Sonntag, 5. Juni 2016

Wochenendenttäuschung



Wenn man so viele Zeitungen liest wie ich, wird es auch zur abendfüllenden Beschäftigung sich über „den Journalismus“ zu ärgern.
Ich kann es nicht leiden, wenn man mit Déjà-vus konfrontiert wird, denkt daß man den Artikel doch kürzlich schon mal gelesen hat und dann mit etwas Grübeln feststellt, daß der SZ-Mann einfach nur das wiedergegeben hatte worüber zwei Wochen zuvor schon Newsweek ausführlich berichtete.

An dieser Stelle fragen mich dann die usual suspects wieso ich überhaupt so viel Geld für die Printabos ausgebe; man könne doch auch online alles lesen.

Aber das ist eben genau falsch. Da es über Twitter, Facebook und Co eine so gewaltige Menge von Informationen gibt, die ungefiltert durch die Welt sprudeln, ohne daß sich die Multiplikatoren noch die Mühe geben die Quelle zu prüfen, tauchen auch all die Enten von Kopp, DWN, RT oder Focus Online auf dem Schirm auf.
Um sich dieser gewaltigen Meldungsflut zu erwehren, schränkt jeder Internetler seine Zuträger ein.
Und dazu juckt es auch in den Fingern.
Wenn Anne Will, wie jetzt im Moment den Rassisten Gauland und den Pegida-Freund Prof Patzelt den roten Teppich ausrollt (dieses Jahr hatte sie zweimal Trixi Storch und einmal Frauke Petry ebenfalls schon eingeladen), kann man das völkische „Man wird doch wohl nach sagen dürfen….“-Twitterfacebook-Rauschen kaum ertragen und möchte solche Stimmen nur noch blockieren.
Pegidioten verfahren genauso und werden Meinungsäußerungen von Linken und Grünen abknipsen.

Am Ende befindet sich jeder in seiner selbst kreierten Informationsinzestblase, in der alle gleich denken.
Man gewöhnt sich schnell daran, daß alle anderen Multikulti genauso hassen wie man selbst und glaubt tatsächlich beim Abfackeln einer Flüchtlingsunterkunft nur den Willen der Mehrheit exekutiert zu haben.

Umgekehrt denken die Linken, daß Trump und Seehofer von jedem genauso verachtet werden, wie man sie selbst verabscheut.
Norbert Hofer. Was für eine verlogene Witzfigur. Den kann ja keiner wählen.
Bis dann das böse Erwachen am Wahlabend kommt, in Bayern schon wieder die CSU mit absoluter Mehrheit regiert, die FPÖ um ein Haar die 50% erreicht und an den 08.11.2016 will ich gar nicht denken.

Diesen Informationsinzest gilt es also zu vermeiden und dafür ist der klassische professionelle Journalismus unabdingbar.
Die gatekeeping-Funktion muß jemand ausfüllen.
Bestes Bespiel dafür sind die „Panama-papers“ mit einem Umfang von 11,5 Millionen Dateien, also 2,6 Terabyte = 2,6 Millionen Megabyte.
Es ist nicht möglich sich selbst ein Bild zu machen, wenn überall in der Welt einzelne Sätze als Originalzitate kursieren.
Es erfordert vielmehr eine große Anzahl Profi-Journalisten, die über eine lange Zeit das gesamte Material sichten und dann objektiv darüber berichten.

Man kann ebenso wenig alle Gesetzesentwürfe des Bundestages selbst lesen, alle Bundestagsdebatten-Protokolle nachlesen und jedes Parteiprogramm analysieren; zumindest nicht, wenn man es nicht hauptberuflich tut.
Man ist auf Journalisten angewiesen. Journalisten müssen gut bezahlt werden, weil sich ihre zeitaufwändige Arbeit sonst nicht lohnt.
Schlecht bezahlter Journalismus wird zu schlechtem Journalismus, weil unter Zeit- und Gelddruck statt der teuren und zeitraubenden Dokumentarabteilung nur das billige, schnelle Wikipdedia zum Factchecking verwendet wird.
Investigative Recherche bedeutet eben nicht googlen, wie man es für Blogs tun kann, sondern hinfahren, persönlich ansehen, selbst nachfragen.

Schließlich muß man als „User“ seinen Journalisten vertrauen.
 Das ist ein langwieriger Prozess, bei dem es gerade nicht darauf ankommt jemand zu finden, der das schreibt, was man gern hört.
Man muß die Autoren, Kolumnisten und Reporter gut kennen und sie gewissermaßen durch Kollegen anderer Presseorgane immer wieder eichen.
Es ist wichtig die Journalisten, auf die man sich verlässt auch bis zu einem gewissen Grad als Persönlichkeit einschätzen zu können.
SZ-Autor Matthias Drobinski ist sicher ein honoriger Mann, der nicht auf den Kopf gefallen ist, aber man muß wissen, daß er ein frommer und überzeugter Katholik ist und seiner Kirche nie so objektiv gegenüberstehen wird, wie er es als Kirchenjournalist eigentlich sollte.

Gerade in den letzten Wochen hatte ich verstärkt das Gefühl, der klassische Qualitätsjournalismus besinne sich mehr auf die eigenen Stärken, statt im flachen Gezwitscher mitzuspielen.

Richtig auffallend wie oft die viel kritisierten Jungs von SPON wirklich sehr gute und nachdenkenswerte Kolumnen online stellten.
Popp, Augstein, Pitzke und Diez fabrizieren jede Menge Texte, die ich gerne und überzeugt weiterempfehle.

Journalistisch hätte eigentlich ein schönes Wochenende vor mir liegen sollen, als ich gestern die Titelgeschichte des SPIEGELs über das zerrüttete  Verhältnis zwischen CSU und CDU zur Hand nahm und dazu auch noch den SZ-Leitkommentar von Heribert Prantl las.

Mein Leib- und Magenthema. Innenpolitik und Parteipolitik. Das sollte ein Spaß werden.

Aber was für eine Enttäuschung!

Keinerlei Neuigkeiten in beiden langen Artikeln.

Ralf Neukirch und René Pfister vom SPIEGEL erklären wie wütend Seehofer immer noch ist, daß er 2004 als gesundheitspolitischer Sprecher zum Rücktritt gezwungen wurde, weil Merkel ihre Gesundheitsprämie durchsetzte.
Dann kämen die Demütigungen durch die gescheiterten CSU-Projekte Herdprämie und Antiausländermaut hinzu, die dazu führten, daß Seehofer um seine Macht bange, weil Söder ihm im Nacken säße.
Als Konsequenz mache er Opposition gegen die Koalition, weil das schon immer geholfen habe, sie CSU-Reihen zu schließen.
Da kam die „Flüchtlingskrise“ gerade recht, um ein Thema zu finden, mit dem sich die Bayern von Merkel absetzen konnten.
Nun gäbe es die CSU-Lesart der Linkskurs der CDU habe Platz für die AfD geschaffen und die CDU-Lesart, der Rechtskurs der CSU habe die AfD erst hoffähig gemacht. Im Übrigen spreche man nicht genügend miteinander, sondern nur übereinander.

What else is new?

Prantl fügt in seiner SZ hinzu, daß CSU und CDU Merkmale einer zerrütteten Ehe aufwiesen. Seehofer wolle da raus, sich aus Merkels Umklammerung befreien, hadere aber damit zu wissen, daß der Schaden den Nutzen überwiege.

[….] Angela Merkel steht da ja schon seit 16 Jahren - aber erst in jüngerer Zeit ist ein Zustand eingetreten, der sich nicht mehr als neckisch-produktiver Antagonismus, nicht als bloßes Zerwürfnis, sondern als Zerrüttung beschreiben lässt. Bei klassischen Ehen denkt man bei diesem Wort an Scheidung. Zerrüttung heißt: Das Gefühl der inneren Bindung ist verloren gegangen.
In einem solchen Fall gibt es im Familienrecht Möglichkeiten, die eine Scheidung auch ohne vorherige Einhaltung einer Trennungszeit ermöglichen: bei "Unvereinbarkeit der Charaktere", "dauerhafter Lieblosigkeit" und bei "Misshandlungen". All das lässt sich derzeit im Verhältnis von CSU und CDU und in den Dauerattacken von Seehofer gegen Merkel finden. [….]

In diesen Sätzen spricht der Feuilletonist und ehemalige Richter Prantl.

Hübsch formuliert.

Leider auch ganz ohne Erkenntnisgewinn.

Aber morgen kommt ja wieder eine neue SZ….

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