer noch vergleichsweise neu und verblüffend, daß Teenager
von heute gar keinen Fernseher mehr brauchen.
Die
kennen auch gar keine Fernsehzeitschriften, die für die drei Generationen
vorher mit größter Selbstverständlichkeit in jedem Haushalt lagen.
Daß man
Serien oder Filme nur nach festgesetzten Anfangszeiten nur im heimischen
Wohnzimmer ansehen kann, empfinden die im 21. Jahrhundert Geborenen als absurd.
Genauso absurd wie die Notwendigkeit jeden Tag zu Zeitungskiosk zu gehen, um
sich eine auf Papier gedruckte Zeitung zu kaufen, oder gar ein sündhaft teures
Print-Abonnement anzuschaffen.
Sie
kaufen auch keine CDs mehr, geschweige denn Langspielplatten.
Man
bekommt ja alles quasi kostenlos im Internet downgeloaded/gestreamt.
Diese
Umsonst-Mentalität ist vielen Jugendlichen so in Fleisch und Blut übergegangen,
daß ihnen die Frage womit ein Musiker eigentlich seinen Lebensunterhalt
bestreiten soll, gar nicht in den Sinn kommt.
Dabei
sind doch die Konsequenzen offensichtlich: Wenn man mit Musik nichts mehr
verdient, wenn sich musikalische Qualität nicht mehr bezahlt macht, muß man
eben Spektakel veranstalten, aberwitzige Bühnenshows veranstalten, damit auch
ein Popleichtgewicht wie Justin Bieber 300 Euro für ein Konzertticket verlangen
kann.
Merchandising
ist der Ausweg.
Ist es
schon so weit, daß ich mich altersbedingt in Kulturpessimismus ergehen muß,
weil die Generationen nach mir ihr Geld für Voting-Anrufe bei RTL ausgeben, um
gecastete Retorten-Sternchen zu unterstützen, statt ein Gefühl für richtig gute
Musiker zu entwickeln?
Jein.
Die schöne neue Internet-Medienwelt hat auch Vorteile.
Die Interessen
werden internationaler, man kommuniziert mehr und das Internet nivelliert.
Während
über Generationen nur die Reichen und Schönen der Highschool beliebt waren und die
Kinder ohne Markenklamotten eine demütigende Schulzeit erlebten, kann jetzt
jeder mit seinem Twitter-Account, Instagram-Profil oder Youtube-Channel selbst
bekannt und bedeutend werden. Die Außenseiter, die Dicken, die Schwulen und die
Merkwürdigen müssen nicht mehr einsam leiden, weil sie an ihrer Schule keine
Gleichgesinnten finden.
Aus der
Socialmedia-Trickkiste lassen sich für jeden noch so bizarr aussehenden Topf
die passenden Deckel fischen.
Die
einzige Lesbe an der Dorfschule? Kein Problem; mit einem Klugtelefon findet
man beliebig viele Mädchen in der gleichen Situation.
Hunderte
„Youtuber“ sind inzwischen so Klick-stark, daß die davon leben können, von der
Werbeindustrie hofiert werden.
Da sie
naturgemäß vernetzt sind, ticken sie viel liberaler und vorurteilsfreier als
die Jugendgenerationen vor ihnen.
Ich bin
überzeugt davon, daß der enorme gesellschaftliche Umschwung Amerikas in der
LGBTI-Akzeptanz mit den vielen homofreundlichen Youtube-Helden zu tun hat, die
ganz selbstverständlich täglich zig Millionen von Followern begegnen.
Nach
meinem Kenntnisstand (als Geront mag ich mich da irren) sind unter den
international erfolgreichsten „Youtubern“ überproportional viele Briten.
Diese
haben den Vorteil der englischen Muttersprache. Im Gegensatz zu Amerikanern
denken sie als Europäer aber a priori internationaler, sind reisefreudiger und
kulturell offener, so daß sie sich weltweit Anhänger einsammeln können.
Die
Zahlen ihrer Kanal-Abonnenten sind so gewaltig, daß jeder Fernsehmacher, der
auf Einschaltquoten achten muß, vor Neid erblasst.
Die nette kleine „Zoella“ aus Brighton,
bürgerlich Zoe Sugg, *1990, hat fast elf Millionen Abonnenten, die ihren
Schmink- und Modetipps lauschen.
Das sind
jeweils nur ihre Haupt-Youtube-Kanäle. Daneben betreiben sie noch Vloging-,
Gaming-, Prank- und sonstige Kanäle, die es auch jeweils auf siebenstelligen
Abo-Zahlen bringen.
Alfies
beste Kumpel sind natürlich auch alles britische Youtuber: Marcus Butler mit 4,5 Millionen Followern, Jim Chapman (2,6 Mio), Oli White (2,4 Mio) und Joe Weller (3,5 Mio).
Jim
Chapmans Frau ist Tanya Burr,
der 3,5 Millionen Fans folgen.
Wayne Goss
begeistert 3,5 Millionen Anhänger mit Make-Up-Tutorials; der 23-Jährige Conor Maynard, ebenfalls aus Brighton singt
gern auf Youtube; vor 2,3 Millionen Fans.
Die Liste
ließe sich lange fortsetzen. Ihre Marktmacht ist gewaltig; ich habe jeweils nur
die Abonnentenzahl ihres wichtigsten Kanals genannt.
All
diesen jungen Twens aus Südengland ist gemeinsam, daß sie viel reisen und viele
andere Youtuber kennen. Gerne machen sie ihre Späße in Kooperationen –
crosspromotion. Es bleibt immer harmlos, oberflächlich, lustig.
Zoe,
Alfi, Marcus, Joe und Caspar und wie sie alle heißen haben aber weitere
Gemeinsamkeiten. Sie sind alle nett, gutaussehend, ecken nicht an, haben
makellose Haut, immer gute Laune, Model-Figuren.
Sie sind
allesamt Traumschwiegersöhne und Traumschwiegertöchter.
Kreativ,
schön und fröhlich.
Genauso
wünschen sich wohl die meisten zu sein.
Insbesondere
bei ihren amerikanischen Youtuber-Kollegen, die man natürlich auch ständig
besucht, um ihre Abonnenten hinzu zu gewinnen, gab es in den letzten Jahren
eine große Outing-Welle.
Shane Dawson,
7,2 Millionen Follower, Joey
Graceffa mit 6,3 Mio Anhängern, Ingrid
Nilsen mit 4 Millionen, Connor
Frantamit seinen 5,6 Millionen Freunden und natürlich der
ewig kichernde Spaßvogel Tyler
Oakley mit sagenhaften 8,1 Millionen Fans sind alle schwul,
bzw lesbisch oder bi.
Die
Jugendlichen von heute konnten diese Outings alle tränenreich miterleben und
insbesondere lernen, daß die anderen Youtuber (natürlich auch alle Britischen)
die schwulen und lesbischen Kollegen nun sogar noch mehr mochten, gar
nicht mehr aufhören konnten sie zu herzen und küssen.
Das
prägt womöglich eine Generation. LGBTI ist normal geworden und tatsächlich ist
es ja auch normal LGBTI zu sein.
Dank der
Youtuber gibt es eine massive gesellschaftliche Veränderung in diesen Fragen.
Rassismus,
Misogynie und Homophobie haben da keine Chance mehr.
Warum
sind dann aber die britischen Jugendlichen so doof und lassen den Brexit
geschehen?
Die
Jugend-Ikone Lili Allen fasste es am Abend des 23.06.2016 mit ihrem inzwischen
weltberühmten Tweet zusammen:
„Well
millennials. We're really really fucked.“
Statt
sich a posteriori selbst zu beweinen hätte es allerdings eine Alternative
gegeben:
Wählen gehen!
Bei
den 18- bis 24-Jährigen lag die Wahlbeteiligung bei knapp über einem Drittel,
während die über 65-Jährigen mit 83%-Beteiligung abstimmten.
Die
Jungen haben die Zukunft verpennt, weil sie zu phlegmatisch waren, um sich zu
den Wahlurnen zu schleppen.
Ich habe
mir die Mühe gemacht die Themen aller Videos der genannten britischen Youtuber
der letzten zwei Monate anzusehen:
Kein einziger erwähnte das Brexit-Referendum.
Weit
schlimmer: Es gab überhaupt keine politischen Informationen, keinerlei
Problembewußtsein.
Kriege,
Terroranschläge, Umweltzerstörung, Flüchtlingsströme, TTIP, Ceta, Erdogan oder
Syrien kommen in der schönen hygienischen Pastellwelt der Youtuber
grundsätzlich nicht vor.
Es gibt
bei ihnen keine wirtschaftliche Ungerechtigkeit, keine Krankheit, keine Diskriminierung.
Keine Parteien, keinen Rechtsradikalismus, keine EU, keinenIS.
Wir
kennen das aus Deutschland. Hier korreliert die Wahlbeteiligung mit dem
Portemonnaie.
Je
reicher, desto mehr gehen die Menschen wählen.
Die Blankeneser
und Bogenhausener gehen fast alle zur Wahl, während die HartzIVler in den
Problemvierteln am Wahlsonntag träge zu Hause bleiben und sich, dumm wie sie
sind, anschließend wundern, daß wieder die CDU gewonnen hat und Politik für die
Reichen gemacht wird.
Der
demokratische Parlamentarismus ist in der Theorie die bestmögliche Staatsform.
In der Praxis scheitert er aber an der Apathie der Bürger, die enorm viel Zeit
für Heidi Klums Top-Modelshow und Dieter Bohlens Castingwahn investieren,
aber zu dröge sind eine Tageszeitung oder gar ein Wahlprogramm zu lesen.
Erst
Engagieren und Informieren, anschließend wählen.
Nur so
kann unsere Gesellschaft besser werden.
Das
dachte ich zumindest bis März 2016, als plötzlich die Wahlbeteiligung hoch
ging, aber davon nur die AfD profitierte.
Ähnlich
wie Trump hatten die braunen AfD-Eumel eine bisher politikferne Minder-IQ-Klasse
an die Wahlurnen geholt, die zwar keine Ahnung, davon aber reichlich, hatte.
Informationen
aus der eigenen inzestuösen Facebookblase, von dubiosen rechtsextremen Blogs
und Hetzportalen wie „JF“, „PI“, „Kopp“, „Compac“ oder „DWN“ darf man natürlich
nur dann konsumieren, wenn man durch viele seriöse Informationen so gefestigt
ist, daß man Unsinn auch zweifelsfrei als Unsinn erkennt.
Demokratie
kann nur funktionieren, wenn die demokratischen Wähler über eine
Mindestqualifikation verfügen, anderenfalls müßten sie von der Stimmenabgabe
ausgeschlossen werden.
Unglücklicherweise
ist es aber auch ein demokratisches Prinzip, daß eben nicht bestimmte Menschen
von der demokratischen Partizipation ausgeschlossen werden.
Jeder hat eine Stimme und jede Stimme ist gleich viel wert.
Susanne
Klatten mit ihrem 17-Milliardenvermögen und ihren Konzernen hat bei einer
demokratischen Abstimmung genauso viel zu sagen, wie die aufstockende
Lidl-Kassiererin mit den fettigen Haaren.
Für
einen funktionierenden Parlamentarismus müßte man also Millionen Menschen aus
einem System ausschließen, welches sich dadurch definiert, daß niemand
ausgeschlossen werden darf.
Kein
Wunder, daß bei diesem paradoxen Ansatz das Chaos systemimmanent ist.
Und so
darf der Profi-Politbeobachter mit einem Lehrstuhl an einer deutschen
Exzellenz-Universität genauso viel zum Bundestag beitragen, wie die vernagelten
Verschwörungstheoretiker, die sich intensiv mit der Satanischen Unterwanderung Deutschlands
durch Bar-Strichcodes beschäftige.
Unfuckingfassbar,
daß die Strichcode-Spinner inzwischen so eine Verbrauchermacht darstellen, daß
immer mehr Hersteller einen „Querbalken“ aufdrucken.
„Manche Menschen haben
Sorge, Barcodes könnten Energien bündeln und würden damit die Qualität von
Nahrungsmitteln beeinflussen. Eine Wirkung, die sich deren Meinung nach durch
einen Querstrich im Barcode neutralisieren lässt. Beides ist bisher
wissenschaftlich nicht hinreichend belegt, weshalb wir dieser Theorie neutral
gegenüberstehen“, erklärte die Brauerei. „Da es für uns und den Handel aber
keinen Unterschied macht, ob wir unsere Barcodes mit einem Querstrich versehen
oder nicht, kommen wir diesem speziellen Kundenwunsch nach.“
Die Querstriche sind
also kein Druckfehler, sondern volle Absicht. Es gibt sie auch auf manchen
Säften, einigen Tees und Mineralwässern, die in Bioläden zu finden sind.
Esoteriker bezeichnen den kuriosen Kundenservice übrigens als
"Barcode-Entstörung".
Der zahlenmäßig
gewaltigste Völkermord wird lieber immer noch nicht allzu laut erwähnt.
Vor 75
Jahren begann die bis heute euphemistisch umschriebene „Unternehmen Barbarossa“,
bei dem bis zu 25 Millionen Sowjetbürger bestialisch getötet wurden.
Bis 1995
Jan Philipp Reemtsmas „Wehrmachtsausstellung“ eine Beschäftigung mit dem Thema
erzwang, glaubte man sogar das Märchen, die Wehrmacht hätte damit gar nichts zu
tun gehabt, obwohl es a priori als klarer Vernichtungs- und Rassenkrieg geplant
war. Das überlebende slawische Volk sollte versklavt werden.
Es leben
immer noch russische Zeitzeugen des Grauens.
Wladimir
Putins älterer Bruder starb bei der deutschen Belagerung Leningrads, Putins
Mutter wäre um ein Haar verhungert, als die deutsche Heeresgruppe Nord
verbrecherisch die Großstadt so von der Versorgung abschnitt, daß mindestens
1,1 Millionen Leningrader elend verhungerten.
Es
grenzt an ein Wunder, daß Putins Mutter diesen Alptraum mehr tot als lebendig
überlebte.
Dabei
streckte er, wieder einmal, die Hand aus, warb um Versöhnung.
Es ist
eine bittere Kontinuität der Geschichte, daß Russland in den letzten 200 Jahren
immer wieder aus dem Westen mit Krieg überzogen wurde; 1812, 1914-1918,
1941-1945; nie aber selbst den Westen angriff.
Dennoch
streckte Russland immer wieder die Hand aus, wollte sich mit Westeuropa
versöhnen.
Insbesondere
Deutschland schlug dabei immer wieder die Türen zu.
Wenn wir die
deutsch-russische Geschichte betrachten, ist sie von einem Muster
gekennzeichnet: Immer wieder versuchte Russland, sich Deutschland anzunähern.
Und sehr oft hat es Zurückweisung erfahren. Schon der deutsche Kaiser Wilhelm
II., ein Vetter des Zaren, hatte kein Problem damit, den Bolschewikenführer
Lenin nach Russland zu schleusen, um dort die Revolution in Gang zu setzen. Das
war ein kaltes Interesse [um
den Krieg im Osten zu gewinnen.]
Der Frieden von Brest-Litowsk,
den die Deutschen Sowjetrussland 1917 aufzwangen, war ja für die Russen
demütigender als der Versailler Vertrag für Deutschland. 1922 wiederholte sich
das Muster bei der Konferenz in Rapallo. Die Sowjetunion widerstand dem Werben
der Westmächte und wandte sich Deutschland zu. Eine paradoxe Situation: Weil
Russland mit Deutschland ein Abkommen schloss, konnte sich die Reichswehr
heimlich in der Sowjetunion reorganisieren, sie übte dort mit Panzern und
Flugzeugen. So wurde die Grundlage für eine Wehrmacht geschaffen, die 1941 den
Vernichtungskrieg nach Russland trug. Daher müssen wir an diesem 75. Jahrestag
nachdenken: Warum weisen wir Russland immer wieder zurück?
(Gerhard Schröder, 18.06.2016)
Der
deutsche Bundeskanzler Schröder verlor seinen Vater „an der Ostfront“ bevor er
ihn kennenlernen konnte.
In den
1970er Jahren begann er sich intensiv für Russland zu interessieren und war
beschämt ob der Freundlichkeit, die ihm in der damaligen Sowjetunion widerfuhr.
Ich gehörte zu einer
Delegation der Jungsozialisten, wir reisten auf Einladung der staatlichen
Jugendorganisation Komsomol. Dabei kam es zu einer Begegnung, die ich nie
vergessen habe. Tief im Land besichtigten wir ein Kraftwerk an einem Stausee,
dort gab es eine Ausstellung über den "Großen Vaterländischen Krieg".
Der Verantwortliche, ein alter Mann, erzählte mir: Bei der Verteidigung dieses
Kraftwerks gegen die deutschen Faschisten sei sein Sohn gefallen. Und doch hege
er keinen Groll gegen die Deutschen, weil wir jetzt ja den Bundeskanzler Willy
Brandt hätten. Diese Ausstellung zeigte, was in der Bundesrepublik damals kaum
je zu sehen war: Bilder von deutschen Gräueltaten in Russland nach 1941,
Terror, Massenerschießungen. Aber zu uns sagte der alte Herr: Ihr könnt ja
nichts dafür, ihr seid jung. Und wir müssen jetzt gemeinsam dafür sorgen, dass
so ein Krieg nie wieder passiert. Das sagte einer, der in diesem Krieg ein Kind
verloren hatte.
Ja, und diese Haltung
ist mir in Russland oft begegnet. Man muss sich das vor Augen halten: 1941
überfiel Hitlerdeutschland die Sowjetunion mit dem Ziel, sie auszulöschen, ihre
Menschen zu versklaven und zu vernichten. Deutschland hat dort ein epochales
Verbrechen begangen. Und es ist ein Wunder, dass die Völker der Sowjetunion
trotzdem zur Versöhnung bereit waren. Das bewegt mich noch immer.
(Gerhard Schröder, 18.06.2016)
Es ist
nicht nur bewundernswert, sondern das einzig Richtige, daß Schröder als Kanzler
eine enge Kooperation mit Moskau anstrebte und erreichte.
Die
Achse „Paris-Berlin-Moskau“, die er während seiner Kanzlerschaft installierte,
war richtig und wichtig und effektiv.
Mit Merkels
mutwilliger Zerschlagung dieses mächtigen Trios ab 2005 begannen die Probleme
in Osteuropa.
Sie
wandte sich demonstrativ dem Doppelkriegsverbrecher George W. Bush zu und
erlaubte eine unmögliche Ukraine-Politik, in der die kulturell tief gespaltene Ex-Sowjetrepublik
vor die unmögliche Wahl gestellt wurde sich an Russland zu binden oder sich an
die EU zu assoziieren.
Eine
Handels- oder Zoll-Assoziierung Russlands bot man nicht an und strafte Moskau zu
Schröders und Clintons Entsetzen mit Nichtachtung.
Der
Kreml konnte es nicht fassen; nur durch sein Wohlwollen war es zur deutschen
Wiedervereinigung und der NATO-Ausdehnung auf Osteuropa gekommen und nun wollte
die USA die ehemaligen Sowjetländer Ukraine und Georgien auch noch in die NATO
aufnehmen, Kern-Russland also militärisch völlig einkreisen.
Ostentativ
ließen Merkel und Gauck ihren russophoben Gefühlen freien Lauf.
Gaucks
Kleingeistigkeit wird insbesondere in seiner unterschiedlichen Sicht auf
Russland und Amerika deutlich. Der deutsche Bundespräsident ist völlig in seinen
eigenen Vorurteilen gefangen und nicht in der Lage über seine kleinen
Tellerrand hinaus zu sehen. Russland ist doof und Amerika das
Freiheitsparadies. So glaubt Gauck und daran hält er ungeachtet der massiven
und extremen amerikanischen Menschenrechtsverletzungen fest.
Zu
Snowden, der NSA-Abhörerei, der massenhaft ausgeführten Todesstrafe,
Guantanamo, Monsanto-Dominanz, Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten und
illegalenDrohnenangriffen fällt Gauck
rein gar nichts ein. All das nimmt er achselzuckend hin.
Die
Amis sind in Gaucks Cortex als „gut“ abgespeichert und haben daher generellen
Persilschein.
(…..)
„Mut“
zeigt er nur auf ausgetretenen Pfaden, indem er beispielsweise gegen Russland
agitiert. Denn Russland mochte er noch nie. Aus persönlichen Gründen. Und aus
seiner Haut kann der geistige Zwerg eben nicht heraus.
Das
ist das Schlimme an „Giganten“ (Obama über Mandela) – sie zeigen uns nur allzu
deutlich was für erbärmliche Zwerge Merkel und Gauck sind.
Die Hürde ist hoch
zwischen den beiden Männern, über Jahrzehnte hat sie sich aufgebaut und wuchs
sogar noch weiter, nachdem die tatsächliche Mauer aus Stein und Stacheldraht
schon längst gefallen war. Auf der einen Seite der DDR-Bürgerrechtler Joachim
Gauck, der die Freiheit mit Leidenschaft zu seinem Lebensthema gemacht hat. Auf
der anderen Seite der frühere Top-Agent des sowjetischen Geheimdienstes KGB,
Wladimir Putin, der kühle Machtmensch. […] Gauck hat
sich entschieden, Anfang nächsten Jahres nicht zu den Olympischen Winterspielen
in die russische Schwarzmeerstadt Sotschi zu reisen. […] Gaucks Botschaft ist auch deshalb so
unmissverständlich, weil sie sich aus seiner Lebensgeschichte erklärt. Denn
spätestens seit seinem 13. Lebensjahr ist Russland, damals noch die
Sowjetunion, für Gauck eine Schicksalsmacht.
In seiner Autobiografie
beschreibt Gauck die dramatischen Umstände, unter denen sein Vater Wilhelm im
Sommer 1951 im mecklenburgischen Wustrow beim Verwandtenbesuch spurlos
verschwand. Gauck war da elf Jahre alt. Dass sein Vater vor einem sowjetischen
Militärtribunal in Schwerin unter anderem wegen "antisowjetischer
Hetze" zu einer jahrzehntelangen Freiheitsstrafe verurteilt wurde, erfuhr
der Sohn erst viel später.
[…] Das Verschwinden des Vaters, so
erzählt es Gauck in seinem Buch, prägte nicht nur das Familienleben, sondern
vor allem auch seine persönliche Haltung zum DDR-Regime und zur damaligen
Sowjetunion. "Das Schicksal unseres Vaters wurde zur Erziehungskeule. Die
Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Familie schloss auch die
kleinste Form der Fraternisierung mit dem System aus", schreibt Gauck.
[…] 1955 kam der Vater vorzeitig frei,
abgemagert und äußerst geschwächt. Als Teenager erlebte Joachim, wie sein Vater
erst langsam wieder zu Kräften kam und nach einem Jahr schließlich wieder als
Schiffslotse seine Arbeit aufnehmen konnte. Wie sehr ihn diese Zeit bis heute
noch beschäftigt, zeigte sich wieder vor einigen Wochen. Anfang Oktober
besuchte Gauck in Berlin eine Ausstellung über russische Straflager wie das, in
dem sein Vater vier Jahre zubringen musste. Als der Bundespräsident nach seinen
Empfindungen beim Gang durch die Museumssäle gefragt wurde, musste der
73-Jährige merklich schlucken. "Sie werden verstehen, dass ich diese
Ausstellung nicht wie andere erlebe", antwortete er. […]Gauck ist nach 20 Monaten als Präsident noch nicht in Russland gewesen.
[…] Im Juli, auf einer Reise durch die
baltischen Staaten, gab es wieder solche Momente: In Russland sei es noch
"ein weiter Weg bis hin zur Rechtsstaatlichkeit, die wir in Europa
wollen", sagte Gauck in Litauen. Und in Estland kam wieder die Geschichte
seines Vaters zur Sprache: Ob er denjenigen Russen verzeihen könne, die den
Vater jahrelang im Straflager interniert hätten, wurde Gauck dort gefragt. Er
antwortete, dass Hass und Buße ihm fremd seien. Verzeihen könne er aber nur
denjenigen, die sich zu ihren Taten bekannt hätten.
Was
für ein Wicht! 68 Jahre nach Kriegsende nimmt Gauck Putin immer noch persönlich
über, daß sein Vater in Gefangenschaft geriet.
Dabei
teilten das Schicksal Millionen andere auch. Und Russland ging mit den Gefangen
noch wesentlich netter um, als die Deutschen mit russischen Gefangenen. Und das
sage ich als jemand, der ein Familienmitglied hat, das zwar nachweislich noch
1955 in russischer Gefangenschaft lebte, aber nie zurückkehrte.
25
Millionen Russen wurden im zweiten Weltkrieg durch Deutsche gekillt, allein
drei Millionen sowjetische Gefangene ließ Deutschland elendig verhungern.
Und
Gauck, dessen persönliche Animositäten für sein Amt ohnehin irrelevant sein
sollten, ist sieben Dekaden später immer noch pissed.
Was
für ein unfassbar egomaischer und ungeeigneter Bundespräsident!
Gauck
und Merkel handeln nicht nur kleingeistig und schädlich, sondern auch
ahistorisch.
Sie
haben Präsident Putin mutwillig von Westeuropa weggestoßen, ihn in die
Isolation und den Nationalismus getrieben, russische Einkreisungsängste
beflügelt.
Die
vielen großherzigen Gesten des Kremls wollen Merkel und Gauck nicht sehen.
Kanzler
Schröder ist darüber nachhaltig entsetzt.
Präsident Putin hat
mich und meine Frau 2005 bei den Feierlichkeiten zum 60. Jahrestag des
Kriegsendes auf dem Roten Platz neben die Vertreter der Siegermächte platziert.
Das war eine große historische Geste. In seiner Rede hieß er ein friedliches
Deutschland willkommen. Und was geschieht jetzt? Obwohl die Nato-Russland-Akte
keine dauerhafte Stationierung von Nato-Truppen an der russischen Grenze
zulässt, sollen diese jetzt genau dort hin.
[…] Wir reden hier über 75 Jahre Ostfeldzug.
Ich halte die Beteiligung der Bundeswehr vor dem Hintergrund unserer Geschichte
für einen großen Fehler.
[…] Wir sollten jetzt darauf achten, nicht in
einen neuen Rüstungswettlauf einzusteigen. Das trägt nicht dazu bei, Konflikte
zu reduzieren und ein gutes Verhältnis mit Russland wiederherzustellen. Ich
bezweifle, dass die Nato-Verbände in Osteuropa überhaupt nötig sind. Aber von
der Nato hätte ich so viel Klugheit erwartet, nicht ausgerechnet Deutsche mit
Führungsaufgaben zu betrauen. 75 Jahre nach dem Überfall auf die Sowjetunion
sollen wieder deutsche Soldaten an der russischen Grenze stationiert werden.
Welche Wirkung muss so etwas in Russland haben? Darüber macht man sich in der
Nato anscheinend kaum Gedanken.
[…] Nur vor dem Hintergrund von 1941 lassen
sich die Einkreisungsängste Russlands verstehen, auch wenn uns diese irrational
erscheinen und die Welt sich verändert hat. Aber wenn man den Russen erklärt,
Nato-Soldaten schauten sich an ihren Grenzen nur ein wenig um und das
US-Raketensystem in Polen, Rumänien und Tschechien diente nur dazu, vor
Mittelstreckenraketen des Iran zu schützen, dann unterschätzt man die
Analysefähigkeit der russischen Seite ein bisschen, um es diplomatisch
auszudrücken.
[…][…] Die Amerikaner [hatten] vor, Georgien und die Ukraine in die Nato
zu führen, und das sind nicht nur zwei ehemalige Sowjetrepubliken, sondern
unmittelbare Nachbarn Russlands. Man muss sich vorstellen, was das bedeutet
hätte: Zum Beispiel wäre Sewastopol, das 1941 noch ein Jahr lang der deutschen
Belagerung standhielt, ein Teil des Nato-Gebietes geworden. Damals gehörte die
Krim ja noch zur Ukraine. . .
(Gerhard Schröder, 18.06.2016)
75 Jahre
nach dem Beginn des Supervernichtungsfeldzuges gegen Russland, dem ungezählte
Menschen, wahrscheinlich über 25 Millionen*, zum Opfer fielen, wollen die
deutschen Staatsspitzen lieber nicht daran erinnern.
Die Erinnerung an die
Gräuel des Rußlandfeldzugs durfte und darf man nicht Putin überlassen. Dieser
Krieg zeigt die zerstörerische Kraft, die mit Abgrenzung beginnt und im Hass
endet.
Wladimir Putin hat am
22. Juni gemacht, was man erahnen konnte. Er nutzte den 75. Jahrestag des
Überfalls von Nazi-Deutschland auf die Sowjetunion, um seiner Politik
historische Legitimation zu verschaffen. Er verglich den Angriff damals mit
einer Bedrohung Russlands durch die Nato heute. Und er erklärte, dass er sein
Land aufrüsten müsse, weil der Westen die historischen Herausforderungen nicht
erkenne. […]
Putins Auftritt zeigt,
wie falsch es ist, die Erinnerung ihm zu überlassen. Und deshalb ist es auch
falsch gewesen, dass Bundespräsident, Bundesregierung und Bundestag diesem verheerenden
Kapitel des Krieges nicht ein umfassenderes Gedenken gewidmet haben. Eine Rede
hier, eine Ausstellungseröffnung dort, eine kurze Debatte im Bundestag - das
ist zu wenig. Gedenken heißt gerade nicht, sich Putin zu ergeben. Gedenken
heißt, sich mit Empathie für die Opfer der Geschichte dieses Krieges
ausführlicher zuzuwenden.
[…] Was also wäre gewesen, wenn in einer Gedenkstunde
im Bundestag Veteranen aus all diesen Ländern von ihren Erlebnissen, Ängsten,
Schmerzen erzählt hätten? Was wäre geschehen, wenn vor dem Brandenburger Tor
auf Einladung von Joachim Gauck Persönlichkeiten aus Polen, der Ukraine,
Russland, dem Baltikum, auch Deutschland aus Walter Kempowskis
"Echolot" gelesen hätten? Jener durch ihre Nüchternheit so
schmerzhaften Komposition aus damaligen Tagebucheinträgen? Und was wäre
passiert, wenn Schulen den Tag zu einem Gedenktag mit Ausstellungen und
Vorträgen gemacht hätten? Es wäre richtig und wichtig gewesen, weil über diesen
Feldzug bis heute viel weniger bekannt ist als über die meisten anderen Kapitel
des Zweiten Weltkriegs. […]
Merkel
und Gauck wollen Russland lieber demütigen, indem sie vor den russischen
Grenzen das NATO-Manöver „Anaconda“ durchführen und das unfassbarerweise auch
noch unter deutscher Führung geschehen lassen.
Von der
Leyen und Merkel erklären sogar ausdrücklich die Bundeswehr aufrüsten zu wollen
und Teile davon dauerhaft vor Russlands Haustür zu stationieren.
Militärministerin von
der Leyen hingegen scheint dem naiven Glauben anzuhängen, Putin ließe sich in
seiner Ukraine-Politik beeindrucken, wenn Deutschland die klassischen
Landverteidigungskräfte weniger stark abbaut, als vor Beginn des Konflikts
geplant war. Mit dieser wenig überzeugenden Begründung hatte die Ministerin
letzte Woche verkündet, dass weniger Leopard-Panzer verschrottet werden sollen
als vorgesehen und dass ein bereits eingemottetes Panzerbataillon wieder in
Dienst gestellt wird.
[…]
Trotz Warnungen vor
einer Eskalation der angespannten Beziehungen zu Russland will Bundeskanzlerin
Angela Merkel (CDU) die deutschen Militärausgaben massiv erhöhen.
Die überraschende
Ankündigung der Kanzlerin kommt einer Zeitenwende gleich - seit einem
Vierteljahrhundert wurde bei der Bundeswehr nur gespart. Nur werden die
Rüstungsausgaben wieder steigen.
[…]
Keine Frage, wer mit dem Ausdruck
"neue Bedrohungen" in erster Linie gemeint ist: das Russland Wladimir
Putins.
[…] Die Bundesregierung will den
Verteidigungsetat nach aktuellem Planungsstand bis 2020 von derzeit 34,3 auf
39,2 Milliarden Euro aufstocken. […] Der
Russlandbeauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), kritisierte
Merkels Ankündigung. Auch wenn diese Aussage an die osteuropäischen Staaten
adressiert sei, "die sich bedroht und verunsichert fühlen", stelle
sich hier die Frage, "ob das zu mehr Sicherheit führt oder zu
weniger", sagte er in einem Gespräch mit der "Passauer […] "Eigentlich wäre es Zeit für eine
Abrüstungsinitiative". Er warnte vor einer Eskalationsspirale zwischen
NATO und Russland. Erler forderte, die Eskalation zu stoppen: "Genau aus
solchen Entwicklungen heraus entstehen unkontrollierte Situationen bis hin zum
Krieg."
[…]
Es gehe in die falsche Richtung, sagte
der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner der Deutschen
Presse-Agentur.
"Wir brauchen
kein Nato-Säbelrasseln, sondern eine neue Initiative für eine Friedens- und
Entspannungspolitik." […]
[…]
Russland kündigt Reaktion auf
Nato-Aufrüstung im Osten an
Verteidigung
[…]
Die Nato treibt die Aufrüstung in den an
Russland grenzenden Mitgliedstaaten weiter voran. […] Merkel bestätigte Nato-Überlegungen zu einer weiteren
Truppenaufstockung in Polen und den baltischen Staaten. In Litauen soll eine
Bundeswehrkompanie mit 150 bis 250 Soldaten ein Nato-Bataillon mit
schätzungsweise 1000 Soldaten anführen. […] Lawrow reagierte in einem vom russischen Außenministerium verbreiteten
Interview der schwedischen Zeitung "Dagens Nyheter" auf die
Nato-Aktivitäten: "Wir haben immer gesagt, wenn sich militärische
Infrastruktur der russischen Grenze nähert, dann werden wir selbstverständlich
die notwendigen Maßnahmen ergreifen", sagte er. Das russische Militär
werde seine Entscheidungen nicht auf der Basis von Nato-Erklärungen treffen,
sondern anhand dessen, was es "mit den eigenen Augen" sehe. […]
[….]
Heute ist die Bundeswehr Teil der
Nato-Übungen in den osteuropäischen Mitgliedstaaten; zur Abschreckung gegen
Russland. Selbstredend verbietet sich jeder Vergleich zwischen damals und
heute, die Deutschen sind nun Teil eines Bündnisses freier Nationen und auf
Wunsch der osteuropäischen Partner dort, die sich vor dem neuen russischen
Nationalismus fürchten. Und doch ist der Mangel an historischer Sensibilität
erstaunlich, dass ausgerechnet das Land der Invasoren von einst, statt Soldaten
zu schicken, seine Rolle nicht deutlicher als Mittler zwischen dem Westen und
Moskau versteht.
Vielleicht hat das
noch immer damit zu tun, dass der Krieg des Deutschen Reiches gegen die
Sowjetunion 1941 hierzulande in seinen apokalyptischen Dimensionen bis heute
vielfach nicht ganz begriffen wurde. Mindestens
27 Millionen Menschen wurden auf sowjetischer Seite Opfer dieses Krieges. […]